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  • 11.10.2017
  • Ulrike Greim, Rundfunkbeauftragte der Ev. Kirche in Mitteldeutschland

Vortrag von Ulrike Greim, Weimar, Rundfunkbeauftragte der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland

Kirche, Rundfunk und Reichweite - die unsichtbare Gemeinde

Vorweg: Drei persönliche Perspektiven auf Kirche

1. Die Kirche ist der Kosmos. Alles ist in ihr
Großgeworden als Pfarrerstochter im Thüringer Wald im Bewusstsein: Die Welt ist um uns. Wir sind der Mittelpunkt. Volkskirchliche Struktur. Pfarrer ist Respektsperson. Sonderstellung für Pfarrerskinder. Gemeindeleben in unserem Haus und dem Gemeindehaus. Wir sind das Dorf.

2. Die Kirche ist nur ein Staubkorn im All
Als Journalistin: im Säkularen. Kirche nur ein kleines Thema unter vielen anderen. Weit wichtigere Akteure: Sportvereine, Großbauern, Firmenchefs, Theaterintendanten.
Kirchenmenschen werden gerne als Sonderlinge wahrgenommen, spielen kaum eine Rolle. Einzelpersonen als Ausnahmen bestätigen die Regel. Kirche wahrgenommen zu Festen/Feiertagen/Katastrophen und als wichtiger Akteur im Bereich Kunst und Kultur. Sonst: kleine Kirchenblase. Mikrokosmos mit geringer Ausstrahlung.

3. Die Kirche ist ein Player (Spielteilnehmer) auf dem großen gesellschaftlichen Feld
Als Rundfunkbeauftragte: An der Schnittstelle. Transmitter. Zeitansage. Selbstbewusster Akteur. Keine Hybris, aber auch keine falsche Demut.
Stimme geben - das wird wahrgenommen. Aber Wetterbericht ist wichtiger.


Kirche und Öffentlichkeit: ein spannungsvolles Verhältnis

These eins: Kirche hat Angst vor Öffentlichkeit
Das merken wir bei vielen Radiogottesdiensten. Alles ist gut, bis ein Mikrophon aufgebaut wird, auf dem „MDR" steht. Dann kommen die heftigen Krisen, die Bedenken, der Rückzug auf das Althergebrachte. Dann kommen Konflikte. Sie kulminieren, weil Öffentlichkeit droht.
Aspekt 1: Gemeinde und Gottesdienst werden häufig nicht als selbstverständlich öffentlich wahrgenommen, sondern als binnenkirchliche Veranstaltungen, die sie de facto auch sind, die dann aber auch bitte nicht gestört werden sollen von außerkirchlichen Menschen.
Aspekt 2: Wagenburgmentalität (zu DDR-Zeiten überlebenswichtig)
„Wir hier drinnen/Die da draußen". Jahrelang verfestigt durch Erfahrung, dass „wir unter uns bleiben". Wenn Kirche auf den Markt soll (Volksfeste/Kirchentage/Radio), kommt die Angst vor der eigenen Courage, der Verfolgungswahn.

These zwei: Kirchenmenschen flüchten sich dann gern in Hybris (Hochmut)
Öffentliche Verkündigung geschieht oft von oben herab:
- moralische Überheblichkeit („Wir sind die Werteagentur"),
- geistliche Überheblichkeit („Wir stehen einfach näher bei Gott").

These drei: alternative Reaktion ist die Implosion
„Wir haben nichts zu sagen/Uns hört eh keiner zu/Wer traut schon unseren Worten/Wir selber ja auch nicht"

These vier: All das resultiert aus Mangel an Glauben
Die „frohmachende Botschaft des Osterevangeliums", wie sie gerne verquast formuliert wird, hat leider keine tiefgreifende Wirkung, weil sie selber nicht geglaubt wird.
Darum halte ich Seminare für verständliches Reden: „Erklären sie bitte in wenigen einfachen Sätzen Ostern!" - da kommt das große Schweigen. Dann Stammeln.
Wo nicht geglaubt wird, kann auch kein Glauben verständlich formuliert werden. Da finden sich auch keine neuen Formen.

These fünf: Der Gott des Lebens macht aber lebendig
Er spendet Leben und Atem - jeden Tag neu. Er holt zurück, was wir beerdigt hatten. Er ruft Menschen aus dem sicheren Tod ins Leben zurück. Er durchbricht die Logik dieser Welt. Er gibt uns unsere Stimme.
Wir können ins Leben und auf den Markt gehen, ohne vom Tod bedroht zu werden. Wir können dem Nazarener trauen, wenn wir für seine Sache an den Start gehen. Nachfolge ist möglich, Reden über Nachfolge ist möglich, auch wenn die Reaktionen heftig sein können. Mal heftig positiv, mal verheerend.

These sechs: Gott ist schon „da draußen"
Wir sollen Gott suchen, da, wo er uns hingestellt hat. Er will sich finden lassen. (Apg 17,27) Wir finden ihn in den Gesichtern unserer Nachbarn, unserer Hörerinnen und Zuschauer. In den Themen, die auf der Straße liegen.

These sieben: „Da draußen" warten unsere Geschwister
Wir sind gesandt an die Hecken und Zäune und bis an die Enden der Welt. Warum? Weil da unsere Geschwister auf uns warten. Es gibt eine erhebliche Sehnsucht nach dem Religiösen. Es ist im Kern eine Sehnsucht nach Gott. Dieses Jahr 2017 (z.B. ARD-Themenwoche Glauben) hat es eindrucksvoll gezeigt. Viele Türen stehen sperrangelweit offen. Gute Andachten und gute Gottesdienste werden dankbar angenommen und zeitigen erstaunliche Reaktionen. Die Betonung liegt auf „gute". Durchdachte, durchglaubte Worte, Geschichten, Bilder, Statements. Authentisch, verständlich.

These acht: Gute Verkündigung ist harte Arbeit
Also ran ans Werk. Feilen am Handwerkszeug. An Sprache und vor allem an Theologie. Räume schaffen für Bildung. Räume für Ausprobieren, Wachsen, Fehlermachen. Aktive Förderung tut Not.
Talente respektieren, nicht einhegen wollen.
Neugier auf Hörerinnen und Hörer
kontinuierliches Gespräch mit Medienmenschen
Keine Angst vor Pannen
Kontinuierliche Entwicklung von Formen

These neun: Und dann: Abschalten
Predigt-Sabbat. Respekt vor Erholungspausen. Das sollte selbstverständlich werden.
„Rausgehen" kann, wer den Rückzug trainiert hat. Drama der Erschöpfung vermeiden!
Geistliche Regeneration fördern, damit die Kraft des Geistes wieder zum Zuge kommen