ThomasForum - begegnen, bilden, glauben

  • 10.10.2018
  • The Rev. Dr. Robert G. Moore

Meine sehr verehrte Damen und Herren, erstens bedanke ich mich bei Herrn Schindler für die freundliche Vorstellung. Ich bin sehr dankbar, dass ich in die Reihe von Rednern des Thomas Forums aufgenommen worden bin – obwohl Deutsch für mich nach wie vor eine Fremdsprache ist. Darum wäre ich normalweise jetzt sehr nervös, aber ich sehe vor mir viele bekannten Gesichter, die schon wissen, dass Deutsch nicht meine Muttersprache ist und trotzdem mich in verschiedenen Kontexten gehört und vor allem den Sinn meiner Worte verstanden haben.

Ich möchte das, was ich Ihnen nun vortrage unter ein Psalmwort stellen, das für mich eine besondere Bedeutung bekommen hat. Sie werden das merken:

Siehe, wie fein und lieblich ist's, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen! 2Es ist wie das feine Salböl auf dem Haupte Aarons, das herabfließt in seinen Bart, das herabfließt zum Saum seines Kleides, 3 wie der Tau, der vom Hermon herabfällt auf die Berge Zions! (Psalm 133)

Deutsche Bibelgesellschaft. Lutherbibel revidiert 2017 - Die eBook-Ausgabe: Die Bibel nach Martin Luthers Übersetzung. Mit Apokryphen (German Edition) (Kindle Locations 41137-41146). Deutsche Bibelgesellschaft. Kindle Edition.

Ich wurde gebeten, Amerika verständlich zu machen. Vor einem Jahr, als Herr Schlosser mich angesprochen hatte, dachte ich, dass ich als gebürtiger Amerikaner diese Aufgabe erfüllen könnte. Jetzt, in der verwirrenden Lage in Amerika, muss ich zugeben, dass ich mein eigenes Land nicht mehr verstehe, sicherlich auch, weil ich schon zwei Jahre außerhalb der Vereinigten Staaten lebe. Manchmal denkt man, dass von außen und mit Distanz alles besser, klarer sehen kann. Aber das ist nicht immer der Fall.

Im Sommer waren meine Frau Kathy und ich acht Wochen in den Vereinigten Staaten in Houston und Austin, unsere Heimatstädte, dann in Kansas City, Omaha, Chicago, Minneapolis, Milwaukee, Seattle und Tacoma. Da haben wir Familie, Freunde, Kollegen und Kirchgemeinden besucht. Ich habe darauf gehofft, die Lage in Amerika direkt zu erleben und besser erfassen zu können. Was wir aber erfahren habe, ist, dass wir immer mit ähnlich denkenden Leuten zusammen waren. Acht Wochen waren wir unterwegs – aber wir haben niemanden getroffen, der Trump gewählt hat. Je weiter wir gereist sind, desto mehr blieb unser alles gleich. Nur im Internet, in den Zeitungen und Zeitschriften und im Fernsehen konnten wir die andere Seite Amerikas hören und sehen. Das hätten wir auch in Leipzig machen können! Von innen oder von außen der USA haben wir wenig Neues erlebt. Das ist ein Problem. Denn es bedeutet, dass die Vereinigten Staaten ein gespaltenes Land sind. Jeder wohnt unter den Seinen und hat wenig Kontakt mit den denen, die anders denken und handeln.

Ich möchte noch ein Beispiel dafür anführen, wie gespalten die USA sind und wie wenig Kontakt und Austausch die unterschiedlich denkenden Menschen haben. Vor einem Monat besuchten uns meine Geschwister in Leipzig. Wir hatten sie eingeladen, um unser neues Zuhause kennenzulernen und um etwas vom unseren Leben in Deutschland mitzuerleben. Wir ahnten schon, dass zwei meiner Brüder Trump Fans sind. Darum hatten wir uns entschlossen, Gespräche über Politik zu vermeiden. Die Besuchswoche ist gut verlaufen – denn wir haben kaum ein Wort über der Politik geredet. Doch dann geschah Folgendes: ein Bruder, von dem ich annahm, dass er Trump nicht unterstützt, entpuppte sich als großer Trump-Fan, nachdem ich eine witzige Bemerkung über Trump gemacht hatte. Wir waren da nur unter uns. Es war also gut, dass wir jeden Streit vermieden hatten, aber es hat uns viel Kraft gekostet. So gestaltete sich der Besuch freundlich und friedlich, aber wir wussten, hätten wir versucht, uns unsere unterschiedlichen politischen Ansichten zu sagen, wäre es zum Streit gekommen. Die Spaltung war offenbar, aber auch das Schweigen.

Ich glaube, was uns trennt, ist unsere Einstellung zu Gewalt, Zwang und Drohung, nicht Gewalt unter unseresgleichen, das heißt in der Familie, in der Mittelklasse und unter den Weißen, aber Gewalt gegen Alles, was dem weißen Teil der amerikanischen Gesellschaft irgendwie gefährlich scheint. Allgemein und oberflächlich betrachtet sieht es in der Gesellschaft ruhig aus. Aber es ist nicht ruhig. Gewalt ist überall zu finden, und sie hat tiefe Wurzeln in der Geschichte. Wir dürfen nie vergessen, dass die Europäer, die den nordamerikanischen Kontinent erobert haben und sich ansiedelten, die Ureinwohner ausrotteten. (Nur ein toter Indianer war/ist ein guter Indianer!) Wir haben die, die den Vernichtungsfeldzug gegen sie überlebt haben, in Reservaten eingesperrt und versucht, ihre Kinder von ihren Familien zu trennen, ihre Sprachen zu verbieten und sie abhängig von unfreundlichen Behörden zu machen.

Auch müssen wir daran erinnern, wie gewalttätig der Sklavenhandel im 17./18. Jahrhundert war. Trotz der Versuche, die Geschichte von der Sklaverei zu verschonen, war es eine brutale Geschichte, gefüllt mit Misshandlung, Terror, Qual und Tod. Die Afrikaner, die in die Neue Welt verschleppt wurden, wurden nicht als Menschen betrachtet – und so ihrer Würde beraubt. Sklaven wurden nur als 5/8 Menschen in der amerikanischen Verfassung gehalten. Die Südstaaten hätten die Sklaven am liebsten als Tiere behandelt, aber sie mussten sie als Teilmenschen zählen, damit sie stärker in der Bundesregierung vertreten sein konnten. Das Leben war brutal. Kinder wurden von ihren Müttern getrennt und verkauft. Auch Ehepaaren wurden getrennt.

Wie konnten eine Gesellschaft dazu kommen, und wie bringen sie sich in Einklang bringen?

Als ich Kind habe ich wie jedes Kind im Fernsehen die Serien von „The Lone Ranger“ gerne angesehen. Da habe ich unbewusst etwas gelernt, was ich später als ein Geheimnis der amerikanischen Gesellschaft erkannt habe – ein Geheimnis, das eine mythische Rolle gespielt hat und immer noch spielt. Jede Folge hat fast denselben Handlungsablauf und fand in Wild Westen statt. Der Lone Ranger oder der „Held mit der Maske“ oder „Der Einsame Ranger“ ist ein Superheld. Er trägt weiße Kleidung und eine schwarze Maske. Er wird immer von einem Indianer namens „Tonto“ begleitet. Der Lone Ranger hat keinen Namen außer dem, den Tonto nennt: das ist „Kimo sah bee“. Es ist nicht klar, was der Name bedeutet. Der einsame Ranger ist allein. Er hat vermutlich keine Freundin, keine Frau. Wir wissen nicht, wo sein Zuhause ist. Wir erfahren nur, dass er mutig ist und immer eine Waffe bei sich trägt und sie nur mit silbernen Kugeln benutzt.

Es fängt in einem Dorf an. Alles soll schön und friedlich sein, aber es kommt ein böser Mensch, der Probleme verursacht und das Leben im Dorf droht. Die Einwohner sind hilflos. Die normalen Behörden sind auch machtlos gegen den Bösen, der natürlich schwarz trägt. Endlich tötet der tapfere Lone Ranger den Bösen mit einer silbernen Kugel. In der letzten Szene sehen wir den Lone Ranger auf seinem Pferd, das „Silber“ heißt. Als er wegreitet, ruft er, „Hi ho Silver, away”! Der Lone Ranger verschwindet.

Was wir Kinder und wahrscheinlich unsere Eltern nicht wussten, war die Tatsache, dass wir wiederholend in einem Mythos geformt wurden, der uns lehrt, dass Gewalt von einem unschuldigen Menschen ausgeübt werden darf. Denn er hat keine Wahl, um sich und sein Leben zu retten. Wir können also von erlösender Gewalt sprechen.

Der Lone Ranger ist nicht die einzige Reihe von Geschichten, die versuchen, Gewalt zu rechtfertigen – vor allem gegenüber denen, die auf Gewaltlosigkeit setzen wie Jesus, Gandhi und Martin Luther King, Jr. Es gibt Superman, Captain Amerika, und viele Wildwestfilme, zum Beispiel, die „Spaghetti Westerns“. Das Drama von der erlösenden Gewalt durchdringt die amerikanische Kultur so stark, dass die Religionswissenschaftler Robert Jewett und John Shelton Lawrence vom amerikanische „Monomyth“ sprechen. Der Monomyth soll dafür sorgen, Gewalt als gerechtfertigt anzusehen, wenn man gegen das Böse kämpft. Jeder, der sich als Held im Kampf gegen das Böse fühlt, kann das Monomyth benutzen, um seine Gewalttätigkeiten zu verschleiern.

In Situationen, in denen Institutionen und Politiker immer versagen, bietet der Monomythos Helden an, die Bestandteile des selbstlosen Diener mit dem einsamen, eifrigen Kreuzritter verknüpfen. Der wird das Böse zerstören und außerhalb des Gesetzes. Der wird die ganze Macht übernehmen, um sich der Feinde zu entledigen. Es ist eine naive Form des Faschismus aber gefährlich.

Mit dem amerikanischen Monomythos kann die Gesellschaft damit leben, dass die Gewalt geübt werden kann, ohne dass die Gesellschaft sich als schuldig findet. Es ist eine Lüge, aber es wirkt, da sehr Held im Weiß und mit einer silbernen Kugel rettet. Deshalb kann man sich mit dem Mythos abfinden.

So ist Gewalt ein Teil des amerikanischen Lebens. Das erfahren in besonderer Weise die, die nicht weiß sind. Die Gewalt zeigt sich heute in verschieden Weisen.

Nach dem Bürgerkrieg im Jahr 1865 und der Abschaffung der Sklaverei, haben die ehemalige Sklavenbesitzer und andere Weiße besonders im Süden von den USA versucht, die ehemaligen Sklaven daran zu hindern, ein gleichberechtigter Teil der Gesellschaft zu werden. Die Schwarzen wurden bedroht von weißen Banden. Sie haben Kostüme und Kreuze getragen, die sie anzündeten, um den Schwarzen Angst einzujagen. In extremen Fällen wurden Schwarze ermordet. Das schrecklichste Zeichen der Gewalt war der Lynchbaum, an dem der Mob oft unschuldige schwarze Männer hingerichtet haben. Ein neues Museum in Montgomery, Alabama erinnert an Hunderte erhängte Schwarze, die unschuldig und ohne Prozess getötet wurden, als weiße Familien Picknick machten. Und warum haben die Weißen das gemacht? Um die Schwarzen zu unterdrücken, aus Furcht davor, dass die Schwarzen den Weißen gleich werden. Es ist auch schockierend zu sehen, dass auch heute noch fünf Mal so viele Schwarze wie Weiße im Gefängnis sind.

 im Jahr 2010 380 pro 100.000 0,38% weiße Bürger waren im Gefängnis, da 2020 pro 100,000 Schwarzen inhaftiert sind. Das ist 2%, 5 Mal soviel als Weißen im Gefängnis.

Es ist kein Geheimnis, dass Amerika verliebt in Waffen ist. Laut Umfrage besaßen 2017 je 100 Bürger 120,5 Waffen – also jeder Bürger der USA besitzt mehr als eine Waffe. Zum Vergleich: In Deutschland und Frankreich kommen auf 100 Bürger 19,6 Waffen.

Gewalt gegen Frauen ist auch ein bedeutendes Problem in Amerika. Meine Kirche, Evangelical Lutheran Church in America, hat kürzlich eine Stellungnahme zur Gewalt in der Familie veröffentlicht. In den letzten Wochen während des Bestätigungsverfahrens eines Richters, der für das Oberster Gericht der USA nominiert wurde, kommt es zu dem Vorwurf, er habe vor 35 Jahre versucht, eine Mitschülerin zu vergewaltigen. Der Angeklagte leugnete vehement. Wie aber kann man beweisen, ob eine solche Anklage wahr ist? Die Mehrheitspartei, die Republikaner, wollten keine offizielle Untersuchung. Der Präsident, der schon vor der Wahl geprahlt hat, dass er Frauen anfasst und küsst, wie und wann er will, hat den Kandidaten unterstützt und verteidigt. Die Anklägerin, die sich als Opfer dargeboten hat, wurde als Opportunistin verunglimpft, die versucht, den Kandidaten Trumps für das höchste Richteramt zu zerstören. Also ist dieser das echte Opfer. Auch haben viele Leute behauptet, dass, wenn der Kandidat als 17-Jähriger das wirklich getan hat, es zu lange her ist und darum nicht mehr relevant ist. Andere, darunter auch Frauen, behaupteten, dass, auch wenn es zu der Vergewaltigung gekommen sein sollte, es nur natürlich war bei Jugendlichen in diesem Alter: „Boys will be boys“, sagten viele. Viele haben gewarnt, dass solches Reden eine Förderung einer alten Vergewaltigungskultur ist, deren Endeffekt ist, Gewalt gegen Frauen zu tolerieren, wenn nicht gar anzuregen.

Überall in Amerika gibt’s Beweise dafür, dass Gewalt ein immerwährendes Problem ist und auch die Meinung, dass Gewalt auch eine Lösung ist. Viele hoffen auf einen Lone Ranger, der uns retten wird—auch mit Gewalt. Ich denke, das ist warum wir so gespalten sind.

2016, als ich noch Pfarrer in einer lutherischen Gemeinde in Houston, Texas war, habe ich in den Nachrichten einen Bericht über Donald Trump gesehen. Damals war er noch Kandidat. Er hat die Besucher bei einer seiner politischen Großkundgebungen angestachelt, andere zu verprügeln, und angeboten, ihre Anwaltskosten zu bezahlen. Als ich eine Predigt gehalten habe, die fragte, ob ein Christ solche Politiker wie Donald Trump unterstützen kann, war ich überrascht, dass ich kritisiert wurde. Es wurde behauptet, dass ich auf der Kanzel zu politisch war. Ich habe geantwortet, dass ich als christlicher Pastor und in der Nachfolge Jesu immer gegen Gewalt auftreten muss. Ich bin mehr denn je der Überzeugung, dass wir nur auf diesem Weg Spaltung überwinden können. Aber mir ist bewusst: dieser Weg ist noch sehr lange. Und auf ihm wird es leider noch zu vielen Gewalttätigkeiten kommen. Auf der anderen Seite haben wir in Amerika gesehen, dass nur durch die Strategie der Gewaltlosigkeit eines Martin Luther King Veränderungen möglich sind. Denn Brüder und Schwestern werden wir nur, wenn wir uns gegenseitig als Menschen achten. Das ist unsere Aufgabe als Christen – aber nicht nur in Amerika. Auch hier in Europa.