Predigt zum Reformationstag über Mt 22,15-22, 

  • 31.10.2024 , Reformationstag
  • Superintendent Sebastian Feydt

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Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes mit euch allen. 

Liebe Gemeinde, ich bin dankbar, dass wir heute diesen Feiertag unserer Kirche haben. Denn es tut nicht nur gut, es hilft in so unsicheren und ungewissen Zeiten orientiert zu werden. 
Daran erinnert zu werden, auf die Heilige Schrift zu hören. – Gut reformatorisch: Sola scriptura, allein durch die Heilige Schrift, durch das Evangelium von Jesus Christus, in meinem derzeitigen Leben ausgerichtet zu werden. 

Heute hier im Gottesdienst war es zuerst das große Bekenntnis unserer älteren, jüdischen Geschwister im Glauben: 


Höre, Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr ist einer. 
Du sollst den Herrn, dein Gott, lieb haben, 
von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft. 

Kürzer, prägnante, klarer geht es nicht, diese einzigartige, von Liebe bestimmte Beziehung zwischen Gott und mir als Mensch ins Wort zu fassen. 

Und wir tun gut daran, heute angesichts der auch mitten unter uns zu beobachtenden antijüdischen Stimmen und der mitunter hasserfüllten Stimmung eben diese Worte, die für den Juden Jesus von Nazareth das Urbekenntnis zu seinem Gott darstellten, uns zu Herzen zu nehmen und davon zu reden, ganz gleich, ob zu Hause oder unterwegs. 

Wenn wir eine reformatorische Kirche bleiben wollen, dann gilt es, diese bedingungslose Zusage Gottes zu mir als Mensch auch unmittelbar auf mich zu beziehen. 
Auf mich als Person, auf mein konkretes Leben. Auf die Umstände, in denen wir uns in diesen verrückten Tagen und Wochen wiederfinden. 

Diese Umstände sind davon geprägt, dass Vertrauen verloren geht. Mitunter hat man das Gefühl, jeden Tag kommt noch etwas mehr Vertrauensverlust dazu: das Vertrauen in das Gesundheits- und Pflegewesen schwindet, das Vertrauen in das Funktionieren des öffentlichen Verkehrs, der Infrastruktur ist belastet, das Vertrauen in die staatliche Gewalt wird immer wieder erschüttert, ganz zu schweigen vom Vertrauensverlust in die Sicherheitsgewährung durch die Bundeswehr. 

Neben dem bangen Blick auf des Funktionieren des Staates mit all seiner überbordenden Bürokratie schauen wir mehr als skeptisch auch auf den Zustand  unserer Wirtschaft. 
Staat und globaler Markt, die beiden großen Systeme, die seit Aufklärung so stark das Vertrauen der Menschen auf sich gezogen haben – und es auch erhalten haben – zeigen Anzeichen von Schwäche, um nicht zu sagen, von Versagen. 

Da sie aber beide so stark vom Vertrauen der Menschen abhängen, führt der gegenwärtige Vertrauensverlust zu einer großen Verunsicherung unter uns und zu dem Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren, die Luft zum Atmen zu verlieren.

Es ist, als ob eine Schlinge um den Hals gelegt wird. Im Evangelium ist es genauso beschrieben: die Feinde der Vernunft, die Feinde der gottgewollten Freiheit des Menschen, die Feinde Wahrheit, auch die Feinde der ausgleichenden Gerechtigkeit wollen Jesus einen Ausspruch entlocken, der sich für ihn als Schlinge um den Hals erweist.  

Haben Sie noch im Ohr wie Johann Sebastian Bach dieses Umstelltsein von Feinden in seiner Kantate im ersten Rezitativ vertont hat? Der Heiland sendet ja die Seinen, recht mitten in der Wölfe Wut. Um ihn hat sich der Bösen Rotte, zum Schaden und zum Spotte mit List gestellt.

Es spottet jeglicher Beschreibung, was uns an menschlicher Niedertracht und Bosheit heute begegnet. 
Und dann auch nicht spurlos an uns vorüber geht. Wenn wir uns ehrlich im Spiegel anschauen, dann haben doch die Umbrüche und Einbrüche der letzten Jahre auch uns alle verändert.

Ist meine Sprache nicht auch härter und unbarmherziger geworden? 
Hat sich meine Toleranzschwelle nach unten oder doch eher nach oben bewegt? Rechtfertige ich mich nicht viel öfter vor anderen? Habe ich nicht viel Vertrauen verloren? 

Und gleichzeitig ist meine Angst gewachsen. Wie ich mich entscheiden werde, entscheide ich mich verkehrt. Was ich auch sage, es wird gegen mich ausgelegt oder verwendet werden. Das ist ja diese Dilemma-Situation, in die Jesus von Feinden der Freiheit und der Rechtschaffenheit gezogen werden soll. 
Wie er auch antwortet: Er macht sich angreifbar, er macht sich schuldig.  
Weil durch die Entrichtung der Steuer an den Kaiser der vorgegebenen Verehrung Gottes nicht mehr nachgekommen würde. 

Liebe Gemeinde, letztlich wird hier etwas vorweggenommen diskutiert, was erst viele hunderte Jahre später mit der Aufklärung in Europa Einzug hält: dass der Mensch, der Bürger, dem Staat in freiem Vertrauen begegnet, nicht unter Druck oder Zwang, und dass sich dieses Staatsvertrauen dem Vertrauen in Gott 
erst an die Seite stellt, 
später, im 20. Jahrhundert und bis heute zum Teil das Gottesvertrauen abgelöst hat oder ganz ersetzt. Menschen erwarten heute alles vom Staat oder sie überfordern sich, weil sie meinen, alles aus sich heraus leisten zu müssen. 

Es ist wohl nicht zu weit hergeholt, die Frage an Jesu einst: Ist es recht, dass man dem Kaiser Steuern zahlt, oder nicht? heute als Frage an unser Verhältnis, an unser Vertrauen in den Staat zu verstehen und wir kennen heute neben Schwäche die Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit des Staates, wird staatliches Handeln und der Umgang mit Steuermitteln böswillig falsch dargestellt und hinterfragt und in Zweifel gezogen. 

Noch immer ist es unübertroffen stark, wie der Evangelist Matthäus uns die beeindruckende, kluge, nicht ausweichende, sondern ausgleichende Antwort Jesu ans Herz legt. Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist. 
Und Gott, was Gottes ist. 


Viele Menschen kennen noch dieses biblische Zitat. Viel zu selten orientiert es uns, wenn wir uns als Christinnen und Christen im Staat und zum Staat hin positionieren und verhalten wollen. 

Gebt, was des Staates ist. 
Gebt dazu, was des Staates Sache ist. 
Gebt, was für das Gemeinwohl und für die Daseinsvorsorge nötig ist. Der Staat lebt von Voraussetzungen, die er nicht selbst schaffen kann. Unser Vertrauen in sein auf dem Recht basierenden hinterfragbaren Tun gehören zu diesen Voraussetzungen  

Als reformatorische Kirche steht es uns gut zu Gesicht, nicht pharisäisch zu erscheinen, als ob der Staat in seiner heutigen demokratischen Rechtsform infrage zu stellen ist, hinterfragt werden soll.
Nein, wenn wir Jesu Antwort richtig hören und annehmen, dann kommt beides doch nebeneinander zu stehen. 
Einerseits ein geregeltes, auf Vertrauen, basierendes Verhalten gegenüber dem demokratischen Rechtsstaat und unabhängig davon, andererseits, mein unverrückbares, mich durch das Leben tragendes Vertrauen in Gott. 

Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist. 
Und Gott, was Gottes ist.
Dieses Gottvertrauen gewinnt immer größerer Bedeutung, je stärker mein Vertrauen in andere Systeme, die unser Leben maßgeblich beeinflussen: das Staatssystem, das System des Marktes, das System des Klimas, ins Wanken geraten oder unsicherer werden.  

Wie hatte Bachs Kantate begonnen? 
Wohl dem, der sich auf seinen Gott, recht kindlich kann verlassen! 
Dieses kindliche Gottvertrauen wieder zu gewinnen, es als Kirchen mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln nicht nur an Kinder und Jugendliche weiterzugeben, sondern als Erwachsene von den Kindern und Jugendlichen selbst neu zu lernen , das kann uns heute wichtig werden. 

Und wenn wir es mit dem Worten von der Liebe Gottes zu uns nicht ganz so leicht haben, weil diese Worte in der Vergangenheit vielleicht allzu leichtfertig auch missbraucht wurden, hilft uns Bach und sein Textdichter: Gott ist mein Schutz, mein Hilf und Rat; 
wohl dem der Gott zum Freunde hat!

Liebe Gemeinde am Reformationstag, diese Freundschaft Gottes zu mir, erwidert von mir Gott gegenüber, diese Freundschaft vermag Vertrauen und Zutrauen in Gott in mir wecken und dort, wo es verborgen ist, neu zum Leben zu meinem Herzschlag werden lassen. 

Ich muss nicht selbst alles tun. 
Ich darf in mir dieses Bewusstsein dafür, 
dass es Gott gut mit mir meint, 
dass ich Gott recht bin, so wie ich bin. 
dass Gott mit mir unsere Welt, ein Stück liebenswerter und vielfältiger und gerechter werden lassen will – ich darf mir dieses Bewusstsein schenken lassen. 

In aller Verwerflichkeit, in aller Bosheit der Welt, in allem schicksalvollem Verhaftetsein meines Lebens, in mitten der Fehler und Schuld, die ich begehe, bleibe ich in dieser Bindung. Freund, Freundin Gottes zu sein. 
Da lerne ich erst, dass Gott allein der Menschen bester Freund muss sein.

Der Friede Gottes…