Predigt zum Gottesdienst in der Ordnung der Bachzeit (Jesaja 40, 1-5)

  • 17.06.2018 , 3. Sonntag nach Trinitatis
  • Pfarrer Hundertmark

Predigt über Jesaja 40, 1-5 zum Bachfest am 17.06.2018 im Rahmen des Gottesdienstes in der Ordnung der Bachzeit.

Manchmal braucht es Wegbereiter für eine bestimmte Sache, damit sich von Machthabern für unverrückbar erklärte Verhältnisse ändern können. Unsere Kulturgeschichte der Freiheit ist voll solcher Personen, die oftmals mit ihrem Leben bezahlen mussten als sie für Gerechtigkeit, Freiheit oder eben für das Evangelium von Jesus Christus eintraten. Nehmen wir Jan Hus, der vielfach als Wegbereiter für Martin Luthers Lehren und Handeln angesehen wird; oder den Freiheitskämpfer William Wallace aus Schottland gut einhundert Jahre früher.

Liebe Bachfestgemeinde,

vielen von Ihnen wäre es unmöglich, heute hier in der Thomaskirche zu sitzen, hätte es nicht Tag genau vor 65 Jahren unerschrockene und mutige Menschen gegeben, die sich gegen das sozialistische Unrechtsregime auflehnten. Neben Berlin war Leipzig eines der großen Zentren des Volksaufstandes am 17. Juni. Tausende zogen über den Ring in die Innenstadt und zum Bahnhof, weil sie das propagandistische Geschwätz der SED (Vorgängerpartei von PDS und LINKE), die leeren Versprechungen sowie die als Repressalie empfundenen Arbeitsnormerhöhungen satt hatten. Für freie Wahlen, echte Demokratie und vor allem auch für Frieden gingen die Menschen damals auf die Straße. Blutig endete der Aufstand der Mutigen. Niedergewalzt von sowjetischen Panzern, zusammengeschossen von Polizei und Soldaten gab es die bittere Erkenntnis: wir sind zu schwach gegen diese Staatsmacht mit ihrer Einheitspartei. Es dauerte noch sechsunddreißig Jahre bis sich das Volk Freiheit und Demokratie ohne Gewalt zurückholen konnte. Heute sind wir den Wegbereitern von damals zu großem Dank verpflichtet.

Vom Wegbereiter ganz anderer Art erzählen Predigttext und die sich darauf beziehende Kantate J. S. Bachs, „Freue dich, erlöste Schar“. Es ist der prophetische Wegbereiter Johannes, dessen Geburtstag genau ein halbes Jahr vor dem Jesusgeburtstag liegt. Die Geschichte Johannae wird dabei mit den ermutigenden Worten des Propheten Jesaja verknüpft und umgedeutet.

Dabei ist von Trost und Treue, von den rufenden Stimmen, die uns umgeben, sowie von eigenen Bindungen zu Gott die Rede.

„..der längstens darzu auserkoren, dass er den Weg dem Herrn bereit.“

In allen vier Evangelien wird von Johannes dem Täufer berichtet. Er ist der Wegbereiter des Herrn, kündigt sein Kommen an und bereitet durch deutliche Ermahnung zur Umkehr und Taufe die Menschen auf Jesus Christus vor. Im Dialog zwischen Jesus und Johannes bei ihrer Begegnung am Jordanfluss wird auch gleich deutlich, wie wichtig das Wirken des Täufers ist. „Lass es jetzt geschehen“, sagt Jesus als Johannes nicht ihn taufen, sondern von ihm getauft werden will. Damit wird sein Wirken, vor allem auch sein Predigtwirken herausgehoben und legitimiert. In aller Bescheidenheit, wohlwissend, wer der wahre Messias und Erlöser ist, predigt Johannes deutlich und eindringlich von Umkehr und Sinneswandel.

Sein Vater Zacharias wird die Gabe verliehen, zu erkennen, welche Kraft in seinem neugeborenen Sohn liegt. Das im Finstern und von Todesschatten umgebene Volk wird durch ihn zur Erkenntnis des Heils kommen, welches in der Vergebung der Sünden durch einen zuallererst gnädigen und barmherzigen Gott liegt. Darin zeigt sich Gottes Treue. Er löst die Verheißung ein, an die sich so viele Generationen im Glauben klammerten, um geistlich überleben zu können.

„…eilt dieser Stimme nach! Sie zeigt den Weg, sie zeigt das Licht…“

Unsere teils verhängnisvolle Geschichte lässt Deutsche gewiss aufhorchen, wenn es darum geht, jemandem zu folgen. Allzu oft hatte das bedingungslose Folgen verheerende Folgen für das eigne Volk und seine Nachbarn. Leid, Terror, Vernichtung folgten der Ernüchterung als realisiert wurde, wem man da auf den Leim gegangen ist. Statt im versprochenen Paradies oder tausendjährigem Reich, fand man sich auf Schlachtfeldern, in Konzentrationslagern oder in Gefangenschaft und Vertreibung wieder. Auch ein Volgeschiss kann Schlimmstes bewirken, fällt er nicht aufs Hemd, sondern direkt ins Hirn des Herolds einer angeblich besseren Zeit. So manche Stimme, die vom Licht schreit, führte doch auf direktem Wege in die Finsternis.

Warum soll es bei Johannes und Jesus anders sein? Was mögen ihre ernst gemeinten Versprechungen einer neuen, einer Heilszeit ausrichten bei den Skeptikern und Vorsichtigen, bei Enttäuschten und Ängstlichen heute?

Um das zu ergründen, liebe Bachfestgemeinde, braucht es einen kurzen Blick zurück zu Zacharias, dem Vater von Johannes. Zu Beginn seines Lobgesanges wird auf den Heiligen Geist, auf jene Kraft Gottes verwiesen, die sich unseren Kräften entzieht. Wo und wie er will, weht der Geist Gottes. Er befähigt den Boten des Evangeliums zum glaubhaften Zeugnis. Mit seiner eigenen Existenz steht Zacharias dafür ein. Daraus erwächst eine Glaubwürdigkeit, die zur authentischen Botschaft wird – auch und besonders für die angefochtenen Seelen der Gottesfernen. In Johannes erfüllte sich dann alles, vom dem sein Vater kündete. Zusammengefasst heißt das: Da, wo der Mensch nicht aus sich selbst heraus Heil verkündet, sondern aus Gottes Kraft heraus, können sich Finsternisse in Licht verwandeln.

Deshalb gibt es überhaupt keine Alternative zum Nachfolgen dieser wegweisenden und lichtzeigenden Stimme. Sie führte damals und führt heute direkt zu Jesus Christus.

„Kommt ihr angefochtnen Sünder, eilt und lauft ihr Adamskinder, euer Heiland ruft und schreit!“

Wir sind mannigfaltig Stimmen und noch mehr Geschrei ausgesetzt. Vermutlich hat sich diesbezüglich gar nicht so viel im Vergleich zur Zeit Johannae verändert. Gottesferne von der wir uns so gerne gefangen nehmen lassen, hat nun nicht mehr die übergroße Macht, das ganze Leben zu verwirken. Ihr setzt Jesus etwas entgegen.

Mit ausladender Kraft wird der Sünde die liebende Vergebung göttlicher Gnade entgegengestellt. Damit kehren sich die gewohnten Mechanismen von Vergeltung und Rache, von aufrechnenden Taten, mit denen sich Liebe erkauft werden soll, schlichtweg um. Der Mensch wird mit Gott versöhnt, ganz ohne eigene Leistung. Versöhnung mit Gott ist eine sehr existentielle Angelegenheit. Sie betrifft den Menschen in seiner Gänze. Da gib es keine halben Sachen, sondern wir sind ganz gefordert. Gefordert, dem Ruf Gottes zur Gnade und Barmherzigkeit auch zu folgen. Dazu bedarf es einer Bewegung und inneren Bereitschaft des Herzens. Und genau das fällt uns wieder so schwer, weil damit Prioritäten im eigenen Leben verschoben werden.

Das Rufen Christi wird trotz alledem nicht enden. Mal ist es laut, mal leiser zu vernehmen. Insbesondere der angefochtenen Seele gilt Gottes Ruf als tröstende Zusage: Ich bin bei Dir!

Die Knechtschaft meiner Versäumnisse, das Gefängnis meiner Fehler, das Joch meiner Trauer und Zweifel – all das wird aufgebrochen durch Gottes Gegenwart. In der Gemeinschaft seines Mahles kann ich schon schmecken, wie freundlich der Herr ist.

Die immerwährende Einladung Gottes zeugt von jener tröstlichen Treue. Dort verbindet sich, was sprachetymologisch zusammengehört – Trost hängt nämlich mit dem indogermanischen Wort treu zusammen. Wo sich also Treue im Sinne von Verlässlichkeit zeigt, da kann die Seele Halt finden und Ermutigung im Leid.

„Eine Stimme lässt sich hören in der Wüsten weit und breit…“

Der Beginn des Chorals am Ende des ersten Teils der Kantate hat den direkten Bezug zum Predigttext zum Inhalt. Wie den meisten Ohren vertraut, tut er das in der Evangelistenvariante. „Die Stimme eines Predigers in der Wüste: Bereitet dem Herrn den Weg….“

Original zitiert ist das nicht, aber es ist originell bearbeitet, um daraus einen neuen theologischen Akzent entstehen zu lassen. Bei Jesaja heißt es: Er ruft eine Stimme (Doppelpunkt): In der Wüste bereitet dem Herrn den Weg….

Während der alttestamentliche Prophet auf den Ort der Gottesbegegnung abhebt – die Wüste, rücken die neutestamentlichen Evangelisten den Verkünder in den Focus. Dafür nehmen sie Jesaja als Zeugen und zitieren von ihm, aber eben mit der Verschiebung des Doppelpunktes.

Johannes als Stimme des Predigers in der Wüste bekommt Gewicht. Zugleich wird deutlich, wie einsam es manchmal um den Prediger von Gericht und Umkehr werden kann. Seine Botschaft verstört, vielfach verschreckt sie auch. Johannes sagt klar und deutlich die Wahrheit, die niemand wirklich hören will, weil sie Gewohnheiten infrage stellt und zur Umkehr auffordert. Wie aktuell seine Art der Botschaft ist zeigt eine welt- und umweltpolitische Rundschau. Dass klimatische Veränderungen eine direkte Folge unseres Lebensstils sind kann nur derjenige noch leugnen, der sich seine Welt so macht, wie sie ihm gefällt. Im Kinderroman mag das lustig sein, im Oval Office ist es nur noch erschreckend beängstigend.

Auf das politische Irrlichtern der letzten Tage im eigenen Land, kann man auch nur mit dem deutlichen Ruf zur Umkehr antworten. Wer der Verantwortung, die ihm durch Amt und Mandat gegeben ist, gerecht werden will, darf nicht zuerst auf eigene Macht schauen. Maßstab gesellschaftlichen Handelns muss das Wohlergehen aller sein. Partikularinteressen enden entweder in Isolierung oder im Chaos und schlimmstenfalls in Gewalt.

Jesajas Predigt redet ebenfalls von Veränderung. Der Prophet geht nur etwas seelsorgerlicher vor, indem er den Adressaten, also auch uns heute, zunächst Gottes Zuwendung direkt zuspricht. Seine tröstlichen Worte, öffnen Herz und Sinn, weil sie ohne Angst auskommen. Jesajas Ruf, dem Herrn in der Wüste den Weg zu bereiten ist der Ruf an unser Herz. Denn so verstehe ich die Wüste als Ort der Lebensfeindlichkeit. Woanders als denn im eigenen Herzen müssen sich die bestehenden Verhältnisse umkehren?

Hoch türmen sich dort die aus Neid und Missgunst gewachsenen Hügel auf. Und tief hat die Angst ein Tal ins Selbstvertrauen gegraben. Der ständige Vergleich mit anderen, mit denen, die es angeblich oder offensichtlich besser haben, versperrt die Bahn für wirkliche Menschenfreundlichkeit. Schwer wird es für die Liebe, durch die geologischen Gegebenheiten unseres Herzens zu wandern.

Bereitet dem Herrn den Weg heißt also: Ändert euch, indem ihr ganz neu mit Gott anfangt und auch keine Scheu davor habt, wirklich unkonventionell zu handeln im Sinne des kommenden Messias, der Frieden bringen will – zunächst der eigenen Seele. Das wird Auswirkungen haben.

„Ich will dich nicht betrüben, hingegen herzlich lieben, weil du mir so gnädig bist.“

Die angemessene Antwort darauf lässt sich in dieser Bassarie finden. Denn wo die eigene Seele ihren Frieden gefunden hat, weil sie weiß, sie wird durch Christus niemals aus Gottes Liebe und Gnade fallen, ist sie befähigt, den sie umgebenden Menschen freundlicher zu begegnen.

Gottes tröstender Zuspruch beansprucht gleichzeitig mein Leben. Erwiderte Liebe gegenüber Gott meinerseits als Mensch ist kein reines Seelenvergnügen. Erwiderte Gottesliebe ist immer tätige Liebe. Gott ganz und gar in Ehren zu leben muss sichtbar werden. Oder, um es mit Luther auszudrücken: Glaube ohne Werke ist fruchtloser Glaube. Heiligkeit und Gottesfurcht lassen sich am besten leben, wenn sie im Nächsten sichtbar sind.

Gewiss braucht der Mensch, ob nun gläubig oder nicht, seine ganz privaten Momente, die ihm gut tun. In der Musik J. S. Bachs bekommen viele das Gefühl, Gott auf irgendeine Weise besonders nah zu sein. Aus solchen Momenten können wir unendlich viel Kraft ziehen. Gefährlich wird es nur da, wo es beim eigenen Ergötzen bleibt.

Der Kantatenring vom letzten Wochenende hat viele von Ihnen, liebe Gemeinde begeistert. Die Frage, die sich nach dem Bachfest stellt ist die: Konnte etwas von dem, was gesungen und verkündigt wurde den Weg ins eigene Wüstenherz finden?

Wenn nur in Erinnerung bleibt, dass es wunderschön, aber heiß und anstrengend war, dann war alles für das Körperteil, welches neben den Ohren am meisten beansprucht wurde. Sofern aber auch nur eine Zeile zum Innersten vordringen konnte, eine Arie das Herz tröstend berührte oder ein Chor zum Weckruf wurde, eigenes Tun zu überdenken, da hat es sich schon gelohnt.

„Freue dich, erlöste und geheilgte Schar…“

Amen.