Predigt zum Festtag Christi Himmelfahrt
- 25.05.2017 , Christi Himmelfahrt
- Pfarrerin Taddiken
Predigt Himmelfahrt 2017, 1. Könige 8,22-24.26-28
Johann Sebastian Bach (1685-1750, Thomaskantor 1723-1750)
Wer da gläubet und getauft wird
Kantate zum Festtag Christi Himmelfahrt, BWV 37 (EA: 18.05.1724)
1. Chor
Wer da gläubet und getauft wird, der wird selig werden.
2. Aria (Tenore)
Der Glaube ist das Pfand der Liebe,
die Jesus für die Seinen hegt.
Drum hat er bloß aus Liebestriebe,
da er ins Lebensbuch mich schriebe,
mir dieses Kleinod beigelegt.
3. Chorale (Soprano, Alto)
Herr Gott Vater, mein starker Held!
Du hast mich ewig vor der Welt
in deinem Sohn geliebet.
Dein Sohn hat mich ihm selbst vertraut,
er ist mein Schatz, ich bin sein Braut,
sehr hoch in ihm erfreuet.
Eia! Eia!
Himmlisch Leben wird er geben mir dort oben;
ewig soll mein Herz ihn loben.
4. Rezitativo (Basso)
Ihr Sterblichen, verlanget ihr,
mit mir
das Antlitz Gottes anzuschauen?
So dürft ihr nicht auf gute Werke bauen;
denn ob sich wohl ein Christ
muss in den guten Werken üben,
weil es der ernste Wille Gottes ist,
so macht der Glaube doch allein,
dass wir vor Gott gerecht und selig sein.
5. Aria (Basso)
Der Glaube schafft der Seele Flügel,
dass sie sich in den Himmel schwingt,
die Taufe ist das Gnadensiegel,
das uns den Segen Gottes bringt;
und daher heißt ein sel'ger Christ,
wer gläubet und getaufet ist.
6. Chorale
Den Glauben mir verleihe
an dein' Sohn Jesum Christ,
mein Sünd mir auch verzeihe
allhier zu dieser Frist.
Du wirst mir nicht versagen,
was du verheißen hast,
dass er mein Sünd tu tragen
und lös mich von der Last.
Text: unbekannter Dichter; 1: Markus 16,16;
3. Philipp Nicolai 1599; 6: Johann Kolrose 1535
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Gemeinde,
„Wer da gläubet und getauft wird", was für eine innige Musik Bachs zum Himmelfahrtstag, keine Pauken und Trompeten wie im Himmelfahrtsoratorium, keine triumphale Auffahrt gen Himmel...sondern das stille Geschenk Jesu Christi an die Seinen steht im Mittelpunkt, das gleich zu Beginn in der Tenorarie besungen wird: Das „Pfand der Liebe", das er ihnen zurückgelassen hat - das „Kleinod" des Glauben. Allein dieses Geschenk, so heißt es später in der Bassarie, „schafft der Seele Flügel, dass sie sich in den Himmel schwingt". Vielleicht ist so manchem von uns dieses stille, innerliche Himmelfahrtsereignis, das in unseren eigenen Aufschwung zum Himmel mündet, viel lieber als die äußere Seite, das wir in Epistel und Evangelium gehört haben. Zu sehr plagen diese Bilder unseren Verstand - und kosmische und spirituelle Dimensionen vermischen sich. Aber gerade das hat seinen Reiz - und zwar auch in einer Geschichte, die für den heutigen Tag als Predigttext vorgesehen ist - und wo sich die Frage „Wie kann es eine Himmelfahrt auf Erden geben?" zunächst einmal grundlegend umkehrt in: „Wie kann es eine Erdenfahrt des Himmels geben"? Hören wir den Text aus dem Alten Testament im 1. Königebuch, der von der Einweihung des Jerusalemer Tempels erzählt:
Und Salomo trat vor den Altar des HERRN angesichts der ganzen Gemeinde Israel und breitete seine Hände aus gen Himmel und sprach: HERR, Gott Israels, es ist kein Gott weder droben im Himmel noch unten auf Erden dir gleich, der du hältst den Bund und die Barmherzigkeit deinen Knechten, die vor dir wandeln von ganzem Herzen; der du gehalten hast deinem Knecht, meinem Vater David, was du ihm zugesagt hast. Mit deinem Mund hast du es geredet, und mit deiner Hand hast du es erfüllt, wie es offenbar ist an diesem Tage. Nun, Gott Israels, lass dein Wort wahr werden, das du deinem Knecht, meinem Vater David, zugesagt hast. Aber sollte Gott wirklich auf Erden wohnen? Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen - wie sollte es dann dies Haus tun, das ich gebaut habe? Wende dich aber zum Gebet deines Knechts und zu seinem Flehen, HERR, mein Gott, damit du hörst das Flehen und Gebet deines Knechts heute vor dir.
Der Himmel kommt auf die Erde, ein Tempel, ein Haus als Wohnstätte Gottes - das war so damals in der Geschichte Israels neu. Angefangen hatte Gott diese Geschichte mit Mose am brennenden Dornbusch und seiner Zusage: Ich werde mit euch sein - tagsüber in der Wolkensäule, nachts in der Feuersäule. Ein Gott, der mit den Menschen auf dem Weg ist. Die 10 Gebote als Zeichen dieses Bundes wurden auf dem Zug durch die Wüste mitgeführt. Wo sie waren, versammelte man sich, um sich der Gegenwart Gottes zu versichern. Das heilige Zelt mit der Bundeslade wurde zum Mittelpunkt der umherziehenden Stämme Israels. Als sie dann sesshaft wurden, und Städte gebaut und ausgebaut wurden wie die alte Jebusiterstadt Jerusalem durch König David, kam der Gedanke auf: Wenn es Häuser für Menschen gibt, dann muss das größte Haus Gott selbst zustehen. Den Tempel zu bauen, lässt sich aus dem Bedürfnis erklären, Gott in der Mitte des Volkes zu wissen. Mit einem gewaltigen Festakt wurde der Tempel eingeweiht und die Bundeslade mit den 10 Geboten fand ihren Platz im Allerheiligsten.
Die Schwierigkeit, die dabei auftaucht, wird in diesem Predigttext schon selbst thematisiert. Wie soll der Himmel auf der Erde Platz finden? Wie kann es eine Erdenfahrt des Himmels geben? Das Bedürfnis, Gott in seiner Mitte zu wissen, birgt in sich die Gefahr, ihn festzulegen. Sprich: Gott einzuzwängen in das, was Menschen sich für ihn und über ihn ausgedacht haben. „Sollte Gott wirklich auf Erden wohnen? Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel können dich nicht fassen - wie sollte es dann dies Haus tun, das ich gebaut habe?" Mit der Eröffnung des Gotteshauses wird seine Bedeutung also zugleich relativiert - zumindest wenn man meint, Gott im wahrsten Sinne des Wortes „domestizieren" zu können. Ihn sich verfügbar zu machen. Das reicht über die Kritik, Häuser für Gott bauen zu wollen, weit hinaus. Es gilt genauso für die Versuche, sich Gott passend zu machen für enge und rigide Moralvorstellungen, die dann als gottgewollt propagiert werden. Es gilt für alle Versuche der verschiedenen christlichen Konfessionen, nur ihren Weg als heilsbringend zu verkünden. Es gilt für alle sektiererischen Versuche auch einzelner, sich über das Ganze zu stellen und den Dialog und den Meinungstausch mit den anderen und die Suche nach gemeinsamen Lösungen anstehender Fragen und Probleme zu verweigern. Wie auf jedem Kirchentag, werden uns auch auf diesem in Leipzig und Berlin einzelne und kleine Grüppchen begegnen, die Flugblätter mit ihren Lehren und Ansichten verteilen, aber kein offenes Gespräch darüber wollen: Nur bei uns ist der Himmel - und die Hölle, das sind die anderen.
Aber Gott lässt sich nicht in Mauern zwängen, auch nicht in die des Geistes. Weil das so ist, feiern wir dieses für viele schwer zugängige Fest der Himmelfahrt Christi. Der Auferstandene verlässt seine Jünger, damit deutlich wird: seine Herrschaft ist an keinen Raum und keinen Ort gebunden, sondern sie soll überall zur Geltung kommen. An allen Orten, zu allen Zeiten, bei allen Menschen. Dafür steht der Bereich des Himmels. Das war für die Generationen vor uns ein Gleichnis, zu dem man einen viel einfacheren Zugang hatte als heute, wo der Himmel von Flugzeugen und anderem Gerät erobert und schwer bevölkert ist: der Himmel als Bereich des Unverfügbaren und Unzugänglichen, den keine menschliche Macht erobern und besetzen kann. Der Himmel steht für die absolute Freiheit Gottes, die sich allen zeitlichen und räumlichen Vorstellungen entzieht, und was sonst unser Denk- und Vorstellungsvermögen einschränkt. Dass Jesus nun in diesen Bereich eingeht - das bedeutet für uns seine Unverfügbarkeit wie seine Anwesenheit zugleich.
Damit aber stellt sich die Frage: Wo begegnen wir ihm denn? Können wir Jesus Christus, können wir Gott dann überhaupt noch mit einem Gebäude oder einem bestimmten Ritual verbinden? Hat es dann überhaupt noch Sinn, die alten Formen und Formeln unseres Glaubens weiter zu benutzen und wertzuschätzen? Oder lassen wir das alles und lassen wir mit dem Gedanken: „Wenn Gott überall ist, kann ich ihn auch überall erfahren und brauche dazu keine hergebrachten Formen" der Beliebigkeit ihren Lauf? Gott lieber im Wald und in der Natur suchen? Natürlich kann man ihm auch dort begegnen. Vielleicht, nein, natürlich auch in der Musik oder in der Kunst - und wie. Aber auf Dauer bleibt man mit diesen Erfahrungen allein. Man kann sich darin auch verlieren und wird dann -paradoxerweise - gerade dadurch wieder unfrei, dass man keine Grenzen sucht, keine Regeln und vor allem: keine Orientierung mehr an etwas Vorgegebenem. Alles muss selbst entwickelt, selbst erdacht und neu formuliert werden. Aber: Ständig nur sein eigener Sinnstifter zu sein, sich immer wieder neu erfinden zu müssen - das ist nicht nur im Alltagsleben purer Stress, sondern auch in den geistlichen Belangen unseres Menschseins - das tut uns einfach nicht gut, es überfordert uns schlicht.
Insofern sind alle kirchlichen Traditionen und Rituale wie Gottesdienste, ja letztlich Kirchen selbst, das Angebot, sich zum einen selbst zu konzentrieren und zum anderen, sich mit Menschen verbunden zu wissen, die auf der gleichen Suche sind wie man selbst. Insofern sind Kirchen als Räume wichtig, die dafür da sind und auch offen stehen. Die zu allererst dem Zweck des Gottesdienstes und dem Zusammenkommen der Gemeinde dienen. Und wo uns durch ihr Alter, ihre Würde und durch ihre Atmosphäre klar wird, wenn wir sie mit offenen Sinnen betreten: Ich verdanke mich nicht mir selbst. Ich bin verbunden mit denen, die vor mir an diesem Ort waren. Hier begegne ich dem, was sie geglaubt, gedacht und gehofft haben. Hier ist ein riesiger Schatz an Glaubenserfahrung, aus dem ich schöpfen kann. Hier finde ich eine Tradition vor, die über Jahrhunderte lebt und von der ich, möglicherweise ohne es zu wissen, schon längst lebe und von deren Errungenschaften ich profitiere - auch wenn ich keiner Religion, keiner Kirche keiner Konfession angehöre oder angehören will.
Das betrifft auch ein Thema, das uns in der nächsten Woche in Leipzig wieder bewegen wird: Der Jahrestag der Sprengung der Universitätskirche am 30 Mai 1968. Ein Raum, der Jahrhunderte lang die Frage lebendig gehalten hat, wie denn Himmel und Erde aufeinander bezogen sind. Dass Glaube Wissenschaft braucht, die ihm gewissermaßen eigene der Theologie, aber auch die anderen - so wie auch Wissenschaft den Rückbezug auf die Fragen, die vor ihr liegen und auf den Bezugsrahmen, in dem sie tätig sein will. Ich bin ziemlich sicher, dass sich eins sehr schnell erledigt haben wird, jedenfalls mehrheitlich, wenn die neue Universitätskirche dann endlich am 2. Dezember dieses Jahres eröffnet wird mit ihren zwei Orgeln, dem Paulineraltar aber wahrscheinlich noch nicht der Kanzel: die Frage „Wie soll das Kind denn heißen?" Die verschämte Rede vom „Paulinum", dieses seltsam umgekehrte „pars pro toto", um ja das Wort Kirche zu vermeiden, könnte sich schnell erledigt haben. Denn das, was mit der Eröffnung dieses Raums nun mal geschehen wird, dass diese erwähnten Fragen sich wieder stellen werden einfach durch das Dasein des Raumes und vor allem durch das, was Menschen dort an geistlicher Zurüstung erfahren werden durch Taufen, Trauungen, Gottesdienste, Kirchenmusik: Daran, an diesen Raum, werden sich Erfahrungen binden. Genauso, wie sich bei vielen immer noch die Erinnerungen an den Kirchenraum der alten Universitätskirche verknüpfen: Erfahrungen von geistlicher Dimension, Erfahrungen davon, dass etwas vom Himmel auf Erden spürbar ist, Erfahrungen vom Wert des Kleinods des Glaubens. Was da möglich ist ... das knüpft sich doch bei den von meisten uns an eine bestimmte Erfahrung, wo wir gesegnet wurden, ein Kind zur Taufe gebracht haben, geheiratet haben und so weiter. Und all das wird an diesem Ort geschehen, in diesem Raum, ich bin ziemlich sicher, dass die Universitätsprediger im nächsten Jahr sehr viele Anfragen haben werden in diese Richtung - und wir werden sie nach Kräften unterstützen, ihnen nachzukommen. Und all das wird sich seinen Weg suchen bis in unsere Sprache hinein, da bin ich ziemlich sicher, die Weite des Himmels wird sich in unseren engen Sprach-und Denkräumen durchsetzen und sich darüber hinaus ausbreiten.
Und da sind wir im Grunde wieder beim Predigttext, wie Salomo den prächtigen Tempel in Jerusalem beschreibt: Dieses Haus wird wohl von Gott bewohnt sein - aber es wird ihn nie fassen. Aber das entmutigt Salomo nicht. Im Gegenteil. Er wagt es, denjenigen, den aller Himmel Himmel nicht fassen können, um die Erhörung seiner Gebete und Anliegen zu bitten. „Wende dich aber zum Gebet deines Knechtes und zu seinem Flehen, Herr, mein Gott, damit du hörest das Flehen und Gebet deines Knechtes heute vor dir." Der König bezeichnet sich selbst als Knecht und stellt sich damit in die Reihe seiner Vorfahren, mit denen Gott seinen Bund geschlossen hatte, als diese noch Knechte in Ägypten waren. Er stellt sich in die Reihe derer, denen Gott treu geblieben ist auch als die zur Freiheit Berufenen sich als murrendes Volk in der Wüste querstellten und sich den damit verbundenen Anforderungen als nicht gewachsen erwiesen. Der Gott, der sich als „Ich bin, der ich bin" vorgestellt hat, ist auf diesem Weg immer mitgegangen. Seine Treue ist beständiger als unsere Häuser und unsere Herzen. Wenn Gott sich an etwas gebunden hat, dann an diesen Bund mit den Menschen, der mit der Befreiung aus der Knechtschaft begonnen und sich im Leben, im Sterben, in der Auferweckung und der Einsetzung Jesu zur Herrschaft über alles fortgesetzt hat. Es ist etwas Großes und Wunderbares, wenn man sich Woche für Woche in einem Haus versammeln kann wie in der Thomaskirche, um sich miteinander zu vergewissern, dass dieser Bund besteht auch über Krisen, Katastrophen und Enttäuschungen hinweg, auch über die ganz persönlichen, die man haben kann, auch mit Gott, auch mit seinem Glauben. Nicht immer ist einem dieses in der vorhin in der Kantate besungene „Kleinod" greifbar oder begreiflich und bedarf der Erneuerung und Stärkung. Aber dass auch das wieder und wieder kommen wird in Zeit und Raum, dafür steht eben gerade ein Raum, der das ausstrahlt und auch in seinen Mauern trägt: die Gebete, die Tränen, den Dank derjenigen vor uns, ob sie nun vor 800 oder 500 Jahren gelebt haben, ob sie Zeugen des 30jährigen Krieg waren, von Orthodoxie und Aufklärung, von napoleonischer Besetzung oder Kaiserzeiten, der Diktaturen des 20. Jahrhunderts, der friedlichen Revolution und was danach kam. Was in Räumen geschieht, prägt sie und sie predigen es genau wie die Beständigkeit des in der Kantate erwähnten „Pfandes der Liebe, die Jesus für die Seinen hegt". Da sind die Säulen, damit der ganze Bau fest auf Erden steht. Und darüber ist der Himmel, der Bereich Gottes, zu dem unsere Blicke hinauf gelenkt werden, mit den Himmelsblumen und der Sonne, die aufgeht über Gerechte und Ungerechte. In dieser Kirche - und nicht nur in dieser - kommt beides zusammen. Himmel und Erde vereinen und durchdringen sich wie Zeit und Ewigkeit. Und heute feiern wir es. Amen.
Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org