Predigt zum Buß- und Bettag mit Kantate „Die Sintflut“ von Willy Burkhard
- 20.11.2024 , Buß- und Bettag
- Kirchenrat Lüder Laskowski
Predigt verwoben mit der Kantate „Die Sintflut“ für vier- bis siebenstimmigen Chor a cappella op. 97 nach dem Bericht aus dem ersten Buch Mose von Willy Burkhard (1900 - 1955)
Liebe Gemeinde,
20. November 2024. Vorgestern 1.000 Tage Krieg in der Ukraine. Im nahen Osten und in Israel Tod und Zerstörung. Die Weltpolitik in Aufruhr. In unserem Land Unsicherheit und Konfrontation. Verheerende Veränderungen in unserer Umwelt, für die die Menschheit verantwortlich ist und mit denen sie dabei ist, die Lebensgrundlagen auf der Erde zu zerstören. Der Mensch reißt die Schöpfung mit sich.
Heute ist Buß- und Bettag. Durchdringend, ja dringlich sind diese Worte: Buße, Gebet. Was wir tun, jeder Einzelne von uns tut, betrifft nicht nur mich, sie, ihn oder uns. Wir sind verwoben mit der Schöpfung, sind ein Teil von ihr. Wir sind aufeinander verwiesen, niemand steht nur für sich.
Womit Willy Burkhard in seiner Kantate ab dem 1. Mose 6 einsetzt, ist bereits selbst schon ein großer Schlussakkord. Eine Reihe von Beispielgeschichten sind erzählt, die Fehlwege der Menschen vom Ursprung an nachzeichnen. Die Vertreibung aus dem Garten Eden, der einhergeht mit dem Wachsen des menschlichen Bewusstseins im Gegenüber zur Natur. Damit die Wahrnehmung des Menschen, von der Natur unterschieden zu sein – eine Quelle vieler Übel bis heute. Sodann vom Brudermord des Kain, in dem Narzismus, Kränkung und Neid als Triebfedern des Bösen markiert werden – bis heute Erzeuger zerstörerischer Kräfte. Und von dem eher unbekannten Lamech, dem Vater Noachs, der die Rache als Abgrund menschlichen Unglücks einführt – jenes Aufrechnen von Schmerz und Schmerz, das es so schwer macht, gewalttätige Auseinandersetzung bis hin zu großen Kriegen im rechten Moment zu unterbrechen, damit sie nicht zum alles zerstörenden Sturm werden.
In langen Reihen, Generationen über Generationen wurde gezeigt, wie diese Grundübel die Menschheit verfolgen. Bis hierher, an einen Punkt, an dem es offenbar nicht mehr weitergeht.
Kantate Teil I „Die Verderbtheit des Menschengeschlechts“
Da aber der Herr sah, dass der Menschen Bosheit groß war auf Erden, und alles Dichten und Trachten ihres Herzens nur böse war immerdar, da reute es ihn, dass er die Menschen gemacht hatte auf Erden, und es bekümmerte ihn in seinem Herzen, und er sprach: Ich will die Menschen, die ich geschaffen habe, vertilgen von der Erde, vom Menschen an bis auf das Vieh und bis auf das Gewürm und bis auf die Vögel des Himmels; denn es reut mich, dass ich sie gemacht habe.
Aber Noah fand Gnade vor dem Herrn. Noah war ein frommer Mann und ohne Tadel und führte ein göttliches Leben zu seinen Zeiten und zeugte drei Söhne: Sem, Ham und Japhet. Aber die Erde war verderbt vor Gottes Augen, verderbt und voll Frevels.
Die Erkenntnis kommt nicht von innen. Sie kommt nicht aus den Menschen selbst. Sie wird von außen mit großer Härte gesetzt. Die Bibel stellt hier „die Menschheit“ dem „Einzelnen“ gegenüber. Sie unterscheidet, so würde man heute sagen, die kollektive Integrität von der Integrität des Einzelnen. Mit der kollektiven scheint es nicht weit her zu sein. Die Aussage im Hintergrund: die Integrität des Einzelnen hat die Kraft, den Lauf der Welt zu verändern. Gemeinhin wird das gewaltigen Gestaltern von Politik und Geschichte zugebilligt, reich an Macht und Einfluss. Nicht nur materiell, oft durchaus auch ideell. Auf jeden Fall durchschlagend. Hier aber kommt ein einfacher Mann namens „Noach“ in den Blick. Übersetzt heißt Noach „Ruhe“. Er ist gerecht und vollkommen. Inmitten des allgemeinen Untergangs unterscheidet Gott und bewahrt jene, die „mit ihm wandeln“. Hier setzt die Bibel ein erstes Mal ein Idealbild gegen die Funktionsmechanismen, die den Lauf der Welt bestimmen. Ein Gegenbild, das sich seitdem durch die Bibel zieht wie ein roter Faden.
Dieses Idealbild findet später im Neuen Testament eine Deutung, die mitklingen kann, wenn nun vom Bau der Arche und den Vorbereitungen auf die große Flut erzählt wird. Das ist die Taufe, als das Bad, welches durch den Tod in ein neues Leben in Gott führt. Im 1. Petr. Heißt es darum: „Gott hatte Geduld zur Zeit Noahs, als man die Arche baute, in der wenige, nämlich acht Seelen, gerettet wurden durchs Wasser hindurch. Das ist ein Vorbild der Taufe, die jetzt auch euch rettet“ (1. Petrus 3,20-21)
Was bedeutet es Getauften, durch die Taufe dem Noah gleichgestellt worden zu sein?
Kantate Teil II „Die Berufung Noahs“
Da sprach Gott zu Noah: Mache dir eine Arche von Tannenholz, und mache Kammern darin, und verpiche sie mit Pech inwendig und auswendig. Und mache sie also: Drei hundert Ellen sei die Länge, fünfzig Ellen die Weite und dreißig Ellen die Höhe. Und sie soll drei Boden haben: Einen unten, den andern in der Mitte, den dritten in der Höhe. Denn siehe, ich will eine Sintflut mit Wasser kommen lassen auf Erden, zu verderben alles Fleisch, darin ein lebendiger Odem ist unter dem Himmel. Alles, was auf Erden ist, soll untergehen.
Aber mit dir will ich einen Bund aufrichten; und du sollst in die Arche gehen mit deinen Söhnen. Und du sollst in die Arche tun allerlei Tiere von allem Fleisch, von den Vögeln nach ihrer Art, von dem Vieh nach seiner Art und von allerlei Gewürm nach seiner Art. Und du sollst allerlei Speise zu dir nehmen, dass sie dir und ihnen zur Nahrung da sei. Und Noah tat alles, was ihm Gott gebot.
Tod und Verderben breiten sich aus über der Erde. Ich muss kämpfen mit den Bildern der überfluteten Landschaften und Städte heute – wofür mittelbar auch ich mit meiner Lebensweise verantwortlich bin.
Eine Deutung aus dem Neuen Testament richtet sich auf eine Erwartung aus, in der Christinnen und Christen leben. Zunächst dem Gefühl folgend, dass einmal ein Ende haben muss, wie wir unterwegs sind als Menschen auf dieser Erde, dass es so nicht weitergehen kann und wird.
„Wie es in den Tagen Noahs war, so wird auch sein das Kommen des Menschensohns. Denn wie sie waren in den Tagen vor der Sintflut – sie aßen, sie tranken, sie heirateten und ließen sich heiraten bis an den Tag, an dem Noah in die Arche ging; und sie beachteten es nicht, bis die Sintflut kam und raffte sie alle dahin – ‚so wird es auch sein beim Kommen des Menschensohns“ (Matth. 24,38-39)
Ein Gerichtswort Jesu. Ein Wort über seine Wiederkehr. Doch er bleibt ja der Gleiche, der er war. Darum ist dieses Wort zugleich der Ausgangspunkt für eine neue Zeit, in der die Freude und Liebe, von denen Jesus spricht, anbricht. Eine Zeit, in der aller Schmerz und alles Leid nicht mehr sein und alle Tränen abgewischt werden.
Kantate Teil III „Der Ausbruch der Sintflut“
Im sechshundertsten Jahre des Alters Noahs, am siebzehnten Tage des zweiten Monats, das ist der Tag, das aufbrachen alle Brunnen der großen Tiefe, und taten sich auf die Fenster des Himmels, und kam ein Regen auf Erden vierzig Tage und vierzig Nächte.
Da kam die Sintflut auf Erden, und die Wasser wuchsen und hoben die Arche auf und trugen sie empor über die Erde. Und das Gewässer nahm überhand, und wuchs so sehr auf Erden, dass alle hohen Berge unter dem ganzen Himmel bedeckt wurden. Also ward vertilgt alles, was auf dem Erdboden war, vom Menschen an bis auf das Vieh und das Gewürm und auf die Vögel unter dem Himmel, das war alles von der Erde vertilgt.
Und das Gewässer stand auf Erden hundert und fünfzig Tage.
Wir kommen in die Mitte der Fluterzählung. Erinnern wir uns. Zuvor wurde im 1. Buch Mose dargestellt, wie die herausgehobene Stellung in der Schöpfung als Gegenüber zur Schöpfung missverstanden wird. Kränkung und Neid als Triebfedern des Bösen markiert werden. Von Lieblosigkeit und Rache wird gesprochen, die ins Unglück führen. Jetzt erinnert sich Gott ganz anders – an Menschen die in Treue und Liebe mutig handelten. Gegen die anbrandenden zerstörerischen Kräfte in den Menschen selbst. Wieder geht der Blick auf Einzelne, die den Unterschied machen.
Willy Burkhard rafft den Text. Er erzählt entlang dessen, was über Beweggründe Gottes berichtet wird. Darum streicht er eine Passage, die für uns heute an einem Buß- und Bettag eigentlich Wichtiges sagen könnte. In ihr wird Noah aktiv. „Noah aber baute dem Herrn einen Altar und nahm von allem reinen Vieh und von allen reinen Vögeln und opferte Brandopfer auf dem Altar.“ Noah bestätigt ein neues Verhältnis zu Gott und damit zur Schöpfung. Beides hängt eng zusammen. Aus Verehrung und Dankbarkeit für Gott entspringt ein neues verantwortungsvolles Verhältnis zur Welt.
Kantate Teil IV „Der Sintflut Ende“
Da gedachte Gott an Noah und alle Tiere und alles Vieh, das mit ihm in der Arche war; und er ließ einen Wind auf Erden kommen und die Wasser sanken; und die Brunnen der Tiefe wurden verstopft samt den Fenstern des Himmels, und dem Regen vom Himmel ward gewehrt und das Gewässer verlief sich von der Erde immer mehr und nahm ab. Nach vierzig Tagen tat Noah das Fenster auf und ließ einen Raben ausfliegen; der flog hin und her, bis das Gewässer vertrocknete auf Erden. Darnach ließ er eine Taube ausfliegen. Da aber die Taube nicht fand, da ihr Fuß ruhen konnte, kam sie wieder zu ihm in die Arche.
Da harrte er noch weitere sieben Tage und ließ abermals eine Taube ausfliegen. Die kam zu ihm zur Abendzeit und siehe, ein Ölblatt hatte sie abgebrochen und trugs in ihrem Munde. Da merkte Noah, dass das Gewässer gefallen wäre auf Erden. Und er ging hinaus mit seinen Söhnen und mit seinem Weibe, und seiner Söhne Weibern, dazu allerlei Getier, allerlei Gewürm, allerlei Vögel und alles, was auf Erden kriecht, das ging aus der Arche, ein jegliches mit seinesgleichen.
Und der Herr sprach in seinem Herzen: Ich will hinfort nicht mehr die Erde verfluchen um der Menschen Willen. Und ich will hinfort nicht mehr schlagen alles, was da lebt, wie ich getan habe.
Hatte menschliches Tun Gottes Herz bekümmert, so löst Noahs Opfer in Gott ein „Reden zu seinem Herzen“ aus. Die menschliche Bosheit ist nicht weg. Aber er beschließt einen anderen Weg einzuschlagen. In heutigen Worten: es kommt die Liebe ins Spiel. Im Verhältnis zwischen Gott und Mensch und damit auch zwischen den Menschen und zur Schöpfung. Wie gesagt wird: zu allen lebendigen Seelen in allerlei Fleisch.
Der leise Schauer bleibt. Am Ende ist von unseren Lebensgrundlagen die Rede, von ihrer engen Verwobenheit mit unserem Handeln. Wie am Anfang, als aus tiefer Weisheit die Abhängigkeit der Schöpfung von uns Menschen benannt wurde. Denn nicht nur wir gehen im Fall des Falles unter. Was wir tun, betrifft alle lebenden Wesen.
Sie erinnern sich noch an mein Vorwort, an den oberflächlichen aber nicht weniger schmerzlichen Blick auf die Lage in der Zeit? Was ändert sich nun angesichts dieses uralten Textes? Das Bild vom Regenbogen, der den Bund symbolisiert, den Gott mit jedem einzelnen Menschen schließt, verweist in die Zukunft. Liebe überwölbt die Welt. Gott nimmt das ernst. Wir sehen es an Jesus, an der Taufe, in der Wiederkunft Christi. Es ist nicht zu spät für einen Wandel, der Kraft gewinnt aus der Zusage Gottes an jeden Einzelnen von uns.
Kantate Teil V „Gottes Bund mit Noah und der Regenbogen“
Und Gott sagte zu Noah und zu seinen Söhnen: Siehe, ich richte mit euch einen Bund auf und mit eurem Samen nach euch und mit allem lebendigen Getier bei euch. Dies ist das Zeichen des Bundes, den ich gemacht habe zwischen mir und euch ewiglich. Meinen Bogen habe ich gesetzt in die Wolken, der soll das Zeichen sein des Bundes zwischen mir und der Erde. Und wenn es kommt, dass ich Wolken über die Erde führe, so soll man meinen Bogen sehen in den Wolken. Alsdann will ich gedenken an meinen Bund zwischen mir und euch und allen lebendigen Seelen in allerlei Fleisch, dass nicht mehr hinfort eine Sintflut komme, die alles Fleisch verderbe.
Das sei das Zeichen des Bundes, den ich aufgerichtet habe zwischen mir und allem Fleisch auf Erden. Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht. Amen.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.