Predigt zum 3. Advent 2024

  • 15.12.2024 , 3. Advent
  • Prof. Dr. Dr. Andreas Schüle

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Liebe Gemeinde,

zum Advent gehört eine biblische Gestalt, die nicht in ihre Zeit passte; jemand, der nur dazu da war, einem anderen den Weg zu bahnen. Sein Name ist Johannes, bekannt geworden ist er als Johannes der Täufer. Wenn er in Kirchen dargestellt wird, dann geschieht das meist auf eher uncharmante Weise: Entweder hat er einen überdimensional langen Zeigefinger, der auf Jesus Christus zeigt: „Dieser muss wachsen, ich aber muss abnehmen“, so soll er gesagt haben. Oder aber man sieht seinen abgeschlagenen Kopf auf einer Silberschale, denn sein Ende war schrecklich. 


Dass er kein Blatt vor den Mund nahm und auch nicht davor zurückschreckte, diejenigen hart anzugehen, die ihm schaden konnten, bezahlte er mit seinem Leben. Dass er hingerichtet wurde, weil eine verführerische Frau für einen Schleiertanz seinen Kopf forderte, ist allerdings wohl eine Legende. Er passte einfach nicht ins Konzept, war zu laut, war jemand, den man lieber mundtot oder gleich ganz-tot machte, als ihm zuzuhören.


In der Vorbereitung auf heute bin ich an diesem Johannes hängengeblieben, und daraus ist dann eher ein – freilich einseitiges – Gespräch mit ihm geworden als eine Predigt. Aber manchmal ist das so.
Wer also warst du, Johannes, und wie hast du es geschafft, dass wir heute noch etwas von dir wissen? Dein Leben verlief sicher anders, als es dir an der Wiege gesungen worden war. Du stammtest aus gutem Haus, aus sehr gutem Haus sogar. Vater und Mutter – beide aus dem Jerusalemer Priesteradel. Mit so einer Herkunft würde man heute Bischof, wenn nicht gar Kardinal werden. Und es klingt ein bisschen so, als wärst Du für einen solchen Weg ausgewählt gewesen.  
Aber dann muss irgendetwas geschehen sein, wovon wir nichts wissen. Aus einem privilegierten Jungen wurde etwas ganz anderes. Wir finden Dich wieder weit weg von Jerusalem, vom Tempel, vom Establishment. Irgendetwas hat Dich in die Wüste verschlagen, hinunter ins Jordantal, wo es nicht nur heiß und staubig ist, sondern wo sich alle die sammelten, die ausgestiegen waren. 


Warst du einfach ein rebellischer Jugendlicher? Oder warst du jemand, der irgendwann nicht mehr den Weg weitergehen konnte, der ihm vorgezeichnet war. Es gab Intrigen unter den Aristokraten deiner Zeit, das wissen wir – viel Argwohn und Hinterlist, verfettete Strukturen und soziale Kälte. Und das alles vor den Augen der Römer, die man offiziell hasste und denen sich trotzdem viele für eine Handvoll Geld und ein bisschen Einfluss an den Hals warfen. Der Opportunismus blühte. Hat dich das irgendwann so angeekelt, dass du ausgestiegen bist?
Du musst wissen, auch in meiner Welt fühlen sich Menschen nicht mehr wohl, weil alles übersteuert ist, weil einem an jeder Ecke jemand seine Befindlichkeiten an den Kopf wirft. Der Hang sich wichtig zu nehmen, ist ziemlich ausgeprägt. So ein bisschen Wohlstand ist noch da, aber das wird weniger und das Klima entsprechend gereizter. Die Leute haben weniger Geld in den Taschen, und trotzdem wird mehr für Beauty-Produkte und kosmetische Eingriffe ausgegeben als je zuvor. Alle reden davon, dass es nicht mehr so weiter gehen kann. Aber am Ende dünsten dann doch wieder alle im eigenen Mief vor sich hin. 
Du warst da offenbar konsequenter. Du hast irgendwann hinter Dir gelassen, was dich nicht mehr überzeugt hat und hast von vorn angefangen. Man munkelt, dass du dich einer Sekte angeschlossen hast, die am Toten Meer abgeschieden und in ganz einfachen Verhältnissen in der Wüste lebte. Ich war schon dort. Heute sieht man noch die Fundamente der Siedlung und die Felshöhlen, wo die Leute dieser Gemeinschaft ihre Schriften aufbewahrten. Sie sehnten sich danach, dass endlich der letzte Tag kommen und dass diese ganze verworrene und kaputte Welt hinfallen und Gott sein Reich der Gerechtigkeit und des Friedens errichten würde. 
Sehnsucht ist vielleicht ein gutes Stichwort, um dich zu verstehen. Irgendwann bist Du wieder aufgetaucht, am Jordan. Offenbar war etwas mit Dir geschehen. Deine Zeitgenossen beschreiben dich als asketischen Typ mit derber Fellkleidung. Du hättest Heuschrecken und Honig gegessen, ist da zu lesen. Von einem verzärtelten Priestersöhnchen war da jedenfalls nichts mehr übrig. Und zu der rauen Fassade passte die schonungslose Predigt. „Das Reich Gottes steht vor der Tür“, hast Du den Menschen verkündet und dass jetzt und nicht irgendwann die Zeit war, das eigene Leben herumzureißen und auf das Kommen Gottes und seines Reiches einzustellen. 


Was für eine Energie, was für ein Wille! Wenn du heute am Elsterflutbecken stehen und sagen würdest, was du damals gesagt hast, würden die Leute zwischen belustigt und pikiert reagieren. Die Menschen heute lassen sich ungern etwas sagen und noch weniger für etwas so richtig begeistern.  
Aber die Menschen kamen zu dir an den Jordan und einige ließen sich überzeugen, ließen sich anstecken von deiner Energie und von deiner Sehnsucht danach, dass an die Stelle einer alten, verbrauchte Welt, eine neue, faire, freundliche und freudige Welt treten und dass Gott sich in seiner Kraft, seinem Glanz und in seiner Gerechtigkeit zeigen möge. Endlich sollte es wahr werden, endlich sollte es so sein, endlich: wie im Himmel so auf Erden. 


Eigentlich eine großartige Botschaft! Du hast den Menschen das Gefühl vermittelt, an der Schwelle zu etwas Neuem zu stehen, aus dem Dunkel ins Licht zu schauen, im Verwesungsgeruch des Alten den frischen Atem des Ewigen auf der Seele zu spüren. Und du hast dieses „An-der-Schwelle-Stehen“ mit einer körperlichen Erfahrung verbunden. Du hast die Menschen am Jordan getauft, sie eingetaucht ins Wasser als Zeichen für den alten Menschen, der stirbt, und für den neuen Menschen, der aus dem Wasser auftaucht. Und nach allem, was man lesen kann, waren es nicht wenige Menschen, die sich von dir haben taufen lassen. 
Das Problem meiner Zeit, lieber Johannes, ist, dass Menschen kaum noch Erwartungen haben, eher geht es um Bedürfnisbefriedigung. Menschen versuchen durchzukommen, für sich eine Nische zu finden. Das ist auch verständlich. Aber je mehr ich darüber nachdenke, scheint mir, dass Menschen, die über sich und ihre Bedürfnisse hinaus keine Erwartungen, keine Hoffnungen, keine Sehnsüchte mehr haben, den Ideologen und Demagogen der Zeit auf den Leim gehen. Du wolltest weder Guru noch Kaiser werden, und mit deiner Taufe auch kein gewinnträchtiges Unternehmen aufziehen, sondern die Menschen für das gewinnen, was größer ist als wir alle zusammen, das Reich Gottes. Du hast Demut vorgelebt, ohne dabei unterwürfig zu sein. Noch so etwas – Demut –, was in meiner Welt nicht besonders hoch im Kurs steht. 


Und eines Tages kam dann auch ein junger Mann aus Nazareth namens Jesus zu dir an den Jordan. Manche sagen, dieser Jesus hätte von dir gelernt, hätte sich anstecken lassen von deiner Predigt und deiner Taufe und dort weitergemacht, wo du aufgehört hast – oder genauer gesagt: wo du ‚aufgehört wurdest‘. Ich denke gerade an die Sache mit dem Kopf auf der Silberschale.
Ich würde dich so gerne fragen, wie dieser Jesus damals war. Hast du geahnt, was aus ihm werden würde? Hat man den Heiland der Welt schon in seinen Augen gesehen? Oder war er einer wie du und ich? In meiner Welt feiern wir die Geburt dieses Jesus von Nazareth als Anbruch einer neuen Welt. Es ist eine der feierlichsten Zeiten des Jahres, wo sogar Menschen, die es sonst gar nicht mit Religion haben, den Gedanken an sich heranlassen, dass Gott nahe ist. Das atmet viel von deiner Botschaft und von deiner Sehnsucht. „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit, es kommt der Herr der Herrlichkeit“, das ist eines unserer Lieder. Der Text würde dir bekannt vorkommen, der stand so ähnlich schon in der Bibel, die du gekannt hast. 
Wir sind heute dort, wo Du die Menschen deiner Zeit hingestellt hast: an der Schwelle zu etwas Neuem, wo man vom Dunkel ins Licht schaut, wo man im Verwesungsgeruch des Alten den frischen Atem des Ewigen auf der Seele spürt. Wir nennen es Advent – Ankunft. Wir warten auf die Ankunft Gottes als Kind in der Krippe und lassen uns darauf ein, dass im Warten ein Segen liegt. 
Wer wartet, kann glauben. 
Wer glaubt, kann hoffen. 
Und wer hofft, kann lieben. 


Advent ist die Zeit, in der wir das Warten lernen, damit wir ein ganzes Jahr lang Menschen aus Glaube, Hoffnung und Liebe sein können. Das brauchen wir mehr denn je. Es wäre so schön, Menschen wieder glücklicher zu sehen, weniger verbissen und eingekeilt in sich selbst. Es wäre schön, wenn trotz allem Wahnsinn, der in unseren Zeiten wütet, der Glanz des Gottesreiches durchscheint in der Art, wie sich Menschen anschauen und begegnen. Es wäre Zeit, dass Menschen aneinander das Bild Gottes entdecken, zu dem sie geschaffen sind.  
Du, der Täufer, hast uns auf eine Spur gesetzt. Du hast uns einen Weg gewiesen, auch wenn dir das in den Bildern, die später von dir gemalt wurden, einen viel zu langen Zeigefinger eingebracht hat. Aber ich denke, damit kannst du leben. 
Danke für deine Leidenschaft, deine Sehnsucht. Und damit du weißt, dass wir heute und im Advent auch an dich denken, hier der Text eines Liedes, das wir von dir singen:


Wir wollen sing’n ein Lobgesang, Christus dem Herrn zu Preis und Dank, der Sankt Johan vorausgesandt, durch ihn sein Ankunft macht bekannt. 
Die Buß er predigt in der Wüst:  »Euer Leben ihr bessern müsst, das Himmelreich kommt jetzt herbei, tut rechte Buß ohn Heuchelei!« 
Er zeigt ihn mit dem Finger an, sprach: »Siehe, das ist Gottes Lamm, das trägt die Sünd der ganzen Welt, sein Opfer Gott allein gefällt. 
Wir danken dir, Herr Jesu Christ, des Vorläufer Johannes ist; hilf, dass wir folgen seiner Lehr, so tun wir dir die rechte Ehr.


So sei es! Amen.