Predigt zum 1. Adv. 2024 über Mt 21,1-11

  • 13.12.2024
  • Superintendent Sebastian Feydt

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Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen. Bitten wir in einem Moment der Stille Gott um seinen Segen für sein Wort und für unser Hören und Verstehen.              
Liebe Gemeinde, so harmonisch, wie Felix Mendelssohn Bartholdy das Nahen des Heilands vertont hat, wird es uns vom Evangelisten Matthäus nicht erzählt. Im Gegenteil: dem berühmten Einzug Jesu in Jerusalem, in diesem vielen vertrauten biblischen Bericht, ist eine spannungsgeladene Atmosphäre eingeschrieben. 
Da sind die Pilger aus Galiläa, hoch oben im Norden des Landes, die Jesus jubelrufend voraus und hinterher laufen. In Betfage, einem kleinen Dorf am Fuß des Ölbergs, stoßen sie auf die dortigen Dorfbewohner. Einige von denen schließen sich dem Pilgerzug an.  
Kurze Zeit später treffen sie dann in Jerusalem alle gemeinsam auf die Einwohner der Stadt.
Das ist für sich schon eine spannende Gemengelage: Die Leute aus den Dörfern kommen hinauf nach Jerusalem und treffen auf die Städter. Aber das ist nicht nur spannend, sondern ziemlich angespannt. 
Die jubilierenden Pilger aus dem Norden, die sich Jesus angeschlossen haben, weil sie in ihm ihren Propheten aus Nazareth in Galiläa sehen und das auch allen kundtun müssen - sie erleben, ebenso wie Jesus, dass sie in Jerusalem überhaupt nicht euphorisch begrüßen werden. Man dort vielmehr regelrecht bestürzt reagiert. 
Denn die Stadt ist in Bewegung. 
Die Menschen sind verunsichert, sie sind durcheinander, hin- und hergerissen. Das gesellschaftspolitische Gefüge scheint enorm angespannt zu sein. 
Was für ein Kontrast: Während die pilgernden Massen jubelrufend Jesus begleiten und in die Stadt einziehen, sind die Menschen vor Ort konsterniert, andere sind aufgebracht.  
Gespaltene Gesellschaft nennen wir das heute. 
In dieser aufgeheizten, politisch wie religiös angespannten Situation bewegt sich Jesus mit den Zeichen der ihm gegebenen Vollmacht, geht da sehr bewusst mitten hinein. 
Liebe Gemeinde, das ist die große Kunst eines Evangelisten wie Matthäus: 
Er nimmt alle, die sein Evangelium lesen oder hören mit in diese konfliktgeladene, angespannte Straßenszene in Jerusalem. Als ob wir mit am Straßenrand stehen. Damals – und doch heute.                                    
Wir erfahren, wie es einst war und haben gleichzeitig unsere Erfahrungen, wie es heute ist, wenn die einfachen Leute aus den ländlichen Regionen mit ihren Vorstellungen auf die Leute aus den Städten mit ihren zum Teil gänzlich anderen Haltungen und religiösen Vorstellungen treffen.  
Überall beschäftigt das Menschen derzeit, ob sie, ob wir mehr oder weniger beteiligt, dem Einzug neuer Machtverhältnisse beiwohnen.   

Am Anfang des Advents verweben sich hier heute die Ebenen, verschränken sich biblische Botschaft und unsere gegenwärtige Situation. 
Das eröffnet mir die Chance, dass meine Wahrnehmung der aktuellen Ereignisse um uns herum und weltweit geleitet und bestimmt wird von dem Blick auf diesen Mann auf dem Esel bei seinem Einzug in die Stadt. 
Es ist eine Frage an jede und jeden Einzelnen von uns, wie Jesus bei mir ankommt. Wie kommt Jesus bei mir an? Wie kommt Jesus mit der ihm eigenen Sanftmut bei mir an? Was fange ich damit an? 
Lass ich mich von diesem, um des Friedens Willens engagierten Mann orientieren? 
Liebe Gemeinde, tief in uns allen ist ein Grundvertrauen angelegt, nach dem mehr möglich ist, als gerade möglich scheint. In diesem Vertrauen stehen wir alle mit an der Straße der Sehnsucht, von der Mt. so eindrücklich zu erzählen weiß: Eine sehr große Menge steht dort. Sie breiten ihre Kleider aus, andere hauen Zweige von den Bäumen und streuen sie auf den Weg. 
Zeichen der Hoffnung an der Straße der Sehnsucht. Und wir sind doch mitten dabei. Wer sich umschaut wird erstaunt sein, wer  alles in dieser Menschenmenge zu sehen ist. Nicht sofort die Leute mit den bekannten Namen. Namen werden keine erwähnt. 

Es sind vielmehr Leute an der Straße, die sind wie du und ich. Vorn stehen die kleinen Leute. Und weiter hinten einige von denen, die meinen, größer zu sein; weil sie größere Verantwortung tragen, größere Lasten schultern müssen als die anderen. Gemeinsam ist allen in dieser Menschenmenge an der Straße der Sehnsucht   die Hoffnung, hilfreiches zu finden, heilsames zu erleben. Hosanna rufen alle: O Herr, hilf doch! 
Zugegeben: Gewissheit und Sicherheit hören sich anders an. Und doch schwingt in dem Hosanna-Ruf die große Hoffnung mit, dass sich im Lauf der Welt etwas verändern kann. 
Und gleichzeitig sich tun Ungereimtheiten auf. 
Hat sich der neue Hoffnungsträger tatsächlich das Störrischste unter den Lasttieren gesucht, um mir entgegen zu kommen, um bei mir anzukommen? 
Er hat! Er kommt genau so! Er kommt nur so. Anders ist es ihm nicht möglich. Das ist die Entscheidung, die ein für alle Mal gefällt ist: Jesus kommt so auf Menschen zu, wie es beim Propheten Sacharja festgeschrieben steht: Siehe, dein König kommt zu dir:   

Sanftmütig und reitet auf einem Esel.
Stoßen wir uns nicht an diesem Esel! Ein Esel ist es, der nach der Schrift die Verheißung trägt. Mehr noch: Ein Esel trägt den, der die Verheißung erfüllt. 

Hätten uns die Propheten nicht genau dafür den Blick geschärft, viele würden an der Straße der Sehnsucht an einem wie Jesus von Nazareth, auf einen Esel sitzend, glattweg vorbeischauen. So aber lässt das Evangelium den Einzug Jesu in Jerusalem bis heute zu einem Achtungszeichen werden. 
Denn längst setzen viel zu viele wieder auf einen, der hoch zu Ross daherkommt, am besten auch mächtig gewaltig. Viel stärker als in der Vergangenheit verbinden Menschen heute bis hinein in unser unmittelbares Umfeld in der Kirchgemeinde Wahlen mit Umbrüchen, die vor allem Stärke verlangen, aber nicht Demut. Völlig veränderte Verhältnisse, die lautstark herbeigesehnt werden, verlangen die harte Hand, einen Mann mit Mut, keinesfalls mit Sanftmut. 
Man setzt zuerst auf Vergeltung und macht das Angebot der Vergebung lächerlich.
Liebe Gemeinde, der Mann, der da auf einem Esel auf der Straße der Sehnsucht auf Menschen zukommt, lehrt anderes. 
Mit Jesus von Nazareth vor Augen kann mein eigenes Fragen und Entscheiden, und damit auch meine eigene Lebensgestaltung eine andere Ausrichtung bekommen:                        
Nachhaltige Veränderung ist von dem zu erwarten, der auf die Menschen zugeht, der die Armut angeht und um Ausgleich bemüht ist. Das ist der Weg, den uns Jesus auf dem Esel weist. Inmitten der aufgeladenen, angespannten Atmosphäre, mitten in unserem Suchen um eine Lösung der wahrhaft großen Probleme, sanftmütig zu bleiben. 


Jesu Gabe, die seelische Not der Menschen zu sehen, sich ihnen deshalb persönlich zuzuwenden, sein Verständnis für die Situation in der Mitte der Gesellschaft ebenso wie am Rand, offenbart in ihm uns allen die Grundhaltung Gottes zu uns Menschen.                 

Gottes Freundlichkeit ist in Jesus von Nazareth Mensch geworden, hat der Menschenfreundlichkeit Gottes Gestalt gegeben.           

Voraussetzung für diese umwälzende Kraft ist die Sanftmut. In dieser Haltung kommt Jesus auf die Menschen zu. Siehe, dein König kommt zu dir: Sanftmütig und reitet auf einem Esel. Friedfertigkeit, Bescheidenheit und Sanftmut sind eine starke Trias im Advent. Dabei ist die Sanftmut wohl die große Schwester der Friedfertigkeit. Sie geht im Einklang mit der Milde. Haben Sie schon eine Idee, wie es gelingen kann, diese adventlichen Tugenden in unseren Alltag einziehen zu lassen? Wir dürfen es nicht dabei belassen, mit unseren wie auch immer gearteten Erwartungen am Rand stehen zu bleiben. Das Evangelium am Ersten Advent führt hinaus. Mitten hinein in die Spannungen unserer Tage, dorthin, wo die so unterschiedlichen Heilserwartungen der Menschen anzutreffen sind. Dorthin, wo es oft nicht gemütlich und feierlich ist. Advent ist nicht die Zeit des Abwartens, sondern eine Zeit, in der meine Erwartungen gefragt sind. Was ich – von meinem christlichen Glauben her – für unsere Welt, für unser Land, für meine Stadt, für das Leben meiner Mitmenschen erwarte. Und erwarten darf. Denn mit dem adventlichen Evangelium verbindet sich die feste Zusage, dass das geschehen wird. Siehe, dein König kommt zu dir: Sanftmütig und reitet auf einem Esel. Amen.