Predigt zu Psalm 16,5-11

  • 15.09.2024 , 16. Sonntag nach Trinitatis
  • Pfarrer Tobias Habicht

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Dem, der überschwänglich tun kann, über alles hinaus, was wir bitten oder verstehen, nach der Kraft, die in uns wirkt, dem sei Ehre in der Gemeinde, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn. AMEN

Liebe Gemeinde, sind Sie glücklich? Überrascht Sie diese Frage? Wie antworten Sie darauf? Wenn ich bei Geburtstagsbesuchen so frage, reagieren die besuchten Menschen oft mit der Gegenfrage: „Was ist schon Glück? Ich bin zufrieden.“ Oder: „Danke, mir geht’s gut.“ Aber glücklich – das ist kein Dauerzustand. Niemand kann ständig glücklich sein, heißt es dann. Immer auf Wolke sieben schweben, immer wunderbare Gefühle – geht das überhaupt? Da sind wir recht realistisch.

Andererseits: Ein Leben ganz ohne Glück wäre eine todtraurige Angelegenheit. Kaum auszuhalten. Niemand kann auf Dauer unglücklich sein. „Irgendwo auf der Welt / gibt‘s ein kleines bisschen Glück. / Und ich träum davon in jedem Augenblick“, sangen die Comedian Harmonists.

Bei jeder Gratulation zum Geburtstag oder zu einem Jubiläum sagen wir deshalb: Herzlichen Glückwunsch! Damit ist alles ausgedrückt: Wir wünschen Gesundheit, Wohlergehen, Erfolg, Lebenslust – kurzum: viel Glück!

Wer in einer größeren Buchhandlung in der Abteilung „Ratgeber“ stöbert, bekommt den Eindruck, Glück sei etwas, das man sich bei richtiger Einstellung erarbeiten kann. Die Titel lauten zum Beispiel: „Wer dem Glück hinterherrennt, läuft daran vorbei: Ein Umdenkbuch“ oder „Verschreibungen zum Glücklichsein“ oder „Glücklichsein leicht gemacht“.

Damit unsere Kinder noch glücklicher werden könnten, gibt es inzwischen an über hundert Schulen in Deutschland und Österreich das Unterrichtsfach „Glück“. Offensichtlich kann man es lernen. Also: Sind Sie glücklich? Oder würden Sie es gern noch etwas mehr sein?

In der Kirche hat das Glück selten eine größere Rolle gespielt. Unser Glaube scheint eher darauf gestimmt zu sein, sich mit den Schattenseiten des Lebens zu befassen und Antworten auf unverstandenes Leid, auf Krankheit und Tod zu geben. Das Christentum hat viel mit Leidensbereitschaft zu tun – und das aus guten Gründen. Schließlich steht im Zentrum unseres Glaubens das Kreuz, an dem Jesus starb. Ausgerechnet im Tod Jesu schenkt Gott uns Heil und Rettung. Das ist alles ein sehr ernstes Geschehen, denn es hat mit unserer Gottesferne und Sünde zu tun. Sich unbeschwert am eigenen Glück zu freuen, scheint keinen Platz zu haben, wenn unser ganzes Leben – wie Martin Luther sagte – eine fortwährende Buße ist. Auch wenn Luther selbst durchaus lebensfroh sein konnte.

Und doch gibt es glücklicherweise auch in der Bibel Abschnitte, die von purem Glück erzählen. Ja, glücklich sein: Das dürfen wir– ohne schlechtes Gewissen und selbst dann, wenn andere gerade nicht so glücklich wie wir sind. Wir müssen auch nicht gleich im Hinterkopf haben, dass das Glück ja nie von Dauer ist und leicht zerbrechen kann. Das Glück annehmen und genießen – das geht!

Wie das möglich ist, erzählt uns Psalm 16:

 

Der Herr ist mein Gut und mein Teil;

du hältst mein Los in deinen Händen!

Das Los ist mir gefallen auf liebliches Land;

mir ist ein schönes Erbteil geworden.

Ich lobe den Herrn, der mich beraten hat;

auch mahnt mich mein Herz des Nachts.

Ich habe den Herrn allezeit vor Augen;

er steht mir zur Rechten, so wanke ich nicht.

Darum freut sich mein Herz, und meine Seele ist fröhlich;

auch mein Leib wird sicher wohnen.

Denn du wirst meine Seele nicht dem Tode lassen

und nicht zugeben, dass dein Heiliger die Grube sehe.

Du tust mir kund den Weg zum Leben:

Vor dir ist Freude die Fülle und Wonne zu deiner Rechten ewiglich.

Dieser Psalm handelt vom Glück: ganz konkret und fast selbstverständlich. Er weiß um die Gefährdungen. Er kennt die Bedrohungen, denen unser Leben ausgesetzt ist. Aber er schiebt sie nicht gleich in den Vordergrund, sodass sie alles verdunkeln. Nein, in seinen Worten drückt sich erfüllendes Glück aus.

Und doch unterscheidet er sich von all den Ratgebern in den Buchläden, die viel von Selbstverbesserung und Selbstertüchtigung reden und uns dadurch unter Druck setzen, das Glück des Lebens auch ja zu erreichen. Er weiß, dass wir Menschen dieses Glück nicht allein aus eigener Kraft erzwingen und schon gar nicht für uns festhalten können.

Betrachtet der Beter sein Leben mit dankerfülltem Herzen, sieht er, wie Gott ihn gnädig geführt hat. Er lobt Gott als seinen guten Berater im Alltag und in allen wichtigen Lebensfragen. Wo in seinem Leben Probleme oder Fragen auftauchen, geht er damit zu Gott und redet mit ihm. Er erwartet Gottes Antworten und seinen Rat.

Der Psalm beschreibt, wie es sich anfühlt, wenn ein Mensch voller Zuversicht sagen kann, sein alltägliches Leben sei von Gott umgeben und bestimmt. Körperliches Wohl und seelisches Heil kommt von diesem ihm gnädig zugewandten Vater. Das Gebet ist ihm ein lebensnotwendiges Bedürfnis des Glaubens geworden. Fehlt es, fehlt ihm etwas ganz Wichtiges im Leben, und sein Herz meldet sich.

Noch in einer anderen Hinsicht unterscheidet er sich von der Ratgeberliteratur: Er setzt unser Glück zu Gott in Beziehung! Beide gehören zusammen: Gott und Glück! Wenn es uns schlecht geht, kommt Gott öfters in Spiel: „Womit habe ich das verdient? Warum lässt Gott das zu?“, lautet dann der Vorwurf. Aber wenn es uns gutgeht, wenn wir unbeschwert glücklich sind, fragen wir selten, warum Gott unser Glück zulässt. Wir trennen das Glück, das uns zuteilwird, von Gott: Darin liegt der entscheidende Fehler! Denn es ist Gott, dem wir unser Leben mit all seinen Möglichkeiten verdanken.

Um es in den Worten unseres Psalms zu sagen: Er berät uns, stützt uns, er sorgt für uns, bewahrt uns, er zeigt uns den Weg zum Leben. All das ist doch auch bei vielen von uns von manchen persönlichen Erfahrungen gedeckt. Zwar vermag kaum einer von uns, einen so berührenden DANKGESANG EINES GENESENEN AN DIE GOTTHEIT, IN DER LIDISCHEN TONART zu komponieren, wie es Ludwig van Beethoven 1825 in seinem vorletzten Streichquartett (opus 132) tat; aber den Impuls, dergleichen tun zu wollen, kennen viele gewiss.

Auch hat sich Gottes Unterstützung oft bewahrheitet: in Zeiten etwa, als wir unsicher waren, aber eine wichtige Entscheidung zu treffen hatten, die sich hinterher als richtig erwies. Zum Glück: Ja! Aber hinter allem stand der liebende Gott, der spürbar seine Flügel über uns gebreitet hatte.

Solche Erfahrungen von Momenten oder Zeiten des Glücks können zu einer großen Dankbarkeit gegenüber Gott führen: „Du bist immer für mich da, lieber Gott. Vielen Dank dafür!“ Das bedeutet nicht, dass wir ständig auf der Sonnenseite leben. Wir bleiben von Krankheiten bedroht und sind Gefahren ausgesetzt. Und wir trauern über den Tod von Menschen, die wir liebten oder die uns etwas bedeuteten. Aber es tröstet uns, dass wir auch beim Gang durch finstere Täler in Gott geborgen sind und uns von ihm geführt wissen. Es ist ein Glück, Gott vertrauen zu können und seine Nähe zu fühlen!

Ob David, der Psalmdichter, wohl glücklich war? Was hätte er geantwortet? „Du zeigst mir den Weg zum Leben.“ so wird David in Psalm 16 in den Mund gelegt. In der Bibel wird in vielen Geschichten über Davids Leben berichtet. Wir können nachlesen, wie aus dem kleinen Hirtenjungen ein großer König wird. Immer wieder greift Gott dabei in sein Leben ein. Er steht David zur Seite als er den Riesen Goliath mit seiner Steinschleuder tötet. Oder mit seinem Harfenspiel König Saul Linderung bei dessen Krankheit verschafft. Er bestraft ihn aber auch als David Ehebruch begeht. David muss erkennen, dass es ohne Gott kein gutes Leben für ihn gibt. Trotz allem Reichtum und aller Macht würde ihm etwas Wesentliches fehlen, wenn er sich allein auf sich selbst verließe. Gott ist ihm ein wichtiges Gegenüber. So lobt er Gott mit seinen Psalmen oder klagt ihm seinen Kummer. Gott ist ihm so vertraut, dass er ihn direkt ansprechen kann: „Du zeigst mir den Weg zum Leben.“ Wenn David diesen Satz sagt, so meint er damit mehr als nur die reinen Fakten seines Lebens, seine Biografie. Es steckt etwas von seinem Verständnis, was „Leben“ ausmacht in seinen Worten.

Doch was ist das, „Leben“? Ist Leben das, was wir im Biologieunterricht gelernt haben? Also: Alles, was die Merkmale „Bewegung“, „Selbsterhaltung oder Fortpflanzung“, „Selbstorganisation“ und „Stoffwechsel“ erfüllt, ist Leben? Sie merken es schon beim Zuhören: Das ist sachlich korrekt, aber es hört sich irgendwie kraftlos und trocken an. Kann das wirklich alles sein?

Wenn wir von Leben sprechen, dann meinen wir damit auch Lebensqualität, Lebensfülle. Und davon ist die Rede bei David. Von diesem „Mehr an Leben“. Es ist ganz eng damit verbunden, dass David ein „Du“ ansprechen kann. David steht mit Gott in enger Beziehung, in einem ständigen Austausch. Diese Verbundenheit bedeutet für ihn: Leben. Wäre David von Gott isoliert und abgetrennt, empfände er das wie den Tod. In Verbindung mit Gott kommt er zu Klarheit über die nächsten Schritte auf seinem Lebensweg. Ihm klagt er seinen Kummer und vor ihn bringt er seine Freude.

In Verbindung stehen macht lebendig. Was hier für die Beziehung mit Gott gilt, das stimmt auch für den Kontakt mit den Menschen. Ob wir uns lebendig fühlen, hängt stark damit zusammen, ob wir in Kontakt sind. Ob wir ein Gegenüber haben. Wir gehen ja nicht alleine auf unserem Lebensweg. Um uns herum gehen andere mit. Jeder und jede ist auf ihrem eigenen Weg und gleichzeitig mit den anderen verbunden. So ist das auch heute in unserem Gottesdienst. Da sind Sie, die Gemeinde vor Ort in der Kirchenbank – da bin ich... Wir alle sind auf unserem Weg. Und im Moment haben wir eine Weggemeinschaft. „Du zeigst mir den Weg zum Leben“ – In Verbindung stehen, das macht lebendig.

Die Dichterin Rose Ausländer hat es so ausgedrückt: „Vergesst nicht Freunde, wir reisen gemeinsam.“ Menschen sind Beziehungswesen. Das ist auch der Grund, warum es in den biblischen Geschichten und Geboten immer darum geht, wie gestörter Kontakt durch Liebe geheilt werden kann. Wie Menschen wieder zu sich, zu Gott und zu ihren Mitmenschen finden können. Leben heißt, in Kontakt und in Verbindung zu stehen.

In Verbindung zu Gott stehen, macht lebendig – Du zeigst mir den Weg zum Leben. Lebenswege sind selten gerade. Mal geht es bergauf, mal bergab. Es gibt Umwege und Sackgassen. Dunkle Täler. Es gibt freundliche Anhöhen und helle Strecken. Manchmal weiß man nicht, was hinter der nächsten Kurve kommt. Manche Wege geht man mit einem Lächeln, andere mit Traurigkeit. Das ist auch so, wenn wir begleitet werden.

„Du zeigst mir den Weg zum Leben.“ Das heißt nicht, dass wir nicht auch durch schwierige Zeiten müssen. Wir haben damit keinen „immer nur-Sonnenschein-Weg“ gebucht. In Verbindung stehen, macht lebendig - so wächst in uns eine starke Zuversicht und Hoffnung, die selbst über unseren Tod hinausreicht. Solange wir leben, kann Gott uns seine Liebe zeigen und uns heilsame Wege zum Leben aufzeigen. Wir können dieses Glück erfahren.

Und die Hoffnung auf Gottes Macht endet nicht an den Grenzen unseres Lebens: „Du gibst mich nicht dem Totenreich preis“, sagt unser Psalm. Wenn wir in dieser Welt unser Glück aus der lebendigen Beziehung zu Gott empfangen, dürfen wir auch auf ein ewiges Glück hoffen. Das verheißt er uns in der Gemeinschaft mit ihm in seinem Reich – einer Gemeinschaft, die nie mehr enden wird, und die alles übersteigt, was wir bisher vom Glück kennen.

Auf die innere Einstellung kommt es an. Darin haben manche Ratgeber, die wir kaufen können, Recht. Allein: Für uns als Christinnen und Christen ist diese innere Einstellung nichts anderes als unser Vertrauen auf Gott. Wir danken ihm für all das Glück, das er uns erleben lässt: für das Glück der Liebe, das Glück der Freundschaft, das Glück des Gelingens – für all das Schöne, das auf uns wartet. „Du lässt mich das Grab noch nicht sehen.“ Denn wir sind zum Leben bestimmt! Noch ist unsere Zeit nicht vorbei. Die Jahre, die Gott uns schenkt, führt und leitet er uns, lässt uns seine Liebe und seinen Segen spüren.

Eine solche Stärkung auf dem Lebensweg kommt durch den Segen auf uns zu. Segen lässt uns spüren, dass Gott mit uns in Verbindung ist. Wie eine Umarmung des Freundes. Da sagt Gott: „Ich sehe dich und wie es dir geht, und gehe mit. Ich helfe dir, Schweres zu tragen oder freue mich über Schönes mit dir, an Deiner Lebenskraft.“ Segen drückt aus, dass wir in Verbindung sind und bleiben. Wo wir uns auch immer gerade befinden auf unserem Weg. Gesegnet wird bei der Taufe, Konfirmation, Trauung und Beerdigung. Segen empfangen wir durch das Heilige Abendmahl. Aber auch am Ende jeden Gottesdienstes. Gottes Segen begleitet unsere Aufbrüche in einen neuen Lebensabschnitt und unser Gehen auf dem (Lebens-) Weg. Gott zeigt uns den Weg zum Leben – und mit seinem Segen können wir ihn gehen: Heute, morgen und alle Tage unseres Lebens.

Sind Sie glücklich, liebe Gemeinde? So unvermutet kommt die Frage jetzt nicht mehr. Vielleicht sind wir glücklicher, als wir denken. Es kommt auf den Blick an: den Blick auf unser Leben und den Blick auf Gott. Er gebe uns, dass wir unbeschwert, dankbar und erwartungsvoll antworten können: „Ja, ich bin glücklich!“ Oder in der Haltung unseres Psalms: „Große Freude finde ich in deiner Gegenwart und Glück an deiner Seite für immer.“

Und damit: Herzlichen Glückwunsch uns allen!

AMEN

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus. AMEN