Predigt zu Lukas 8, 4-8 und der Kantate „Erhalt uns, Herr, bei deinem Wort“ (BWV 126)
- 08.02.2025
- Pfarrerin Kathrin Oxen
Menschenwürde - Nächstenliebe - Zusammenhalt. Ein Banner an der Gedächtniskirche in Berlin ruft große Worte in leuchtenden Farben über den Kurfürstendamm. Sie sind Teil der Kampagne der evangelischen und katholischen Kirche in Deutschland zur Bundestagswahl 2025. Diese Kampagne hat ihre Wurzeln in Sachsen gehabt. Und gerade blühen die Worte Menschenwürde, Nächstenliebe und Zusammenhalt überall in Deutschland auf. An vielen Kirchen, in Schaukästen vor Gemeinde-häusern, auf Internetseiten und in den sozialen Medien leuchtet es pink und rosa und gelb. Das sind die Farben der Kampagne. Es ist wie ein ganz kleiner Frühling über unserem Land. Denn in den letzten Wochen sah es recht grau-blau-braun darin aus.
Noch teilt das pink-rosa-gelbe Banner an unserer Kirche nicht das Schicksal der vielen Wahlplakate. Es wurde noch nicht beschmiert oder zerrissen. Die anderen großen Plakate in den Straßen von Berlin sehen manchmal so aus, als wäre Beschmieren und Abreißen noch nicht genug. Als müsse man noch die Fetzen mit den Füßen zertreten. Und allein schon daran merkt man etwas von dem, was gerade in der Luft liegt an Verachtung, Hass und Spaltung.
Tapfer halten Christinnen und Christen in diesen Wochen vor der Wahl ihre großen, schönen, leuchtenden Worte dagegen. Menschenwürde, weil Gott ausnahmslos alle Menschen nach seinem Bilde geschaffen hat. Und weil es das nicht gibt: Menschen, die aufgrund welcher Eigenschaften auch immer weniger wert sein sollten als andere Menschen. Nächstenliebe, weil Jesus in seinen Worten und Taten unmissverständlich deutlich macht, was Nächstenliebe ist: Eine Liebe, die nie-manden ausnimmt. Sondern ausnahmslos alle annimmt. Und Zusammenhalt, für den schon die ersten christlichen Gemeinden so berühmt waren und anziehend für viele andere. Weil ein heili-ger, guter Geist unter ihnen war.
Fördert meine einsame Entscheidung in der Wahlkabine oder beim Ausfüllen der Briefwahlunter-lagen die Menschenwürde, die Nächstenliebe und den Zusammenhalt - oder tut sie es nicht?
Diese Frage müssen sich Christinnen und Christen stellen. Und es ist gut möglich, dass es den gro-ßen Worten von unserem Banner an der Kirche so geht, wie es Jesus in seiner Geschichte erzählt. Einige davon werden zertreten oder gefressen, einige verdorren auf steinigem Boden und einige geraten unter die Dornen und ersticken. Das Wort Gottes, aus dem die großen, schönen, leuchten-den Worte Menschenwürde, Nächstenliebe und Zusammenhalt hervorgewachsen sind, keimt lei-der nicht mit dem gleichen reichen Ertrag in allen Menschenherzen. Und es hat auch in den Herzen von Christinnen und Christen keine Keimgarantie.
Zum Glück teilt Gott uns Menschen nicht so ein, wie man Felder nach ihrer Bodenqualität bewer-tet, in die Ausgetretenen, die Harten, die mit den vielen Dornen und in die Guten. Unsere Men-schenherzen sind doch alle wilde Felder, auf denen es alles gibt: Ausgetretene Pfade, auf denen nichts Neues gedeiht, steinige Flächen, wo nichts mehr ankommt, Stellen mit wuchernden Dornen, die schon lange einmal einen Rückschnitt gebraucht hätten. Und in jedem Menschenherzen ist auch eine gute Ecke, wo etwas wachsen kann.
Wenn Gott das nicht macht, Menschen einteilen, dann kann ich auch nicht damit anfangen. Denn wohin käme ich mit meinen großen Worten von Menschenwürde, Nächstenliebe und Zusammen-halt, wenn ich selbst anfange, Ausnahmen zu machen, als gäbe es Menschen, auf die ich sie nicht anwenden kann? Das Schwierige an der Botschaft von Jesus ist, dass sie so einfach ist: Nimm nie-manden aus, von Menschenwürde, Nächstenliebe, Zusammenhalt. Nicht einmal deine Gegner und deine Feinde.
Denn Feindbilder haben uns noch nie weitergebracht. „Steur’ des Papsts und Türken Mord“, dich-tete Martin Luther ursprünglich in dem Choral, der der Kantate zugrunde liegt. Damit meinte er zwar nicht, dass Gott den Papst oder die Türken umbringen solle, sondern nur, dass sie in ihrem Morden aufgehalten, „gesteuert“ werden sollen.
Aber Luther kam offenbar nicht ohne sein persönliches Top-Feindbild aus, den Papst in Rom. Und ohne das Top-Feindbild seiner Zeit, die Türken. 1529 hätten sie beinahe Wien und damit das da-mals noch etwas christlichere Abendland erobert.
In der späteren Lutherstadt Wittenberg wird ganz sicher kein einziger Türke aufgetaucht sein. Trotzdem fühlte sich Luther bemüßigt, gleich mehrere Schriften gegen die Türken zu verfassen. Weil Feindbilder eben so schön einfach sind und es leichter machen, die komplizierte Welt zu ver-stehen. Und weil Verachtung, Hass und Spaltung so viel leichter herzustellen sind als Menschen-würde, Nächstenliebe und Zusammenhalt.
Ausgetretene Pfade, steinige Flächen, wuchernde Dornen - die gab es reichlich auch im Herzen von Martin Luther, besonders in seinen späten Jahren. Aber auch die guten Ecken, die so viel Frucht gebracht haben. Und das höre ich in der Kantate auch, am Ende. Denn nach all den Feindbildern in schwarz-blau-braunen Tönen blüht es doch noch auf. Da ist doch etwas aufgegangen von dem, was Jesus meint und was Gott von uns Menschen will. „Verleih uns Frieden gnädiglich / Herr Gott, zu unseren Zeiten“.
Liebe Thomasser, singt das bitte gleich so pink und rosa und gelb, wie ihr könnt, das große, schöne, leuchtende Wort vom Frieden, von Würde und Liebe und Halt. Denn wir müssen es dringend hö-ren. Damit es in unsere Herzen fällt.