Predigt zu Lukas 17,20-21  

  • 06.11.2022 , Drittletzter Sonntag des Kirchenjahres
  • Prof. Dr. Rüdiger Lux

Predigt zu Lukas 17,20-21           06. November 2022

 

20Als er aber von den Pharisäern gefragt wurde: Wann kommt das Reich Gottes?, antwortete er ihnen und sprach: Das Reich Gottes kommt nicht mit äußeren Zeichen; 21man wird auch nicht sagen: Siehe, hier!, oder: Da! Denn sehet, das Reich Gottes ist mitten unter euch.

 

Liebe Gemeinde,

Demonstranten und Gegendemonstranten auf unseren Straßen. Was mit fridays for future friedlich anfing, beginnt sich zu radikalisieren. Klimaaktivisten kleben sich auf Straßen und  an Gemälden fest, überschütten die Sonnenblumen van Goghs mit Tomatensuppe. Ist das die Verzweiflung, der Zorn einer Jugend, die sich selbst zur letzten Generation erklärt hat? Die letzte Generation, die die Welt noch retten könnte, wenn, ja, wenn man nur auf sie hören wollte? Was ist aus uns geworden? Eine Welt junger Menschen ohne Hoffnung? Steuert denn nicht alles auf den großen Big Bang zu? Droht uns mehr als nur ein kalter Winter mit unbezahlbarem Gas und Strom, der Harmageddon, die letzte große Schlacht der Menschheitsgeschichte, vor der Jo Biden warnte, ein atomares Inferno mit dem Wladimir Wladimirowitsch Putin drohte, es sei kein Bluff? Sind wir also bereits mittendrin im Todeskampf unseres Planeten?

Inmitten all dieser Ängste, der Panikmache, der  Befürchtungen, der berechtigten und unberechtigten Sorgen ergeht das Wort Jesu: Sehet, das Reich Gottes ist mitten unter euch! Was für eine Provokation!

 

I

Das Reich Gottes auch mitten im Kriegsherbst Europas im Jahr 2022? Soll das ernst gemeint sein? Ja, das ist ernst gemeint, heute ebenso wie damals vor 2000 Jahren als einige Pharisäer Jesus die Frage stellten: Wann kommt das Reich Gottes? Auch die Tage Jesu waren alles andere als eine friedliche Idylle. Palästina eine römische Provinz unter der Knute einer Besatzungsmacht, die vor einem harten Durchgreifen nicht zurückschreckte. Ist es da ein Wunder, dass die Frage in der Luft lag: Wann hat dieser ganze Schlamassel einmal sein Ende? Wann werden wir erlöst? Wann tritt der Gott Israels seine weltweite Königsherrschaft an und verweist die Tyrannen der Reiche dieser Welt in ihre Schranken?

Die Antwort Jesu lautet: Fragt nicht nach dem Wann, fragt nach dem Jetzt: Sehet, das Reich Gottes ist mitten unter euch, jetzt, damals wie heute! Was für eine Provokation! Eine Provokation schon deswegen, weil er gleich noch hinzufügt: Das Reich Gottes kommt nicht mit äußeren Zeichen; man wird auch nicht sagen: Siehe, hier!, oder: Da! Soll das  heißen: Das Reich Gottes ist das Geheimnis des bedrohten und zu jeder Zeit gefährdeten Lebens inmitten der Reiche dieser Welt? Unsichtbar, nichts Spektakuläres. Es vollzieht sich im Stillen, im Verborgenen, in dem, was immer schon war, was ist und auch in Zukunft noch sein wird?

 

II

Ja, so ist es, denn es ist ja das Reich des Schöpfers von Himmel und Erde. Und da mögen nun die Herren und die Heere der Welt noch so unversöhnlich aufeinander einschlagen, noch sitzt der Schöpfer im Regiment! Noch ruft er an jedem Morgen neu das Licht aus der Finsternis. Noch singen die Vögel schon vor dem Aufgang der Sonne. Noch lässt Gott es regnen über Gute und Böse. Noch wurde auch in diesem Jahr eine Ernte eingefahren, die ausreichen würde, um alle Menschen der Erde satt zu machen, wenn, ja wenn man sie nur gerecht verteilen würde. Noch werden an jedem Tag gesunde Kinder geboren, das Glück von Müttern und Vätern. Noch dürfen täglich alte Männer und Frauen einen friedlichen Tod sterben. Reich Gottes ist das inmitten einer blutenden, geschändeten Schöpfung. Gottes Dienst an der Welt ist das, Gottes Diakonie am Leben und im Sterben. Ohne die Diakonie des Schöpfers an seiner Schöpfung bliebe alle menschliche Diakonie vergeblich. Gottes Dienst am Leben und im Sterben geht jedem menschlichen Dienst voraus.     

Und daher spricht Jesus, der Christus: Sehet, das Reich Gottes ist mitten unter euch! Da ist kein Spektakel zu sehen, da ist allein das Wunder des Lebens inmitten aller aufgeregten Beschwörungen des Todes. Noch steht der Schöpfer zu seiner Schöpfung!

 

III

Einspruch, euer Ehren, ruft uns da die letzte Generation zu: Noch, ja, dieses Noch ist ja gerade das Problem! Siehst du neunmalkluger Prediger denn nicht, dass dieses Noch, dass das, was bisher so ganz selbstverständlich schien, morgen eben nicht mehr so sein könnte? Ist es denn nicht an uns, die Welt zu retten?

Liebe Schwestern und Brüder, wer verstünde denn diese Ängste und Sorgen nicht? Ja, der Zustand unseres Planeten ist besorgniserregend, mitunter katastrophal; ja, die Überlagerungen von Klimakrise, Energiekrise, Ukrainekrieg und Hungerkrisen rauben einem den Schlaf. Ja, der Eindruck drängt sich auf, unsere Welt und ihr Wirtschaftssystem sei von einem suizidalen Sog erfasst.

Und doch möchte ich davor warnen, die apokalyptischen Reiter an die Wand zu malen. Alle Weltuntergangspropheten haben sich bisher gründlich geirrt, weil sie Gott nicht mehr Gott sein lassen wollten. Sie glaubten, es wäre an ihnen, die letzte große Schlacht der Menschheitsgeschichte zu schlagen. Sie lebten in dem Wahn, das Reich Gottes in die eigenen Hände nehmen zu müssen, sich selbst zu erlösen in einer unerlösten Welt. Wo diese Menschheitsexperimente endeten, das wissen wir aus der Geschichte des 20. Jh. nur zu gut: In einem Fiasko!

Daher rate ich zu jesuanischer Nüchternheit und Bescheidenheit! Solange die Zusage Jesu gilt – Sehet, das Reich Gottes ist mitten unter euch! – solange gibt es weder einen Grund zur Hoffnungslosigkeit, noch zum Übermut. So lange dieser Satz gilt, werden wir, unsere Kinder und Enkel  nicht die letzte Generation sein. Ich höre den Satz Jesu heute als eine heilsame Entdramatisierung und Ermutigung in unseren wahrlich nicht einfachen Zeiten:

Mensch, mach dir nichts vor. Ich, du, wir alle miteinander sind endliche, fehlbare Wesen. Wir alle leben nicht nur von dem, was wir uns durch unserer eigenen Hände Arbeit geschaffen haben und mitunter auch zerstören; wir leben nicht allein von unserer wissenschaftlichen, technischen und politischen Intelligenz und Gott sei Dank auch nicht nur von unseren fatalen Irrtümern, unserer Dummheit. Wir leben vor allem aus der Zusage Gottes, die er der Menschheit nach der großen Flut mit auf den Weg gegeben hat: Solange die Erde steht, soll nicht aufhören Saat und Ernte, Frost und Hitze, Sommer und Winter, Tag und Nacht.

Wir leben von der Güte Gottes, von seinem Dienst an der Welt, der nicht erst am Ende der Tage, sondern schon jetzt und jeden Morgen neu die Tür offenhält zu seinem Reich.

 

IV

Und daher, liebe Schwestern und Brüder, seid mir nicht böse, wenn ich vermute, weder die Leipziger Diakonie, noch die Thomasgemeinde oder gar die Kirchen in aller Welt sind gleichsam aus sich selbst heraus das Reich Gottes. Das sind sie nicht. Es gibt ja auch unter uns viel Verzagtheit, viel Kleinglauben, viel Irrtum, viel Haschen nach Wind. Auch in der Kirche, der Diakonie sind immer nur endliche, fehlbare Menschen am Werk. Aber gerade mit solchen endlichen, fehlbaren Menschen, die sich nicht überschätzen aber auch nicht unterschätzen, will Gott sein Reich bauen.

Und weil das so ist, deswegen lasst uns die Diakonie Gottes an seiner Welt nicht vergessen. Sie weckt uns auf aus unserem Schlaf. Sie ermutigt uns und lädt uns ein, seine Mitarbeiter im Dienst am Leben zu werden. Sie überfordert niemanden. Sie verlangt von keinem, er müsse die ganze Welt retten. Sie lässt uns teilhaben an der Kraft und der Liebe Jesu, der sich ganz entschieden jeweils dem Menschen zugewandt hat, der ihn brauchte. Da sind wir alle gefragt, ein jeder mit seinen Gaben.

Seit Jahrhunderten geht unter unseren jüdischen Schwestern und Brüdern die Legende von den 36 Gerechten um. Nur ihretwegen bewahrt Gott die dem Tod geweihte Welt. Keiner weiß von sich selbst, ob er einer der 36 ist. Jeder könnte es sein, der Schuster, der Bettler, der Wasserträger, der Schnorrer, die Magd, der Fuhrmann, der Soldat… Und immer, wenn einer stirbt, wird ein neuer Gerechter geboren, ohne zu wissen, was er ist. Du, dein Nachbar, der neben dir sitzt, jeder könnte es sein. Noch ist der letzte der 36 nicht gestorben. Noch ist unsere gefährdete Welt nicht verloren, das Reich Gottes, noch werden Gerechte geboren, noch gibt es Hoffnung für die letzte Generation, die nicht die letzte sein wird.

Und der Frieden Gottes, der höher ist als alle Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus, Amen.

 

Prof. Dr. Rüdiger Lux

Mail: lux@uni-leipzig.de