Predigt zu Buß- und Bettag

  • 22.11.2023 , Buß- und Bettag
  • Pfarrer Lüder Laskowski

Predigt im Gottesdienst zu Buß- und Bettag

 

Liebe Gemeinde,

erst letztens sagte ein guter Bekannter (der übrigens auch einmal Theologie studiert hat): „Meine Frau kann es nicht mehr hören. Sie wendet sich ab. Dieses Gerede von der Schuld und erst recht der Buße stößt sie ab. Damit kann ich ihr nicht kommen.“ Das war eine sehr direkte persönliche Reaktion, eine ganz unmittelbare und ehrliche Abwehr. „Ich will davon nichts hören. Ich will mich nicht schlecht fühlen müssen.“ Vielleicht auch: „Das nimmt mir Kraft, von der ich doch zu wenig habe und das bisschen, was ich habe, das brauche ich – auch um mein Leben gut zu meistern. Damit mir das gelingt, benötige ich Ermutigung und positive Motivation. Schuld und Buße ziehen mich nur runter.“

Die Rede von Schuld und Buße wird als persönlich übergriffig empfunden. Sie ist ein Eingriff in die Autonomie des Menschen und damit auf den ersten Blick schwer verträglich mit der Vorstellung von einem souverän gestalteten Leben. Doch dieser Eingriff in die Autonomie des Einzelnen, die Rede von Schuld und die Aufforderung zur Umkehr ergibt sich eben genau aus dieser Freiheit. Es geht gar nicht anders, weil mein Freiraum fast notwendig immer wieder in Konflikt gerät mit dem Freiraum, den andere beanspruchen. Mein Handeln greift ein in die Lebensmöglichkeiten anderer. Und ich muss mich der Frage stellen, ob das angemessen ist. Denn auch umgekehrt greifen andere Menschen in meinen Freiheitsraum ein. Sanft oder brutal. Unmerklich oder gewalttätig.

Nun gut, könnte man sagen, das müssen Menschen miteinander aushandeln. Das ist ein notwendiger Streit der Meinungen. Aber das ist es nicht nur. Wir klagen darüber, wie komplex und unübersichtlich die Welt geworden ist. Wir wissen gar nicht mehr genau, mit wem wir eigentlich über unsere Freiräume verhandeln müssten. Viele haben aufgegeben, ersticken an ihrer Wut und Angst oder im weltweiten Kontext: werden nie auch nur gefragt werden. Weil wir es nicht mehr schaffen, reden wir hier heute nicht über irgendeinen gesellschaftlichen Zusammenhang. Unser Unvermögen ist so groß geworden, dass ich am Buß- und Bettag hoffe, die Begegnung mit Gott möge uns überhaupt wieder handlungsfähig machen.

In diese Gemengelage hinein ruft der Prophet Ezechiel, was er in Gottes Namen rufen muss. Einerseits wird dabei sichtbar, was Gott sieht und andererseits offenbart Gott, was ihm wichtig ist. Denn er sieht das, worauf er seine Aufmerksamkeit richtet. Was Gott sieht bewegt ihn. Er schwankt zwischen Wut und Empörung. Raub, Blutvergießen, Ausbeutung, Gewalt, Lügen, Ungerechtigkeit. Eine Anhäufung von schrecklichem menschlichem Verhalten mit furchtbaren Folgen. Er schaut auf das Land. Ja, hier handeln Einzelne, aber dieser Text ist keine Anleitung zur persönlichen Gewissensprüfung. Er ist politisch. Er handelt von den Angelegenheiten des Staates und der menschlichen Gemeinschaft. Vor uns wird ein weites Panorama aufgespannt und es sieht so schrecklich aus, wie gerade heute eine Nachrichtensendung.

Geht es hier um Gottes Herrschaft über uns? Um Unterwerfung? Ist die Rede von Schuld und Buße hier ein Machtmittel? Eher geht es darum, dass uns Ezechiel als Gottes Mund einen Spiegel in die Hand drückt. Während er ihn uns entgegenhält, steht Gott hinter dem Spiegel und wir stehen davor. Er sagt einfach nur, was er sieht. Was wir aber in diesem Spiegel sehen, das sind letztlich doch wir selbst und vor allem: die Verhältnisse, in denen wir leben. Schreckliche Verhältnisse. Verhältnisse, die – zieht man eine Parallele zu Israel zur Zeit Ezechiels – in die Auslöschung und ins Chaos führen. Schauen wir genauer auf die Handelnden und ihre Charakteristika.

Ezechiel nennt die „Fürsten“. Das sind nicht einige wenige. Wer fällt Ihnen ein, wenn sie hören, dass sie rauben, Menschen fressen, Gut und Geld an sich reißen. Wieviel davon tun wir – im globalen Kontext – alle gemeinsam?

Dann sind da die Priester. Sie zerren alles was heilig ist in den Dreck. Sie setzen den Status. Was sie zelebrieren gilt als sinnvoll und erstrebenswert. Sie stellen die Vorbilder und begehrenswerten Lebensziele. Vom immer mehr haben. Von immer weiter kommen. Sie versuchen den Himmel auf die Erde zu zerren und leugnen die Grenzen, die uns Menschen gesetzt sind. Wieviel davon sind wir alle?

Dann die Propheten. Sie sorgen dafür, dass die Machverhältnisse bestehen bleiben. Sie verschleiern, wer sich bereichert und wer die Opfer sind. Sie beruhigen sich und andere mit Heilsversprechen, die sie nicht halten können. Sie sind für Ezechiel die Schlimmsten, weil sie Ungerechtigkeit legitimieren und damit den Zusammenhalt der Gesellschaft von innen aushöhlen. Heute könnte man sagen: das sind die Beschwichtiger genauso wie die Ideologen, diejenigen, die ihre Sattheit für gottgegeben halten und die Krisenprofiteure, die Verführer und Opportunisten. Sie fressen die Seelen, so könnte man Ezechiel übersetzen. Woran haben wir Anteil?

Es gibt so viele Verwicklungen, in denen wir stehen, ob wir wollen oder nicht. Da habe ich vom Heiligen Land noch gar nicht gesprochen. Und nicht vom Klimawandel. Nicht von Elektro- und Plastikschrott, nicht von unserer Kleidung, nicht von den Arbeitssklaven, nicht von den Flüchtlingen, nicht von Armen, nicht von Lohndumping, von Luxus und Elend, von Machtmissbrauch, von, von, von …

Darum kann Ezechiel letztlich sagen, dass es das „Volk des Landes“ ist, das gemeinschaftlich versagt. Wir haben eine gemeinsame Verantwortung. Nur wenn wir gemeinsam Verantwortung wahrnehmen, gibt es eine Chance, gegen die Missstände, die Ezechiel hier beispielhaft aufzählt, wirklich etwas auszurichten. Ezechiel nimmt die Gesellschaft als Ganzes in die Pflicht.

Und zugleich sucht Gott eine oder einen, der außerhalb dieses tödlichen Systems steht. Er findet keinen, der sich für die anderen in die Bresche stellt. Denn umgekehrt kann man auch fragen: Wer ist „Keiner“? Wer sind die, die nicht stehen bleiben. Ganz zuletzt sind wir alle „Keiner“. Letztlich betrifft alles, was hier aufgezählt wird, uns selbst. Menschen werden an Menschen schuldig. Menschen werden an der Schöpfung schuldig. So fällt auf uns zurück, was wir nicht wahrhaben wollen oder ausblenden.

Systemische Schuld mündet letztlich doch in individueller Verantwortung. Auf „die da oben“ zu zeigen und zu schimpfen reicht nicht. Gott findet „niemanden“, so ruft Ezechiel, er findet „keinen“, also keinen Einzigen. Warum wäre die/der Einzige so wichtig? Das bedeutet ja zunächst, das jeder von uns eine Verantwortung für das Gemeinsame hat. Jeder nach seinen Möglichkeiten. Und weitergedacht: jeder Einzelne bleibt wichtig.

Gott sucht ihn. Wird er ihn finden? Wird er ihn je finden? Oder sind wir nicht darauf angewiesen, dass Gott nicht aufhört zu suchen? Nach uns allen und darin jedem einzelnen zu suchen? Dass er nicht aufhört und uns immer wieder die Hoffnung entgegen bringt, dass wir verstehn.

Ich bin dankbar dafür, das Ezechiel den Mund für Gott aufmacht. Er hilft uns heute dabei, das eigene Tun in einem größeren Zusammenhang zu sehen. Das gibt unserem Handeln – sei es auch noch so verzagt – Bedeutung. Weil wir wissen, dass Gott es ansieht. Damit wir uns nicht wegdrücken. Nicht ausblenden, was Ezechiel hier noch einmal auf den Punkt gebracht hat.

Ezechiel stellt sich mit Gottes Hilfe einen Moment aus der Zeit. Er nimmt keine Rücksicht auf Empfindlichkeiten oder Abhängigkeiten oder Bequemlichkeit. Das sind freie Worte. Darum sind sie auch befreiende Worte! Mit ihnen bleibt Gott im Gespräch. Bleibt Gegenüber in Liebe und Not. Wie er es durch Christus gezeigt hat. Er ist es, der den Feigenbaum nicht abschlägt, der wartet, Jahr um Jahr. Auf uns wartet.

Schuld und Buße. Was geht mich das an. Es ist anstrengend. Es geht über die Kraft. Ja! Und es wird wohl immer über unsere Kraft gehen. Nachdenken über Schuld und Buße. Das ist eine Auseinandersetzung mit den Machtverhältnissen. Genau darum brauchen wir diesen Tag. Damit wir nicht einer oder eine bleiben, auf die Gott vergeblich wartet. Nicht „keiner“ bleiben. Weil Gott im Buß- und Bettag nicht gängelt, nicht Macht ausspielt, nicht Herrschaft aufrichtet. Er will rüttel auf und befreit. Befreit uns. Jede/jeden Einzelnen. Damit wir gemeinsam handeln.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

 

Predigttext:

Ez 22,23Und des Herrn Wort geschah zu mir: 24Du Menschenkind, sprich zu ihnen: Du bist ein Land, das nicht gereinigt wurde, das nicht beregnet wurde zur Zeit des Zorns, 25dessen Fürsten in seiner Mitte sind wie brüllende Löwen, wenn sie rauben; sie fressen Menschen, reißen Gut und Geld an sich und machen viele zu Witwen im Lande. 26Seine Priester tun meinem Gesetz Gewalt an und entweihen, was mir heilig ist; sie machen zwischen heilig und unheilig keinen Unterschied und lehren nicht, was rein oder unrein ist, und vor meinen Sabbaten schließen sie die Augen; so werde ich unter ihnen entheiligt. 27Die Oberen in seiner Mitte sind wie reißende Wölfe, Blut zu vergießen und Menschen umzubringen um ihrer Habgier willen. 28Und seine Propheten streichen ihnen mit Tünche darüber, haben Truggesichte und wahrsagen ihnen Lügen; sie sagen: »So spricht Gott der Herr«, wo doch der Herr gar nicht geredet hat. 29Das Volk des Landes übt Gewalt; sie rauben drauflos und bedrücken die Armen und Elenden und tun den Fremdlingen Gewalt an gegen alles Recht. 30Ich suchte unter ihnen, ob jemand eine Mauer ziehen und in die Bresche vor mir treten würde für das Land, damit ich’s nicht vernichten müsste; aber ich fand keinen. 31Darum schüttete ich meinen Zorn über sie aus, und mit dem Feuer meines Grimmes machte ich ihnen ein Ende und ließ so ihr Tun auf ihren Kopf kommen, spricht Gott der Herr.

 

Lüder Laskowski