Predigt zu 1. Petrus 1, 3–9,

  • 27.04.2025 , 1. Sonntag nach Ostern - Quasimodogeniti
  • Prof. Dr. Dr. Andreas Schüle

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Liebe Gemeinde,

Letzten Sonntag haben wir Ostern gefeiert: die Erinnerung an Christi Leiden und Sterben, die Freude am Leben der Auferstehung. Es gab schöne Musik und große Gottesdienste. Es gab erholsame Spaziergänge über die freien Tage bei Kaiserwetter, wo nun endlich der Frühling da ist und auch zu bleiben scheint. 

Karfreitag und Ostern – die wichtigsten Zeiten im Kirchenjahr, die höchsten christlichen Feiertage. Nicht Weihnachten, nein, auch wenn es darum viel mehr Rummel gibt. Karfreitag und Ostern. Wer wissen will, warum und an was Christen glauben, muss hier anfangen – am Kreuz und am leeren Grab. 

Aber dann folgte auf den Ostermontag der ganz ordinäre Dienstag, und alles war wieder wie sonst. Vorlesungen, Sitzungen, Termine, Rechnungen zahlen, zum Zahnarzt gehen, Wäsche waschen. Fühlte sich das anders an als sonst? Vielleicht nicht. Ostern ist erst einmal vorbei, die Häschen und Nestchen wandern wieder in die Kartons – bis nächstes Jahr dann.

Aber gibt es trotzdem etwas, das bleibt? Etwas, das sich anders anfühlt als sonst? Während ich mich das frage, versuche ich mir vorzustellen, wie es denen eine Woche nach Ostern ging, die es als die Allerersten erlebten. Die Frauen und Männer, die dabei waren, die es gesehen haben – Jesus am Kreuz, das Grab, der weggerollte Stein und dann die seltsamen Ereignisse danach. Ich stelle mir vor, dass diese Männer und Frauen sich fragten, ob die Erscheinungen Jesu, die sie gesehen hatten, real waren. Oder hatten sie sich das am Ende eingebildet? Psychologen, die sich mit den Ostererzählungen beschäftigt haben, sagen, dass das ganz normal sei. Vor allem nach einem überraschenden Tod kommt es vor, dass Menschen ihre Verstorbenen noch spüren, sogar sehen, so als wären sie noch da. Das gehört zum Abschied, zum Loslassen mit dazu. 

Was taten also die Frauen und Männer, die Jesus gefolgt waren, nach Ostern? Es ging eher still und bescheiden zu. Die einen blieben in Jerusalem und warteten darauf, was jetzt geschehen würde. Karfreitag und Ostern hatten die Jünger und die Frauen in ein emotionales Chaos gestürzt. Irgendwo zwischen Ratlosigkeit und der Ahnung, dass da etwas Großes geschehen war. Aber was sollte man jetzt glauben, was für wahr halten? Menschen wie du und ich sind ja nicht unbedingt dafür gemacht, an einem Tag zu erleben, wie da jemand auf grausame Weise umkommt, und zwei Tage später mit Berichten von einem leeren Grab und Erscheinungen konfrontiert zu werden. Und so taten einige der Jünger das, was Sicherheit bot. Sie kehrten zurück in ihr altes Leben und versuchten, das alles hinter sich zu lassen. Sie wurden wieder Fischer und Handwerker in Galiläa, vielleicht in der Hoffnung, irgendwie wieder klar im Kopf zu werden. 

Antworten brauchen Zeit, wenn sie tragen sollen. Es hat gedauert, bis aus den Erfahrungen nach dem allerersten Ostern der Glaube wurde, dass hier für alle Zeit etwas Heilvolles geschehen war. Erst nach und nach konnten die ersten Christinnen und Christen nicht nur Geschichten davon erzählen konnten, was sie am leeren Grab gesehen hatten, sondern mit Gewissheit sagen, was das für sie bedeutete. Manchmal braucht es Zeit, bis sich Gefühle klären, bis daraus Gedanken und Sprache wird. Und das ist etwas Gutes. 

Das bringt uns zu unserem Predigttext, der schon mit etwas Abstand zum allerersten Ostern geschrieben wurde. Es sind Verse aus einem Brief, den kein Geringerer als der Apostelfürst Petrus geschrieben haben soll. Es handelt sich um den Anfang dieses Briefes, und so begrüßt Petrus seine Adressatinnen und Adressaten als Ostergemeinde. Das klingt so:

Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten,4 zu einem unvergänglichen und unbefleckten und unverwelklichen Erbe, das aufbewahrt wird im Himmel für euch,5 die ihr aus Gottes Macht durch den Glauben bewahrt werdet zur Seligkeit, die bereitet ist, dass sie offenbar werde zu der letzten Zeit.6 Dann werdet ihr euch freuen, die ihr jetzt eine kleine Zeit, wenn es sein soll, traurig seid in mancherlei Anfechtungen,7 auf dass euer Glaube bewährt und viel kostbarer befunden werde als vergängliches Gold, das durchs Feuer geläutert wird, zu Lob, Preis und Ehre, wenn offenbart wird Jesus Christus.8 Ihn habt ihr nicht gesehen und habt ihn doch lieb; und nun glaubt ihr an ihn, obwohl ihr ihn nicht seht; ihr werdet euch aber freuen mit unaussprechlicher und herrlicher Freude,9 wenn ihr das Ziel eures Glaubens erlangt, nämlich der Seelen Seligkeit.
Petrus schreibt an Menschen, die nicht beim ersten Ostern dabei waren, die das Unglaubliche nicht gesehen haben und die es dennoch glauben wollen – so wie heute auch wir. Und Petrus schreibt fast so, als wollte er sagen: ‚Ich war zwar damals dabei, aber ich hab’s auch nicht gleich kapiert.‘ Erinnern wir uns: Petrus war kein Held in diesen Tagen. Im Garten von Gethsemane schlief er; als Jesu der Prozess gemacht wurde, verleugnet er ihn, weil er Angst hatte, selbst unter die Räder zu kommen; am Kreuz standen andere, wo Petrus abgeblieben war, weiß niemand; und als die Frauen am Ostermorgen vom Grab zurückkehrten und berichten, dass es leer war, hält er das erst einmal für Weibergeschwätz. Nein, hier schreibt kein Glaubensheld und sicher kein Experte in Auferstehungsfragen. Aber, so seltsam das klingt, genau das macht Petrus glaubwürdig. Ostern muss ankommen, muss hineinwachsen in Herz und Seele – damals so wie auch heute.

Was also machen Karfreitag und Ostern mit Menschen, die wie Petrus sagt, Christus lieben, obwohl sie ihn nicht gesehen haben’? Petrus nennt es „Wiedergeburt.“ Aus Tod und Auferstehung Jesu sollen wir neu geboren werden. Wenn man so will ist Ostern der Geburtstag eines jeden Christen und einer jeden Christin. Und das hat die frühe Kirche auch so gefeiert. Das war eine der Zeiten im Jahr, wo man Menschen taufte. 

Wenn Petrus also von Wiedergeburt spricht, dann klingt das verheißungsvoll. Gerade als erwachsener Mensch hat man manchmal das Bedürfnis nochmal etwas anders und neu zu machen. Manchmal fühlt sich das alte Leben schon etwas abgetragen an. Und das war ein Grund, warum Menschen Christen wurden. Gleichzeitig sind  wir Menschen mit einer Geschichte, Menschen, die an Leib und Seele gezeichnet sind – im Guten wie im Schlechten. All alles bestimmt, wer wird sind.  

Wiedergeburt meint, dass das Leben von Christenmenschen in zwei Richtungen verläuft: Die eine führt zum Kreuz, die andere zur Auferstehung. Wiedergeburt heißt, dass an mir – für den Rest meines Lebens – beides geschieht: Karfreitag und Ostern. Da muss etwas sterben – das verbrauchte, verschuldete und verwirkte Leben, in das jeder und jede auf seine und ihre Weise verstrickt ist. Wiedergeburt geschieht am Kreuz, weil dort stirbt, was keine Zukunft hat. Wenn das nicht so wäre, wenn wir dazu verdammt wären, mit dem Übel zu leben, in das wir verstrickt sind, gäbe es eigentlich nur die Hölle auf Erden. 

Aber Wiedergeburt geschieht auch am Ostermorgen. Wiedergeborenwerden heißt aufstehen, heißt Teilhaben am Leben der neuen Schöpfung, heißt, dass Gott noch nicht fertig ist mit uns, sondern uns zu Gefäßen seiner Liebe und seines eigenen Glanzes macht. Und das ist ein Grund zur Freude. Meine Studenten würden sagen: ‚Das feier‘ ich!‘ 

Wiedergeborenwerden ist also beides: Das Sterben und das Auferstehen – beides in jedem Moment, für den Rest unsers Lebens.  

Das zuzulassen und an sich geschehen zu lassen, ist nichts Selbstverständliches. Ich denke, dass die meisten Menschen zumindest in unserem Teil der Welt mit viel weniger zufrieden sind. Einfach klarkommen, nicht behelligt werden, eher unter dem Radar fliegen und dabei ein bisschen glücklich sein und das Leben genießen – das reicht doch schon. Und irgendwann ist es dann halt auch mal vorbei. So erlebe ich viele Zeitgenossen heute. Über so etwas wie „Wiedergeburt“ nachzudenken, macht da wenig Sinn. Aber dabei sollte man sich deutlich machen, dass eine solche Haltung eben auch der Ausdruck einer erschöpften Wohlstandsgesellschaft ist. Wenn Petrus von Wiedergeburt redet, dann spricht er von Kraft, von Energie, von Aufbegehren und einer brennenden Hoffnung. So erlebe ich „uns“ im Augenblick nicht. Da brennt wenig, eher plätschert es so vor sich hin. 

Dabei geht mir eine eigentlich triviale Begebenheit durch den Kopf, die mich gleichwohl zum Nachdenken gebracht hat. Vor einiger Zeit sagte ein Kollege nach einer eher beiläufigen Meinungsverschiedenheit zu mir: „Ich werde mich nicht mehr ändern.“ Ich wusste, was er in dem Moment meinte, und konnte das auch irgendwie nachvollziehen. Irgendwann ist man eingespurt, eingenistet und fühlt sich dabei mehr oder weniger wohl. Und dann ist es eben so, wie es ist.  

Aber genau genommen ist dieser Satz das Trostloseste, was man über sich sagen kann. „Ich werde mich nicht mehr ändern“ – das ist ein Satz, den man sich auf seinen Grabstein schreiben lassen kann, und auch nur, wenn man danach nichts mehr vorhat. Ich sage das so ironisch, um deutlich zu machen, dass Petrus nicht nur ein fromm redet, wenn er von Wiedergeburt spricht. Nein, dahinter steckt im wörtlichen Sinne Passion, dahinter steckt Leidenschaft und auch die hoffnungsfreudige Erwartung, dass wir nicht dazu verdammt sind, an uns selbst zugrunde zu gehen.

Ich hatte es eingangs erwähnt, liebe Gemeinde, dass wir heute den Sonntag Quasimodogeniti feiern. „Nach der Art der neugeborenen Kinder“ heißt das auf Deutsch. Und die Bibelstelle, die diesem Sonntag den Namen gegeben hat, steht im gleichen Brief, aus dem auch unser Predigttext stammt. Um zu illustrieren, was er mit „Wiedergeburt“ meint, verwendet Petrus nun dieses Bild von den neugeborenen Kindern. Er schreibt: 

„Seid begierig nach der vernünftigen lauteren Milch wie die neugeborenen Kinder, damit ihr durch sie zunehmt zu eurem Heil, da ihr ja geschmeckt habt, dass der Herr freundlich ist.
 
Dieses Bild mag für Erwachsene gewöhnungsbedürftig sein. Denn nein, in kindliche Naivität will ich für meinen Teil nicht noch einmal zurückfallen. Aber vielleicht geht es Petrus auch gar nicht darum, dass wir nochmal ganz von vorn, mit den Kinderschuhen, anfangen müssen. Aber Kinder haben Erwachsenen oft etwas voraus: Wenn sie sich für etwas begeistern, dann wollen sie mehr davon, wollen es immer und immer wieder haben, kompromisslos, und sie können sich ganz darin verlieren. Genau das meint Petrus mit Wiedergeburt: Wer einmal die Freundlichkeit Gottes geschmeckt hat, wer daran sozusagen einmal genuckelt hat, der kann eigentlich gar nicht anders, als mehr davon zu wollen. Neu geboren werden heißt einen Geschmack und, ja, eine Begierde nach der Freundlichkeit Gottes haben und sich mit nichts anderem mehr abspeisen lassen. 

Wiedergeburt, liebe Gemeinde, verläuft mitten durch unser Leben hindurch – ob wir nun jung sind oder alt, krank oder gesund, ob wir mit uns selbst glücklich sind oder uns für gescheitert halten. Wiedergeboren werden heißt, von der Wiege bis zur Bahre, hineingenommen sein in ein anderes Leben – das Leben, das vom Kreuz Jesu zur Auferstehung Christi führt. Karfreitag und Ostern sind der Ort im Kirchenjahr, an dem uns dieses Geheimnis eines anderen Lebens begegnet. Aber was das aus uns macht – das kommt jetzt.

Amen.