Predigt über1. Mose 4,1-16a

  • 29.08.2021 , 13. Sonntag nach Trinitatis
  • Pfarrer Martin Hundertmark

Liebe Gemeinde,

mit dem Namen fängt alles an. Freudig ruft Eva als Kain geboren wird „Ich habe einen Mann gewonnen mit Hilfe des Herrn.“ Ihr zweiter Sohn bekommt von den Eltern den Namen „Abel“. Mit „Windhauch“ oder „Vergänglichkeit“ wird eine Festlegung getroffen, die sein kurzes Leben bestimmen wird. Als zweitgeborener war Abel benachteiligt. Ihm stand nur ein äußerst kleiner Erbteil zu.

In meinen Augen ist dieser Hintergrund sehr wichtig, denn er stellt das Handeln Gottes in ein anderes Licht. Gott an der Seite der Benachteiligten könnte demnach eine Schlussfolgerung aus der Geschichte der ungleichen Brüder sein. Lässt sich damit am Ende Gottes Handeln erklären, liebe Gemeinde?

In der langen Auslegungsgeschichte dieser Erzählung spielt das jedenfalls eine Rolle.

Am heutigen Sonntagmorgen möchte ich mit ihnen gemeinsam auf Kain, Abel und Gott schauen, in der Hoffnung, dass wir uns in der Geschichte wiederfinden und sie etwas mit uns zu tun hat.

Beschreibung der Realität

Beide Brüder, Kain und Abel, haben rechtschaffen gearbeitet. Ihre Berufe sind unterschiedlich. Hinzu kommt, dass sie ihre religiöse Pflichten nachkommen und diese treu verrichteten. Keiner von beiden hat sich diesbezüglich etwas zu Schulden kommen lassen. So durften beide auch berechtigterweise auf Anerkennung hoffen. Doch hier zeichnet sich schon eine beginnende Schieflage ab.

Wer erfahren muss, dass die Frucht seiner Arbeit erfolglos bleibt, wird sich umso mehr mit Kain solidarisieren wollen. Schnell steht das Stichwort „Ungerechtigkeit“ im Raum. 

Wenn dann auch noch der unmittelbare Nächste die Anerkennung bekommt, die einem selbst zusteht, dann steigert sich die Frustration ins Unermessliche und führt schnell zu irrationalen Aktionen. Unweigerlich steht dann die Frage im Raum: „Warum handelt denn Gott hier so?“

Über die Jahrhunderte wurde immer wieder versucht, darauf eine Antwort zu finden.

Dabei reichen die Versuche von „Kain hat den Ritus nicht korrekt durchgeführt“ bis hin zu „Gott mochte keine Früchte des Feldes wenn er das Lamm als Alternative hat“.

Alle Versuche scheitern mehr oder weniger schnell, wenn die Argumentation bis zu Ende geführt wird. Gott ist nicht ergründbar. Aber: Er steht immer an der Seite der Opfer, egal was passiert ist.

Die Geschichte von Kain und Abel will uns deshalb nicht Gottes Handeln erklären, sondern sie will uns befähigen, mit Ungerechtigkeiten, deren Ursachen wir nicht ergründen können, umgehen zu lernen. 

Der springende Punkt beim Nachdenken über diese Frage ist deshalb das Verhältnis zwischen Gleichgestellten, die aber offensichtlich nicht gleich behandelt werden.

Im nächsten Schritt gilt es zu ergründen, wer hier eigentlich vor wem steht und welche Konsequenzen das hat.

Der Mensch vor dem Menschen

Unsere Alltagserfahrung, liebe Gemeinde, zeigt, wie divergierend doch Lebenschancen sein können. Dass alle Menschen untereinander gleich sind, gleiche Bedingungen haben oder bekommen sollen, ist ein lohnendes Ziel. Es bleibt aber von der Lebenswirklichkeit immer weit entfernt. Auch heute noch kann die Geburt maßgeblich darüber entscheiden, welcher Lebensweg von Erfolg gekrönt sein wird und welcher sehr steinig sein wird. Natürlich muss das niemand gut finden.

Gewiss können wir Kräfte einsetzen, um Chancengleichheit zu gewähren. Trotzdem werden wir immer erleben, dass es eine völlige Gleichbehandlung von Menschen untereinander nicht geben wird. Das schmerzt und kann die Zornesröte ins Gesicht treiben oder die Gesichtszüge entgleiten lassen. Genau das geschieht mit Kain. Und Gott bringt es mit seinen beiden Fragen auf den Punkt: „Warum bist du vor Zorn entbrannt? Und warum sind deine Gesichtszüge herabgefallen?“

Wo ein Mensch innerlich hoch emotional betroffen ist, lässt sich das nicht verbergen. Der Körper reagiert und für alle wird sichtbar, wie es um ihn bestellt ist. Wir sind Kain, liebe Gemeinde, tagtäglich in allen Facetten. Wir gönnen nur selten dem Nächsten den Erfolg, suchen vielmehr das Haar in der Suppe. Und aus Ärger und Neid, weil der oder die andere eine gute Idee hat, wird versucht, sie zu torpedieren anstatt gemeinsam erfolgreich zu sein. Dabei muss es nicht immer Mord sein, auch Gedanken können töten und Blicke sowieso.

Ebenso zählt zu unserer Erfahrung, dass sich Arbeit nicht zwangsläufig lohnen muss. Erfolg kann ausbleiben - trotz aller Bemühungen -  und keiner kann es sich erklären.

Lerne die sich daraus ergebenden Zornesgedanken zu beherrschen, sonst beherrschen sie Dich – ist eine Möglichkeit, dem zu begegnen. Der Mensch, begabt, zwischen Gut und Böse unterscheiden zu können, hat die Wahl. Kain wählt den Weg des Zornes und das ist am Ende Sünde!

Der Mensch vor Gott

Gott lässt nicht locker. Er fragt weiter: „Ist´s nicht so? Wenn Du Gutes beabsichtigst, bedeutet das ein Erheben des Angesichts. Und wenn du keine gute Absicht hast, dann lagert die Sünde vor der Tür. Und nach dir hat sie Verlangen.“

Kain schweigt und verweigert jegliche Kommunikation. Das wird am Ende tödlich sein.

Vor Gott sind alle Menschen gleich, liebe Gemeinde.

Seine Zuwendung kann nicht erkauft oder durch besondere Leistung verdient werden. Er sieht den Menschen als das an, was er ist – Geschöpf, bedacht mit Menschenwürde, die unantastbar ist.

Vor Gott sind alle Menschen gleich.

Viel mehr noch: Er vermag es, zementierte Verhältnisse umzukehren.

Die Bibel ist voll solcher Beispiele. Ich denke an Josef und seine Brüder oder Jakob und Esau – ebenfalls zwei ungleiche Brüder.

In unserer Geschichte von Kain und Abel steht Gott an der Seite der Schwachen.

Dort, wo wir nicht mehr nach unseren Geschwistern fragen, haut uns Gott die Frage „Wo ist Dein Bruder“ bzw. „Wo ist deine Schwester“ um die Ohren.

Mögen wir es uns im Gedächtnis behalten, wenn wir gefragt werden „Wo ist deine Schwester?“ und wir antworten lügenhaft „ich weiß es nicht“, obwohl wir zusahen, wie sie im Mittelmeer ertrank. Oder wenn Gott fragt „Wo ist dein Bruder?“ und wir schweigen wissend, dass er in Afghanistan im Stich gelassen wurde.

Gott wird zum Anwalt der Opfer, weil deren Blut , um Himmel schreit.

Durch den Brudermord ist das Verhältnis von Mensch (hebräisch Adam) zur Erde (hebräisch Adama) gestört. Sie nimmt das Blut des Opfers auf und gibt ihm eine Stimme. Dort wo niemand für die Opfer schreit, tut es die Erde. Und es gibt auf der anderen Seite jemanden, der hört – Gott.

Über das Verbrechen, geboren aus Neid und Missgunst sowie Unvermögen, mit Chancenverschiedenheit umzugehen, kann sich niemals ein Mantel des Schweigens legen. Das ist auch eine Warnung an alle Täter. Euer menschenverachtendes und lebensfeindliches Tun wird offenbar werden.

Soll ich meines Bruders Hüter sein?

Ja, unbedingt und zwar nicht, um ihn zu bevormunden, sondern, um die Kommunikation mit ihm aufrecht zu erhalten. Nur ein behüteter Bruder oder eine behütete Schwester vermögen es in Beziehung zu bleiben trotz oder gerade wegen der vielen Ungleichheiten, mit denen wir konfrontiert werden.

Und dort, wo die Folgen von Ungerechtigkeitserfahrungen menschliche Kommunikation unmöglich machen, sucht Gott das Gespräch als Partner und Anwalt für die Schwachen und Schuldbeladenen.

Gott möchte im Gespräch bleiben mit all den Frustrierten und sich benachteiligt Fühlenden.

Er möchte, dass wir als Kirche und Gemeinde mit den Menschen ins Gespräch kommen über ihr Leben und das, was ihnen ihr Gesicht entgleiten lässt. Sein Auftrag an uns ist demnach ein Kommunikationsauftrag, also das Gespräch zu suchen, anstatt sich vor lauter Frust über Nichtgelingen zurückzuziehen. Stellen wir uns diesem Auftrag und bleiben im Gespräch mit den Menschen.

Denn wo die Kommunikation abbricht, gewinnt am Ende eine totmachende Neid-Struktur die Oberhand.

Jenseits von Eden -  ein letzter Gedanke

Wir leben als Nachfahren Kains jenseits von Eden, begrenzt und geschützt gleichermaßen.

Dort, wo ich als Mensch Schuld auf mich lade, und das passiert im Laufe des Lebens unweigerlich, werde ich von Gott geschützt.

In gewisser Weise begnadigt er mich.

Das bedeutet nicht, dass alles keine Rolle mehr spielt, sondern es bedeutet: Du kannst mit den Folgen deines Tuns leben lernen, weil ich dich entlastet habe und zwar als Erstes von den Schuldzuweisungen der anderen! Du musst sogar mit deiner Tat leben. Und dass, liebe Gemeinde ist manchmal sogar eine größere Strafe. Gott steht an der Seite der Opfer. In unserer Geschichte in doppelter Hinsicht.

Das schreiende Blut Abels hört er und dem rachesüchtigen Mob, der sich an Kain vergreifen will, gebietet er Einhalt. Dabei setzt Gott mit dem

Kainsmal Gott ein großartiges Plädoyer gegen die Todesstrafe. Sie hat niemals eine Berechtigung, egal wie schwer das Verbrechen auch sein mag.

Gott schenkt auch dem Täter seine Gnade.

Solchermaßen begnadigt, ist Leben jenseits von Eden möglich.

Vergebende Barmherzigkeit, vertreibt die Zornesröte aus dem Gesicht und ermöglicht einen Neuanfang. Amen.