Predigt über Sprüche 8, 22-36
- 12.05.2019 , 3. Sonntag nach Ostern – Jubilate
- Pfarrer Hundertmark
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Weisheit, liebe Gemeinde, wird gerne mit Alter und dem männlichen Geschlecht in Verbindung gebracht. Zum weisen alten Mann ging man, wenn Rat nötig war.
Solche Vorstellungen sind selber etwas antiquiert, ist doch Weisheit nicht an ein Geschlecht geknüpft, und dass Menschen mit fortschreitendem Alter automatisch weise werden, stimmt nun auch nicht immer.
Ein 16jähriges Mädchen kann zum Beispiel unglaublich weise und ein 29jährige Mann unendlich weit entfernt von Weisheit sein.
Um das zu erkennen, braucht es manchmal nicht mehr Zeit als zum Lesen eines Zeitungsinterviews.
Am heutigen Sonntag soll von der Weisheit geredet werden. Von Weisheit zu reden fällt schwer, wenn man sich selbst noch gar nicht für weise.
Also will ich von der Weisheit erzählen,
will sie vorstellen mit ihren eigenen Worten.
Voller Selbstbewusstsein lobt sich die Weisheit selber. Als erste unter denen, die von Gott noch vor aller Zeit geschaffen wurden, ist sie besonders hervorgehoben. Sie redet nach den Worten des Buches der Sprüche Salomos im Tor, jenen Ort, der nicht für Torheit steht, sondern für Recht und Gerechtigkeit. Im Tor wurde Recht gesprochen, wurden die Toren ermahnt, sich nicht von diesem Weg abbringen zu lassen. Die Weisheit ruft zum verständigen Hören, ermutigt, Prioritäten im Leben richtig zu setzen und gibt dafür zahlreiche Beispiele, wenn sie davon erzählt, dass Weisheit besser als Perlen und Erkenntnis höher als kostbares Gold zu achten ist.
Ihre Aufgabe sieht die Weisheit im Beraten derjenigen, die Verantwortung für andere Menschen tragen wenn sie Recht sprechen oder regieren. Wer ihr folgt, fügt sie wohlklingend hinzu, wird reichlich belohnt werden.
Die Weisheit lässt sich finden von dem, der sich auf die Suche nach ihr begibt.
Nach dieser Vorstellung zu Beginn des 8. Kapitels im Buch der Sprüche, kommt es zur Begründung - jenem Abschnitt, der uns heute als Predigttext dient.
-Sprüche 8, 22-36-
Darin verweist die Weisheit auf den Anbeginn der Schöpfung. Sie war schon dar bevor alles andere, bevor Flüsse und Täler, Berge und Hügel, bevor Wolken Himmel und Regen geschaffen wurden durch Gott. Somit kann sie getrost als Erstling der Schöpfung bezeichnet werden. Daraus folgt aber, dass alles, was danach geschieht und geschaffen wird, mit ihr zusammen geschaffen wird. Und so entsteht ein lustvolles Spiel aus Kreativität und Schöpfung. Die schöpferische Kraft Gottes verbindet sich mit der spielerischen Kreativität der Weisheit.
Sie reizte ihn zu Spiel und Tanz, war seine Freude.
Die Menschenkinder wiederum sind ihr eine Freude.
So wendet sich die Weisheit voller Freude an sie mit den Worten:
„32…hört nun auf mich, meine Söhne!
Wohl denen, die meine Wege einhalten!
33 Hört die Zucht und werdet weise und schlagt sie nicht in den Wind!
34 Wohl dem Menschen, der mir gehorcht, dass er wache an meiner Tür täglich,
dass er hüte die Pfosten meiner Tore!
35 Wer mich findet, der findet das Leben und erlangt Wohlgefallen vom HERRN.
36 Wer aber mich verfehlt, zerstört sein Leben; alle, die mich hassen, lieben den Tod.“
Es wäre nun ein Leichtes und in gewisser Weise auch verlockend, auf all die Dinge hinzuweisen, die so ganz und gar nicht weise sind. Das will ich zunächst jedem Einzelnen selbst überlassen und vielmehr zum Schauen einladen. Schauen wir auf die Ratschläge der Weisheit, die uns damit nicht erschlagen will, sondern aufmuntern, ihr zu folgen.
1.) Folge der Weisheit und du wirst das Leben finden
Von Krise ist hier überhaupt nicht die Rede. Weisheitliches Denken kommt im Buch der Sprüche noch nicht an seine Grenzen. Dem Menschen ist es möglich, den Weg der Weisheit zu erkennen und sein Tun danach auszurichten. Wo das geschieht, tritt die Weisheit als Belohnende auf. Mit Glück und Segen wir der so lebende Mensch belohnt, mit Wohlstand und Reichtum, sowie einem sicheren Leben.
Dass im Hiobbuch solches Denken in die Krise führt angesichts unverschuldeten Leids, spielt heute Morgen keine Rolle.
Deshalb zurück in die Gegenwart. Wo bekommt der weisheitliche Ratschlag, ihr zu folgen seine praktische Relevanz im 21. Jahrhundert?
Zunächst in der Bereitschaft, sich auf die Suche nach Weisheit überhaupt einzulassen. Wer immer nur meint, aus sich selbst heraus alles zu wissen, zu machen und zu können, dem sei der Blick in die Sterne gegönnt. Über dem Menschen ein sich ausbreitender Sternenhimmel,
hell funkelnd, nachtleuchtend macht jener Blick unmissverständlich deutlich: Du, liebes Menschenkind bist mitnichten das Zentrum der Schöpfung, sondern ein kleines Staubkörnlein im riesigen Universum. Solch Schauen ist schon ein gewaltiger Schritt auf dem Weg, die Weisheit zu finden und ihr auch etwas zuzutrauen.
Der nächste Schritt bestünde dann darin, angesichts der funkelnden Sterne nicht in Fatalismus zu verfallen nach dem Motto ´weil ich nur ein kleines Staubkörnlein im Universum bin, vermag ich überhaupt nichts auszurichten. Deshalb lasse ich es auch und mache nichts mehr.´ Wir sehen also, liebe Gemeinde, weises Handeln und unweises Tun können gelegentlich sehr dicht beieinander liegen.
Wo findet der Mensch aber den Weg der Weisheit? In den Weisungen zum Leben, in den Geboten, die kurz und knapp das Verhältnis des Menschen zu Gott und zu seinen Mitmenschen klären. Übertrage ich nun die Worte der Weisheit vom heutigen Sonntagmorgen, dann komme ich unweigerlich zu:
2.) Die Weisheit eröffnet Lebensräume von Recht und Gerechtigkeit
Verfolgen wir diesen Gedanken, so langen wir wieder bei der Schöpfung. Biblisch erzählt, stellt Gott den Menschen in zwei Räume, die miteinander verknüpft werden. Zum einen ist es der Freiheitsraum und zum anderen der Verantwortungsraum. In der Verknüpfung beider miteinander entsteht der Lebensraum des Menschen jenseits von Eden.
Da die Weisheit sehr deutlich auf den Ort ihres Seins und Tuns, nämlich dort, wo Recht gesprochen und Gerechtigkeit eingefordert wird, aufmerksam macht, will sie mit ihren Lockungen uns Menschen genau dorthin führen.
Gelingende Lebensräume sind demnach untrennbar mit Recht und Gerechtigkeit verknüpft.
Der Mensch braucht verlässliche Rechtsprechung, um sein Leben auch kreativ gestalten zu können. Wie schnell sich die Wandlung hin zu unverlässlichem Recht vollziehen kann, sehen wir z. B. bei einigen europäischen Staaten, wo sich ehemalige Demokraten zunehmend zu Autokraten entwickeln und in dessen Folge Meinungsfreiheit eingeschränkt und Presse zensiert wird.
Recht muss Recht bleiben – so sagt es in etwa die Weisheit. Sonst habt ihr keinen Frieden im Inneren und auch keinen Frieden außerhalb eurer Lebensräume.
Davon nicht zu trennen ist die Frage nach Gerechtigkeit. Was ist gerecht? Wenn jemand 60, 70 Stunden in der Woche als Selbstständiger Arbeit und dann die Hälfte seines Einkommens abgeben soll; oder wenn jemand sich ernsthaft mit aller Kraft bemüht von eigener Arbeit zu leben, es aber nie reicht? Ist es gerecht, die Schwachen, also diejenigen, die sich nicht wehren könne weil ihnen dazu die Kraft fehlt, zu Sündenböcken für verfehlte Entscheidungen zu machen; oder ist es gerecht, wenn die Forderungen nach Integration sich fast nur als Einbahnstraße erweisen?
Findet Gerechtigkeit dort statt, wo stets auf dem so wunderbaren Totschlagargument „das war schon immer so“ bzw. „Wir können keine Präzedensfälle schaffen“.
Doch, man kann neue Wege gehen, die dann zum Maßstab für zukünftiges Handeln werden.
Und auch hier, liebe Gemeinde, lohnt sich der Blick auf die Weisheit.
Und Gerechtigkeit findet genau da nicht statt, wo einengendes Denken und Handeln nur noch Macht sichert. Dann, so die Weisheit, verlässt der Mensch ihren Weg und Lebensräume werden zu Todeszonen.
Wir sind von Gott bei der Schöpfung (und im Duktus von Sprüche 8 auch von der Weisheit) beauftragt, die uns geschenkten Lebensräume zu bebauen und zu bewahren. Die Weisheit mahnt uns, dabei sorgsam zu sein und sie lädt uns zur Kreativität, sie lädt uns zum Spiel ein.
Im Spielen haben wir mehr Handlungsräume. Dort lässt sich ausprobieren, was bisher unvorstellbar zu sein schien. Auch das Spiel hat seine Ordnung, aber daneben gesellt eben die Kreativität. Beide bedingen einander und werden somit fruchtbar.
Trauen wir dem kreativen Spiel mehr zu!
Die Weisheit ist zutiefst davon überzeugt, dass sich dann unsere Möglichkeit ungeahnt erweitern. Spielend in Verantwortung neue Lebensräume von Gerechtigkeit und Freiheit zu kreieren – was für ein wunderbarer Auftrag an uns Menschen.
Der uns anvertraute Nächste wird dabei nicht zur Schachfigur, sondern zum Mitspieler.
Und diejenigen, die sich zugeschüttet wissen von den ständigen Erwartungen Anderer, dürfen im Spiel neue Rollen entdecken.
3.) Von der spielerischen Leichtigkeit
des Seins
Kurt Marti, schweizerischer Theologe und Schriftsteller übersetzt unseren heutigen Predigttext in die Gegenwart.
Von Ur an:
Gott in Geselligkeit,
Gott mit Sophia, der Frau, der Weisheit,
geboren, noch ehe alles begann.
Sie spielte vor dem Erschaffer (SPRÜCHE 8,22-31), umspielte, was er geschaffen,
und schlug, leicht hüpfend von Einfall zu Einfall, neue Erschaffungen vor:
Warum nicht einen anmutig gekurvten Raum? Warum nicht Myriaden pfiffiger Moleküle?
Warum nicht schleierwehende Wirbel, Gase?
Oder Materie, schwebend, fliegend, rotierend? So sei es, lachte Gott,
denn alles ist möglich,
doch muß auch Ordnung ins Ganze –
durch Schwerkraft zum Beispiel.
Dazu aber wünschte Sophia sich
Ebenso viel Leichtigkeit.
Da ersann Gott die Zeit.
Und Sophia klatschte in die Hände.
Sophia tanzte, leicht wie die Zeit,
zum wilden melodischen Urknall,
dem Wirbel, Bewegungen, Töne entsprangen, Räume, Zukünfte, erste Vergangenheiten –
der kosmische Tanz,
das sich freudig ausdehnende All.
Fröhlich streckte Sophia Gott die Arme entgegen.
Und Gott tanzte mit.
(Kurt Marti. Die gesellige Gottheit)
Die Weisheit ermuntert zu Lust, Spiel und Leichtigkeit. Lassen wir uns von ihr locken, um neue Räume zum gerechten Leben zu schaffen.
Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unser Verstehen, bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.
Martin Hundertmark
Pfarrer an St. Thomas zu Leipzig
(hundertmark@thomaskirche.org)