Predigt über Römer 12, 1ff.

  • 10.01.2021 , 1. Sonntag nach Epiphanias
  • Reverend Dr. Robert Moore

Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen

Der Predigttext steht im Brief von Paulus an die Römer, in Kapital 12:

1 Ich ermahne euch nun, Brüder und Schwestern, durch die Barmherzigkeit Gottes, dass ihr euren Leib hingebt als ein Opfer, das lebendig, heilig und Gott wohlgefällig sei. Das sei euer vernünftiger Gottesdienst. 2 Und stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, auf dass ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene.

3 Denn ich sage durch die Gnade, die mir gegeben ist, jedem unter euch, dass niemand mehr von sich halte, als sich's gebührt, sondern dass er maßvoll von sich halte, wie Gott einem jeden zugeteilt hat das Maß des Glaubens. 4 Denn wie wir an einem Leib viele Glieder haben, aber nicht alle Glieder dieselbe Aufgabe haben, 5 so sind wir, die vielen, ein Leib in Christus, aber untereinander ist einer des andern Glied. 6 Wir haben mancherlei Gaben nach der Gnade, die uns gegeben ist. Hat jemand prophetische Rede, so übe er sie dem Glauben gemäß. 7 Hat jemand ein Amt, so versehe er dies Amt. Ist jemand Lehrer, so lehre er. 8 Hat jemand die Gabe, zu ermahnen und zu trösten, so ermahne und tröste er. Wer gibt, gebe mit lauterem Sinn. Wer leitet, tue es mit Eifer. Wer Barmherzigkeit übt, tue es mit Freude.

Liebe Schwestern und Brüder,

In unserer Gemeinde feiern wir regelmäßig einen Gottesdienst, in dem wir uns an unsere Taufe erinnern. Es ist wichtig, im Leben an die Taufe zu denken, nicht nur gelegentlich sondern jeden Tag. Deshalb hat Martin Luther empfohlen, jeden Morgen aufzustehen und, während wir unser Gesicht mit Wasser waschen, uns an unsere Taufe zu erinnern und uns zu bekreuzigen im Namen des Vaters, und des Sohnes, und des Heiligen Geistes.

Der Apostel Paulus erklärt in seinem Brief an die Christen in Rom, was es bedeutet, getauft zu sein:

Oder wisst ihr nicht, dass alle, die wir auf Christus Jesus getauft sind, die sind in seinen Tod getauft? So sind wir ja mit ihm begraben durch die Taufe in den Tod, auf dass, wie Christus auferweckt ist von den Toten durch die Herrlichkeit des Vaters, so auch wir in einem neuen Leben wandeln. (Römer 6:3-4)

Dieser Gedanke ist Ausgangspunkt für den heutigen Predigttext. Paulus versteht den Menschen als Geschöpf Gottes. Als solches leitet der Mensch den Sinn seines Lebens von der Beziehung mit Gott ab. Doch das Problem ist: Anstatt Gott als Gott zu er- und zu bekennen, versucht der Mensch, selbst Gott zu sein. Doch das hat eine fatale Folge: Der Menschen sieht nur sich selbst und blendet damit Gott und seinen Mitmenschen aus. Je intensiver der Mensch versucht, Gott zu sein oder Gott zu managen, desto mehr entfremdet er sich von Gott und von sich selbst. Das führt nach Paulus zum Tod – auch schon vor dem biologischen Sterben. Doch der Mensch will diesen Tod nicht wahrhaben, so dass der Mensch zunehmend in einer Fantasie lebt, die die Wirklichkeit nicht trifft.

In diese Situation hinein verkündigt Paulus die gute Nachricht, die für den Menschen einen neuen Weg anbietet - einen Weg, der nicht selbstverständlich ist. Diesen Weg hat Jesus Christus gebahnt. Er ist zu uns gekommen, ist Mensch geworden - aber nicht, um uns in die Sackgasse eines falschen Lebens zu folgen, sondern um uns Auswege zu zeigen und zur Umkehr zu ermutigen. Jesus hat auf seine eigene Macht verzichtet, damit sich ganz auf die Macht Gottes zu verlassen. Nicht er hat sich vor dem Sterben, dem Tod gerettet, sondern er ist von Gott durch Leiden und Tod zum Leben geführt worden. Damit hat Jesus die Freiheit gewonnen, in der wir ihm folgen können, um selbst frei zu werden.

Die gute Nachricht ist also: Gott, der Vater Jesu Christi, lässt uns im Tod und in den Todesängsten nicht allein, damit wir das Leben neu gewinnen. Dieser Weg bildet sich in der Taufe ab: Symbolhaft geht der Getaufte den Weg aus dem Tod zum Leben.

Die Taufe ist ein Geschenk Gottes. Wir werden eingetaucht in das Leben Jesu Christi, damit wir jeden Tag seinen Weg durch den Tod zur Auferstehung begreifen können. Die Taufe ist aber nicht ein isolierter Akt, der einmal geschieht – und das ist es … und dann verlassen wir uns wieder auf unsere eigenen Kräfte und gehen unsere Wege. Nein, jeden Tag stehen wir vor der Aufgabe und der Möglichkeit, unser Leben an Jesu Wegweisung auszurichten. Jeden Tag können wir uns an die Barmherzigkeit Gottes erinnern, unser Leben mit einem neuen Sinn füllen, damit wir uns nicht nur auf uns selbst konzentrieren, sondern in der Freiheit leben, die uns Gott mit Jesus geschenkt hat. So können wir uns dem Nächsten zuwenden, in der Gemeinde unsere Begabung einsetzen und der Spur Jesu folgen. So erfahren wir, dass wir Teil am Leib Christi sind.

Liebe Schwestern und Brüder, wenn wir unsere Taufe richtig verstehen, dann erinnern wir uns mit Freude an die Barmherzigkeit, die wir erleben, wenn wir die Geschichten von Jesus hören und das, was Menschen, die ihm nachfolgen, daraus gemacht haben. Seine Gegenwart ist eine Gnade, die uns dazu befreit, über den eigenen Tellerrand zu schauen und die Not des nahen und fernen Nächsten zu sehen und sich ihnen zuzuwenden.

Ich darf ein persönliches Wort sprechen. Als Amerikaner bin ich schwer betroffen von den Ereignissen in meinem Land. Nicht nur Amerika, in der ganzen Welt wächst eine Macht, die die Menschen verführen will, an Lügen, Gewalt, und Fantasien zu glauben. Am vergangenen Mittwoch hat diese Macht ihr wahres Gesicht gezeigt. Ich gestehe, meine Reaktion auf den Sturm des Capitols war wütend. In dieser Situation wünschte ich denen nur Übles, die die Polizei, Abgeordnete, Senatoren und Mitarbeiter des Kapitols mit Gewalt bedroht haben. Doch gleichzeitig wurde mir bewusst, dass eine solche Reaktion nicht aus Glauben erwächst, sondern Produkt meiner Hilflosigkeit und eigenen Machtfantasien ist. Anscheinend brauche ich diese, um mich selbst stark zu fühlen. Genau in solchen Momenten sollte ich mich an meine Taufe erinnern. Das habe ich am Mittwoch getan. Ich habe versucht, mindestens momentan meine eigene Lust auf Macht, Gewalt, Rache zu verzichten und mich mit der Bitte an Gott, den Vater unseres Herrn Jesus Christus, gewendet: Es möge der Friede Gottes Raum greifen. Ich habe an Paulus gedacht, der den Christen in Rom ins Gewissen geredet hat: „Und stellt euch nicht dieser Welt gleich, sondern ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes, auf dass ihr prüfen könnt, was Gottes Wille ist, nämlich das Gute und Wohlgefällige und Vollkommene“.

Wir Lutheraner haben immer daran geglaubt, dass wir nicht perfekt sind. Auch glauben wir, dass der Mensch nicht nur böse ist. Wir Menschen sind eine Mischung von Gut und Böse. Das ist kein Grund für Verzweiflung. Denn wir leben im Vertrauen, dass wir und unsere Mitmenschen dennoch von Gott geliebt sind. Wir glauben, dass Gott uns dazu befähigt, Gutes zu tun und das Böse zu vermeiden. Aber wenn uns das gelingt, dann sollen wir nicht denken, wir seien etwas Besseres, wir seien anderen überlegen. Vielmehr sollen wir froh und dankbar darüber sein, dass uns die Möglichkeit gegeben ist, unseren Nächsten zu unterstützen und ihm helfen. Wir sollen froh und dankbar sein, dass Gott auch zu uns spricht: „Du bist mein lieber Sohn, meine liebe Tochter, an dir habe ich Wohlgefallen“.

Vor 500 Jahren hat Martin Luther den Weg der Getauften so beschrieben:

Dieses Leben ist nicht ein Frommsein,
Sondern ein Frommwerden,
Nicht ein Gesundsein,
Sondern ein Gesundwerden,
Überhaupt nicht ein Wesen,
Sondern ein Werden,
Nicht eine Ruhe,
Sondern eine Übung.
Wir sind‘s noch nicht,
Wir werden‘s aber.
Es ist noch nicht getan,
Ist aber im Schwang.
Es ist nicht das Ende,
Es ist aber der Weg.             —Martin Luther, 1520, WA 7, s. 336

Lasst uns in dieser Dynamik in die neue Woche gehen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, wird eure Herzen und Sinne in Christus Jesus bewahren. Amen.