Predigt über Philipper 2,1-4

  • 15.07.2018 , 7. Sonntag nach Trinitatis
  • Prädikantin Dr. Almuth Märker

Gnade sei mit Euch und Friede ...

Das Thema, das den Gemeinden an diesem 7. Sonntag nach Trinitatis landauf landab in den Gottesdiensten in Texten, Liedern und in der Verkündigung nahe gebracht wird, ist die Frage, wie wir satt werden. Es ist die Frage nach dem Brot, das wir essen. In der Lesung aus dem 2. Buch Mose haben wir es eben gehört: Gott speist sein Volk Israel mit Manna und sichert ihm dadurch das Überleben in der Wüste. Da wir hier den Abendgottesdienst in einer verkürzten liturgischen Form feiern, gibt es nur eine Lesung. Sie ahnen aber sicher, welche neutestamentliche Lesung, welche Evangeliumslesung dazu passt und für diesen Sonntag vorgegeben ist: die Speisung der Fünftausend: Gott sorgt nicht nur dafür, dass die Menschen, die Jesus nachfolgen, satt werden, sondern es bleibt von diesem Brot sogar noch reichlich übrig. Bei Gott lebt man nicht von der Hand in den Mund, sondern hat reichlich und im Überfluss von dem, was zum Leben nötig ist.

Brot essen, Brot weiter geben, Brot teilen. Das Manna in der Wüste für das Volk Israel, die Speisung der Fünftausend am Galiläischen Meer - wenn ich hier versuche, den Bogen zu schlagen zu uns unserm Gottesdienst, so wird der Blick gelenkt, ja gesaugt in die Vierung, wo auf dem Altar das Abendmahl bereit steht. Das Abendmahl ist für uns Christinnen und Christen das Brot, das uns in viel umfassenderem Sinn satt macht und stärkt, als es eine Mahlzeit sonst tut. Sie sind jetzt schon, liebe Gemeinde, eingeladen, im Anschluss an die Fürbitten mit Abendmahl zu feiern. Bei Brot und Wein, wie es Jesus Christus am Gründonnerstag als Mahl zu seinem Gedächtnis eingesetzt hat, entsteht eine zarte, starke, frohe und aufmerksame Gemeinschaft; so empfinde ich es jedenfalls, wenn wir im Abendgottesdienst in diesem besonderen Zirkel stehen. Und dieses Zarte, Starke, Frohe, Aufmerksame geht mit uns mit, begleitet uns, wenn wir die Kirche verlassen und uns wieder in unsere alltäglichen Zusammenhänge begeben.

Wir teilen Brot, wir werden satt. Soweit sogut.
Nun wirft der Predigttext jedoch ein ganz anderes Problem auf. Und ich frage mich, ich frage Sie, liebe Gemeinde, wie dieses Thema mit der ureigenen Aussage des Gottesdienstes, dem Brot teilen, unter einen Hut zu bringen ist. Es ist der Begriff der Demut. Er wird von Paulus in seinem Brief an die Gemeinde in Philippi gemeinsam mit anderen, ähnlichen, mit der Demut verwandten Begriffen aufs Tapet gebracht.

Ich lese diesen Predigttext im Brief des Paulus an die Philipper im 2. Kapitel (Vv. 1-4) in der Lutherübersetzung von 2017:

„Ist nun bei euch Ermahnung in Christus, ist Trost der Liebe, ist Gemeinschaft des Geistes, ist herzliche Liebe und Barmherzigkeit,
so macht meine Freude dadurch vollkommen, dass ihr eines Sinnes seid, gleiche Liebe habt, einmütig und einträchtig seid.
Tut nichts aus Eigennutz oder um eitler Ehre willen, sondern in Demut achte einer den andern höher als sich selbst,
und ein jeder sehe nicht auf das Seine, sondern auch auf das, was dem andern dient." Demut.

Ach, könnte ich doch bei Ihnen allen ein Fensterchen öffnen und in Sie hineinschauen und sehen, welche Bilder und Assoziationen bei diesem Wort lebendig werden. Demut. Sehen Sie da das sprichwörtliche gebeugte Mütterchen, die alte Frau vor sich, die an einem Stock geht und den Blick auf den Boden geheftet den Blick nicht hebt? Demut. Oder haben Sie da den Klang des Magnificat im Ohr, in dem Maria von ihrer Niedrigkeit singt und sich im Angesicht Gottes sicher ist, dass er die Gewaltigen vom Thron stößt und die Niedrigen erhebt?

Demut. Haben Sie da evtl. eine Demutsgebärde Ihres Haustieres vor Augen, das den Schwanz einzieht und dadurch verhindert, von einem stärkeren Rivalen attackiert zu werden? Demut. Kennen vielleicht auch Sie einen solchen Kollegen, der darauf verzichtet hat, die Karriereleiter emporzuklimmen und stattdessen schlicht Tag für Tag seine Arbeit tut - einfach da ist - und gerade dadurch die tragende Säule unter den Kolleginnen und Kollegen ist? Ich möchte Ihnen von einer kleinen Umfrage erzählen, die ich auf Arbeit in einer Frühstückspause machte. Es ergab sich so, dass ich erzählte, ich würde am kommenden Sonntag predigen. „Demut" sei das vorgebene Thema der Predigt. Sie hätten da einmal sehen sollen, wie die Wogen plötzlich hoch schlugen. Jeder wusste etwas zu diesem selten verwendeten Wort zu sagen. Und die Meinungen gingen extrem auseinander: Eine Kollegin meinte sofort, bei „Demut" denke sie gleich an „gedemütigt werden, Demütigungen einstecken, wieder und wieder, und an die tiefen Verletzungen, die daraus entstünden". Eine andere Kollegin widersprach dem strahlend und meinte: „Och nö. 'Demut' ist für mich ein total positiv besetzter Begriff. Er hat für mich etwas mit Dankbarkeit zu tun, auch mit Ehrfurcht: mit Ehrfurcht vor etwas Größerem".

Demut ist also ein schillernder Begriff. Er ist in unserer säkularen Umgebung eher negativ besetzt, denn er ist mit der Vorstellung verbunden von „ich trete zurück, ich komme immer zu kurz, ich lasse anderen den Vorrang und bekomme deshalb selbst nichts ab vom großen gesellschaftlichen Kuchen". Und dagegen ist Demut (zumindest im religiösen Kontext) eben auch ein Begriff, der eine Faszination ausübt: etwas Gutes zu sein scheint, ein Paradox in sich zu trägt, dass nämlich in der scheinbaren Schwäche Stärke liegt.

Nun also Paulus. Paulus schreibt seine Briefe ja an reale Gemeinden. Dieser Brief hier, aus dem unser Predigttext stammt, ist an die Gemeinde in der Stadt Philippi in Ostmazedonien gerichtet. Paulus beschwört förmlich die Einigkeit in seinem Brief, und manche meinen, daraus auf Streitigkeiten und gravierende Auseinandersetzungen in der Gemeinde von Philippi schließen zu können. Andere widersprechen dem. Meiner Meinung nach ist diese reale Situation in Philippi in diesem Fall nicht so wichtig, um den Text zu verstehen. Paulus schreibt davon, wie das Zusammenwirken in der Gemeinde gut funktionieren kann. Und das ist ja übertragbar, das ist unabhängig davon, wie die Vorsteher der Gemeinde gerade heißen und welche Themen in den Ausschüssen behandelt werden. Vielleicht können wir es so verstehen, dass Paulus eine mentale Gebrauchsanweisung, ein mentales Rezept dafür aufschreibt, wie das Leben und die Arbeit in der Gemeinde gedeihen können. Die Ingredienzien, die er nennt sind:
- Lehre und Ermahnung in Christus,
- Trost durch Liebe,
- Gemeinschaft mit dem Heiligen Geist,
- herzliche Liebe und Barmherzigkeit.
Ich weiß: Diese Begriffe gehören in unsern Gottesdiensten zum gesprochenen Repertoire („Liebe, Barmherzigkeit, Gemeinschaft des Heiligen Geistes"), und - seien wir ehrlich - wir schalten schon manchmal auf Durchzug, wenn wir sie hören.
Paulus setzt das alles voraus. Und er setzt dann noch eins drauf. Als ob Barmherzigkeit, Liebe und Gemeinschaft mit dem Heiligen Geist nicht schon genug wären. Jetzt kommen aus seiner Brieffeder:
- Einmütigkeit,
- Eintracht,
- eines Sinnes sein.
Das sind die Forderungen, die Paulus stellt, auch wenn er es freundlich verpackt („Macht meineFreude vollkommen ..."). Auch hier hören wir wieder mentale Schlüsselbegriffe. Paulus fädelt sie wie die Perlen auf eine Schnur.
Und schließlich werden diese Begriffe gekrönt durch solche Eigenschaften, die Paulus zu meiden mahnt:
- nichts aus Eigennutz tun,
- nicht aus Eitelkeit oder um zu Ruhm zu kommen handeln,
- sondern: Demut haben.

Das ist natürlich viel, liebe Gemeinde. Das ist womöglich zuviel. Ihnen brummt wahrscheinlich schon der Kopf von dieser Schrotladung christlicher Begriffe. Ich will hier auch gar nicht jeden dieser Begriffe abhandeln. Aber ich möchte Ihnen an einem Beispiel unserer eigenen Gemeindearbeit zeigen, dass diese Begriffe - Ermahnung in Christus, Einmütigkeit und eines Sinnes sein, ohne Eigennutz handeln - ... dass diese von Paulus angemahnten Ingredienzien guter Gemeindearbeit auch bei uns lebendig oder zumindest gefragt sind und eine Rolle spielen: Die Arbeit unserer Gemeinde an St. Thomas wird geleitet vom sog. Kirchenvorstand. (In anderen Landeskirchen heißt diese Gemeindeleitung „Kirchgemeinderat", „Presbyterium" o.ä.) Dem Kirchenvorstand gehören neben der Pfarrerin und dem Pfarrer die Kirchvorsteherinnen und Kirchvorsteher an. In Proportion zur Größe unserer Gemeinde sind das 18 Männer und Frauen. Sie arbeiten in bürgerlichen Berufen, die Mitarbeit im Kirchenvorstand und die Gestaltung der Gemeindearbeit in Ausschüssen erfolgt ehrenamtlich. Einmal im Monat ist Kirchenvorstandssitzung. Wo nun finden sich hier die paulinischen Punkte wieder? - Jede Kirchenvorstandssitzung beginnt mit einer Andacht. Wir suchen unsere Arbeit am Wesentlichen unserer Gemeinde, an ihrem Kern und Ausgangs- und Zielpunkt auszurichten, und das bedeutet am Evangelium von Jesus Christus. (Paulus: „Ermahnung in Christus") Zu manchen Tagesordnungspunkten diskutieren wir heftig, da gehen die Meiungen auseinander; was für die eine ein no go ist, sieht ein anderer als selbstverständlich beschlussfähig an. Die unterschiedlichen Positionen werden offen geäußert, sie werden weder abgebügelt noch hinter vorgehaltener Hand betuschelt. Nach der Abstimmung ist klar, dass alle - auch diejenigen, die mit Nein gestimmt haben oder sich enthalten haben - hinter dieser Entscheidung stehen. (Paulus: „Seid einmütig und eines Sinnes") Der Kirchenvorstand übernimmt per definitionem jeden Sonntag die Dienste im Gottesdienst: die Lesung, die Begrüßung an der Tür, das Sammeln der Kollekte, die Austeilung des Abendmahls. Die Kirchvorsteherinnen und Kirchvorsteher ziehen aus diesen Diensten keinen Vorteil, sie haben - soweit ich weiß - auch keinen besonderen Ruhm davon. Sie tun einfach ihren Dienst: mit einem willkomenheißenden Wort auf den Lippen an der Tür oder mit dem Kollektenbeutel von Bankreihe zu Bankreihe gehend. Dieser Exkurs zur Arbeit unseres Kirchenvorstands, liebe Gemeinde, lag so nahe, denn das, was Paulus nach Philippi schreibt, lässt sich eben auch in der Arbeit einer heutigen Gemeinde entdeckten bzw. als Orientierung ansetzen.

Doch ich möchte noch einmal zur Demut zurückkehren, dem Wort, in dem der Predigttext sozusagen gipfelt. Paulus erklärt diesen Begriff so schön: Einer solle den anderen höher als sich selbst achten. Ich soll den anderen, ich soll die andere höher als mich selbst achten. Meine inzwischen erwachsene Tochter hatte das Glück von exzellentem Religionsunterricht. Das Angebot ihrer Schule, in der Karwoche ins Kloster Wechselburg an der Mulde zu fahren, hat sie mehrmals in Anspruch genommen und kehrte immer erfüllt, ja begeistert von dort zurück. Ich erinnere mich an einen ihrer Berichte: Sie hätten das Phänomen Demut diskutiert. Eine Lehrerin habe es so anschaulich dargestellt: Demut heiße nicht, ich mache mich klein vor den anderen, heiße nicht, in den Staub versinken. Sondern Demut bedeute, mit einer helfenden Geste den anderen befähigen aufzustehen, zu wachsen und stark zu werden. Es ist eine helfende Geste bar jeder Überheblichkeit. Bei den Aufbauleistungen im Osten Deutschlands nach der Wende hat diese Geste wie wir heute wissen oft gefehlt. Demut hätte zu befähigt, ohne Überheblichkeit zu helfen. (Paulus: „Einer achte den anderen höher als sich selbst")

Wissen Sie, liebe Gemeinde, dass Paulus mit seinem positiven Verständnis von Demut in seiner Zeit und in seiner Umgebung ein Affront war? Niemand sonst hatte bis dahin Demut positiv verstanden. Das griechische Wort in seinem Brief war bei seinen Zeitgenossen ausschließlich peiorativ besetzt. Es umschrieb eine innere Haltung, die herrührte von „Ich bin schwach, ich bin klein, ich habe kein Ansehen, ich bin ohne Einfluss, ich gehöre zu den Armen, meine Stellung ist unbedeutend." Paulus haut in diese Kerbe rein, nimmt das Wort ... und kehrt es um. Gerade das, was die Menschen verachten, das hat nach Gottes Maßstab Gewicht. Ich kann es nicht fassen. Immer wieder begegnet es mir, wie in Gottes Reich, an dem wir schon hier auf Erden bauen und mitwirken dürfen, die gewohnten Verhältnisse vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Fürwahr: Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedriegen. Da müssen wir aufpassen, auf welcher Seite wir sein werden. In Demut also lasst uns das Brot teilen. In Demut lasst uns gleich Abendmahl feiern. Kommt gern alle dazu. Und habt es in Euern Herzen, wenn Ihr das Brot kaut und wenn Ihr die Wärme des Weins schmeckt: Wir haben alle Teil an Jesus Christus. Wir sind vereint durch die Kraft des Heiligen Geistes. Und es gibt nicht einen, nicht eine unter uns, die sich über den Nebenstehenden in dieser Abendmahlsrunde erheben könnte. Vielmehr ist jeder, der da steht angewiesen auf die Liebe Gottes und vielleicht schon morgen auf die Hilfe der anderen.

Und ich grüße Euch mit dem Gruß, den Paulus im Brief an die Philipper verwendet (Phil. 4, 7): Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und unser Beginnen in Christus Jesus. Amen.

Fürbitten zum 7. So.n.Tr.

Gott, aufrechten Hauptes stehen wir vor Dir.
Du hast die Welt geschaffen, Du hast uns geschaffen und mit vielfältigen Gaben ausgestattet.
In Demut treten wir vor Dich und bitten:

Bewahre die Welt davor, sich in den Abgrund zu manövrieren.
 - Schenke Politikerinnen und Politikern die Entscheidungskraft, mit der sie auch die nächsten Generationen im Blick haben.
- Gib den Großen in der Wirtschaft in aller Demut die Einsicht, dass sie ohne die scheinbar Kleinen nichts könnten und nichts wären. Wir bitten Dich, lass den Kampf um gerechte Löhne Erfolg haben.

Gott, aufrechten Hauptes stehen wir vor Dir und bitten Dich in Demut um Hilfe:
Sieh auf die Beziehungen, in denen wir leben: in Arbeitszusammenhängen, in Partnerschaften, in der Großfamilie.
Wie oft sind diese Beziehungen dadurch geprägt, wer der Stärkere, die Erfolgreichere ist, wer Recht hat und wer schon immer alles gewusst hat.
Hilf uns, einen Gang zurück zu schalten und zu erkennen,
 - dass alle kreativen Ergebnisse ein Gemeinschaftswerk sind,
- dass unsere Beziehungen davon leben, dass wir uns in Liebe so annehmen, wie wir sind und
- dass wir in den Verbünden unserer Freundeskreise und Familien die große Chance haben, einander beizustehen und uns ohne Überheblichkeit gegenseitig zu helfen.

Gott,
erhobenen Hauptes stehen wir vor Dir und bitten Dich gleichzeitig in aller Demut um Erbarmen. Gerade im Urlaub merken wir, dass wir am Ende unserer Kräfte sind, dass wir im Alltag zu sehr auf unsere eigene Kraft vertrauen und damit scheitern. Hilf uns, uns nach Dir und an Deinem Heiligen Geist auszurichten.

Lass uns vertrauen auf Deine Liebe, auf Deinen Geist und auf Deine Gegenwart, wie wir sie erleben können im gemeinsamen Abendmahl.

Darum bitten wir Dich in Jesu Namen.

Amen.

Dr. Almuth Märker, Prädikantin an St. Thomas