Predigt über Mt. 2, 13-18 im Abendgottesdienst

  • 29.12.2024 , 1. Sonntag nach dem Christfest
  • Prädikantin Dr. Almuth Märker

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Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserm Vater, und unserm Herrn Jesus Christus. 

Stille. 

In meinem Flur, zu Hause, steht eine kleine Holzskulptur. Ein Patenkind hat sie als Abschluss einer Schnitzerlehre geschnitzt und mir geschenkt. Beinahe hätte ich sie mit in den Gottesdienst gebracht. Doch sie geht mir bis zur Hüfte, das wäre mit Straßenbahn und zu Fuß nichts geworden.

So lasst mich die kleine Statue aus Lindenholz beschreiben: Eine Frau, in der linken Hand trägt sie eine Tasche, eher einen kleinen Beutel. Sie ist mit sehr kleinem Gepäck unterwegs. Mit der rechten Hand birgt sie den Kopf eines kleinen, eines seht kleinen Kindes, das sie vor ihrer Brust im Tragetuch trägt.

Eine Mutter unterwegs. Mit ihrem kleinen Kind.
„Maria auf der Flucht“, antwortete mein Patenkind auf meine Frage, wer das denn sei. 2015 hat er sie geschnitzt. Da war gerade alles auf der Flucht.

Der Predigttext steht bei Matthäus im 2. Kapitel:
16Als Herodes nun sah, dass er von den Weisen betrogen war, wurde er sehr zornig und schickte aus und ließ alle Knaben in Bethlehem töten und in der ganzen Gegend, die zweijährig und darunter waren, nach der Zeit, die er von den Weisen genau erkundet hatte. 17Da wurde erfüllt, was gesagt ist durch den Propheten Jeremia, der da spricht Jer 31,15: 18»In Rama hat man ein Geschrei gehört, viel Weinen und Wehklagen; Rahel beweinte ihre Kinder und wollte sich nicht trösten lassen, denn es war aus mit ihnen.«

Schwere Soldatenstiefel.
Früher Morgen. Noch fast keine Dämmerung.
Die Tür der Hütte fliegt auf.
Der Soldat, das Gesicht verborgen hinter seiner martialischen Kopfbedeckung,
Eine stechende Alkoholfahne schlägt ihr ins Gesicht.
Er trägt ein Kurzschwert. Es ist blutig.
Sie hat die Panik, das Chaos, das Schreien, die Schreie, das Wimmern, und dann die Stille in den Hütten der Nachbarfamilien gehört.
Zuerst trifft es – trifft er, der Soldat - ihr Erstgeborenes. Er läuft seit einem halben Jahr. Er lief seit einem halben Jahr.
Dann die Zwillinge, die sie mithilfe ihrer Nachbarin erst vor wenigen Wochen zur Welt gebracht hat.
Drei auf einen Streich.
Stille.
Sie versinkt in absoluter Dunkelheit.
Nichts kann sie erreichen.
Niemand sie trösten.
„Rahel beweinete ihre Kinder. Denn es war aus mit ihnen.“

Ich verneige mich vor der Trauer dieser Mutter. Sie hat mein ganzes Mitgefühl.
Auch all die Eltern, die in diesen Tagen ihre Kinder durch Gewaltakte von Herrschenden verlieren, haben mein ganzes Mitgefühl.
Ich verneige mich vor ihrer Trauer.

Stille

„Maria auf der Flucht“, antwortete mein Patenkind auf meine Frage, wen denn die kleine Lindenholzskulptur darstelle.

Unser Predigttext bei Mt. lautet außerdem:
„Als die Weisen aber hinweggezogen waren, siehe, da erschien der Engel des Herrn dem Josef im Traum und sprach: Steh auf, nimm das Kindlein und seine Mutter mit dir und flieh nach Ägypten und bleib dort, bis ich dir’s sage; denn Herodes hat vor, das Kindlein zu suchen, um es umzubringen.
14Da stand er auf und nahm das Kindlein und seine Mutter mit sich bei Nacht und entwich nach Ägypten 15und blieb dort bis nach dem Tod des Herodes, auf dass erfüllt würde, was der Herr durch den Propheten gesagt hat, der da spricht Hos 11,1: »Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen.«

Jesus überlebt. Nach Gottes Plan und mit Josefs Hilfe.
Jesus bleibt vom Massaker in seinem Geburtsort Bethlehem verschont.
Er wird zwei Jahre seiner Kindheit in Ägypten verbringen und dann mit seinen Eltern ins Land Israel nach Galiläa zurückkehren.
In Nazareth wird er heranwachsen.
Er wird, wie wir es von Lukas erzählt bekommen, an Weisheit zunehmen.

Eine Geschichte der Rettung.
Ich freue mich mit Maria und Josef über dieses Glück.
Freue ich mich wirklich?
Schon, ja. Doch die Freude ist getrübt, sie fühlt sich nicht pur an.
Immer muss ich gleichzeitig an die ermordeten Kinder in Bethlehem denken.
Die Rettungsgeschichte bekommt da einen schalen Beigeschmack.

Liebe Gemeinde, wie geht es Ihnen damit?
Zig erdolchte Kleinkinder in Bethlehem. - Ein gerettetes Kind; Jesus.
Lassen die sich aufwiegen. Gegeneinander?

Was ist es denn, dass wir uns so unwohl fühlen bei der Doppelgeschichte, wie ich sie eben erzählt habe?

Die Antwort scheint eine rein formale zu sein. Sie hat mit meinem Vortragen des Predigttextes zu tun. Ich habe Sie - Sie, die sie mir zuhören – sozusagen manipuliert. Matthäus, der große Erzähler, gibt die Ereignisse nämlich anders wieder:
Er erzählt zuerst die Rettungsgeschichte.
Dann erst lässt er die Erzählung einer Traumatisierung folgen.
Zuerst: das Gute, die Hoffnung, das auf Zukunft Gebaute, das Zuversicht Schenkende.
Dann: die Realität von Gewalt, Mord, Zerstörung und Verzweiflung.

Tut das was zur Sache? - Ich denke: ja!
Es macht etwas mit uns, mit unseren Herzen, mit unserer Fähigkeit zu hoffen und zu vertrauen, wenn wir uns immer zuerst die Greueltaten berichten lassen. Oft sind es – beobachten Sie einmal die Logik von Nachrichtenerstattung – ausschließlich Greueltaten, von denen uns berichtet wird. Die Rettungs- und Hoffnungsgeschichten fehlen oft.
Und es gibt sie immer. Immer. Auch inmitten von Krieg, Tod und Verzweiflung.

Ich möchte nicht, dass mein Herz verlernt zu hoffen, dass es verlernt, auf Gottes Rettungsplan zu setzen. Ich möchte hoffen. Ich möchte vertrauen.

Deshalb werde ich immer auch den Hoffnungsgeschichten zuhören. Denen zuerst. Und dann erst denen von Gewalt und Zerstörung. Die sollen in meinem Herzen nicht das letzte Wort haben. Sondern vielmehr die Gewissheit: Gott ist ein Retter. Er ist da.

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft und unser Beginnen, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christo Jesu. Amen.

Prädikantin Dr. Almuth Märker