Predigt über Matthäus 7,12-20

  • 17.11.2021 , Buß- und Bettag
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Predigt am Buß-und Bettag über Matthäus 7,12-20 am 17. November 2021

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,

Bußtage sind eigentlich eine sehr gute Sache. Wir haben gemeinsam Zeit um nachzudenken und über das zu reden, was in unserer Gesellschaft im Argen liegt. Und wo wir uns jedes Jahr von Neuem vergewissern können, was „Buße“ eigentlich ist. Möglichst wörtlich aus dem Griechischen übersetzt heißt das Wort „metanoia“ „Umkehr“ bzw. noch genauer „Meta-Verstand“. Meta-Verstand, also der Verstand über dem Verstand. Stehenbleiben, innehalten, und das große Ganze betrachten. Und das in Ruhe und nicht in der Hektik des Alltags. Also eigentlich einer der wichtigsten Feiertage für uns als Gesellschaft! Nun, hier in Sachsen ist er noch Feiertag und normalerweise nutzen wir den Tag in unserer Gemeinde auch, um das wenigstens zu einem Thema in Ansätzen zu tun. Was wir eigentlich nach dem Gottesdienst in einer Podiumsdiskussion zum Thema machen wollten, was wir aber aufgrund der Umstände abgesagt haben, wollen wir nun zumindest in diesem Gottesdienst thematisieren und ich hoffe, dass das vielleicht auch Gesprächsthema nachher bei Ihnen am Mittagstisch sein kann: Die „Kultur des konstruktiven Streitgespräches -Kirche als Rahmen zur Entwicklung von Streitkultur.“

Das liegt ja tatsächlich im Argen in unserer Gesellschaft: Die Streitkultur. Wohlgemerkt das Stichwort „Kultur“. Wie bei fast allem hat die Coronazeit Bruchstellen, die vorher schon da waren, wie unter einem Brennglas sichtbar gemacht. Da ist klargeworden, wo hängen wir hinterher in Sachen Digitalisierung und wie viele Themen wie Bildung, Schule, Kindeswohl, Gesundheit haben in der öffentlichen Debatte und auf der politischen Agenda nicht den Stellenwert, den sie haben müssten – vom Thema Klimaschutz mal ganz abgesehen. Das Thema Debatten-oder Streitkultur spielt dabei in allem eine Rolle. Wo beginnt und endet Meinungsfreiheit. Wo ist Hass tolerierbar und wo nicht. „Cancel-Culture“ – eine Unkultur. Wie pfriemeln wir das wieder auf, wo wir uns auf total verkorksten Kommunikationswegen befinden. Wie können wir das Ruder herumreißen, damit wir Streit grundsätzlich als etwas Konstruktives begreifen und wertschätzen. Klar ist bei all dem, was uns Corona als vor uns liegende Probleme noch einmal neu vor Augen geführt hat, dass wir  neue Ansätze brauchen im Gespräch. Ansätze, auf die man nur kommen kann durch den Austausch. Durch Lösungen, die sich daraus erst ergeben. Na ja: These-Antithese-Synthese – die heute anwesenden Abiturienten mit Philosophiekurs wissen natürlich: Da ist auch Altbewährtes dabei, was wir neu entdecken könnten. Vielleicht ist vieles auch eine Frage der Hitze des Gefechts, wenn etwa Diskussionen über die Coronaimpfung Partnerschaften entzweien und Freundschaften auf die Probe stellen. Wie kommen wir über die Spaltungen hinweg, die es da gibt? Bin ich bereit, jemandem, der es total anders sieht, wirklich zuzuhören? Und wenn wir schon von unterschiedlichsten Zahlen ausgehen, von sehr unterschiedlichen wissenschaftlichen und halbwissenschaftlichen Argumenten – worüber reden wir dann eigentlich wirklich? Das ist nicht so einfach und erklärt manche Tendenz  in Diskussionen, dem anderen schon sagen zu wollen, dass er falsch liegt und man es nur anders sehen kann. Und wie kann man mit Menschen ins Gespräch kommen, die sich dem verweigern durch Gebrüll? Was wir als Christen tun, nicht nur am Buß-und Bettag, aber da besonders, ist natürlich dies: Wir schauen ins Evangelium, um uns dort Orientierung zu holen. Und tatsächlich hat der Abschnitt aus dem Matthäusevangelium für die heutige Predigt da einiges anzubieten. Er findet sich am Ende der Bergpredigt:

Alles nun, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen auch! Das ist das Gesetz und die Propheten. 13 Geht hinein durch die enge Pforte. Denn die Pforte ist weit und der Weg ist breit, der zur Verdammnis führt, und viele sind's, die auf ihm hineingehen. 14 Wie eng ist die Pforte und wie schmal der Weg, der zum Leben führt, und wenige sind's, die ihn finden!

15 Seht euch vor vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie reißende Wölfe. 16 An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.

Kann man denn Trauben lesen von den Dornen oder Feigen von den Disteln? 17 So bringt jeder gute Baum gute Früchte; aber ein fauler Baum bringt schlechte Früchte. 18 Ein guter Baum kann nicht schlechte Früchte bringen und ein fauler Baum kann nicht gute Früchte bringen. 19 Jeder Baum, der nicht gute Früchte bringt, wird abgehauen und ins Feuer geworfen. 20 Darum, an ihren Früchten sollt ihr sie erkennen.  

Hier geht es natürlich um noch mehr als Gesprächskultur. Aber gehen wir den Text durchgehen, können wir mindestens drei Aspekte finden, die für die Frage danach fruchtbar sein können.

Zum ersten die sog. „goldene Regel“: „Alles, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihr ihnen auch. Das ist das Gesetz und die Propheten.“

In fast allen Religionen und Philosophien findet sich diese Regel, nur unterschiedlich formuliert. Allerdings ist es bemerkenswert bei Matthäus, dass diese Regel auch die Zusammenfassung all dessen ist, was das Gesetz und die Propheten besagen. Mit anderen Worten: Das setzt die  Stufe für ein Gespräch deutlich herunter. Die biblische Botschaft von Thora und Propheten ist eben keine Philosophie oder Moral mit einem abstrakten theoretischem Überbau. Sondern im Wesentlichen können wir uns zunächst einmal auf einer sehr menschlichen Ebene begegnen. Immer wieder rät Jesus den Seinen, es anders anzugehen als die Schriftgelehrten und Pharisäer. Jesus streicht ganze Debatte des „Was sollen wir tun?“ zusammen auf diese simple Evidenz: „Frage dich selbst, was Du für Dich möchtest und nimm das zum Leitmaßstab, es dem anderen zu schenken.“ (Drewermann, Das Matthäusevangelium, S. 607) Das schiebt erst einmal jeglichem Egoismus einen Riegel für. Diesem ständigen „Ich, ich, ich“, mit dem unsere Streitgespräche oder Begegnungen so oft aufgeladen sind. Und es kann uns auch die Illusion nehmen, dass wir das, was wir am meisten wünschen und wollen, aus uns selbst heraus als einzelne erreichen könnten. Alles, was wirklich menschlich ist, teilt sich mit und verbindet. Auch die stärksten Leidenschaften schließen den anderen immer mit ein, sie müssen sich mit ihm verbinden, sonst können wir sie nicht leben. Die Aufforderung, sich mit dem anderen zu identifizieren und auf dieser Basis zu handeln, beruht auf der Identifikation mit fremdem Leben. Und das lässt den Dünkel nicht zu, dass ich denke, der andere sei nun wirklich ganz verschieden von mir und dass es eine unüberwindbare Kluft zwischen uns gäbe. Wir sehen dann im anderen Menschen Eigenschaften und Möglichkeiten, die auch in uns selbst angelegt sind, die wir nur gar nicht so gerne an uns sehen. Statt zu richten, beginnen wir zu verstehen. Und schon fängt die Goldene Regel an wirksam zu werden: Wenn wir so sein könnten wie der andere – wie würden wir uns dann wünschen, dass man uns begegnet? Es ist eine absolute Zumutung von Jesus. Aber wenn es uns wirklich gelingen sollte, uns in die Situation des anderen wirklich hineinzubegeben, in seine Not, in seine Angst, in sein persönliches Elend - dann wären wir wirklich auf einer Ebene. Und dann könnten wir eine Streitkultur etablieren, die wirklich Kultur wäre oder zumindest werden könnte. Es erfordert natürlich eine Menge Mut, sich einseitig darauf einzulassen. Es kann auch scheitern, natürlich. Hier wird ja nicht gesagt: Mache es – und es klappt immer. Sondern hier wird gesagt: Mache es – und du wirst sehen, das ist der richtige Weg. Kriegen wir das hin? Wahrscheinlich nie perfekt. Aber das sollte uns nicht entmutigen. Es ist gut, dass hier wie in der gesamten Bergpredigt die Latte hoch hängt und uns immer wieder von Neuem fordert und nicht in Ruhe lässt.

 

Und damit sind wir beim zweiten Punkt für unsere Fragestellung, denn das ist wahrlich ein mühsamer Pfad: „Geht hinein durch die enge Pforte…wie schmal ist der Weg, der zum Leben führt, und wenige sind’s, die ihn finden.“ Ja, ich lese diesen Vers in engem Zusammenhang mit der Goldenen Regel, denn ansonsten ist überhaupt nicht gesagt, was das denn sein soll, der enge Pfad und der breite Weg zur Verdammnis. Losgelöst vom Kontext kann das ja alles sein - und es wurde auch so ausgelegt, meist angstdurchsetzt und übermoralisch. Im Verbund mit der Goldenen Regel verstehe ich diesen Vers so, dass es auch hier auf den Einzelnen ankommt. Die Masse hat eben keinesfalls immer Recht, wenn es um die wichtigen Fragen unseres Lebens geht. Wichtig ist da nicht, was alle tun, sondern ob es für einen selbst vor Gott stimmt - und ob es Bestand hat. Die Woge der Mehrheit hat immer etwas, wogegen man skeptisch bleiben sollte, sie kann einen wegspülen. Aber: Man kann natürlich auch auf der anderen Seite vom Pferd fallen. Ich kann mich auch in meiner Selbstverliebtheit verlieren. Mit bloßem Narzissmus ist das Tor zur Seligkeit nicht zu passieren. Den Weg zum Leben zu finden  – es nach Jesus ein Prozess und ein Balanceakt zugleich. Ein Weg, der mitten hindurchgeht zwischen dem, mich in mir selbst zu verlieren und auf der anderen Seite mich selbst zu vergessen. Das fordert mich. Permanent, es ist eine enge Pforte, es ist anstrengend. Aber auf diesem Wege wird es gut. Und so im Einklang mit mir selbst, kann ich auch im Streit bestehen, es wird mir keine Angst machen müssen.

Das Dritte, was wir mitnehmen können, folgt daraus – nämlich, was in dem Ganzen denn nun noch Orientierung verspricht bzw. worauf man sich lieber nicht einlässt. Nämlich: Auf die falschen Propheten in Schafskleidern, die inwendig aber reißende Wölfe sind. Auch die sind natürlich unterschiedlich interpretiert worden. Historisch gesehen waren es damals vielleicht Leute, die doch noch einen besseren Messias erwartet haben oder Leute, die sich an kein Gesetz und keine Regel mehr halten wollten, weil sie sich bereits für erleuchtet hielten. Ob sie dabei ihre Zeitgenossen auch schon als „Schlafschafe“ bezeichnet haben, die erst noch mal richtig aufwachen müssten – das ist nicht belegt. Aber natürlich bringt jede Krisenzeit Leute hervor, die einer allgemeinen Verunsicherung ihre subjektive Heilsgewissheit entgegensetzen, die meistens sehr plump und simpel ist. Jedenfalls hat sie meistens weder etwas mit der Anwendung der goldenen Regel zu tun noch mit der gewissenhaften Suche nach dem engen Pfad. An den Früchten werden wir sie erkennen, sagt Jesus. Nun, das Bild ist allerdings nicht so ohne. Wer von uns – selbst wenn wir versuchen, der goldenen Regel zu folgen oder den schmalen Pfad suchen - trägt schon immer gute Früchte! Ich würde in bezug auf mich sagen, da kommt eher ein ziemlich durchwachsener Obstkorb  zustande. Kann ich das also vom anderen verlangen? Vorsicht ist geboten bei diesem Bild! Vielleicht haben einige von Ihnen bei youtube das ca. 7minütige Video des letzten gerade verstorbenen Apartheidspräsidenten von Südafrika gesehen. Frederik Willem de Klerk hat es vor einigen Tagen posthum veröffentlichen lassen. Er bittet darin alle Opfer der Apartheidspolitik, die in Südafrika bis Anfang der 90er-Jahre herrschte und in der farbige und andere Menschen, die nicht der weißen Norm entsprachen, in allen Belangen des täglichen Lebens separiert wurden: abgeschoben in Townships, viele öffentliche Bereiche waren für sie tabu.  De Klerk hat das Apartheidsregime zwar nicht erfunden, aber hat es jahrzehntelang gestützt und geformt und damit einige der faulsten Früchte der Menschheitsgeschichte hervorgebracht. Aber er hat den Irrsinn dann auch beendet. Und hat damit viele gute Früchte hervorgebracht bzw. den Boden dafür bereitet. Er spricht von „conversion“ in dem Video. Von Umkehr. Von „meta-noia“? Vielleicht auch. An welchen Früchten sollen wir diesen Mann nun erkennen? Oder doch am gemischten Obstkorb und gucken, auf welcher Waagschale mehr liegt, auf der mit den guten oder der mit den faulen Früchten? Nicht so einfach – vielleicht sagt Jesus auch deshalb ein paar Verse davor: „Richtet nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet.“ Auch das ist natürlich ein guter Rat für die Etablierung oder auch die Re-Etablierung von Gesprächskultur. Dass ich nie einen Menschen aufgebe, dass immer Metanoia, die Vernunft, die alles von oben betrachtet, beim anderen wie auch bei mir selbst möglich bleibt.

Vielleicht nehmen wir die drei Ratschläge für heute mit: Die goldene Regel, den schmalen Weg, die guten Früchte des guten Baumes und schauen, wo wir da jeweils weiterdenken und Orientierung finden für die Gesprächs-und Streitkultur in unseren Familien, Schulen und für die Orte, an denen wir sonst unterwegs sind in dieser Gesellschaft. Bleiben wir im Gespräch über diese durchaus christlich fundierte Kultur des Streitens. Es hat eine Verheißung zum Guten.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org