Predigt über Matthäus 1, 18ff und die zweite Kantate des Weihnachtsoratoriums von Johann Sebastian Bach
- 26.12.2022 , 2. Christtag
- Pfarrerin Britta Taddiken
Predigt am 2. Weihnachtsfeiertag, 26. Dezember 2022, Matthäus 1,18ff und Weihnachtsoratorium Kantate 2
Die Geburt Jesu Christi geschah aber so: Als Maria, seine Mutter, dem Josef vertraut[1] war, fand es sich, ehe sie zusammenkamen, dass sie schwanger war von dem Heiligen Geist. 19 Josef aber, ihr Mann, der fromm und gerecht war und sie nicht in Schande bringen wollte, gedachte, sie heimlich zu verlassen. 20 Als er noch so dachte, siehe, da erschien ihm ein Engel des Herrn im Traum und sprach: Josef, du Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, deine Frau, zu dir zu nehmen; denn was sie empfangen hat, das ist von dem Heiligen Geist. 21 Und sie wird einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk retten von ihren Sünden. 22 Das ist aber alles geschehen, auf dass erfüllt würde, was der Herr durch den Propheten gesagt hat, der da spricht: 23 »Siehe, eine Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und sie werden ihm den Namen Immanuel geben«, das heißt übersetzt: Gott mit uns. 24 Als nun Josef vom Schlaf erwachte, tat er, wie ihm der Engel des Herrn befohlen hatte, und nahm seine Frau zu sich. 25 Und er erkannte sie nicht, bis sie einen Sohn gebar; und er gab ihm den Namen Jesus.
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Gemeinde,
in der zweiten Kantate des Weihnachtsoratoriums begegnen sich Himmel und Erde, Engel und Hirten, himmlische und irdische Musik. Hier findet sich eine der schönsten und innigsten Stellen des ganzen Werks: die wunderbare Sinfonia, die Albert Schweitzer als gemeinsames wechselchöriges Musizieren von Himmel und Erde gedeutet hat: den Flöten und Streicher der Engel korrespondiert der Oboenchor der Hirten. Der Himmel bleibt offen in dieser Kantate, die ganze Zeit. Und eine Gruppe von Menschen, die ansonsten abseits aller öffentlichen Aufmerksamkeit gestanden hat, rückt in den Mittelpunkt des himmlisch-irdischen Geschehens. Die Hirten. Sie sind sozusagen Menschen der Nacht. Sie waren außen vor. Verachtet, als Betrüger verdächtigt, ihnen hat man in der Regel nicht über den Weg getraut. Menschen der Nacht, außen vor, in jeder Zeit und Gesellschaft gibt es sie. Wer bei uns aus dem „normalen“ Arbeitsleben rausgefallen ist - mancher schon in der zweiten, dritten Generation – der hat oft keine Stimme mehr im Diskurs der Gesellschaft. Fühlt sich nicht gesehen, nicht gehört, nicht wahrgenommen. Und manche fangen an, sich selbst gering zu achten dafür, steigen irgendwie aus und sind kaum noch zu erreichen. Ich kenne mehrere Leute in Leipzig, die auf der Straße sind, keinen gültigen Ausweis mehr haben und nirgends mehr erfasst sind. Es gibt sie sozusagen nicht für dieses Land. Und andere, die geraten da irgendwie auch hin, obwohl sie äußerlich gesehen auskömmlich leben. Die sich innerlich verabschieden, in die innere Immigration gehen, zu viel ist es ihnen, was diese Welt ihnen gerade abverlangt mit einer an die andere angeklumpten Krise. Sie alle, wir alle sind gemeint hier in dieser zweiten Kantate des Weihnachtsoratoriums bzw. in der Weihnachtsgeschichte. Sie geraten hier in den Fokus. In beiden Chorälen werden die Hirten direkt angesprochen: „Du Hirtenvolk, erschrecke nicht, weil dir die Engel sagen, dass dieses schwache Knäbelein soll unser Trost und Freude sein.“ Und: „Schaut hin, dort liegt im dunklen Stall des Herrschaft gehet über all.“ Hier ist der geboren, der sie befreien wird davon, dass die vermeintlich Starken der Gesellschaft sie vergessen haben. Und auch davon, dass sie sich selbst dafür verachten. Diese Botschaft macht ihnen nun zuerst Angst. Sie fürchten sich vor der Klarheit des Herrn. Das ist nicht verwunderlich. Denn diese Klarheit setzt ja ins Licht, was bei uns nicht stimmt, sie erleuchtet, was man vielleicht längst schon weiß (auch über sich selbst), aber was man lieber nicht so klar beleuchtet sehen möchte. Die Klarheit der Himmlischen Werte, die im virtuos gestalteten Chor der Engel zur Sprache kommt, konfrontiert uns in der Heiligen Nacht. Da ist das „Ehre sei Gott in der Höhe“ – Gott die Ehre, und niemandem sonst, eine Aufforderung, die sich gegen alle autokratischen Ansprüche von Menschen richtet bzw. gegen jegliche Überhöhung menschlicher Machtverhältnisse. Ob im Iran oder in Brasilien, in Saudi-Arabien oder auch in Europa, wo es im Laufe der letzten Jahre immer mehr Regierenden gelungen ist, ihre Macht in der Verfassung zu zementieren und andere, die dies im Stillen oder sogar sehr offensichtlich versuchen und daran arbeiten. Gott allein die Ehre, ein wichtiges Wort in der Weihnachtsbotschaft im Jahr 2022!
Und genauso wichtig in diesem Jahr und von den meisten von uns heiß ersehnt, der Ruf und der Wunsch: „Friede auf Erden“. Die Absage an alle Versuche, Ziele mit Gewalt zu erreichen und Interessen mittels Waffen durchzusetzen. Die Absage aber auch an all das, was so viel Unfrieden in unseren Umgang miteinander einträgt. An den scharfen Ton in den sozialen Netzwerken, den unverholenen Hass im Dunkel der Anonymität. Wo den Worten die Taten folgen, das kann niemand mehr unterschätzen nach den Morden, die passiert sind, die Reichsbürger sind keine trotteligen Spinner, denn sie haben keine Skrupel in Sachen Gewalt.
Und dann ist da noch der himmlische Wert des „den Menschen ein Wohlgefallen“. Der himmlische Einspruch gegen alles, was nicht mehr das Wohl aller im Blick haben will. Sondern den Vorteil einzelner, die sich nicht scheren um das, was das mit den anderen macht. Die unterschiedlichen Krisen in unserer Welt zeigen ja gerade eins: Wie stark in unseren komplexen Lebensformen um dieses möglichen und vermeintlichen Vorteils einzelner Willen alles auf Kante genäht ist. Eine Verschiebung im System und plötzlich werden Medikamente knapp. Zwei, drei Unterrichtsstunden fallen aus, Vertretung gibt es keine – wenn das das fünfte Mal in der Woche passiert, kommen nicht nur Alleinerziehende ins Trudeln… „Gebt einander mehr Spielraum, liebe Menschen“ - so kann man den dritten Teil dieses himmlischen Rufs vielleicht auch übersetzen…
Diese drei himmlischen Werte „Gott die Ehre, der Erde Frieden und den Menschen das, was Gott wohl gefällt: Recht und Gerechtigkeit“, sie werden Weihnachten ins Licht gerückt. Für die Hirten zuerst, aber mit ihnen für alle. Sie und wir werden dabei in dieser 2. Kantate des Weihnachtsoratoriums durchgehend zu der Hoffnung ermutigt: Der Weg dieses „schwachen Kindeleins“ wird sich am Ende gegen all diese Widrigkeiten durchsetzen. Aber wie kann das möglich sein in dieser Welt? Dass das möglich ist und so sein wird, das ist nicht zuletzt einem zu verdanken, der in der anderen Weihnachtsgeschichte, der nach Matthäus, ins Licht gerückt wird, wir haben schon von ihm gehört. Auch er ist einer, der eher im Hintergrund oder am Rand steht, wenn man so will, auch eine Gestalt der Nacht: Josef. Denn ihm erscheint der Engel des nachts im Traum. Er wird von Gott beauftragt, das Schwache zu schützen und das Heilige zu hüten. Er schafft es, seine Bedenken zu überwinden. Und reagiert mit Anstand auch dort, wo er enttäuscht und verletzt ist. Das Kind, das seine Maria bekommen soll, ist nicht von ihm. Er hätte sie öffentlich anklagen können. Oder ihr einen Scheidebrief ausstellen und ihren Ruf ein Leben lang schädigen. Aber das hat er nicht getan, hat sie nicht bloßgestellt. Heimlich wollte er sie verlassen, die Schuld an der Schwangerschaft auf sich nehmen. Aus Liebe zu Maria und dem Kind. Doch auch für ihn öffnet sich wie für die Hirten der Himmel, im Traum wird er eingeweiht von Gott:
„Josef, du Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria, deine Frau zu dir zu nehmen; denn was sie empfangen hat, das ist von dem heiligen Geist. Und sie wird einen Sohn gebären, dem sollst du den Namen Jesus geben, denn er wird sein Volk erretten von ihren Sünden.“
Josef zweifelt nicht, er fragt nicht, er tut es. Er geht los, auch er hat wie die Hirten das „Fürchte dich nicht“ des Engels im Ohr. Und hilft so dem Kind auf die Welt. Er ist es, der ihm seinen Namen Jesus gibt: Gott rettet. Durch ihn, Josef, wird öffentlich: In diesem Kind rettet Gott die Welt. Und ohne Josef hätte es keine Überlebenschance. Und so geht er weiter alle Wege mit, so wie er den Weg nach Bethlehem gegangen ist. Er geht mit auf der Flucht vor den Kindermördern des Herodes nach Ägypten. Er geht ihn mit, den Heimweg nach Nazareth und dann auch wieder den Weg nach Jerusalem hinauf um das Kind im Tempel darzustellen. Und auch später ist er noch bei der sorgenvollen Suche nach dem verlorengegangenen 12jährigen Jesus dabei.
Auch Josef lässt sich wie die Hirten in Bewegung setzen. Ohne ihn geht es nicht auf dieser Welt und ohne Menschen, die so sind wie er. Ob also die Hirten oder Josef - wo Gott Mensch wird, da gibt es keine Unbeteiligten. Da gibt es niemanden, der ausgeschlossen wäre oder sich heimlich davonstehlen müsste. Dich betrifft, was Weihnachten geschieht, dich betrifft es, wenn Gott Mensch wird. Dich als die und der, der du bist. Das haben die Hirten begriffen und von dem, was sie an der Krippe fanden, weitererzählt. Und das hat auch Josef verstanden, der mehr der Macher ist als der Redner. Kein einziges Wort ist von ihm in der Bibel überliefert! Aber das Kind in der Krippe, es braucht sie beide – und meistens sind beide ja irgendwie in uns, wir haben eine Hirten- und eine Josefsseite in uns. Als Menschen der Nacht wollen beide ins Licht der Weltgeschichte treten. Lassen wir sie das tun.
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org