Predigt über Markus 10,2-9.13-16

  • 22.10.2023 , 20. Sonntag nach Trinitatis
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Predigt über Markus 10,2-9.13-16 am 20. Sonntag nach Trinitatis, 22. Oktober 2023

 

Und Pharisäer traten hinzu und fragten Jesus, ob es einem Mann erlaubt sei, sich von seiner Frau zu scheiden, und versuchten ihn damit. 3 Er antwortete aber und sprach zu ihnen: Was hat euch Mose geboten? 4 Sie sprachen: Mose hat zugelassen, einen Scheidebrief zu schreiben und sich zu scheiden. 5 Jesus aber sprach zu ihnen: Um eures Herzens Härte willen hat er euch dieses Gebot geschrieben; 6 aber von Anfang der Schöpfung an hat Gott sie geschaffen als Mann und Frau. 7 Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und wird an seiner Frau hängen, 8 und die zwei werden ein Fleisch sein. So sind sie nicht mehr zwei, sondern ein Fleisch. 9 Was nun Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden.

13 Und sie brachten Kinder zu ihm, damit er sie anrühre. Die Jünger aber fuhren sie an. 14 Als es aber Jesus sah, wurde er unwillig und sprach zu ihnen: Lasset die Kinder zu mir kommen und wehret ihnen nicht, denn solchen gehört das Reich Gottes. 15 Wahrlich, ich sage euch: Wer das Reich Gottes nicht empfängt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen. 16 Und er herzte sie und legte die Hände auf sie und segnete sie.

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus.

Liebe Gemeinde,

vielen Menschen ist es wichtig, dreimal im Leben in der Kirche „Ja“ zu sagen. In diesem Gottesdienst bildet es sich ab: Zur Taufe, zur Konfirmation und, siehe Evangeliums- und Predigttext, zur Hochzeit!  Viele von Ihnen haben das ja getan mit den drei „Jas“ und die Jubelkonfirmandinnen und Konfirmanden bekennen sich heute gleich zu zweien von den Dreien...  

Das dritte „Ja“ hat nun zu tun mit dem Predigttext, den wir schon gehört haben. Wie ging das noch mal los bei Markus: „Ist es einem Mann erlaubt, sich von seiner Frau zu scheiden?“ Was ist das eigentlich für eine Frage, die die Pharisäer Jesus da stellen: Darf ein Mann sich von seiner Frau scheiden? Was wollen die eigentlich von ihm, was wollen sie wissen? Etwas darüber, was die Ehe ist - was Jesus darüber denkt, ist das ihr Thema? Nein, das alles scheint sie nicht wirklich zu interessieren. Es ist vielmehr eine ihrer typischen Fangfragen. Es geht ihnen überhaupt nicht um die Ehe. Es geht ihnen noch nicht mal um die Scheidung. Es geht ihnen darum, Jesus aufs Glatteis führen, ihn prüfen, wie er es mit der Tora, den Geboten und Weisungen Gottes hält. Unter dieser Voraussetzung steht das ganze Gespräch und alles, was jetzt an Aussagen kommt über die Gemeinschaft von Mann und Frau und insbesondere über die Gemeinschaft, auf die sich das Faktum „Scheidung“ bezieht, die Ehe – das müssen wir uns deutlich machen. Alles steht in diesem Zusammenhang, es ist keine ungezwungene theologische Diskussion über die Ehe! Also Vorsicht, falls man von hier aus eine theologische Lehre von der Ehe ableiten möchte…

Gucken wir uns das näher an. Jesus hat drei Möglichkeiten, den Pharisäern zu antworten. Sagt er: „Ja, es ist erlaubt“, dann untergräbt er öffentlich die gesellschaftliche Bedeutung der Ehe. Antwortet er: „Nein, es ist nicht erlaubt“, dann setzt er sich in Widerspruch zu einem Gesetz, das im fünften Buch Mose (24,1) überliefert ist. Dieses Gesetz sieht vor, dass ein Mann seiner Frau bei bestimmten Vorfällen einen Scheidebrief schreiben und sie „entlassen“ bzw. verstoßen kann. Jesus wählt die dritte Variante: Er lässt sie die Antwort selbst geben: Der Scheidebrief ist laut Mose zulässig. Und nun? Was soll eigentlich das Gespräch? Was man wissen muss: In dieser Zeit war es üblich, dass Männer darüber diskutierten, ob eine Frau genau so viel oder weniger wert sei als ein Kamel. Oder ab wann ein Scheidebrief ausgestellt werden darf: Schon dann, wenn sie nicht mehr schön genug ist oder das Essen anbrennen lässt – oder erst bei Schlimmerem. Nach damaligem Recht konnte auch nur der Mann eine Scheidung vollziehen. Die Frau war kein Rechtssubjekt. Sie konnte auch, genau besehen, gar nicht heiraten, sondern nur geheiratet werden. Und: Ein Scheidebrief war doch ein Makel – auch wenn er die Frau rechtlich schützen sollte.

Aber: Auf diese Diskussion lässt sich Jesus nicht ein. Was jetzt kommt, ist viel umfänglicher – und hat den Schutz der Frau noch in ganz anderer Weise im Blick. Jesus verweist auf die Schöpfung und die dort angelegte Gleichberechtigung von Mann und Frau - und auch die des Kindes und seiner Würde. Auch diesen Zusammenhang muss man an dieser Stelle betrachten – die Geschichte, wo Jesus die Kinder zu sich kommen lässt, steht nicht zufällig genau dahinter! Es geht in diesem Text bei Markus von vornherein um mehr als nur um die Gemeinschaft von Mann und Frau - auch wenn Jesus in seiner Antwort nun erst einmal damit beginnt: „Doch vom Anfang der Schöpfung an hat er sie als Mann und Frau geschaffen. Darum wird ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seiner Frau anhangen, und die beiden werden ein Fleisch sein.“ Der Mensch – von Anfang an als Frau und Mann geschaffen. Es geht also um die Würde des Menschen als Gottes Ebenbild, um die des Mannes, der Frau und des Kindes – und wie sie sich in den Beziehungen der Menschen untereinander ausdrückt. Frau und Mann sind aufeinander bezogen ohne ein Gefälle von oben nach unten. Das bzw. ein rechtliches Gefälle zwischen Mann und Frau ist in der Schöpfung eben gerade nicht angelegt.

So weit gehen wir heute sicher mit. Am Ende dieser Betrachtung steht nun allerdings als Konsequenz der Satz: „Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden.“  Was soll man dazu sagen? Auch wenn Jesus erkennbar versucht, die Frau zu schützen, indem er auch dem Mann die Scheidung quasi verbietet: Können wir dem heute etwas Hilfreiches und Wegweisendes abgewinnen? Hängt das nicht wie ein unerreichbares hohes Ideal über unserer Wirklichkeit? Wie ist das mit den Frauen und Männern, die zwar noch verheiratet sind, aber von den Enttäuschungen und Verletzungen gezeichnet sind und denen das, was einmal mit Gefühlen wie im Himmel begonnen hat zur Hölle auf Erden geworden ist? Es ist ja unglaublich, was gerade Menschen, die sich einmal geliebt und einander besonders nahe waren, gegenseitig antun können. Ist das, was Jesus hier sagt, nicht seinerseits hartherzig: dass man Menschen in solch einer Situation quasi zu lebenslänglich verurteilt? Es kann doch sein, dass eine Ehe unerträglich wird und eine gesetzlich geregelte Scheidung, die eine Trennung unter halbwegs würdigen Umständen ermöglicht, wirklich das kleinere Übel ist – wenn nicht gar eine Befreiung aus einem unerträglich gewordenen Joch. Und schließlich: Ist es nicht eine maßlose Überschätzung zu behaupten, Gott habe in jedem Fall die Beiden zusammengefügt und deshalb dürfe man eine Ehe nicht auflösen? Sind bei der Ehe nicht noch viele andere, sehr menschliche Erwägungen im Spiel, wo man den Satz auch umdrehen könnte: „Was der Mensch (voreilig, sich selbst überschätzend) zusammengefügt hat, das sollte bzw. wird Gott (hoffentlich) trennen“?

Aber gucken wir noch mal genauer auf das, worum es Jesus in diesem Zusammenhang geht. Wenn er die Geschichte von der Erschaffung des Menschen aufnimmt, ist eines wichtig zu bedenken: Diese Geschichte blickt nicht zurück in eine längst vergangene Urzeit. Sie berichtet nicht von einem weit, weit zurückliegenden Urzustand, in dem die ersten Menschen ohne Angst, Schuld und Konflikte in lauter Harmonie miteinander gelebt hätten. Die Geschichte vom Anfang der Schöpfung ist vielmehr eine Vision. In ihr scheint auf, wozu die Menschen erschaffen sind. Als Wesen, die in Beziehung leben, die auf Ergänzung angewiesen sind, auf Verbindlichkeit und immer auch davon leben, dass jemand für sie da ist. Und wenn sich das im Verhältnis von Frau und Mann als Ebenbilder Gottes abbildet, dann ist dieses Füreinander-Dasein von Mann und Frau zugleich auch ein Abbild und ein Gleichnis für Gott und seine Treue zu den Menschen. Deshalb – und nur deshalb - darf und soll von den Menschen nicht geschieden werden, was Gott zusammengefügt hat: Weil diese verbindliche Gemeinschaft ein Gleichnis seiner Treue zu uns ist. Man kann diese Gemeinschaft Ehe nennen – aber man muss es nicht, denn das Wort Ehe wird hier erst einmal gar nicht gebraucht. Und wie gut: Denn auf welche kulturelle Form von Ehe sollte sich das auch beziehen? Deren Geschichte ist ja sehr wechselreich verlaufen zwischen Zwangsehe und dem romantischen Ideal der Liebeshochzeit. Entscheidend ist nur die Festigkeit dieser Verbindung, die zum Sinnbild des Bundes Gottes mit den Menschen wird: Er hält seinen Bund mit uns Menschen aufrecht, er bleibt uns auf immer und ewig verbunden. Es gibt für ihn keine Rückzugsklausel, keine Scheidung. Er kann und will nur Gott sein im Gegenüber, in Partnerschaft mit uns Menschen.

Und dafür kann auch die Gemeinschaft von Mann und Frau und auch die Ehe ein Zeichen und ein Gleichnis sein. Damit wird sie nicht idealisiert. Sie ist eben nicht das Reich Gottes. Sie kann eine großartige Lebensform sein, in der sich die Partner wohl fühlen und miteinander entwickeln. Aber: Männer und Frauen bleiben sich in der „echten“ Ehe vieles schuldig. Sie enttäuschen einander. Sie verletzen sich. Sie haben Gründe, einander zu misstrauen. Sie haben sich gegenseitig vieles vorzuwerfen. Sie zweifeln, ob sie wirklich zueinander passen, füreinander bestimmt sind. Es gibt keine Ehe, in der nicht mindestens einmal eine Sache vorkommt. So ist die Realität, auch die Ehe-Realität unserer Welt.

Was Jesus über die Gemeinschaft von Mann und Frau sagt, ist wirklich ein Wort aus einer anderen Welt, wenn man so will: ein unzeitgemäßes Wort, ein Wort vom kommenden Gottesreich her. Eine unzerstörbare Vision, was die Ehe sein könnte, sein dürfte, was sie nach dem Willen Gottes ist: Allen Gefährdungen entgegen ein Zeichen und Abbild von Gottes Treue, ein Ort der Verlässlichkeit und Freundschaft. Aber das ist gerade kein Urteil, und schon gar keine Verurteilung der Frauen und Männer, deren Ehe scheitert. Was Jesus hier sagt, hat nichts mit Moral zu tun, die Menschen zwingt, auf Gedeih und Verderb aneinander kleben zu bleiben. Und es ist nicht gesagt, um allen, die keinen andern Weg sehen als die Scheidung, ein schlechtes Gewissen zu machen. Die Möglichkeit des Scheidebriefs bleibt bei Jesus im Blick, um des Menschen willen - um seines „Herzens Härte willen“, was immer man auch heute darunter zählen mag. Und bedenken sollte man auch, dass in der Bibel auch auf der gut geordneten Trennung Segen liegen kann, dass es von Gott her und vor Gott neue Anfänge gibt dort, wo Menschen am Ende sind. Von einer geglückten Trennung und befreienden Grenzziehung ist die Rede in der Geschichte von Abraham und Lot, die sich im Lande Kanaan trennen, weil es fortwährend nur Streit gibt zwischen ihren Sippen. Diese Trennung hat am Ende eine Verheißung: Gott erneuert sein Versprechen an Abram, ihm Land und Nachkommen zu geben so zahlreich wie der Staub auf Erden.

Das ist natürlich kein Freibrief, Beziehungen leichtfertig zu beenden. Das Wort Jesu „Was Gott zusammengefügt hat, soll der Mensch nicht scheiden“ und der Verweis auf die Vision dessen, was Partnerschaft sein kann, mutet einem zu, sich der Arbeit zu stellen, die die Beziehung von Menschen untereinander aufwirft - in Ehen und Partnerschaften aller Art, auch wenn die zu Jesu Zeiten so noch nicht im Blick waren.

Diese Zumutung bringt uns dann auch noch einmal an den Anfang zurück. Zur Frage der Pharisäer, ob ein Mann sich scheiden dürfe von seiner Frau. Denn mit dem Verweis auf den Willen Gottes und die Vision der Schöpfungsgeschichte wirft er den Pharisäern ja im Grunde auch vor, dass sie alle Dinge aus der Perspektive ihres möglichen Scheiterns heraus betrachten. Von der Problematik, die auftauchen könnte. Dass man die Scheidung von vornherein in Betracht zieht, so wie manche Paare einen im Traugespräch fragen: Sollen wir uns nicht lieber Treue versprechen, solange es gut geht? Nein, an dem „Bis dass der Tod Euch scheidet“ als aktuelle Willenserklärung führt in einer christlichen Trauung kein Weg vorbei. Denn auf einer solcher Lebenshaltung liegt kein Segen: Leben mit Hintertürchen! Das ist eine Haltung, die frisst sich nicht nur tief in die Ehen, sondern auch in alles andere. Und der Gedanke „Das wird wahrscheinlich sowieso nichts“ bringt in der Regel im Ergebnis mit sich, was er befürchtet. Nur wer sein Leben wagt, wird es gewinnen, sagt Jesus an anderer Stelle – und auch: Wer es festhalten will, wird es verlieren.

Natürlich: Wer etwas wagt, kann auch daran scheitern. Aber er wird auf jeden Fall das Leben als Geschenk verstehen, zu dem auch das Scheitern und die Krise gehören, aber eben auch die Tatsache, dass Gott sich von uns nicht trennt. Oder so gesagt: Was Gott zusammengefügt hat, wird Gott auch nicht scheiden. Das haben wir heute bedacht in der Taufe bei unserem ersten Ja und tun es nun auch gleich, wenn wir uns an unser zweites Ja erinnern wollen.