Predigt über Lukas 9, 57-61

  • 15.03.2020 , 3. Sonntag der Passionszeit - Okuli
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserm Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,

wir leben im Moment alle nicht unser normales Leben. Und das ist wohl erst der Anfang. Wir wissen noch nicht, was kommt und auch nicht, ob wir uns hier nächsten Sonntag wiedersehen dürfen. Ab morgen sind auch die Schulen zu, die Kitas, wir haben unsere Seniorenarbeit eingestellt und werden es auch mit der Kinder-und Jugendarbeit tun. Auch der Thomanerchor wird erst mal nicht wieder zu hören sein. Die meisten von uns machen diese Erfahrung zum ersten Mal und man merkt, wie man sich fragt: Das ist heftig, solche Maßnahmen, Versammlungen über 200 Leuten sind im Moment so gut wie nicht möglich. Keine Ausnahmen, radikale Maßnahmen sind angesagt, wir werden uns damit auseinandersetzen und uns über so manches Gedanken machen müssen, wie wir denn leben können und wollen – und was radikal auf den Prüfstand muss...

Von daher passt es, dass wir heute einen ziemlich radikalen Text bedenken.

Und als sie auf dem Wege waren, sprach einer zu ihm: Ich will dir folgen, wohin du gehst. 58 Und Jesus sprach zu ihm: Die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege. 59 Und er sprach zu einem andern: Folge mir nach! Der sprach aber: Herr, erlaube mir, dass ich zuvor hingehe und meinen Vater begrabe. 60 Er aber sprach zu ihm: Lass die Toten ihre Toten begraben; du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes! 61 Und ein andrer sprach: Herr, ich will dir nachfolgen; aber erlaube mir zuvor, dass ich Abschied nehme von denen, die in meinem Hause sind. 62 Jesus aber sprach zu ihm: Wer die Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes.

Was Jesus hier fordert – das ist so radikal, dass man eigentlich sein normales Leben nicht weiterleben kann. Wie kann man denn Jesus als ganz normaler Mensch überhaupt nachfolgen, wie ist das für uns möglich? Tasten wir uns ran – und zwar von hinten. Auffällig ist: Es wird nicht erzählt, was die drei, um die es hier geht, am Ende gemacht haben. Vielleicht haben sie es sich anders überlegt, waren so ernüchtert, dass sie nicht oder nicht mehr mitgegangen sind mit Jesus. Aber vielleicht entspricht genau das der Absicht Jesu. Wer sich auf seinen Weg einlassen will, muss es sich genau überlegen, er sollte es genau prüfen. Erwartet wird also schon von daher offenbar gerade nicht, in Sachen Nachfolge das eigenständige Denken und Handeln einzustellen. Sondern darum, erst einmal eine Entscheidung für sich zu treffen. Eine Entscheidung, die nötig ist, wenn man sich auf diesen Menschen Jesus einlassen will. Denn dieser Mensch bezieht immer Position. Jesus ist ständig im Konflikt mit den Autoritäten seiner Zeit. Und nun hat er mit Jerusalem auch noch das Ziel seines Weges benannt, auf dem er gepredigt, geheilt und gelebt hat, ein Ziel, das manche in seinem Gefolge sicher fragen ließ: Ist das nicht Wahnsinn, ist das nicht das Ende? Das kann doch nur in der Katastrophe enden! Hat die Unerbittlichkeit in diesem Text nicht vielleicht gerade damit zu tun, dass er gerade keinen blinden Glauben fordert, sondern vernünftige, vorausschauende Nachfolger haben will?

Ich denke, genau das wird in den drei kurzen Gesprächen bei näherer Betrachtung sehr deutlich. Jedes hat sein eigenes Thema. Im ersten geht es um den Preis der Nachfolge. Da kommt einer aus eigenem Antrieb: Ich will dir folgen - und kriegt diese desillusionierende Antwort: der Menschensohn hat nichts. Nichts. Was kann man da erwarten? Auf jeden Fall nicht, dass das Leben leichter wird. Im Gegenteil, es wird zerbrechlicher, mehrdeutiger, schwer. Weil Jesus eben nicht nur keine Bleibe hat, sondern eben auch keine festgeschriebene Lehre und keine im vornhinein vorgegebene Praxis. Er sagt uns nicht ständig, was wir zu tun haben. Er zeigt nur die Richtung: sich hinwenden, zuzugehen auf alles, was lebt, ohne Berührungsängste unter einem einzigen Satz, der nach Jesus alles Wichtige zwischen Gott und Mensch zusammenfasst: Liebe Gott und Deinen Nächsten wie dich selbst. Des Rätsels Lösung für den Mann, der Jesus nachfolgen möchte, heißt: Der Weg der Nachfolge beginnt mit dem ersten eigenen Schritt. Und dieser Schritt weiß nicht, wohin der zweite und dritte und vierte hinführt. Klar ist nur: Man wird dabei in Widerspruch geraten zu manchem, man eckt an, man hat was auszuhalten an Spott oder schlimmerem, gerät zwischen die Stühle. Wer so unterwegs ist, hat quasi kein festes Zuhause mehr. Der muss sich verabschieden von dem Wunschbild, das einem auch zum Trugbild werden kann: die Vorstellung von der sicheren Höhle und dem vertrauten Nest, in dem man geschützt ist. Wo man jederzeit alles hat und alles haben kann. Daran haben wir uns in unserer Welt hier in Nordwesteuropa gewöhnt. Dass das Standard ist. Jetzt erleben wir es in diesen Tagen komplett eingeschränkt. Immer noch auf hohem Niveau. Aber doch ganz klar anders. Und es wird sicher irgendwann kommen, dass wir darüber noch mehr verunsichert sind, wenn es vielleicht den ersten am Coronavirus gestorbenen Menschen gibt, den wir kennen. Dass wir nach vorn völlig offene, überhaupt nicht mehr zu planende Wochen und Monate vor uns haben. Wir müssen neu lernen, mit Verunsicherung umzugehen. Vielleicht wird es uns wachsamer machen. Dünnhäutiger – auch für die Ängste von anderen. Dass da Frauen, Männer und vor allem auch unbegleitete minderjährige Kinder sitzen in den Lagern auf Lesbos und in unmenschlichen Bedingungen hausen – während wir uns hier leidtun. Vielleicht merken wir da wieder was bzw. wieder mehr? Werden wieder empfänglicher für die Verletzlichkeit des Lebens. Hören auf, uns unserer Illusion hinzugeben, wir könnten immer alles haben und sein und kriegen. Kannst Du das, ein Leben führen, wo alles nach vorne hin offen ist und wo das ganz klar nicht nur dazugehört, sondern wesentlich ist? Der Weg, zu dem Tod und Leid und Bitternis gehören wie bei Jesus? Nein, man kann es nicht aus sich selbst heraus, dazu ja zu sagen. Es ist der Ruf Jesu, der es einem ermöglicht, daran nicht zu zerbrechen: Folge mir nach.

Überlegen und losgehen musst Du. So geht es im zweiten Gespräch darum, dass Jesus jetzt selbst jemanden auffordert, ihm nachzufolgen. Er will aber zunächst seinen Vater begraben, eine nach der Tora heilige Pflicht, heiliger als das Lesen der Tora selbst und das Befolgen der 10 Gebote. Es ist also mehr als plausibel und lässt Jesu Antwort noch schärfer und unbarmherziger wirken. Allerdings untersagt er nicht die Beerdigung. Es geht um Prioritäten: „Lass die Toten ihre Toten begraben, du aber geh hin und verkündige das Reich Gottes.“ Es ist die Frage: Wo bist du gerade - und woran hältst du dich auf?

Angesichts der Huldigung des Todes in aller Welt ruft Jesus zur Verkündigung des Gottesreiches. Jetzt ist Zeit die des Lebens! Das ist ein Ruf, den wir bis heute auf jedem christlichen Begräbnis laut werden lassen. Dass wir der Herrschaft des Todes nicht huldigen, uns der Schwere, die er auf uns legt, nicht ausliefern. Dass wir nicht zulassen, dass er uns so überwältigt, dass er uns jede Lebensfreude raubt und uns den richtigen Moment für neue und nötige Schritte nicht verpassen lässt. Wenn Du das jetzt machst, bei den Toten zu verweilen, dann ist der Zug der Nachfolge abgefahren, sagt Jesus. Die weiter wandernde Schar der Jünger wäre längst weg gewesen. Es braucht zur Nachfolge den Blick und die Frage: Was dient dazu, dass das Reich Gottes wahrzunehmen, seine Wirklichkeit in meinem Leben jetzt und hier. Ordne dein Leben, setzte hier die Priorität - alles andere ordnet sich dann von selbst.

Nach vorne weist dann auch das dritte Gespräch mit dem, der sagt: „Ich will dir nachfolgen, aber erlaube mir zunächst noch Abschied zu nehmen von denen, die in meinem Haus sind.“ Auch das klingt erst mal verständlich. Wir sind alle eingebunden in unsere Netze sozialer Verpflichtungen – soll man einfach aussteigen und sang-und klanglos verschwinden und das noch ohne vorher Ordnung in sein Leben gebracht zu haben? Wohl kaum. Das eigentliche Problem sind unsere wiederum nur allzu verständlichen Trennungsängste. Wer immer nur ängstlich auf das schaut, was er zurücklässt mit seinem bisherigen Leben, kann keine geraden Furchen ziehen. Der Pflug würde einen mitziehen, seine Kraft würde sich gegen einen wenden, einen von den Füßen holen und hinterherschleifen.

Aber das ist hier nur das eine Problem. Das andere ist eigentlich noch gravierender. Dietrich Bonhoeffer hat es in der ihm eigenen Radikalität in seinem Buch Nachfolge (S. 49) so beschrieben: Dieser Dritte versteht die Nachfolge wie der erste „als allein von ihm zu leistendes Angebot, ein eigenes, selbstgewähltes Lebensprogramm… und fühlt sich sogar berechtigt, auch seinerseits Bedingungen zu stellen… er will nachfolgen, aber er will sich selbst die Bedingungen für die Nachfolge schaffen“. Da aber wird „offenbar, dass in diesem Augenblick Nachfolge aufhört, Nachfolge zu sein. Sie wird zum menschlichen Programm, das ich mir einteile nach meinem Urteil…Dieser dritte also will nachfolgen, aber schon indem er es ausspricht, will er nicht mehr nachfolgen…er gerät also nicht nur mit Jesus, sondern schon mit sich selbst in Widerspruch. Er will nicht, was Jesus will, und er will auch nicht, was er selbst will….“ Und diesen „Zerfall mit sich selbst“, so Bonhoeffer, dass ihn der Pflug mitreißt statt dass er ihn steuert, belegt Jesus ihm.

Was hören wir aus dem Gespräch mit den drei Menschen? Ich höre: Höre den Ruf. Höre ihn genau. Und dann geh auch den Weg. Geh -  und geh im wahrsten Sinne des Wortes „radikal“: denke und handle von der Wurzel dessen her, was das Leben dieses Jesus von Nazareth bestimmt hat.  Dazu gehört bei ihm so etwas Radikales wie der Gedanke der Feindesliebe. Wer dem folgt, schafft es vielleicht irgendwann im Hören auf diesen Ruf radikal zu werden in der Liebe. Und wenn er auf diesem Weg einmal ist - dann kann und wird er sich nicht mehr anderweitig radikalisieren oder radikalisieren lassen. Der bleibt radikal auf der Seite des Lebens, in dem es auch für den ganz anderen den gleichen Raum gibt, wie für mich selbst.

Auch das ist etwas, über dass es sich jetzt in diesen Wochen wirklich radikal nachdenken lässt – vielleicht tun da die Ruhe und das Alleinsein mal ganz gut, die nun zwangsläufig vor uns liegen. Wir sind zusammen auf dieser einen Welt. Wir sitzen in einem Boot. Alle. Wir können nur gemeinsam überleben. Wir können nur gemeinsam angehen gegen die Todesmächte dieser Welt. Und wenn wir dann sogar noch mehr als das wollen, mehr als überleben, dann geht es auch nur, wenn wir das zusammen tun und wollen: Wege finden, wie das zusammen geht. Zusammen. Vielleicht geht die gespaltene Gesellschaft, die es im Moment überall zu geben scheint, gestärkt aus dieser Zäsur hervor, die da jetzt vor uns liegt.

Möglicherweise beginnen größere Teile der Bevölkerung endlich denjenigen zu misstrauen, die auf Hass und Abgrenzung setzen. Und vielleicht begreifen viele, dass sie alleine nichts sind. Dass es nicht hilft, nicht wärmt, nicht glücklich macht, nach Schuldigen zu suchen, den anderen zu verachten, zu erniedrigen. Mehr Wärme in Zeiten des einzuhaltenden Abstands. Das wär’s doch… Lassen wir uns rufen von Jesus und sehen, was Leben bedeutet, das es nur bei ihm gibt.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org