Predigt über Lukas 19,37

  • 02.05.2021 , 4. Sonntag nach Ostern – Kantate
  • Pfarrer Martin Hundertmark

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

„Singet dem Herrn ein neues Lied!“

Ja, gerne, liebe Gemeinde.

Doch die Stimmen sind schwach; unfähig etwas Neues hervorzubringen. Nur zu gerne singen wir statt des neuen Lobliedes das alte Lied von Neid und Missgunst. In der momentanen Impfdebatte tönt es besonders laut. Im Seniorenheim gibt es viel und manchmal schlimme Einsamkeit. Warum sollen Besuche nicht großzügig möglich sein, wenn Besucher und Besuchte geimpft sind?

Was soll daran ethisch verwerflich sein, liebe Gemeinde, wenn es nach wissenschaftlichen Erkenntnissen ungefährlich ist, dass sich gegen Corona geimpfte Personen im Café, im Konzertsaal oder im Restaurant treffen?

Der Wirt könnte Umsatz machen, die Musikerin würde Geld verdienen und beide wären nicht mehr in Gänze auf staatliche Unterstützung, die nichts anderes ist als sich Geld auf Kosten der nächsten Generation zu borgen, angewiesen.

Ja, einige Millionen Mitbürgerinnen und Mitbürger kämen erst später an die Reihe, weil noch nicht alles für alle zur Verfügung steht. Das kann doch aber im Umkehrschluss nicht heißen, dass nichts für alle möglich ist, damit alle gleich schlecht gestellt werden.

Unser Land krankt schon längere Zeit am neidvollen Blick. Die momentane Krise unterstreicht das nur allzu deutlich.

Österliche Freudenzeit ist eine Zeit der Verwandlung. Lasst uns den Neid verwandeln in freudiges Mitfreuen über Gutes, das dem Nächsten geschieht. Eigenes verantwortliches Handeln beginnt schon beim Fragestellen?

Statt „Warum ich nicht?“ könnte es der Jubelruf werden „Schön für dich! Ich freue mich!“

Die schwachen Stimmen vermögen keine neuen Lieder zu singen. Denn die Melodie des alten Jammerliedes „Früher war alles besser“ ist wohl bekannt. In den Köpfen fest gespeichert, kann sie auswendig gesungen werden. Und in regelmäßigen Abständen werden ihre Strophen ergänzt. Im Halse steckt der Jubel und verformt sich zum jämmerlichen Ächzen und Stöhnen.

Am heutigen Sonntag Kantate sind wir aber zum freudigen Lobpreis eingeladen. Geht das nach vierzehn Monaten Pandemie, liebe Gemeinde? Ist es angemessen angesichts der vielen Opfer, die sie fordert?

Wäre das Jammerlied nicht die bessere Alternative?

Ich denke, wir dürfen, ja müssen, unterscheiden zwischen angemessener Klage und Jammerei. Aber vielleicht ist es auch möglich, inmitten der Klage ein Loblied zu singen? Das wäre dann in der Tat neu. Dazu müsste es einen Grund geben.

Im Lukasevangelium Kapitel 19 wird von einer kleinen Begebenheit erzählt. Sie steht im Zusammenhang mit Jesu Einzug in Jerusalem.

„Und als er schon nahe am Abhang des Ölbergs war, fing die ganze Menge der Jünger an, mit Freuden Gott zu loben mit lauter Stimme über alle Taten, die sie gesehen hatten, und sprachen: Gelobt sei, der da kommt, der König, in dem Namen des Herrn!

Friede sei im Himmel und Ehre in der Höhe!
Und einige von den Pharisäern in der Menge sprachen zu ihm:

Meister, weise doch deine Jünger zurecht!
Er antwortete und sprach: Ich sage euch:
Wenn diese schweigen werden,
so werden die Steine schreien.“

Mit den Jüngern Jesu sind wir auf dem Weg. Es ist der Weg in die Passion. Da fällt Jubel wirklich schwer. Und doch kommt er über die Lippen. Denn wir haben bereits eine Ahnung davon bekommen, was sein kann, wenn diesem Friedenskönig vertraut wird. Auf Erden ist seine Botschaft offensichtlich gescheitert. Zumindest für den Moment sieht es ganz danach aus. Angesichts von aufgerichteten Kreuzen, von folternden Dornenkronen, angesichts von Spott und Hohn über die Friedensstifter inmitten einer auf Gewalt und Abschreckung setzenden Welt, mag es keinen Frieden auf Erden geben. Der aus der himmlischen Höhe herabgekommene Christus, das kleine Krippenkind bringt den Frieden nicht. Oder doch?

Es kommt wahrlich auf die Perspektive an. Ich möchte zur österlichen Sichtweise einladen. Denn auch dieser Text ist unter dem Eindruck von Neubeginn und Auferstehung entstanden. Die jungen christlichen Gemeinden Ende des ersten Jahrhunderts hatten zu lernen, mit den Widrigkeiten von Verfolgung und Repression umzugehen. Unter oft ständiger Lebensgefahr musste das Evangelium wachsen und weitergegeben werden. Das geht nur mit Zuversicht. Der heutige Predigttext hat über Jahrhunderte getröstet und ermutigt.

Ich bin davon überzeugt, dass diese ihm innewohnende Kraft auch heute im Jahr 2021 noch wirkt.

Ohne die Jünger Jesu sind wir nun auf dem Weg.

Es ist der Weg nach Ostern. Wir treten heraus aus den Grabeshöhlen, aus Enge und Engstirnigkeit. Wir treten hinaus ins Weite und erinnern uns an das Gute. Wir schauen auf Gottes Taten im eigenen Leben und Alltag.

Eine sich langsam erholende Natur, Frühlingskraft und Sonnenwärme tun mir gut.

Sie allein sind schon ein Loblied wert.

Die farbenfrohen Tulpen stellen sich als wohltuende Tupfer dem grauen Homeofficealltag entgegen.

Dem nach der Impfung wieder angstfrei ins Leben tretenden Senior ist die Freude im Augenwinkel unter der Maske anzusehen.

Jubel lässt sich nicht verbieten. Und wo das geschieht, schreien die Zeugen der Geschichte. Selbst tote Steine werden schreien. Denn Gottes wichtigste Tat, seine Menschwerdung in Jesus Christus, wird verkündigt werden – auch auf ungewohntem Wege.

Hindernisse gibt es dafür nicht.

Aber was ist mit dem nicht Gelingenden?

Was ist mit der Sehnsucht nach Früher und den alten Liedern?

Natürlich müsste alles schneller gehen.

Gewiss sind manche Fehler in der Pandemiebekämpfung, bei Impfstoffbeschaffung und –Organisation eigentlich unverzeihlich.

Mit anderem Blick jedoch kann auch der Dank über die Lippen kommen. Innerhalb eines knappen Jahres wurde ein wirksamer Impfstoff entwickelt. Das gab es bisher in diesem Tempo noch nie. Wo Menschen zusammenarbeiten, ein gemeinsames Ziel konsequent verfolgen und eigene Interessen auch einmal hintanstellen, entsteht Gutes und Nützliches für alle.

Leben wird ermöglicht und gerettet.

Für mich ist dieser österliche Blickwechsel eine Suchbewegung hin zu den guten Taten und kleinen Wundern Gottes in meinem Alltag. Daraus formt sich die Melodie des neuen Liedes und mein eigenes Leben fügt ihm eine Strophe hinzu.

Amen.