Predigt über Lukas 18,9-14
- 23.08.2020 , 11. Sonntag nach Trinitatis
- Pfarrer Martin Hundertmark
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Gemeinde,
„Wenn ich Du wäre, würde ich mir wünschen, wieder ich zu sein.“
Mit einer kleinen Karikatur versehen, steht dieser Satz auf einer Karte. Ich bekam sie vor vielen Jahren vom mir sehr freundschaftlich verbundenen Kantor geschenkt; mit der Bemerkung: So eine Karte kann man nur Dir schenken. Uns verband ein kindliches Vergnügen am sehr speziellen Humor, der dem Gegenüber nichts schenkte, aber auch nichts übel nahm.
Beim Lesen des heutigen Predigttextes erinnerte ich mich wieder an die eben beschriebene Karte.
Zwei Menschen begeben sich zum Tempel. Einer davon ist ein Pharisäer. Auf ihn passt der Satz, zeigt er doch mit dem Finger in Richtung des Sünders in Gestalt eines Zöllners:
„Gott, ich danke dir, dass ich nicht bin wie die übrigen Menschen…“ heißt es in der Sprache des Evangelisten Lukas. Gut, dass ich kein Pharisäer bin!
Ein Großteil von Ihnen wird vorhin beim Verlesen des Evangeliums so gedacht haben, oder?
Wir fühlen die Sympathie zum Zöllner und schauen wohlwissend auf den allzu offensichtlich fehlerhaft handelnden Pharisäer. Mit ihm will ich nicht auf einer Stufe stehen. Denn ich bin mir meiner Unzulänglichkeit bewusst, genauso wie der Zöllner. Ich weiß, dass ich auf Gottes Zuwendung angewiesen bin. Dessen bin ich mir ganz sicher. Ich danke Dir Gott, dass ich nicht so bin, wie jener Pharisäer!
Und schon ist sie zugeschnappt, die Pharisäerfalle.
Denn: Was soll an solchem Denken strukturell anders sein als bei ihm? Jesus lockt uns mit Vergnügen in die Pharisäerfalle, weil er uns als großer Menschenkenner eine Figur karikiert, damit wir erkennen, dass es um jeden von uns selbst geht – damals wie heute.
Nicht das Pharisäertum an sich wird beschrieben, sondern eine Haltung, die aus gut Gemeintem heraus vor lauter Freude über das Erreichte, wissentlich oder unbewusst, das Wichtigste vergisst – den liebevollen Blick für den Nächsten.
Jemand erhebt sich über andere, ob aus gutem Grunde oder aus gnadenloser Selbstüberschätzung, mag dahingestellt sein. Er macht aus seiner Haltung einen Maßstab zur Beurteilung des Lebens anderer und will dafür Gott in Anspruch nehmen.
Du bist beides
Beim Betrachten des Gleichnisses stellt sich für uns, liebe Gemeinde, nicht die Frage nach Pharisäer oder Zöllner. Uns werden zwei Figuren vorgestellt, die ach so gerne in einer Brust wohnen. Manchmal neigen wir zum Pharisäer, der sich nicht ohne Stolz seiner Taten und Anstrengungen rühmt, der Anerkennung möchte und sich immer alles verdienen muss. Der Pharisäer in uns möchte stets allen Ansprüchen gerecht werden. Diese sind hoch und werden immer mehr, immer unbarmherziger. Ich leiste das Doppelte, das von mir gefordert wird, weil es kein anderer macht. Ich will die perfekte Partnerin sein. Als Vater oder Mutter muss ich es anders und besser machen als ich es selber in der Kindheit erlebt habe. Und da ist noch die unter menschlicher Belastung ächzende Umwelt. Auch hier sind die Ansprüche an mich enorm. Gelingt es mir, ihnen gerecht zu werden, dann aber möchte das doch bitte schön, irgendwie auch gewürdigt und zumindest wahrgenommen werden, wenn schon nicht von den Anderen, die noch besser, klüger oder schöner sind als ich, dann doch wenigstens von Gott?
Für viele Zeitgenossen ist die Frage nach einem gnädigen Gott nicht mehr die Lebensfrage schlechthin, wie sie es zu Luthers Zeiten gewesen ist. Wir haben den gnadenlosen Richter auf die Erde ins eigene Dasein geholt.
Er wohnt ebenfalls in unserem Herzen und treibt uns immer weiter hinein in den Strudel eines Leistungsdenkens, dem wir letztlich nicht gerecht werden können. Die Frage nach dem gerechten Gott hat sich gewandelt in die Fragen „Wie kann ich zu mir ja sagen? Wie kann ich mich so annehmen, wie ich bin?“ Und das im vollen Wissen um die anderen Menschen, die es offensichtlich besser können als ich.
Auch der Zöllner in uns zeigt sich hin und wieder. Sein aus Verzweiflung gespeistes Stoßgebet wird schnell zur Methode. Wenn ich mich schon nicht erhöhen soll, dann mache ich die eigene Erniedrigung zum Lebensmotto. So schmiede ich aus Selbstzerknirschung und zelebriertem Sündersein die Demut als Waffe.
Mit ihr kann ich alles kleinhauen, was auch nur den Anschein hat, schön oder gut auszusehen und wofür sich Andere Mühe gaben und das auch so zum Ausdruck bringen.
Gottesvorstellungen
Beide, Pharisäer und Zöllner haben ihre je eigenen Vorstellungen vor Gott. Ersterer kommt zu Gott, um ihn als Belohnungsinstanz seiner eigenen Frömmigkeit sich gefügig zu machen. Weil ich alles tue, was von mir verlangt wird, muss ich doch dafür belohnt und anerkannt werden, erst recht in Sachen des Glaubens. Wie oft denken wir so, liebe Gemeinde. Muss es sich nicht auszahlen, wenn ich den Gottesdienst besuche, der Gemeinde die Treue halte, mich früh aus dem Bett bequeme, während die anderen zum Brunch gehen? Muss es nicht eine am Ende eine Belohnung geben für die vielen eingesetzten ehrenamtlichen Stunden, für die vielen „Ja, ich mache das“?
Der Einsatz für Gottes Gemeinschaft ist lohnenswert, jedoch in ganz anderer Weise als es sich der Pharisäer in uns vorstellt.
Die Belohnung kommt nämlich ohne Bestrafung aus. Und genau da liegt der Knackpunkt jener Verhaltensweise, die gerne als pharisäisch bezeichnet wurde. Denn am Ende wünscht sich der Pharisäer nicht die eigene Belohnung, sondern die Bestrafung der zöllnerischen Unfrömmigkeit. So aber würde Gott ausrechenbar werden. Das Geheimnis seines Wirkens und Seins wäre dann umgeformt in eine von Menschenhand bedienbare Belohnungsmaschine.
Gott hat die mit leeren oder beschmutzten Händen zu ihm Kommenden nicht weniger lieb als diejenigen, die ihr Leben in Frömmigkeit führen.
Der Zöllner auf der anderen Seite wird nur deshalb zum positiven Beispiel, weil er im Moment erkennt, dass er nichts auszurichten vermag. Es geht hier nicht um Minderwertigkeitsgefühle, die ich vor mir hertrage, um mir dadurch Gottes Anerkennung gewiss zu sein. Es geht auch nicht um ein bewusstes Kleinmachen der eigenen Leistungen nach dem Motto „ich bin nicht so wichtig“ oder „das ist doch selbstverständlich“. Wo solche Sätze oft fallen und betont werden, kann man sich sicher sein, dass die Anerkennung besonders wichtig ist für denjenigen, der sie ausspricht. Er hat nur das Zöllnergewand über seinen inneren Pharisäer gelegt, weil das besser aussieht.
Jesus Christus will uns befreien vom Leistungsgedanken, der einerseits um das vollbrachte Werk kreist und andererseits um den mangelnden Selbstwert. Somit befreit er zum Risiko eines Lebens, das sich nicht ständig selbst sichern muss. Dabei werden wir herausgehoben aus diesem verhängnisvollen Strudel und vor Gott gestellt als einzige Instanz. In seinem Lichte sehen wir die eigenen Licht- und Schattenseiten und können diese auch annehmen und mit ihnen leben. Nur zerknirscht durchs Leben zu gehen, ist nicht im Sinne eines gerechtfertigten Lebens.
Gott will keine geängsteten und zerschlagenen Herzen. Denn auch das zu feinsten Sandkörnchen zerschlagene, steinerne Herz, hat sich in jedem Körnchen immer noch die scharfen Kanten bewahrt. Es muss anders, es muss lebendiger werden. Aus dem versteinerten Herzen wird das mit Nächstenliebe gefüllte, fleischerne Herz. Solche Bewegung kann ich mir nicht selber schenken. Sie geht von Gott aus. Das geschieht nicht auf Knopfdruck meinerseits, weil ich zerknirscht bin oder großartige Dinge vollbracht habe. Es geschieht in geheimnisvoller Weise.
Jesus Christus stellt uns im Gleichnis von Pharisäer und Zöllner einen gnädigen, das heißt, liebevollen Gott vor.
Deshalb dürfen wir vor Gott mit leeren Händen stehen, ohne dabei die Hosen voll zu haben. Denn Gott nimmt sich zunächst unser so an, wie wir sind. Auf solchem Fundament lässt es sich angstfrei sicher stehen. Wo ich aber keine Angst haben muss vor meinem mich bewertenden Gegenüber, wächst die Freiheit. Solche Freiräume brauchen wir zum Leben. In ihnen gedeiht die Bereitschaft, sich auch eigener Unzulänglichkeiten zu stellen und sie zu ändern.
Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als unser Verstehe, bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.