Predigt über Lukas 14,16-24 und BWV 76 "Die Himmel erzählen die Ehre Gottes"

  • 18.06.2023 , 2. Sonntag nach Trinitatis
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Predigt über Lukas 14,16-24 und Johann Sebastian Bach: Kantate „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes“, BWV 76, Gottesdienst in der Ordnung der Bach-Zeit

18. Juni 2023

Er aber sprach zu ihm: Es war ein Mensch, der machte ein großes Abendmahl und lud viele dazu ein. 17 Und er sandte seinen Knecht aus zur Stunde des Abendmahls, den Geladenen zu sagen: Kommt, denn es ist alles bereit! 18 Und sie fingen an alle nacheinander, sich zu entschuldigen. Der erste sprach zu ihm: Ich habe einen Acker gekauft und muss hinausgehen und ihn besehen; ich bitte dich, entschuldige mich. 19 Und der zweite sprach: Ich habe fünf Gespanne Ochsen gekauft und ich gehe jetzt hin, sie zu besehen; ich bitte dich, entschuldige mich. 20 Und der dritte sprach: Ich habe eine Frau genommen; darum kann ich nicht kommen. 21 Und der Knecht kam zurück und sagte das seinem Herrn. Da wurde der Hausherr zornig und sprach zu seinem Knecht: Geh schnell hinaus auf die Straßen und Gassen der Stadt und führe die Armen, Verkrüppelten, Blinden und Lahmen herein. 22 Und der Knecht sprach: Herr, es ist geschehen, was du befohlen hast; es ist aber noch Raum da. 23 Und der Herr sprach zu dem Knecht: Geh hinaus auf die Landstraßen und an die Zäune und nötige sie hereinzukommen, dass mein Haus voll werde.24 Denn ich sage euch, dass keiner der Männer, die eingeladen waren, mein Abendmahl schmecken wird. (Lukas 14,16-24)

 

Liebe Gemeinde,

das kann einen schon kränken, was wir da hören. Man lädt Freunde ein, macht sich richtig Mühe. Aber kurz vorher, sagen die Gäste ab – und signalisieren: Was mich im Moment persönlich beschäftigt, ist mir wichtiger. „Ich bitte dich, entschuldige mich.“ Einen Acker gekauft, fünf Gespanne Ochsen, geheiratet - das eigene Glück zu finden in Eigentum, Wachstum, Partnerschaft. Daran muss man arbeiten, wenn man etwas vom Leben haben will – so augenfällig die Haltung derer, die die Einladung ausschlagen.

Man sollte wissen: Zu biblischen Zeiten wurde wochenlang im Voraus zu Festen eingeladen. Es gab ein antikes „Save the date“ und dann wurde man noch mal erinnert durch den Boten. Eine Praxis, die wieder im Kommen ist bei der heutigen Terminverdichtung. Und die kurzfristige Absage eines unliebsamen Termins via e-mail oder What’s App – viele von uns wissen doch (ich jedenfalls), wie verführerisch das ist, wenn man schlicht keine Lust hat. Kurz schreiben: Ich bitte dich, entschuldige mich. Wie praktisch war das vor ein paar Monaten noch: Sorry, leider, rote Kachel auf der Corona WarnApp … ich will doch niemanden gefährden…war eigentlich doch so schlecht, diese App…

Aber das Ganze hier ist ja mehr als eine Alltagsgeschichte über lästige Feste. Es geht vielmehr um die Frage: Verpasse ich eigentlich gerade mein Leben - indem ich lebe, wie ich lebe? Weder von unserem Besitz und seinem Wachstum noch von unserer Partnerschaft können wir den Himmel auf Erden erwarten. Wie viel scheitert an dieser überzogenen Erwartung: dass der andere einem die Erfüllung seines Lebens zu schenken habe. Wie schnell wird ein „Du machst mich glücklich“ zu einem „Mach du mich glücklich“. Wer immer nur in Richtung „erwerben und haben“ unterwegs ist – der wird entscheidende Momente im Leben verpassen.

Johann Sebastian Bach weitet in der Kantate, die wir heute hören, diesen Gedanken aus: Aus der Schöpfung selbst ist zu erkennen, wie sehr wir bereits beschenkt sind. Ob nun noch Äcker oder Ochsen dazukommen, ist egal – oder eine Frau, wie in dieser Geschichte, man muss wissen, früher gehörte sie so zum Besitz des Mannes wie Acker und Ochsen. Bach lässt singen: Die Schönheit der Schöpfung ist Einladung genug, in Gemeinschaft mit ihrem Schöpfer zu leben: „Die Himmel erzählen die Ehre Gottes“, heißt es im Eingangschor. Und im folgenden Tenorrezitativ: „Natur und Gnade redet alle Menschen an – so lässt sich Gott nicht unbezeuget.“ Es geht um den rechten Moment – und dass ich wach bin, wenn sich in meinem Leben etwas drehen und wenden könnte, was mich aus diesem ziellosen Gewusel zwischen Acker, Ochsen und Geliebter befreit. Und aus der beinahe schon tragischen Grundhaltung, den Dingen hinterherzujagen und zu glauben: Damit wird es alles richtig gut bei mir! Wird es nicht…

Der Moment kommt bei jedem, Bachs Text sagt „Natur und Gnade redet alle Menschen an“ – und in der Regel merken wir ihn auch, diesen Moment. Manchmal ganz genau. Aber da wir Meister sind im Wegrennen vor unbequemen Wahrheiten und gerne um den Punkt herumreden, auf den wir eigentlich kommen müssten, sind wir oft wie die drei Menschen, denen nur einfällt: „Ich bitte dich, entschuldige mich.“

Aber: Was gibt’s da eigentlich zu entschuldigen, sie müssten sich bei sich selbst für diese Torheit entschuldigen. Ich denke, darum geht es in diesem biblischen Text: Diese „Entschuldige-mich-bitte-Seite“ in uns anzuschauen und uns bewusst zu machen, wie viel wir damit verpassen im Leben. Vielleicht das Entscheidende. Bach kommentiert das im ersten Bassrezitativ so: „Der ältste Götze eigner Lust beherrscht der Menschen Brust.“ Er ist ein Götze, weil er uns festhält in den Verstrickungen unserer Vergangenheit und in den Sorgen darum, wie unser Leben werden wird mit dem neuen Acker, den Ochsengespannen, der Frau.

Aber wir haben auch noch eine zweite Seite. Sie kommt in der zweiten Einladungsrunde zur Sprache, denn der Festsaal des Lebens will gefüllt sein und Gott hört eben nicht damit auf einzuladen. Nicht von ungefähr spricht Lukas von den Armen, Verkrüppelten, Blinden und Lahmen, die kommen mögen. Ich finde es faszinierend, die Geschichte einmal so zu lesen, dass die hier Erwähnten bestimmte Seiten in uns symbolisieren. Dass Arme, Verkrüppelte, Blinde, Lahme äußere Bilder sind für unsere innere Verfassung. Unsere Sehnsüchte: dass wir für manches einfach blind sind, aber eigentlich gerne sehen wollen; dass wir in manchem unbeweglich immer in den gleichen Bahnen bleiben, wo wir gedanklich und auch sonst gerne viel beweglicher sein würden. Und dass wir uns aufrichten wollen, wo irgendwas in unserem Leben uns richtig runterzieht und im wahrsten Sinne des Wortes umgehauen hat. Wo ich mich sehne nach der seligen Gelassenheit und Leichtigkeit, wie man sie bei einem guten Fest in Gesellschaft empfinden kann, wo einem einfach das Herz aufgeht. Ja, in manchem können wir der Einladung gut und gerne folgen und verstehen, was uns geschenkt ist – sofern wir bereit sind, nicht immer nur bei uns selbst stehen zu bleiben und immer nur unter uns sein zu wollen.

Aber damit ist der Festsaal immer noch nicht voll. Die Fülle des Lebens, die Gott uns anbietet, ist damit noch nicht ausgeschöpft. Und so appelliert der Bote auch an eine dritte Seite in uns; an die, die man in uns nötigen muss. „Nötige sie, dass sie hereinkommen von den Landstraßen und Zäunen.“ Ja, das gibt es auch, dass wir irgendwie den Eindruck haben, mein Leben läuft irgendwie so ab, aber ich stehe irgendwie nur am Zaun und gucke zu. Ich werde mehr gelebt als dass ich selbst lebe. Vielleicht ist es das Schwierigste, aus dieser Situation in den Festsaal zurückzufinden. Wo ich den Eindruck habe, ich kann meinem eigenen Weg nicht trauen, ich fühle mich ausgeschlossen und irgendwie auch unwürdig. Und es ist mir peinlich, dass ich irgendwie gar nichtmehr weiß, was ich eigentlich will.

Der dreifachen Entschuldigung am Anfang entsprechen diese drei Seiten in uns. Drei und drei: Lukas ist ein großartiger Komponist – wie Bach! Es ist vielleicht etwas ungewöhnlich, diese Geschichte so zu deuten. Aber ich denke schon, dass es Lukas entscheidend um eines geht. Zu verstehen: Das Fest meines Lebens läuft schon. Ich muss nur hingehen und die Momente wahrnehmen und wach sein, wo der Bote bei mir anklopft. Gott ist ja bereit, ihn mehrfach auszusenden, wie wir hören. Den drei Entschuldigungen am Anfang korrespondieren ja außerdem auch noch die drei Einladungen des Hausherrn – „doppelter Kontrapunkt“ nennt man das wohl. in der Kompositionslehre. Gott will seinen Tisch voller Menschen haben, die ihr Leben so leben, wie sie von Gott gemeint sind. Und wonach sie sich insgeheim sehnen in all ihrem Gewese um Acker Ochsen, Geliebte und was sie sonst noch vom wirklich Wichtigen ablenkt. Vielleicht tut Gott das ja, indem er mir einen Menschen schickt, der mir guttut. Einen, der mich auf neue, ungeahnte Gedanken bringt. Vielleicht geschieht es durch etwas, was ich völlig neu für mich entdecke: Bibeltexte, Musik, Kunst, zu der ich noch keinen Zugang hatte. All die Dinge, die man nur jetzt hören, jetzt schmecken kann und die einem Gott als Gastgeber meines Lebens sozusagen vorsetzt: Hier, lieber Mensch, probiere mal! Ich kann sie nicht selbst kochen oder mich damit bevorraten, sie geschehen mir immer nur im „Jetzt und Hier“ – aber sie können alles verändern, was kommt. Mancher Moment im Bachfest mag sich da für einen ergeben haben oder ergibt sich noch, für den ich dankbar bin und der mir einen neuen Impuls gibt. Es ist zurecht ein Bach-Fest – und keine Bach-Konzertreihe!

Aber vielleicht verbirgt sich dieser Bote auch in Dingen, die alles andere als schön und harmonisch sind. Dass mich gerade etwas, was mich umzuhauen oder den Boden unter den Füßen wegzureißen droht, kräftigt. Dass es mich im Rückblick betrachtet stärkt und lebensfroh macht, auch wenn ich jetzt einfach nur abgrundtief traurig bin und mir überhaupt nicht nach Lachen zumute ist. Die Traurigen bleiben in dieser Geschichte ja gerade nicht außen vor, sie werden sogar geholt und hineingeführt in den Festsaal.

Ich denke, liebe Gemeinde: Lukas – und hinter ihm stehend, Jesus selbst - will uns gewinnen zu dieser Sicht auf unser Leben. Es heißt, etwas zu wagen. Aber wer nur beschränkt bleibt auf das, was er immer schon vorfindet bei sich, verzwergt sich selbst. Und er kann dann einfach keine Idee davon bekommen, was das Reich Gottes ist. So verstehe ich zumindest den letzten Satz: „Keiner derer, die eingeladen waren, wird mein Abendmahl schmecken.“ Es geht einfach nicht!  Acker, Ochsen, Geliebte, das ist nicht Dein Leben. Lass Dich davon nicht binden und nicht hindern, diese Einladung an mich höre ich aus dieser Geschichte heraus. Und komme, wie Du bist zum Fest, mit all deinen blinden, lahmen und armseligen Seiten, die Du hast. Du musst sie nicht verstecken. Und komm endlich weg von den Zäunen und Landstraßen deines Lebens auf den Weg, der in den Festsaal führt. Es ist alles bereit und es ist alles nur für Dich vorbereitet. So nämlich ist das, wenn Gott der Gastgeber ist. Amen.

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org