Predigt über Lukas 1, 67-79
- 13.12.2020 , 3. Advent
- Superintendent Christian Behr (Kreuzkirche Dresden)
Liebe Gemeinde,
es ist eigentlich eine so ruhige Adventszeit, wie wir sie selten, oder viele von uns noch nie erlebt haben. Und doch ist auch wiederum oft die Seele voller Unruhe. Wie wird es weitergehen? Komme ich ohne Infektion durch das Geschehen? Wie geht es meinen Angehörigen? Auch und gerade mit denen, die nicht in meiner Nähe sind und die ich nicht sehen, nicht berühren, nicht in die Arme schließen kann.
Die Seele ist unruhig – sucht nach Ruhe. Und findet sie hoffentlich oft oder immer einmal wieder in Gott. „Meine Seele ist unruhig, bis sie Ruhe findet in dir…“
Ein Teil christlicher Tradition, welches uns Ruhe finden lassen kann, ist ein regelmäßiges Gebet, eine stille Zeit für mich, für andere und für Gott. Über Jahrhunderte haben sich solche Zeiten weiter entwickelt, natürlich besonders in den Klöstern.
Unser heutiges Evangelium hat dort als ein Morgen-Meditations-Text Einzug gefunden. „Benedictus Dominus Deus Israel,
quia visitavit et fecit redemptionem plebi suae“ - „Gelobt sei der Herr, der Gott Israels! Denn er hat besucht und erlöst sein Volk“
So beginnt Zacharias seinen Gesang. Jahrhunderte wurde er zur Laudes, oder zur Mette, also zum Morgengebet auf Lateinisch gesungen. Vielleicht haben Sie ihn auch einmal zur Mette auf Deutsch mitgesungen. Überliefert ist er uns in der Bibel auf Griechisch. Wahrscheinlich hat Zacharias ihn als Priester auf Hebräisch gesungen, was ja auch damals mehr eine Kultsprache, denn eine Alltagssprache war. Und so finden auch wir heute noch „Ruhe für unsere Seele“ in alten, liturgischen, ja hymnologischen, manchmal fremden Texten. Auch oder gerade wenn es uns einmal die Sprache verschlägt. Das kann vor Freude oder vor Kummer sein. Das könnte in einem Stammeln enden, oder in nutzloser Füllsprache. Hier sind uns Texte an die Hand gegeben, die schon seit Jahrhunderten das Judentum und das Christentum begleiten. Das Buch der Psalmen – voll davon. Die Breviere, christliche Gebetbücher, leben davon. Und wir können sie nutzen.
Zacharias war mit Stummheit geschlagen, weil er sich als alter Mann nicht vorstellen konnte mit seiner ebenso alten Frau Elisabeth noch ein Kind zu bekommen. Als ein Engel ihm dies ankündigt und er verständlicherweise ungläubig reagiert, verschlägt es ihm neun Monate die Sprache. Mir war in der Vergangenheit die Parallele gar nicht so bewusst. In der Zeit, in der seine Frau „in anderen Umständen“ ist, ist er es ebenso. Ein Priester, der von der Sprache lebt, kann nicht mehr sprechen. „Das Volk wunderte sich, dass er so lange im Tempel blieb. Als der aber herauskam, konnte er nicht mit ihnen reden… Und er winkte ihnen und blieb stumm.“
Wahrscheinlich saß er dann später zu Hause, da er ja wohl keine Dienste mehr im Tempel tun konnte. Er hatte viel Zeit zum Nachdenken. Bis zu dem Tag, als ihr gemeinsames Kind Johannes geboren wurde und acht Tage später zur Beschneidung gebracht wurde. Da kann er plötzlich wieder reden. Frisch, wie in den Morgen hinein deklamiert, ja singt er dieses Lied, welches die Kirche dann in ihre Morgen-Liturgie aufgenommen hat.
Schön ist, wenn der Tag so beginnen kann – mit einem Lob Gottes. Mit einem Dank für das Gewesene. Für alle Behütung und Bewahrung des Lebens, des Volkes, ja der ganzen Schöpfung. Zacharias singt ein Loblied. Und wir können ihm folgen. Auch in dieser Zeit. Auch wenn uns vielleicht irgendwie selbst zum Klagen zumute ist, wenn wir vielleicht auch am liebsten mit in den allgemeinen Frust über die Zustände des Landes im Corona-Lockdown einstimmen würden – und dies ruhig auch getrost einmal tun dürfen.
Aber – wir blicken zurück. Und erkennen so viel, was Gott uns geschenkt hat. Wir haben ein Dach über dem Kopf. Wir haben zu Essen. Die Züge fahren auch in dieser Zeit zwischen Dresden und Leipzig. Wir haben Kommunikationsmittel, die in anderen Pandemie- und Seuchen-Zeiten undenkbar waren. Wir aber können mit Kindern und Enkeln telefonieren und uns die Funktion des Video-Kontaktes von ihnen erklären lassen.
Zacharias blickt auch zurück. Zurück auf ein gebeuteltes und auch zerstrittenes Volk – oft umgeben von Feinden. Aber er kann singen: „dass er uns errettete von unsern Feinden und aus der Hand aller, die uns hassen, und Barmherzigkeit erzeigte unsern Vätern…“
Wer hätte vor reichlich 75 Jahren gedacht, dass unser Volk wieder irgendwann in die Gemeinschaft der Völker Europas, ja der Welt aufgenommen werden würde. Im Herbst 1945 wurde die Stuttgarter Schulderklärung der Evangelischen Kirche in Deutschland formuliert, an die in den vergangenen Wochen erinnert wurde. Heute würden wir sagen, dass sie lange nicht weit genug ging, da sie wenig von einem eigenen Verschulden oder der totalen Stummheit der Evangelischen Kirche in Deutschland sprach. Damals ging diese Erklärung – auch heute fast unverständlich – vielen in Deutschland und in der Evangelischen Kirche viel zu weit. Und doch hat sie fast mit geholfen einen Versöhnungsprozess zu ermöglichen. „dass er Barmherzigkeit erzeigte unseren Vätern…“.
Neben der Dankbarkeit an jedem Morgen, dass ich geborgen leben darf, bin ich immer und immer wieder dankbar dafür, dass wir in den letzten Jahrzehnten als Kirche in eine weltweite Ökumene eingebettet sein dürfen. Und dass wir als deutsches Volk, besonders seit 1989 wieder in der Mitte der europäischen Völker leben und agieren dürfen. Und ich möchte alles dran setzen, dass es auch so bleibt. Oder sich immer weiter und auch besser gestaltet.
Zacharias spricht, deklamiert, singt ja noch weiter. Es geht ihm neben dem Dank für das Gewesene auch um einen positiven Ausblick. Für seinen Sohn Johannes; für den kommenden Messias, dem dieser den Weg bereiten wird. Für das Heil der Menschen. Dabei aber lässt er auch das Dunkel nicht aus, das uns ja auch in unserer Zeit, auch in unserem Leben immer einmal wieder befällt.
„durch die herzliche Barmherzigkeit unseres Gottes, durch die uns besuchen wird das aufgehende Licht aus der Höhe, auf dass es erscheine denen, die sitzen in Finsternis und Schatten des Todes“
Neben der etwas tieferen Stille, die uns in den kommenden Tagen, vielleicht besonders hier in Sachsen umfangen wird, sehen wir auf der anderen Seite das Licht des Adventes aufgehen. Wir sehen aber auch die, die in diesen Tagen „in Finsternis und Schatten des Todes“ sind. Wir blicken auf Intensivstationen in den Krankenhäusern und sehen die Pflegeheime, in denen Menschen oft schneller und intensiver erkranken als anderswo. Wir sehen die Pflegenden, die immer mehr an die Grenze ihrer Kräfte kommen. Was können wir tun, dass „das aufgehende Licht aus der Höhe“ auch dorthin leuchtet?
Ich kann dort nicht mehr selbst aktiv unterstützen. Ich kann mich aber darum kümmern, dass hoffentlich niemand mehr alleine sterben muss. Ich kann dafür sorgen, dass in dem Bereich, für den ich zuständig bin, die Seelsorgerinnen und Seelsorger so im Kontakt mit den Kliniken sind, dass Seelsorge an Kranken und Sterbenden verantwortlich möglich bleibt.
Und ich kann denen entgegentreten, die diese ganze Geschichte, die uns gerade jetzt widerfährt, verharmlosen wollen. Ich kann zwar einiges von dem Frust über gefährdete Existenzen verstehen. Auch, dass sich dieser einmal Bahn brechen muss. Aber, auch wir als Kirchen und Kirchgemeinden müssen gemeinsam mit dafür sorgen, dass besonnen und verantwortlich miteinander umgegangen wird. Dass das Leben im Blick bleibt. Und dass auf der anderen Seite auch nicht die Kritiker auf der Strecke bleiben.
Zacharias war neun Monate mit Stummheit geschlagen. Ihm blieb viel Zeit zum Nachdenken. Und er begann sein erstes Reden und Singen mit Dank und einem hoffnungsvollen Ausblick. Und er endete mit der großen Hoffnung, die auch uns weiter in der Adventszeit begleiten und beflügeln kann: „Und richte unsere Füße auf den Weg des Friedens.“
Amen