Predigt über Lk 22, 54-62

  • 10.03.2024 , 4. Sonntag der Passionszeit - Lätare
  • Pfarrer Martin Hundertmark

Predigt über Lk 22, 54-62 – Verleugnung des Petrus am Sonntag Lätare, St. Thomas zu Leipzig um 9.30 Uhr

 

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 

„…. Und Petrus ging hinaus und weinte bitterlich.“ Beim Lesen dieses letzten Satzes aus der Verleugnungsgeschichte höre ich immer die musikalische Bearbeitung J. S. Bachs aus seinen Passionen mit. Doch der Reihe nach, denn die Beziehung zwischen Petrus und Jesus beginnt viel früher.

 

„Von nun an sollst Du Menschen fischen“

 

Indem Jesus die entmutigten Fischer direkt anspricht und ihnen, man möchte fast sagen, befiehlt, noch ein weiteres Mal auf den See zum Fischen zu fahren, bekommen jene zumindest so viel Mut, dass sie es wagen. Jesus ruft sie in ihrem Alltag zu einer ganz anderen Aufgabe. Damit sie sich aber darauf einlassen, braucht es zunächst einen Grund, ihm zu vertrauen. Jesus Christus selbst ist dieser Grund. Das zum Bersten übervolle Netz symbolisiert – hier ist deine Arbeit erledigt. Jetzt wirst Du woanders gebraucht. Petrus ist begeistert. Seine Begeisterung wird überschwänglich. Er folgt Jesus nach. Das ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.

 

Am Tisch des Herrn

 

Zum letzten Mal wird gefeiert. Eine vertraute Runde. Jesus gemeinsam mit seinen engsten Freunden. Er teilt Brot und Wein, so wie wir es im Gottesdienst tun, um seine Gemeinschaft mit uns zu feiern. Das ist mein Leib, der für euch gegeben wird. Das ist mein Blut, das für euch gegeben wird zu Vergebung der Sünden. Im Gemeinschaftsmahl mit Jesus Christus erfahren die Jünger: Wir sind ganz nahe bei ihm und er nimmt uns an, so wie wird sind. Das stärkt sie. Diese Erfahrung macht Mut und beflügelt. Sie beflügelt so sehr, dass Petrus sich hinreißen lässt zu den Worten:

„Herr, ich bin bereit, mit dir ins Gefängnis und in den Tod zu gehen.“

Auf mich kannst Du Dich zu einhundert Prozent verlassen. Das will Petrus seinem Herrn sagen. Egal, was kommen mag. Ich stehe an deiner Seite. Weder Gefängnis, noch der Tod können daran etwas ändern.

Eine wunderbare Zusage, ja fast schon ein intimes Bekenntnis zu dieser tiefgehenden Freundschaft. Du, Jesus bist mir so wichtig, dass ich sogar mein eigenes Leben für Dich geben würde.

Jesus dämpft den Überschwang mit dem Wort vom Hahnenschrei. Noch nichteinmal das Bekenntnis mit deinen Lippen wirst du sagen können, geschweige denn mit mir in den Tod zu gehen. Eine Spur wird gelegt. Es ist die Spur in die Realität. Dort bewährt sich das Bekenntnis zu Jesus Christus. Darauf will Jesus Christus seinen treuen Freund und Wegbegleiter vorbereiten. Ob er es in diesem Moment hören kann? Vielleicht war Petrus eher etwas enttäuscht über die Worte Jesu. Wie schnell sie Wahrheit werden, zeigt die nächste Szene. Gemeinsam brechen sie vom Abendmahl auf und gehen in den Garten. Jesus überkommt plötzlich eine große Trauer und eine noch größere Angst. Er fragt, seine treuen Freunde, ob sie mit ihm nicht wachen und beten könnten. Während Jesus mit Gott ringt, sich seines Weges bewusst wird, und nach einem Ausweg aus dem bevorstehenden Leid sucht, überkommt Petrus eine große Müdigkeit. Statt wach zu sein, schläft er ein. Im Moment des einzulösenden Freundschaftsdienstes versagt er. Die Traurigkeit lässt ihn schlafen. So erzählt es Lukas in seiner Variante der Passionsgeschichte. Enttäuschung klingt in den Worten Jesu, als er fragt: „Was schlaft ihr? Wachet und betet, dass ihr nicht in Anfechtung fallt.“

Liebe Gemeinde, wir sind mit Petrus ein gutes Stück seines Weges gegangen und kommen nun an den Punkt, wo die harte Realität auf einen in höchstem Maße angefochtenen Menschen trifft.

Jesus wird abgeführt in das Haus des Hohenpriesters. Petrus folgt ihm. Im Schatten der Dunkelheit und von ferne traut er sich, die Bindung zu Jesus aufrechtzuerhalten. Ich will ihn nicht im Stich lassen. Zaghaft wagt sich Petrus weiter vor. Eine Entscheidung muss getroffen werden. Heraus aus dem Dunkel in die Mitte der Szene? Oder weiter beobachten, was geschieht, ohne selbst entdeckt zu werden. Christliches Bekenntnis kann sich nicht im Verborgenen bewähren, dort, wo uns niemand sieht.

Petrus ahn es. Und er traut sich, den nächsten Schritt zu gehen. Mitten unter die anderen setzt sich Petrus. Das Licht des Kohlefeuers bescheint auch ihn in seiner Angst. Wie ein Scheinwerfer wird er beleuchtet und die Magd schaut sich ihn ganz genau an. Plötzlich wird Petrus angesprochen. „Dieser war auch mit ihm.“

Das sitzt. Wie ein Stich fahren Petrus die Worte der Magd in Körper und Seele. Umgehend kommt der Widerspruchsimpuls „Frau, ich kennen ihn nicht.“

Dem nächsten antwortet er „Mensch, ich bin´s nicht.“ Und dann vergeht eine Stunde. Eine Stunde voll Angst, erkannt zu werden. Die Folge wäre genau das, was Petrus noch zuvor am Abendmahlstisch großspurig versprochen hat. „Mit dir, mein Herr, gehe ich sogar ins Gefängnis und wenn es sein muss auch in den Tod.“ Petrus wird an seine eigenen Worte nicht gedacht haben. Dafür ist seine Angst zu groß. Er kann auch nicht fliehen, weil ihn das erst recht verraten würde. Also bleibt nur das Ausharren, um zu sehen, was weiter passiert. Mit jeder Minute, die vergeht, verliert Petrus ein Stück seines Schutzes. Da platzt es aus dem nächsten heraus: „Es ist wahr. Dieser war auch mit ihm.“ Und wieder antwortet Petrus „Mensch, ich weiß nicht, was du sagst.“

Während diese Abwehrworte ihm über die Lippen kommen, krähte der Hahn.

Der gefangenen Jesus blickt seinen treuen Freund an.

Jetzt fällt es Petrus wieder ein. „Ehe heute der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen.“

Alle Hüllen sind gefallen. Petrus steht wie nackt im Scheinwerferlicht. Er fühlt eine große, übergroße Scham. Die inneren Kräfte reichen nicht mehr aus, jenes Gefühl im Zaum zu halten. „Und Petrus ging hinaus und weinte bitterlich.“

Zurückdrehen kann er die Szene nicht. Es bleiben ihm nur die Tränen, derer er sich nicht schämt. Ganz im Gegenteil. Petrus lässt die Tränen fließen.

 

Petrus ist gescheitert

 

Der Hahnenschrei macht sein Scheitern deutlich. Außer vollmundigen und großspurigen Worten ist nichts geblieben. Dreimal in kürzester Zeit verleugnet Petrus das, woran er doch eigentlich glauben wollte. Die Beziehung zu Christus ist stärker als alle anderen Kräfte und Bindungen. In der eigenen Angst zerbröselt die Bindung und reißen die Bande. Eigentlich ist jetzt alles vorbei. Petrus steht beschämt da. Er möchte das eigene schlechte Gewissen verbergen, die eigene Enttäuschung ebenso und die Enttäuschung der anderen, in diesem Fall Jesu Enttäuschung, auch. So ist Scham, liebe Gemeinde. Wir wollen mit allen Kräften verbergen, was niemand sehen soll. Aber der Körper reagiert anders. Die Schamesröte im Gesicht verrät uns. Oder die Tränen, das heftige, bitterliche Weinen, gewinnt Macht über uns und wir können dem nichts mehr entgegensetzen. Man möchte die Augen zudecken mit den eigenen Händen und weiß doch, dass das nichts nützt. Am liebsten möchte man aber im Boden versinken, um sich den Blicken der anderen Menschen entziehen zu können. Wie groß die Scham des Petrus ist, zeigt sich in der Darstellung des Evangelisten Lukas in der großen Lücke seines Auftretens. Petrus tritt erst wieder zum Osterfest in Erscheinung. Was zwischenzeitlich passierte, davon wird nicht berichtet.

Es braucht nun eine Entschämung. Petrus erfährt Jesus als den großen Entschämer. Denn er lässt den Beschämten weder im Stich, noch mit seiner Schuld allein und erst recht verwirft er ihn auch nicht, sondern gibt ihm das Gefühl, auch weiterhin angenommen zu sein. Petrus macht eine unglaubliche Geborgenheitserfahrung inmitten des eigenen Versagens.

 

Erbarme dich, mein Gott

 

In Johann Sebastian Bachs Matthäuspassion folgt auf das bitterliche Weinen des Petrus und die Erkenntnis eigenen Scheiterns die wunderbare Arie „Erbarme dich, mein Gott“.

Für mich ist es die einzige Antwort auf eigenes Scheitern. Kyrie eleison – Herr, erbarme dich.

Ich selbst habe versagt und bitte, lass mich daran nicht zugrunde gehen. Steh an meiner Seite, Gott, wenn ich es nicht mehr kann. Verwirf mich nicht! Selbstrechtfertigungen würden mich in dieser Situation nur weiter weg von Gott entfernen. Die im besten Sinne demütige Reue ist das Fundament für ein Weiterleben im Glauben, trotz des offensichtlichen Versagens. Dafür stehen die Tränen des Petrus.

Sie sind kostbar, sehr kostbar. Denn auf den Tränen des Petrus ist die Kirche gegründet. Sie sind das Symbol für eigene Demut, für Reue und für die Scham, der wir gelegentlich ausgesetzt sind, wenn uns Mut und Kraft zum Glauben verlassen. Mit den Tränen des Petrus behält die Kirche ihr den Menschen zugewandtes Wesen. Denn mit den fließenden Tränen gerät das Leben in eine heilsame Bewegung.

Erst diese Tränen ermöglichen einen felsenstarken Glauben.

 

Blicke mich an und rühre mein Gewissen

 

In der Johannespassion beschließt eine Choralstrophe die Szene von der Verleugnung und den Tränen des Petrus. Jesu Blick bewirkt Gewissensbisse. Das ist heilsam. Denn sein Blick bewahrt mich vor Selbstgerechtigkeit und gefühlslosen Optimierungsversuchen. Jesu Blick sagt mehr als alle Worte es vermögen. Dabei ist sein Blick kein strafender Blick, sondern ein erbarmender Blick. Vor dem Erbarmen steht die eigene Reue. Dafür ist uns Petrus eine wichtige Symbolfigur aus der Passionsgeschichte. In der Reue und im eigenen Schuldeingeständnis trifft mich dann der erbarmende Blick. Das, was ich nicht vermochte, zu Jesus zu stehen, in meiner Nachfolge konsequent zu sein, das kehrt Jesus ins Gegenteil um. Er steht zu mir bis zur letzten Konsequenz. Jesu Blick will nicht richten.

Er will erinnern und das Gewissen rühren.

Wenn Jesu Blick nicht richtet, dann sollten es unsere Blicke auch nicht tun angesichts von Schwäche.

Denn niemand weiß, wann ihm der Hahn kräht.

Amen.

 

Und der Friede Gottes….