Predigt über Kohelet 3,1-15

  • 31.12.2023 , 1. Sonntag nach dem Christfest, Altjahresabend - Silvester
  • Prädikantin Dr. Almuth Märker

Altjahresabend (VI) 31. Dezember 2023 St. Thomas, 18 Uhr Sakramentsgottesdienst

 

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserm Vater und unserm Herrn Jesus Christus.
[Stille]
Der Predigttext für den Altjahresabend steht im Buch des AT Prediger im 3. Kapitel, Verse 1-15:
„Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde:
2Geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit;
pflanzen hat seine Zeit, ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit;
3töten hat seine Zeit, heilen hat seine Zeit;
abbrechen hat seine Zeit, bauen hat seine Zeit;
4weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit;
klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit;
_____________________
5Steine wegwerfen hat seine Zeit, Steine sammeln hat seine Zeit;
herzen hat seine Zeit, aufhören zu herzen hat seine Zeit;
6suchen hat seine Zeit, verlieren hat seine Zeit;
behalten hat seine Zeit, wegwerfen hat seine Zeit;
_____________
7zerreißen hat seine Zeit, zunähen hat seine Zeit;
schweigen hat seine Zeit, reden hat seine Zeit;
8lieben hat seine Zeit, hassen hat seine Zeit;
Streit hat seine Zeit, Friede hat seine Zeit.

9Man mühe sich ab, wie man will, so hat man keinen Gewinn davon.

10Ich sah die Arbeit, die Gott den Menschen gegeben hat, dass sie sich damit plagen. 11Er hat alles schön gemacht zu seiner Zeit, auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz gelegt; nur dass der Mensch nicht ergründen kann das Werk, das Gott tut, weder Anfang noch Ende.
12Da merkte ich, dass es nichts Besseres dabei gibt als fröhlich sein und sich gütlich tun in seinem Leben. 13Denn ein jeder Mensch, der da isst und trinkt und hat guten Mut bei all seinem Mühen, das ist eine Gabe Gottes.
14Ich merkte, dass alles, was Gott tut, das besteht für ewig; man kann nichts dazutun noch wegtun. Das alles tut Gott, dass man sich vor ihm fürchten soll.

 

15Was geschieht, das ist schon längst gewesen, und was sein wird, ist auch schon längst gewesen; und Gott holt wieder hervor, was vergangen ist.“

 

Der Herr segne an uns sein Wort.

 

Mit Gott ringen.

Um das Verständnis seines Wortes ringen.

Sich mit seinem Wort auseinandersetzen, ja anlegen.

Den harten Kampf auf sich nehmen und über sich hinauswachsen.

 

Liebe Gemeinde, welchem Typ würden Sie sich zuordnen, wenn es um das Verstehen von Gottes Wort geht? Wenn es darum geht, seine Botschaft zu erfassen und zu begreifen?

Sind Sie eher derjenige, der durch starke sprachliche Bilder berührt wird? Der, den Poesie, Gedicht und Bild näher zur Gotteserkenntnis bringen? Wollen Sie nicht so sehr mit theologischen Fachbegriffen gefüttert werden, sondern sich vielmehr von der wirksamen Macht des Gotteswortes mitreißen und womöglich an ganz andere Ufer fortspülen lassen?

Oder sind Sie ein ganz anderer Typ von Gotteshörerin. Eine, die glasklare theologische Fluchtpunkte sucht. Eine, die aus dem Bibeltext die theologische Quintessenz herausgefiltert sehen möchte. Eine, die es schwarz auf weiß wissen will.

 

Liebe Gemeinde, unser Predigttext zum heutigen Altjahresabend wird tatsächlich beiden Ansprüchen gerecht, er erfüllt beide Bedürfnisse: Er beginnt mit einem Gedicht. Und er endet mit theologischen Aussagen über die Schöpfung, über den Menschen und über die Ewigkeit – alles aus Gottes Blickwinkel heraus.

 

Das Gedicht.

„Geboren werden hat seine Zeit, sterben hat seine Zeit;
pflanzen hat seine Zeit, ausreißen, was gepflanzt ist, hat seine Zeit;
3töten hat seine Zeit, heilen hat seine Zeit;
abbrechen hat seine Zeit, bauen hat seine Zeit;
4weinen hat seine Zeit, lachen hat seine Zeit;
klagen hat seine Zeit, tanzen hat seine Zeit;“

und so fort

 

Mit diesem Gedicht widerspricht der Prediger im Buch Kohelet einem König, der glaubte, ein Reich unbegrenzter Möglichkeiten beherrschen zu können. Mit diesem Anspruch war der König gescheitert.

Wir haben es schon erfahren: gescheitert zu sein, wenn wir ein Leben unbegrenzter Möglichkeiten realisieren wollten.

Der Prediger widerspricht diesem Wahn. Und bietet gleichzeitig eine doppelt hoffnungsvolle Perspektive:
ALLES HAT SEINE ZEIT:

Gleich doppelt, denn es bedeutet:
Alles hat seine Zeit …. Für alles gibt es einen Zeitraum, gibt es eine bemessene zugestandene Zeit. Für alles gibt es einen gestaltbaren Zeitrahmen. Alles hat seine Zeit.

Und die zweite Persopektive:
Alles hat seine Zeit. Für alles gibt es eine begrenzte Zeit. Für alles, also für das Schlimme: es endet Gottseidank irgendwann. Die begrenzte Zeit gilt also auch für das Schöne: es endet irgendwann – wie schade ist das denn! Aber wie tief im Leben wurzelnd.

Und so begleitet uns dieses Gedicht an die Grenzerfahrungen und in den Grenzerfahrungen unseres Lebens: „Alles hat seine Zeit. Lachen hat seine Zeit. Weinen hat seine Zeit.“ wird in Gottesdiensten zur Trauung gelesen. Es wird in Trauerfeiern gelesen. Und ist eben heute am Altjahresabend Predigttext: Alles hat seine Zeit.

Wir blicken zurück. Wir sehen das, was uns lachen machte. Wir sehen das, was uns weinen machte.

Und gehen gemeinsam mit dem poetischen Text durch unser Jahr hindurch. Berühren die Themen von Leben und Tod:

„Geboren werden hat seine Zeit. Sterben hat seine Zeit.“

Streifen mit Vorsicht und Achtsamkeit die Schmerzpunkte unseres Lebens, die mit Partnerschaft. Liebe und Sexualität zu tun haben:

„Herzen hat seine Zeit. Aufhören zu herzen hat seine Zeit.“

Nehmen die alten Bilder von Trauer, Abschied und Neubeginn in uns auf, wenn die Angehörigen beim Tod eines Nächsten im Trauerritual ihre Kleider zerrissen:

„[Kleider] zerreißen hat seine Zeit. Neue Kleider nähen hat seine Zeit.“

Und lesen mit Erschütterung – denn wir wünschen es uns so sehr anders -, wie da Liebe und Hass, Krieg und Friede scheinbar unwidersprochen nebeneinander stehen:

„Lieben hat seine Zeit. Hassen hat seine Zeit.

Krieg hat seine Zeit. Friede hat seine Zeit.“

 

Und der Prediger beschließt das Gedicht mit einer rhetorischen Frage:

„ Welchen Gewinn, welchen Nutzen hat jemand, der etwas tut, von dem, mit dem er sich ab- und ab- und abmüht?“ Welchgen Nutzen? Welchen Gewinn?

Die Antwort auf diese rhetorischen Frage ist klar: keinen.

Wir ziehen keinen Gewinn aus unserm Leben, indem wir uns GOTTESfern, GOTTesleer, GOTTlos abmühen.

 

Von Gott war bisher nicht die Rede. Jetzt kommt sie ins Spiel.

„Ich sah die Arbeit, die Gott den Menschen gegeben hat, […] und dass der Mensch nicht ergründen kann das Werk, das Gott tut, weder Anfang noch Ende.
12Da erkannte ich, dass es nichts Besseres dabei gibt als fröhlich sein und sich etwas Gutes tun in seinem Leben. [und] das ist eine Gabe Gottes.
14Ich erkannte, dass alles, was Gott tut, das besteht für ewig [...]. „

 

Hier ist sie nun in unserm Text nachzulesen: Die Theologie in ihrer reinsten Form:
- Gott hat die Welt geschaffen. Ja, so ist es.

- Der Mensch hat ein Recht auf Lebensglück. Sie, er darf das Leben auskosten und die Früchte eines jeden Tages pflücken und genießen.

- Gott handelt vollkommen. Sie ist ewig.

 

Gott ist ewig. Anders als ich, die ich für das Hier und Jetzt geschaffen bin. Mir Menschenkind ist es gegeben, in diesem Augenblick zu leben, in der Gegenwart präsent zu sein. Die Vergangenheit fällt von mir ab. Die Zukunft kann ich nicht vorwegnehmen, ja nicht einmal erahnen.

Gott ist ewig. In ihr wird das, was auseinanderstrebt, werden Vergangenheit Gegenwart und Zukunft zusammengehalten. Sie macht das Auseinanderklaffen heil.

Die Sache von uns Menschen …, meine Sache als Mensch ist die Gegenwart, ist dieser einzelne Augenblick.

Gottes Sache ist die Ewigkeit.

 

Eine Ahnung von dieser Ewigkeit hat Gott schon – so sagt es der Prediger (V. 11) – in mein Herz gelegt. Und da scheint es, als durchströme es mich neu. Ich stoße mich ab vom Ufer des Textes und schwimme hinaus, umgeben von Vergangenheit Gegenwart und Zukunft. Das Vertrauen, dass Gott nah  ist und da und gegenwärtig in diesem Universum aus Zeit, trägt mich. Ich schwimme, ansonsten Nichtschwimmerin, gleite durchs Wasser und nehme Zug um Zug:

 

„Geboren werden hat seine Zeit.“ - einatmen.

„Sterben hat seine Zeit.“ - ausatmen.

 

„Pflanzen hat seine Zeit.“ - einatmen.

„Ausreißen, was gepflenzt ist, hat seine Zeit.“ - ausatmen.

 

„Lieben hat seine Zeit.“ - einatmen.

„Hassen hat seine Zeit.“ - ausatmen.

 

Ein jegliches hat seine Zeit. (V. 1)

Und auch die Ewigkeit hat Gott in unser Herz hineingelegt. (V. 11)

Amen.

 

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und unser Beginnen in Christo Jesu. Amen

 

Prädikantin Dr. Almuth Märker

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