Predigt über Jos 2,1-21
- 12.10.2025 , 17. Sonntag nach Trinitatis
- Superintendent Sebastian Feydt
Liebe Gemeinde!
Es ist nicht nur herausfordernd, es ist eine Last, mit diesen biblischen Versen zu predigen.
Denn mit der Geschichte der Rahab offenbart sich uns, wie brutal man sich die Einnahme des Landes westlich des Jordans durch die Israeliten vorgestellt hat. Josua, ihr Anführer, beabsichtigt durch Zerstörung und Krieg vorzugehen.
Die Menschen in Orten wie Jericho mussten mit dem Tod rechnen. Den Bann vollziehen hieß: komplette Auslöschung ganzer Völker.
Und bei alledem wird Gott in Anspruch genommen. Gottes Größe und die Stärke Gottes werden nicht durch mitmenschliches, nicht durch befriedendes Handeln vermittelt, sondern durch das brutale Vorangehen, durch das Besiegen der Feinde im so sog. heiligen Krieg. - So berichtet es das Josua-Buch. Angesichts der gegenwärtigen Situation im Nahen Osten, und nicht allein in dem Streifen zwischen den Städten Gaza und Rafah, sondern auch in diesem Westjordanland,
in Städten wie Jericho oder Bethlehem oder Hebron und den christlichen Gemeinden dort ... ist es unerlässlich, dass wir uns - gerade als Christen - der Gewalt-Exzesse verbunden mit Gott in unseren biblischen Texten kritisch stellen und klar bekommen, welche Schlüsse wir für unser Denken und Reden daraus ziehen.
Warum muss man sich in biblischen Texten so der Sprache der Gewalt bedienen –wo man doch gleichzeitig das Ziel verfolgt, menschliches Leben zu schützen und zu bewahren – ganz so, wie es uns durch die Person der Rahab anschaulich gezeigt wird.
Aber vielleicht ist diese Frage falsch gestellt. Liegt in dieser Spannung - hier die Brutalität einer kriegerischen Landeroberung, dort die das Leben ihrer Familie bewahrenden Haltung einer Frau – vielleicht liegt gerade in dieser Spannung selbst der Schlüssel, der uns ein Verstehen der Botschaft der biblischen Geschichte eröffnet?
Vermittelt uns die Bibel, wie wir dem Umstrittenen, dem Inakzeptablen, der Gewalt im Krieg begegnen können, indem sie uns Rahab kennenlernen lässt?
Rahab ist als kanaanäische Frau eine Fremde, die am Rande der Stadt Jericho allein in einem Haus nahe an der Stadtmauer lebt. Sie scheint unabhängig und handlungsstark zu sein.
Diese Frau verhandelt auf Augenhöhe mit den Männern des Josua ebenso wie mit denen des Königs von Jericho. Sie ist eine Strategin.
Das wissen wir jetzt schon von Rahab. ---
Im biblischen Text wurde uns aber – noch bevor wir den Namen Rahab hörten - vermittelt, dass es sich um eine Hure,
eine Prostituierte handeln soll.
Die Kundschafter kamen in das Haus einer Hure, die hieß Rahab.
Spüren Sie auch, wie wertend, wie abwertend hier berichtet wird?
Die Übersetzung von Martin Luther lenkt uns mit der Bezeichnung Hure auf eine Fährte,
die uns den Kopf verdreht. Denn sofort beginnt ja unser Kopfkino...
Statt einen Menschen wahrzunehmen, eine Frau, steht uns ein Bordell und alles, was wir uns dort vorstellen, vor Augen.
Die Person, die Frau Rahab, wird zum Objekt.
Nicht einmal der Name, Rahab, wird wohl der ursprüngliche Name der Frau sein. Es ist ein Schimpf-Name mit sexueller Anspielung: Rahab bedeutet übersetzt: Die Offene...
Neuere textkritische theologische Forschungen ermöglichen, einer anderen Spur zu folgen.
Offensichtlich war Rahab eine selbstbewusste, nicht nur allein lebende, sondern auch für sich selbst sorgende Frau. Eine Frau, die aber auch ihre Familie im Blick hat. Eine Frau, die als Kanaanäerin im Kontakt mit den Menschen in Jericho steht. Eine Frau, die sich keinen Männern hingibt, sondern selbst weiß, was zu tun ist.
Liebe Gemeinde!
Schaffen wir es, die eigenen Bilder von den Lebensumständen einer Prostituierten aus dem Kopf zu verbannen, nicht sofort dem vorgegebenen Bild zu folgen, sondern Rahab als eine offen agierende, ungebundene, autonome Frau anzusehen, der erst später die Geschichtsschreiber die Bezeichnung Prostituierte angeheftet haben, ohne dass es dafür einen Beleg gibt?
Wenn uns das gelingt, dann würde das ein ganz neues Licht auf diese starke Frau lenken.
Und uns nicht mehr im Bereich der sexuellen Anzüglichkeiten und Anspielungen denken, sondern unvoreingenommen auf Rahab blicken lassen.
Dann geht es nicht mehr darum, was Rahab einst getan hat, sondern wie sie jetzt empfindet und denkt. Es geht darum, was sie umtreibt.
Haben Sie das beim Hören vernommen?
Haben wir es zwischen den Zeilen herausgehört?
Hier geht es um das Überleben!
Hier ängstigt sich eine Frau darum, wie ihr eigenes Leben und das Leben ihrer Familie vor der Auslöschung gerettet werden kann.
Krieg und Tod stehen allen unmittelbar bevor.
Die Anwesenheit der Kundschafter der Israeliten in der Stadt, im eigenen Haus macht es bereits unmissverständlich deutlich.
Es herrscht akute Lebensgefahr.
Und da treibt einen die Frage um:
Wem kann ich in Krisen- und Kriegszeiten eigentlich trauen.
Wo geht es mit mir hin angesichts der Bedrohung, der mein Leben und das meiner Familie ausgesetzt ist?
Liebe Gemeinde, was wird von dieser Wahrnehmung der Rahab her der rote Faden unserer Geschichte, jenseits des roten Seils, das aus dem Fenster gelassen ist und später zum Rettungszeichen wird, sein?
Ist es das Vertrauen in feindliche Spione?
Ist es das Vertrauen in den Glauben, in den Gott, auf den sich diese Männer berufen?
Wir haben das starke Bekenntnis dieser dem Glauben an Gott bislang fremden Frau gehört.
Es gipfelt in dem Spitzensatz:
... denn der Herr, euer Gott, ist Gott oben im Himmel und unten auf Erden.
Ist das schon glaubendes Vertrauen in Gott?
Oder ist es aus der Angst um das eigene Leben geborenes Suchen nach einem Halt, der mich retten kann?
Das kennen wir aus eigenem Erleben.
Es ist nicht auszuschließen, dass es eine Kombination eines klugen strategischen Vorgehens verbunden mit einem feinen Gespür für die Kraft des Gottesglaubens der Israeliten ist. Das könnte sein.
Wer kann schon hinter die Stirn eines Menschen oder in sein Herz blicken...
Und wer wollte über Glaubens-Bekenntnisse richten, die unter lebensbedrohlichen Umständen gegeben werden?
Liebe Gemeinde!
Es ist schon hoch komplex und mehrdeutig, was uns heute Morgen hier mit Rabab an die Hand gegeben wird.
Es berührt – für viele von uns unerwartet –
mein eigenes Empfinden, meine eigenen Fragen angesichts zunehmender Unsicherheit, empfundener Bedrohung von außen.
Wem vertraue ich?
Welchen Menschen und welchem Gott?
Rahab vertraut den Spionen der Eroberer ihrer Stadt, der Feinde der Kanaanäer.
Die Kundschafter vertrauen einer Fremden, einer Frau, der man einen zweifelhaften Ruf zuschreibt.
Für alle ist es mehr als eine taktische Vereinbarung. Trotz der benannten Absicherungen und der tödlichen Folgen,
falls sich jemand nicht an den Eid oder die Vereinbarung hält – es wird deutlich, wie stark das Vertrauen in die mir bislang Unbekannten, die fremde Frau, den Anderen, den Mann wichtig wird.
Vielleicht denken Sie:
Das ist ja alles andere als eindeutig.
Ja, das ist ziemlich vieldeutig.
Aber vielleicht ist genau das ein Hinweis, den uns diese alte biblische Geschichte geben will:
Damit zu rechnen, dass es Menschen gibt,
die im Vertrauen auf Gottes Verheißung Gutes tun und Leben retten ohne, dass sie zur Gemeinschaft der Gläubigen dazugehören.
Sie können sich einmal fragen:
Rechnen wir heute damit Menschen zu begegnen, die gar nicht zur Kirche oder zur Gemeinde dazu gehören und trotzdem für uns und die Kirche zu starken Zeugen und Zeuginnen des Glaubens werden können?
Rechnen wir überhaupt damit, dass andere, fremde Menschen ohne konfessionelle Bindung uns zu Nächsten werden, da sich in ihrem menschlichen und versöhnenden Verhalten christliche Barmherzigkeit zeigt?!
Nächstenliebe und Barmherzigkeit verlangen Klarheit, gerade in unklaren und unübersichtlichen Zeiten. Auch in Zeiten, in denen uns Bedrohungen verunsichern. ---
Zu dem deutlichen Hinweisen, die uns die biblische Geschichte der Rahab geben kann, gehört ein Zweites:
Der Glaube, für den diese mutige Rahab eintritt, dieser Glaube führt uns nicht heraus aus den Zweideutigkeiten des Lebens,
sondern viel mehr mitten in sie hinein.
Und das ist nicht die Ausnahme, sondern das Normale. So ist es im Leben.
Da ist vieles nicht eindeutig und nicht klar und schon gar nicht weiß und rein, sondern vielschichtig und bunt und auch fragwürdig und mitunter abgründig.
Wer nicht nichts tut, wer nicht nur mit den Händen im Schoß abwartet, sondern mit beiden Beinen und Händen und dem Herz im alltäglichen Leben steht, wer etwas für Andere tut, macht sich angreifbar.
Macht nie alles richtig.
Macht Fehler.
Die Einsicht ist dann, mit Rahab vor Augen:
Ich kann mich mit meinem so gearteten Leben moralisch nie ganz im Recht fühlen.
Da bleibt immer etwas offen. Ich mache mich angreifbar.
Den Glauben, das Vertrauen in das verheißene, rettende Handeln Gottes dann nicht als Ausweg aus dieser Spannung anzusehen, sondern als Weg mitten durch diese Spannungen hindurch und als Möglichkeit damit umzugehen – das ist (m)eine Lehre aus der Geschichte der Rahab.
Und im Blick auf die Frage, wie wir der brutalen Gewalt in der Sprache und in der Gottesvorstellung begegnen können lässt sich festhalten:
Anders als die Geschichte der gewaltsamen Landeroberung deutet die Bedeutung, die Rahab als Fremde, als Frau und als Kanaanäerin gewinnt die Chance an, wie ein unaufgeregtes, friedliches und solidarisches Miteinander zwischen den Israeliten und den Nachbarvölkern aussehen kann.
Es ist der Glaube, der Grenzen überwinden kann, der Barrieren umzustoßen vermag und der theologisches Entweder-Oder-Denken überwindet.
Es ist der Glaube, der die Spirale der Gewalt unterbricht und – so zumindest in der Geschichte der Rahab, alles Leben schützt.
Wie hatte es im Wochenspruch geheißen:
Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat. (1.Joh 5,4)
Der Friede Gottes, der höher ist ...
Amen