Predigt über Johannes 8,12
- 02.02.2025 , 4. Sonntag nach Epiphanias, Darstellung des Herrn – Lichtmess
- Pfarrer i.R. Christian Wolff
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater und unserm Herrn Jesus Christus. Amen.
Wir leben in finsteren Zeiten, raunte mir ein guter Bekannter zu, als ich mich am Holocaust-Gedenktag auf der Busfahrt zum Mahnmal in Abtnaundorf neben ihn gesetzt hatte. Draußen ein grau-nebliges Wetter, das nicht gerade die Stimmung hob. Sofort schob er nach: Trump, Mord und Totschlag am helllichten Tag, der Klimawandel, die Wirtschaftskrise, die verrückten Leute, es gibt keinen Anstand mehr – in was für einer Zeit leben wir eigentlich? Ich gehe einmal davon aus, dass etliche unter uns von ähnlichen Gesprächsverläufen berichten können. Offensichtlich scheint es nicht wenigen Menschen schwerzufallen, die Zukunft des eigenen Lebens und unserer Gesellschaft in einem günstigen Licht zu sehen. Doch wer sich in der Finsternis wähnt, steht in der Gefahr, sich allzu schnell denen an die Brust zu werfen, die das Blaue vom Himmel versprechen und dafür die Wirklichkeit erst einmal in dunkelsten Farben zeichnen und sich dabei reichlich der Lügen bedienen. Letzteres ist inzwischen - auch dank der sog. sozialen Medien - zu einem riesigen Problem in unserer Gesellschaft geworden – wobei diejenigen, die ihren Alltag auf der Sonnenseite des Lebens zubringen können, zusätzlich oft genug in die Töpfe dunkelster Farben greifen, um vor allem ihre Privilegien, ihre Helligkeit abzusichern. Wie also gehen wir um mit dem Problem, das Bertold Brecht am Ende der „Dreigroschenoper“ so auf den Punkt gebracht hat:
Denn die einen sind im Dunkeln
Und die andern sind im Licht.
Und man siehet die im Lichte,
Die im Dunkeln sieht man nicht.
Wen sehen wir heute, genau 40 Tage nach Weihnachten? Wer steht im Rampenlicht, und wer fristet sein Dasein im Dunkeln? Wer wird gegen wen ausgespielt? 40 Tage nach Weihnachten wird in den Kirchen noch einmal die Frage aufgeworfen: Wie halten wir es mit Licht und Finsternis? Was sagt uns das Licht, das damals den dunklen Alltag der Hirten aufgehellt hat, das den Weisen aus dem Morgenland den Weg nach Bethlehem wies, das in Krippe und Stall geboren wurde? Ist es ein Licht, das uns blendet, das die Wirklichkeit beschönigt, das aber das Dunkle nicht beseitigt? Ist es das Licht derer, die den Menschen ein „Goldenes Zeitalter“ versprechen, aber skrupellos alles, was stört, alles, was Probleme macht, in die Unsichtbarkeit der Finsternis verbannen – so wie Herodes schon damals versuchte, das Licht von Bethlehem durch den Kindermord gewaltsam auszulöschen, und dadurch Mütter und Väter in die schreckliche Finsternis tiefster Verzweiflung stieß? Wie können wir heute das Licht von Bethlehem als Orientierungshilfe, als Hoffnungs- und Ermutigungsquelle wahrnehmen?
Wir haben im Evangelium gehört, wie es 40 Tage nach der Geburt Jesu im Tempel zu einer sehr berührenden Begegnung kam. (Sie ist in der Thomaskirche auf einem großen Epitaphbild dargestellt.). Da steht ein Mann, alt und lebenssatt, das eigene Sterben vor Augen, voller Gottvertrauen im Tempel. Kein Wort der Resignation kommt ihm über die Lippen: Gut, dass es mit mir bald vorbei ist und ich die Finsternis der Welt verlassen kann. Simeon spricht auch nicht das aus, was ab einem bestimmten Alter leider zu viele Menschen äußern: Was bin ich froh, dass ich nicht die Zukunft erleben muss, die der jungen Generation bevorsteht. Nein, der alte Mann Simeon spürt: Mit dem Jesuskind halte ich eine doppelte Zukunft in der Hand:
• meine eigene Zukunft, die ich mit dem Sterben in Gottes Frieden finden werde;
• und die Zukunft der irdischen Welt, deren Finsternisse vom Licht dieses Jesus von Nazareth nicht beseitigt, aber erleuchtet werden.
Denn dieses Kind Jesus ist gekommen, „zu erleuchten die Heiden“, also alle Dunkelheiten dieser Erde aufzuhellen und uns Menschen aus den finsteren Ecken des Lebens, gerade auch da, wo die grelle Helligkeit der Macht, des Obenseins, der Selbstbehauptung herrscht, herauszuführen, herauszurufen.
Allein das ist es wert, dass wir diesen 2. Februar jedes Jahr als Feiertag begehen, auch wenn er nicht auf einen Sonntag fällt, anstatt uns schon zu Beginn eines neuen Jahres von den Finsternissen erdrücken zu lassen. Allein das sollte uns zumindest in diesem Jahr dazu veranlassen, uns noch einmal bewusst zu machen: Mit Weihnachten, mit der Geburt Jesu, mit seinem Licht müssen wir weder an finsteren Zeiten und ihren Polit-Priestern und falschen Propheten zerbrechen, noch brauchen wir denen nachzurennen, die uns auf Kosten von anderen stolz und groß zu machen versuchen und dabei doch nur ihrem herodianisch-zerstörerischen Größenwahn folgen. Darum ist es gut, wenn wir uns jetzt dem kurzen Wort Jesu zuwenden, das wir schon während der Taufe als Sendungswort gehört haben und das Grundlage für die Predigt am „Tag der Darstellung des Herrn“ ist:
Da redete Jesus abermals zu ihnen und sprach: Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis, sondern wird das Licht des Lebens haben.
Johannes 8,12
Offensichtlich knüpft Jesus mit dieser Selbstaussage ganz bewusst an den alten Simeon an: Jesus von Nazareth wird der sein, der alle Dunkelheit der Welt aufhellen kann – mit zwei Folgen:
• Durch dieses Licht werden die unübersehbar, die im Dunkeln wohnen. Sie gehören zur Menschengemeinschaft, zum Volk Gottes, dazu.
• Wer sich diesem Licht anvertraut, der ist nicht mehr auf die angewiesen, die mit messianischem Eifer behaupten, nur ihr Licht könne die Welt retten.
In diesem Sinn verleiht uns Jesus mit diesem Wort das, was viele Menschen derzeit am meisten suchen und was wir alle brauchen:
• Verlässliche Orientierung in einer unübersichtlichen Welt, in der uns Lügen-Lotsen permanent in die Irre führen;
• tragfähige Hoffnung in einer Zeit, in der die Zeichen für ein Auseinanderbrechen der Schöpfung Gottes unübersehbar sind;
• starke Ermutigung in einer mit sich selbst extrem unzufrieden gewordenen Gesellschaft und unter Menschen, die oft ihren inneren Halt und ihre Haltung verloren haben.
Genau das schenkt uns Jesus, wenn wir uns seiner Wegweisung, seinem Licht anvertrauen und ihm nachfolgen. Dieses Licht weiterzutragen, sind wir Christen den Menschen zu allen Zeiten schuldig. Mehr noch: Dieses Licht steht für die Pfunde des Glaubens, mit denen wir wuchern können. Ja, dank des Jesus von Nazareth, dank seines Lichtes, dank seiner Wegweisung sind wir nicht mehr auf all die selbsternannten Heilsbringer und blondierten Messias-Plagiate angewiesen. Denn wer Jesu Spuren folgt, wer ihm nachfolgt, der wandelt nicht in der Finsternis. Er findet einen Weg in einer durch Jesu Licht erhellten, aufgeklärten Welt – ein Weg, der durch alle Finsternisse hindurchführt.
An dieser Stelle ist ganz entscheidend: Die Nachfolge Jesu und das Vertrauen auf Gott haben nichts mit blindem Gehorsam, nichts mit dem Ausschalten des Verstandes, nichts mit falschen Versprechungen, nichts mit Rattenfängerei, nichts mit Lügen zu tun – und schon gar nichts mit einem Machtkampf um die Vorherrschaft auf dieser Erde. Vielmehr ermöglicht uns die Nachfolge Jesu, bei dem zu bleiben, wozu wir Christen durch die Taufe berufen sind – und das sind die Würde, das Recht, die Liebe, die Barmherzigkeit, die Ehrfurcht vor dem Leben. Damit folgen wir nicht nur Jesus, dem Licht der Welt, wir dienen dadurch Gott und den Menschen, und vertrauen uns der Lebensorientierung an, die wir der biblischen Botschaft verdanken – ganz im Sinn des Taufspruchs für die kleine Auguste:
Dein Wort ist meines Fußes Leuchte
und ein Licht auf meinem Wege.
Psalm 119,105
Liebe Gemeinde, ich hätte nicht gedacht, dass uns die gesellschaftspolitische, weltpolitische Großwetterlage noch einmal dazu herausfordert, in einer säkular gewordenen Welt sehr elementar und sehr eindringlich an die Gebote Gottes, an die Wegweisungen Jesu, an sein Licht als das unverzichtbare Fundament für ein lebenslanges, menschenwürdiges Zusammenleben zu erinnern – natürlich eingedenk der Begrenztheit und Unzulänglichkeit der menschlichen Existenz. Derzeit wird ja nicht nur durch neuen Nationalismus und militant-völkische Homogenität das gleichberechtigte, friedliche Zusammenleben von uns sehr unterschiedlichen Menschen radikal infrage gestellt; derzeit maßen sich nicht nur Menschengruppen und Autokraten das Recht an, anderen zu diktieren, wo und wie sie zu leben haben; derzeit verkommen auch die Grundwerte des Glaubens im Orkus ihrer Machtgelüste, wenn Präsidenten und Oligarchen der digitalen Welt die Lüge zum strategischen Kampfinstrument machen, wenn sie das Verbrechen zum Recht erklären. Solchen, sich selbst zum Gott erhebenden Figuren sollen wir folgen? Mit ihren blasphemischen Umtrieben sollen wir uns abfinden? Ihnen sollen wir die nächste Generation zum Fraß hinwerfen? Ist es nicht geradezu bizarr zu sehen, wie sich beim Weltwirtschaftsgipfel in Davos Hunderte Männer und Frauen, die in aller Welt Führungspositionen einnehmen und eigentlich Vorbildcharakter haben sollten, das jeglicher Moral entleerte, gotteslästerliche Gerede eines Donald Trump noch mit Beifall belohnen und vor ihm quasi die Knie beugen?
Niemals dürfen wir dem folgen – als Christen schon gar nicht! Da haben wir - wie die amerikanische Bischöfin Mariann Budde in der National Cathedral Washington - die Machthaber und ihre Claqueure face to face an die Gebote Gottes, an die Wegweisungen Jesu zu erinnern, um all das einzuklagen, was wir dem Licht der Welt, Jesus Christus, verdanken: Respekt, Empathie, Gerechtigkeit, Erbarmen – all das, was Gott uns mit Jesus Christus zukommen lässt, obwohl wir dem immer wieder zuwiderhandeln. Wohlgemerkt: Hier geht es nicht um – wie es leider auch in der Kirche abfällig heißt – „nur“ ethisches, moralisches Verhalten. Aber was heißt hier „nur“? Es geht um die Fundamente unseres Glaubens. Es geht um die Nachfolge Jesu. Es geht um das Licht der Welt – zu erleuchten die Heiden. Und es geht um die Zukunft in Gottes neuer Welt.
Ist das nicht ein Segen, dass wir uns auch im 21. Jahrhundert in diese Nachfolge gestellt sehen können? Ist es nicht ein wunderbares Geschenk des Glaubens, dass wir uns eben nicht so leicht verunsichern lassen von all den Lügen und Pöbeleien, den tatsächlichen Finsternissen und Schrecknissen, zu denen Menschen leider fähig sind? Ja, wir sehen uns oft genug Situationen ausgesetzt, in denen wir uns am liebsten schnell lossagen möchten vom Licht der Welt, vom Wort Gottes, von seinen Geboten – mit der billigen Ausrede: Damit lässt sich Leben nicht organisieren und Politik schon gar nicht betreiben. Aber führt das zu einem hellen Leben? Führt das dazu, dass wir Menschen uns gegenseitig tragen und ertragen? Mitnichten! Wir brauchen den Einspruch, wir brauchen die Korrektur, wir brauchen den Ruf zur Umkehr, wir brauchen die Leuchte an unseren Füßen, nicht als Fußfessel, sondern als Orientierungshilfe, Hoffnungszeichen und Ermutigung!
Ich kann mir vorstellen, dass insbesondere die Jüngeren unter uns sich immer wieder fragen: Hat das, was wir hier als Wort Gottes bedenken, was wir singen und beten, hat das überhaupt noch eine Bedeutung, eine Relevanz; interessiert das überhaupt noch Menschen? Ich kann diese Frage in einer Zeit wie der gegenwärtigen nur so beantworten: Ja, gerade jetzt ist es wichtig, mit Gott um den richtigen Weg zu ringen und sich ihm anzuvertrauen – so wie einst Jakob: „Ich lasse dich nicht, du segnest mich denn.“ (Die gleichnamige Bach-Motette (BWV1165) wurde vom Thomanerchor gesungen.) – gerade jetzt, da so viel giftiger Geistes-Schrott und Lügen-Müll produziert und per Internet milliardenfach verbreitet wird, erweist es sich als Segen, zu den befreienden Grundwerten des Glaubens zurückzukehren. Wir können dem Licht folgen, um einen sinnvollen Weg zu finden, auf dem wir nicht zum Spielball der selbst ernannten Heilsbringer werden. Wir können Jesus Christus, dem Licht der Welt, folgen, um denen, die noch im Dunkeln wohnen, mit Würde zu begegnen, und die, die im Licht leben, an ihre Verantwortung zu erinnern.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Christian Wolff, Pfarrer i.R.
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