Predigt über Johannes 16,23b-28.33
- 26.05.2019 , 5. Sonntag nach Ostern – Rogate
- Pfarrerin Taddiken
Jesus sprach zu seinen Jüngern: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er's euch geben. 24 Bisher habt ihr um nichts gebeten in meinem Namen. Bittet, so werdet ihr empfangen, auf dass eure Freude vollkommen sei. 25 Das habe ich euch in Bildern gesagt. Es kommt die Zeit, da ich nicht mehr in Bildern mit euch reden werde, sondern euch frei heraus verkündigen von meinem Vater. 26 An jenem Tage werdet ihr bitten in meinem Namen. Und ich sage euch nicht, dass ich den Vater für euch bitten will; 27 denn er selbst, der Vater, hat euch lieb, weil ihr mich liebt und glaubt, dass ich von Gott ausgegangen bin. 28 Ich bin vom Vater ausgegangen und in die Welt gekommen; ich verlasse die Welt wieder und gehe zum Vater. 33 Dies habe ich mit euch geredet, damit ihr in mir Frieden habt. 33 In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Gemeinde,
„betet“, so ermutigt der Sonntag Rogate. „In der Welt habt ihr Angst“, konstatiert das Evangelium. Zwei Themen also heute, über die man offen eher nicht spricht. Über unsere Ängste und Anfechtungen reden wir nicht gern. Es gehört zu unserem Lebensstil, beidem von vornherein zu begegnen durch Aktivität, Planung, Unterhaltung. Viele Branchen, leben davon, dass sie uns versichern gegen Hagel, Feuer, Unglück und, wie mal jemand süffisant bemerkte, gegen Leben. Letzteres bringt’s auf den Punkt. Wir wissen genau: Die Ideologie der Machbarkeit aller Dinge erzeugt selbst wieder Ängste und Anfechtungen – die irgendwie anonym und ungreifbar in uns grollen und auch ihr Unwesen treiben. „Die überforderte Generation“ nennt der Soziologe Hans Bertram die heutigen Eltern. Ein dazu vor einiger Zeit erschienenes Buch namens „Geht alles gar nicht“ berichtet von Vätern, die an ihrem eigenen Dreifachanspruch scheitern: Da sein, wenn die Tochter sich auf dem Spielplatz die Knie aufschrammt. Und zugleich einfühlsamer Partner sein. Und stets einsatz- und karrierebereiter Mitarbeiter. Am Ende ein paar Ansprüche zu viel in einer Arbeitswelt, die die Grenzen zum Privaten immer weniger akzeptiert. „Muss doch irgendwie gehen“ - aber am Ende geht doch nicht alles.
Nun: Worüber Männer in diesem Buch schreiben, mögen alleinerziehende Frauen denken: Ach - sagt bloß, das ist schwierig. Aber wie auch immer, es gilt für Frauen wie für Männer: Die Anfechtung, dem Anspruch an sich selbst nicht zu genügen, kann quälen. Sie kann sich auswachsen zur Angst, nichts und niemandem mehr etwas zu bedeuten. Und, auch das ist nicht neu: Versagensängste, der Abbruch von Gewissheiten und Bindungen sind ein guter Nährboden für Phobien und Verschwörungstheorien, in denen die Ängste auf die projiziert werden, die einem gefährlich werden könnten. Oder von denen man glauben macht, sie würden ihn verursachen, den eigenen Frust: die Flüchtlinge, die Politiker, die Medien, die EU. Oder gar: Das gerade 70 Jahre alt gewordene Grundgesetz. Bei der Geburtstagsfeier auf dem Markt am Donnerstag meinte ein älterer Herr: Er sei nun inzwischen so unzufrieden mit der CDU, dass er das Grundgesetz ablehne als Basis für unser Zusammenleben. Ja, man könnte in der Tat lachen, wenn es nicht so traurig wäre.
Wie können wir umgehen mit Leuten, die so unterwegs sind? Ich will mich nicht lustig machen, aber ich würde es gern verstehen. Wie denen zur Seite stehen, die irgendwie verunsichert durchs Leben trudeln? Und: Wie können Menschen stabiler werden, die irgendwie nur noch zu erleben scheinen, gelebt zu werden? Wie können sie sich selbst wieder sehen oder erleben als Menschen, von denen Aktion ausgehen kann, und dass sie sich eingeben in ein demokratisches Miteinander, das ja nur so lange lebt und überlebt, wie es noch genug Leute gibt, die die Verweigerer mitschleppen?
Das sind alles Fragen heute, wenige Tag nach dem 70. Geburtstag des Grundgesetzes und an einem Tag, der für unsere Zukunft in Europa entscheidend sein wird. Und das Ganze ist ja nicht nur eine Bildungsfrage. Es sei denn, wir fragen: Was bildet uns als Persönlichkeiten, die miteinander umzugehen wissen? Was hält uns im Innersten zusammen? Das ist eine der aus meiner Sicht drängendsten Fragen dieser Zeit, die wir als Kirche bei uns selbst und auch in dieser Gesellschaft überhaupt zu überarbeiten haben. Und was können wir vermitteln und vorleben?
In dem Abschnitt aus dem Johannesevangelium, den wir heute bedenken, ist etwas zu finden, was hilft zum Weiterdenken. Jesus kündigt seinen Jüngern seinen Abschied an und gibt ihnen mit, woran sie sich halten mögen. Bzw. in welcher Haltung sie ihr Leben gestalten mögen. „Bittet, so werdet ihr empfangen, auf dass eure Freude vollkommen sei.“ Bemerkenswert. Das Ziel unseres Gebets bzw. das verheißene Ergebnis unserer Bitten ist nicht ihre Erfüllung. Sondern „dass unsere Freude vollkommen sei“. Das ist für den Anfang mitzuhören, wo es heißt: „Wenn ihr den Vater bitten werdet in meinem Namen – so wird er es euch geben.“ Das klingt ja erst mal so, als ob jeder Wunsch bei nur recht intensivem oder „richtigem“ Gebet erfüllt wird. Wir wissen: Das ist nicht so. Und es steht auch nicht da. Es steht nicht da: Bittet, so bekommt ihr, was ihr wollt. Es geht um eine Haltung, nicht um eine Tat. Bitten, Beten ist eine Lebenshaltung. Es ist keine spezielle religiöse Übung, sondern die Lebensäußerung eines Menschen, der weiß: Ich verdanke mich nicht mir selbst. Mein Leben nicht. Meine grundlegenden Fähigkeiten nicht. Und dass ich geliebt werde und lieben kann: Das ist mir geschenkt.
In Berührung zu bleiben mit dem, der mir das schenkt – darum geht es hier bei Johannes. Jesus geht zum Vater – und die Jünger, sie werden jetzt sozusagen „erwachsen“ im Gebet und im Glauben. Sie treten an seine Stelle und sind jetzt unmittelbar zu Gott. Ganz nah dran an seiner Liebe zu den Menschen, die sich in Jesus Christus gezeigt hat: durch sein Leben, sein Sterben und seine Auferweckung hindurch. Was an ihm geschehen ist, wird auch an uns geschehen. Seins ist meins, wir treten an seine Stelle - und so auch an seine Stelle des direkten Gebets zum Vater. „In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ Meine Angst ist da. Aber sie ist schon überwunden in ihrem Anspruch auf mich. Ich bin ihr nicht mehr wehr-und hilflos ausgeliefert. Ich kann ihr begegnen, brauche mich ihr nicht zu unterwerfen. Wer angefangen hat, das zu begreifen – was kann der für eine vollkommenere Freude spüren?
Da ist das Beten wie Atmen. Es gibt kein richtiges oder falsches Beten, sondern nur eine zu Gott hin offen Haltung - mit oder ohne Worte. Allezeit und nicht nur zu den agendarisch verordneten Zeiten im Gottesdienst oder im Tagesablauf. Wobei ich das nicht geringschätze, denn ich glaube fest an den Grundsatz des norddeutschen Theologen Claus Harms: „Wer nicht zu bestimmten Zeiten betet, der betet auch nicht zu unbestimmten.“
Aber das stellt die den Jüngern empfohlene Lebenshaltung nicht infrage. Zumal sie uns ja gerade davon abhält, den üblichen Fragen zum Gebet auf den Leim zu gehen, wie sie unser Verhältnis zu allem Rationalen bestimmen: Was bringt es denn? Oder: Was habe ich davon? Über Sinn, Notwendigkeit oder Zweck des Gebets zu räsonieren verstärkt die Zweifel, statt sie zu entkräften. Und erhört zu werden ist, wie gesagt, etwas anderes als die Erwartung, dass die eigenen Wünsche ans Leben in Erfüllung gehen. Es geht auch nicht drum, dass die Nähe und die Liebe Gottes Bedingungen sind, unter denen Beten sinnvoll ist. Vielmehr ereignen sich Nähe und Liebe Gottes im Vollzug des Bittens selbst. Selbst dann, wenn wir nur noch stammeln können, wenn es uns die Sprache verschlägt. Auch dann kann es in uns in dieser Haltung weiter beten: Es betet in uns. Oder, wie es Paulus im Römerbrief beschreibt: „Der Geist selbst vertritt uns auf’s Beste mit unaussprechlichem Seufzen“ - von Bach so wunderbar vertont, viele werden es im Ohr habe. Dass ich, wenn ich auch keine Worte habe, trotzdem beten kann. Gott selbst tut es für mich: „Der Geist selbst vertritt mich auf’s Beste“ - was für ein Trost in Anfechtung!
Dieses Geheimnis, dass unser Rufen nach Gott Gottes eigene Stimme in uns ist, habe ich in folgendem wunderbaren Text gefunden:
„O Gott!“, rief einer viele Nächte lang,
Und süß ward ihm sein Mund von diesem Klang.
„Viel rufst du wohl“, sprach Satan voller Spott.
„Wo bleibt die Antwort ›Hier bin Ich!‹ von Gott?
Nein, keine Antwort kommt vom Thron herab!
Wie lange schreist du noch ›O Gott!‹? Lass ab!“
Ja, das war schon immer des Teufels Hauptargument: Beten ist nur Selbstgespräch, und darauf gibt es keine Antwort. Aber dann hat der Rufer einen Traum, er hört so etwas wie die Stimme Gottes oder des eigenen Herzens, und die sagt:
„Dein Ruf ›O Gott!‹ ist Mein Ruf: ›Ich bin hier!‹
Dein Schmerz und Fleh’n ist Botschaft doch von mir,
Und all dein Streben, um mich zu erreichen –
Dass ich zu mir dich ziehe, ist’s ein Zeichen.
Dein Liebesschmerz ist meine Huld für dich –
Im Ruf ›O Gott!‹ sind hundert ›Hier bin ich!‹“
Ein wunderbarer Text, der wie eine poetische Auslegung der paulinischen Gedanken aus dem Römerbrief klingt. Es ist allerdings ein Gedicht aus der islamischen Mystik des Dichters Mevlana. Aber das können wir auch als Christen gut verstehen. Und vielleicht sind es ja gerade die Ähnlichkeiten in Sachen Lebens- und Glaubenshaltung, die uns mit anderen zusammenbringen, die uns fremd sind. Das wir unterwegs bleiben miteinander: im Gespräch, im Zuhören, im Verständnis füreinander. So, dass wir Frieden haben können miteinander - und auch mit uns selbst, mit den eigenen Ansprüchen und Anforderungen. Nur wer solchen inneren Frieden hat, kann sich wohl auch einsetzen für den äußeren. Nicht zuletzt mit unseren unmittelbaren Nachbarn in Europa. Tun wir alles dafür, dass niemand diesen Frieden auf’s Spiel setzen kann.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org