Predigt über Johannes 14,23-27

  • 08.06.2025 , Pfingstsonntag
  • Pfarrer i.R. Christian Wolff

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Im Festgottesdienst am Pfingstsonntag wurde an die Einweihung der vollständig renovierten Thomaskirche Leipzig und die Weihe der neuen Bach-Orgel vor 25 Jahren am Pfingstsonntag, 11. Juni 2000 erinnert.

Johann Sebastian Bach (1685-1750, Thomaskantor 1723-1750)

Gloria aus der h-Moll-Messe, BWV 2321,6-11

Evangelium und Predigttext

Jesus antwortete und sprach zu ihm: Wer mich liebt, der wird mein Wort halten; und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen. Wer aber mich nicht liebt, der hält meine Worte nicht. Und das Wort, das ihr hört, ist nicht mein Wort, sondern das des Vaters, der mich gesandt hat. Das habe ich zu euch geredet, solange ich bei euch gewesen bin. Aber der Tröster, der heilige Geist, den mein Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe. Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.

Johannes 14,23-27

 

Predigt

Gnade sei mit euch und Frieden von Gott, unserem Vater, und unserem Herrn Jesus Christus. Amen.

 

Pfingsten 2025 - der (ungefähr) 1.995. Geburtstag der Kirche. Was für ein Alter! Und was für eine festliche Geburtstagsmusik! Johann Sebastian Bach hat das Gloria aus der h-Moll-Messe zwar nicht speziell für das Pfingstfest komponiert. Aber zu den hohen Festtagen wie Pfingsten war es in Leipzig üblich, dass eine sog. Kyrie-Gloria Messe Teil der Gottesdienstliturgie war. Dass Bachs Komposition 1733 so üppig ausfiel, lag vor allem daran, dass Bach die beiden ersten Teile der späteren h-Moll-Messe dem sächsischen Kurfürsten Friedrich August II. widmete. Er versprach sich davon die ersehnte Verleihung eines Hoftitels mit entsprechender Dotierung und damit eine Stärkung seiner Leipziger Position. Da sehen wir, dass auch ein Johann Sebastian Bach, dem es mit seiner geistlichen Musik um die kraftvolle Auslegung der biblischen Botschaft zur Ehre Gottes ging, damit seine persönliche Reputation und künstlerische Eitelkeit zu pflegen versuchte. Beides kommt ja in dem großartigen Schluss des Gloria zum Ausdruck: Da gestaltet er das, was er unter jedes seiner Werke gesetzt hat „SDG - Soli Deo gloria“, in den letzten drei Takten in einer furiosen Prächtigkeit „in gloria Dei Patris, Amen.“ – wahrhaft ein Feuerwerk und bis heute ein lebendiger Beweis für das Wirken des Heiligen Geistes in der Feder Bachs – und gleichzeitig ist es Ausdruck seines innigen Wunsches: Jetzt kann der Kurfürst doch gar nicht anders, als mich wenigstens zum sächsischen Hofkompositeur zu ernennen … (der Wunsch ging allerdings erst drei Jahre später in Erfüllung).

Ja, so ist das: Die Grundbotschaften des Glaubens auf der einen und unsere oft sehr menschlich-materiellen Bedürfnisse nach Anerkennung auf der anderen Seite - man kann es schlecht voneinander trennen. Wer das versucht, verliert sehr schnell seine Glaubwürdigkeit und verrennt sich im Richtigkeitswahn oder in aufgesetzter Eitelkeit. Natürlich möchte jeder Thomasser erreichen, dass er nach dem Gottesdienst vom Kantor gelobt wird und vielleicht in der nächsten Motette ein Solo in einem kleinen Geistlichen Konzert von Heinrich Schütz singen darf. Natürlich möchten die Solisten heute überzeugen, um die nächste Einladung zu erhalten. Natürlich hoffe ich, dass ich mit meiner Predigt möglichst jede und jeden erreichen, anregen, trösten, aufrichten kann – und dass Sie nicht am Ausgang sagen: … wenigstens war die Musik zu ertragen.

Ja, es menschelt auch im Gottesdienst. Aber eben nicht nur. Zwischen dem hehren „Worthalten“, das Jesus bei seinen Jüngern voraussetzt, und den ganz persönlichen Bedürfnissen, aber auch Schwächen von uns Menschen, tut sich nicht nur ein Graben, sondern ein Raum auf. In diesen Raum, in diese Zwischenräume möchte Jesus eindringen und sie füllen mit dem Heiligen Geist - im vollen Wissen darum, welch schwierige Zeiten und Situationen denen bevorstehen, die sich bewusst in seiner Nachfolge sehen, die aber auch noch andere Bedürfnisse haben; schwierig auch deshalb, weil andere Ideen, Ideologien in diese Zwischenräume, in diese Vakuen einzudringen versuchen. Davon ist im Predigttext die Rede, ein Abschnitt aus dem Johannesevangelium. Jesus spürt: Meinen Anhängern wird es schwerfallen, an der Sache des Glaubens dran zu bleiben, die Berufung zum Leben ungebrochen zu bezeugen, sich immer in der Spur des Glaubens zu bewegen – zumal die gesellschaftlichen Prägungen, die politisch-ideologischen Großwetterlagen, die Versuchungen der Leichtigkeit des Seins und des schnöden Mammons oft in ganz andere Richtungen gehen.

Darum bereitet Jesus die Jünger für die Zeit vor, in der er als Motor, Antreiber, Hoffnungsträger, Begeisterer, letzte kritische Instanz nicht mehr unter ihnen sein wird:

Wer mich liebt, der wird mein Wort halten; und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen.

Jesus will zunächst allen die Angst nehmen, dass sie ohne seine Gegenwart aufgeschmissen sind. Darum stärkt er seinen Jüngern den Rücken, er stärkt sie und uns in unserem Selbstbewusstsein als Christen:

Wer mich liebt, der wird mein Wort halten;

Wer sich in seinem alltäglichen Leben an Jesus und seinen Grundaussagen des Glaubens orientiert, dem wird vieles gelingen; der bleibt nicht in seinen Eitelkeiten oder Minderwertigkeitskomplexen, in seiner Misserfolgsorientierung oder seiner herrischen Selbstbehauptung stecken. Denn unsere Leerstellen, Unzulänglichkeiten, Ratlosigkeiten werden gefüllt mit dem, was Jesus anbietet: sein Wort von der Liebe, seine Wegweisung zur Gerechtigkeit, zur Barmherzigkeit, zur Versöhnung, seine Verheißung von Gottes neuer Welt. Das ist zunächst einmal sehr tröstlich, sehr erbaulich. Wer in diesem Sinn unter sein Tagewerk „SDG“ schreiben kann, wer sein Leben zur Ehre Gottes, also in Verantwortung vor Gott und den Menschen führt, der bekommt eine Ahnung von dem, was Jesus seinen Jüngern zusätzlich zuruft:

und wir (also Gott und Jesus Christus) werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen.

Was für ein Bild: Gott als Mieter. Wie sollen wir uns das vorstellen: Gott in uns, in unseren Herzen, in unseren Kirchen, in unserer Welt? Sind das alles nicht viel zu kleine, beengte, stickige Räume, die wir anzubieten haben – selbst wenn wir an die Dimensionen von Kathedralen oder Kirchenräumen wie diese wunderbare Thomaskirche denken? Und wie soll der Mietvertrag aussehen, den wir mit Gott schließen? Jedoch: Wer ist eigentlich Mieter, und wer Vermieter? Oder ist es nicht doch so, dass Gott in unser Leben eindringt wie ein Hausbesetzer? Gott ist eben nicht zu fassen. Er kommt in diese Welt, nimmt Wohnung in uns – aber er kommt ungefragt, wie damals bei der Geburt Jesu im Abseits des Stalls von Bethlehem. Jesus dringt nach seiner Auferstehung ungefragt in die verschlossenen Räume ein, in die sich die Jünger aus Angst zurückgezogen hatten. Und nun kündigt Jesus an, dass dies so weitergehen wird. Doch in Zukunft wird es der Geist sein, der uns alles in Erinnerung ruft, was leicht in Vergessenheit gerät, und alles lehrt, was wir verlernen, für unwichtig erachten oder als überflüssig abhaken:

Aber der Tröster, der Heilige Geist, den mein Vater in meinem Namen euch senden wird, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.

Der Heilige Geist als Medizin gegen geistliche Demenz! Sie macht leider auch vor der Kirche nicht Halt. Alt genug ist sie ja, manchmal reif für die Pflegeabteilung der Weltgeschichte. Doch die gute Nachricht ist: Der Heilige Geist belebt auch Totgesagte. Er füllt die Zwischenräume, die Leerstellen, die Vakuen, die dort entstehen, wo Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen und Hoffnungslosigkeit sich breit macht. Für diese Zwischenräume können Kirchgebäude ein Zeichen sein: Räume der Erinnerung; Räume, in denen nichts in Vergessenheit gerät; Räume, in denen unsere Widersprüchlichkeiten offenbar und erträglich werden. Räume, in denen Tod und Leben seinen Platz haben.

Diese Kirchen stehen in unseren Städten zwischen Rathaus, Marktplatz, Schulen und Universitäten; sie sind angesiedelt mitten im Kommerz, im politischen Geschehen, in der Bildung und im Vergnügen. Zweckfreie Gebäude, groß genug, um jede und jeden von uns zu ertragen, und zusätzlich ein Abbild des Himmels auf Erden. Darum sind Kirchen überdimensioniert – und doch auch Ausdruck von menschlicher Hybris und Großmannssucht. Gleichzeitig versuchen sie das abzubilden, was kaum fassbar, im normalen Leben unerreichbar ist: allen Raum zu geben, denen die Orientierung abhandengekommen ist, die Hilfe, Trost, Zuwendung, Stille suchen. Darum sind Kirchen von ihrem Ursprung her Asylräume: Sie bieten denen Schutz und Anerkennung, die sich nicht mehr zurechtfinden in dieser Welt, die auf der Flucht sind vor sich selbst oder vor denen, die ihnen nach dem Leben trachten - sei es der obdachlose Mann, der sich in der kalten Jahreszeit für ein paar Stunden aufwärmen will; sei es die Frau, deren Mann ihr gerade eröffnet hat, sie und die Kinder zu verlassen, und einfach unbeobachtet ihre Verbitterung ausweinen möchte; sei es der Afghane, dem der Zuzug der Familie verweigert wird und die Abschiebung droht; sei es die Koreanerin, die voller Ehrfurcht und ergriffen vor dem Bachgrab steht. Sie alle kommen, nehmen für einen Augenblick Wohnung, in der Hoffnung – wie damals in Jerusalem – durch Gottes Geist das Leben neu be- und ergreifen zu können. Sie erwarten, in einer Sprache angeredet zu werden, die nicht nur universal zu verstehen ist, sondern die von den Grundwerten des Glaubens und der Hoffnung zeugt und dem Leben Sinn verleiht. Diese Gebäude sollen aus unseren Städten verschwinden? Nur zu unser aller Schaden!

Dennoch sind Kirchgebäude keine widerspruchsfreien Zonen. Wir müssen uns hier nur umschauen:

  • Da ist das Kriegergedächtnisfenster aus dem Jahr 1927. Die Dokumente für dieses Fenster triefen nur so von Kriegsverherrlichung. Natürlich geht es nur um die deutschen Opfer des Krieges.
  • Links vom Bach-Portal hängt die Grabplatte für Ritter Harras aus dem Jahr 1470. Er war ein Menschenschlächter und Satansjünger. Was hat er in einer Kirche zu suchen? Doch was sind Epitaphe anderes als protzige Sponsorenbilder vergangener Jahrhunderte?
  • Das Mendelssohn-Fenster, das an Pfingstsonntag 1889, als die neugotisch umgebaute Thomaskirche eingeweiht wurde, noch nicht zu sehen war. Es fiel damals antisemitischen Vorurteilen zum Opfer: man könne doch den Juden Mendelssohn nicht dem großen deutschen Nationalkomponisten Bach an die Seite stellen. Was für eine Schande!

Bei der Renovierung haben wir uns gefragt: Wie gehen wir mit all diesen Widersprüchen um? Sollen wir das Kriegergedächtnisfenster ausbauen, das Harras-Epitaph heraushacken? Aber lässt sich Geschichte auf diese Weise korrigieren? Natürlich nicht! Aber wir können uns mit ihr auseinandersetzen, die Zwischenräume entdecken und füllen – und uns unserer eigenen Widersprüchlichkeit bewusst werden. So wurde 1997 die ornamentale Verglasung durch die Mendelssohn gewidmete Gestaltung ersetzt; und seit 2009 bildet das Friedens-Fenster in Form und Inhalt ein kritisches Gegenüber zum Kriegergedächtnis-Fenster.

Vor 25 Jahren wurden wir auch kritisch angefragt: Wieso eine so aufwendige Renovierung und dazu noch eine neue Bach-Orgel? Wären die 10 Millionen DM Spendengelder, die damals aufzubringen nötig war, nicht besser ausgegeben für sozial-diakonische Projekte, für tätige Nächstenliebe? Darf man die Spenden von Banken und Unternehmen wie Daimler-Benz oder Microsoft als Kirche überhaupt annehmen? Sollten Sponsoren überhaupt benannt werden? Wären wir aber, wenn Bach so gedacht hätte, heute im Besitz seiner Kyrie-Gloria-Messe? Ja, es ist eine Gradwanderung, dem Geist des Evangeliums und den eigenen Bedürfnissen gerecht zu werden. Mir hat vor 25 Jahren eine Faustregel geholfen: Wir brauchen Geld, aber wir sind nicht käuflich. Will sagen: Weder mit Geld noch „durch Heer oder Kraft“ lässt sich Gottes Geist den Schneid, also die Kraft, die Liebe, die Besonnenheit abkaufen.

Darum möge der Stadt und den Menschen dieser Ort des Glaubens, des Geistes, der Musik zum Segen gereichen - nicht als museales Gebäude, sondern als Gebrauchsraum, als zentraler Raum zwischen Himmel und Erde, in dem der Schatz des Glaubens bewahrt wird und jede und jeder eine Ahnung bekommen kann von dem, was Jesus uns verheißt:

Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.

Von diesem Geist des Friedens sollen Kirchen erfüllt sein und davon zeugen. Ein Frieden, der Gott sei Dank anders aussieht als der, den die Welt gibt. Der Frieden der Welt ist – das erleben, durchleiden wir Menschen auf grauenhafte Weise – durchsetzt mit tödlicher Gewalt. Dieser fallen nicht zuletzt auch Synagogen, Kirchen, Moscheen, Tempel zum Opfer, um den Menschen Furcht und Schrecken einzujagen. Von Jesu Frieden aber geht weder Schrecken noch Furcht aus. Das macht ihn weltfremd, aber gleichzeitig so lebens- und menschennah. Der Raum dazwischen – den möge Gottes Geist füllen.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

 

Johann Sebastian Bach

Der Geist hilft unser Schwachheit auf

Motette für zwei vierstimmige Chöre und Basso continuo, BWV 226

 

 

 

 

Christian Wolff, Pfarrer i.R.

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