Predigt über Johann Sebastian Bach "Magnificat" und Kolosser 1,24-27

Die Predigt wurde im Festgottesdienst zum Epiphaniastag gehalten, in dem das Magnificat von Johann Sebastian Bach durch den Thomanerchor und das Gewandhausorchester zur Aufführung kam. Im Anschluss feierte die Kirchgemeinde mit vielen Gästen den traditionellen Neujahrsempfang.

  • 06.01.2018 , Epiphanias
  • Pfarrerin Taddiken

Predigt am 6. Januar 2018 (Epiphaniasfest) über Magnificat und Kolosser 1,24-27

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,
ich nehme an: Für die wenigsten von uns ist die Jungfrauengeburt das Wichtigste für den christlichen Glauben. Eher im Gegenteil: Einige haben es schon längst als veralteten Quark abgetan. Andere sagen: Da habe ich irgendwie keinen Zugang zu, andere grübeln: Na, es wird wohl irgendwie etwas Symbolisches sein, klar, schließlich hat man in der Antike vielen besonderen Menschen hat man auch eine besondere Geburt zubilligen wollen, Alexander dem Großen z.B., auch er ein jungfräulicher Spross. Andere wissen natürlich um die innerbiblische Überlieferungsgeschichte, in der vom Alten zum Neuen Testament und dem damit einhergehenden Übergang aus der hebräischen zur griechischen Sprach-und Vorstellungswelt aus der „jungen Frau", hebräisch „Alma", eine „Jungfrau", griechisch „parthenos" wurde. Aber auch das hilft ja letztlich nicht wirklich, dass einem dieses Symbol einleuchtet, geschweige denn, dass es einem für den eigenen Glauben wichtig werden könnte. Nein, die meisten von uns heute werden wahrscheinlich sagen: Wenn dieser Satz „geboren von der Jungfrau Maria" noch heute, am 6. Januar 2018 aus dem Glaubensbekenntnis gestrichen würde: Na, da würde mir nichts fehlen - und ehrlich gesagt: Um so besser... Aber ich will ich nicht die vergessen, denen das heilig ist, ein besonderes Geheimnis der Menschwerdung Gottes, das eine echte Herausforderung ist für den menschlichen Verstand.

Warum komme ich Ihnen nun ausgerechnet heute Morgen mit diesem Thema Jungfrauengeburt? Nun, weil wir gerade eben den Lobgesang einer „jungen Frau" bzw. einer „Jungfrau" gehört haben mit dem sog. „Magnificat". Mit dem Lobgesang der Maria: „Meine Seele erhebt den Herrn" in der vielleicht großartigsten aller Vertonungen dieses Liedes überhaupt von Johann Sebastian Bach. Großartig vor allem darin, dass er eines schon im Eingangschor betont: Dieses Lied ist nicht nur ein Lied einer jungen Frau, einer Jungfrau, sondern ein Lied der Menschheit. Bach beginnt mit der ihm seinerzeit größtmöglichen Orchesterbesetzung und fügt dem sozusagen normalen vierstimmigen Gesang eine fünfte Stimme hinzu. Denn in dem, was hier zur Sprache kommt, geht es über das Übliche hinaus. Es geht um die Erfahrung, die nicht nur Maria macht, sondern die wie alle machen können. Und die uns einen neuen Blick auf dieses großartige Symbol der Jungfrauengeburt verschaffen kann - und uns darüber hinaus sogar selbst einlädt, uns alle, jüngere und ältere, Frauen wie Männer, Jungfrauen zu werden. Wie bitte? „Wie soll das zugehen?" Nun ja, genau mit dieser Frage hatte es bei Maria, der jungen Frau, auch angefangen. Vor diesem Lied. Mit der Botschaft, dass sie, diese junge Frau im Abseits der Weltgeschichte, den Sohn Gottes zur Welt bringen sollte. In der mittelalterlichen Malerei ist oft dieses Wort aus dem Lukasevangelium „Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären..." als Spruchband dargestellt, das sich vom Mund des Engels in das Ohr der Maria hineinwindet. Maria hört den Engel. Sie glaubt ihm, sie nimmt seine Worte in sich auf und lässt das Gehörte in sich reifen. So wie es in der Weihnachtsgeschichte so wunderbar formuliert ist, vielleicht haben Sie es noch im Ohr: „Und Maria bewegte all diese Worte in ihrem Herzen." Die Jungfrauengeburt ist ein wunderbares Symbol für die Empfängnis des Wortes Gottes durch unser menschliches Ohr. „Der Glaube kommt aus dem Hören", heißt es in einem der wichtigsten Worte des Apostels Paulus im Römerbrief. Dieses Wort will in uns Menschen eingehen und dort heranreifen. Neues, ganz Neues, kann in uns und durch uns Menschen geboren werden!

Liebe Gemeinde, versuchen wir doch mal, unsere Vorstellungen von der jungfräulichen Geburt als von jeglicher biologischen Verengung befreit zu betrachten. Und zwar ausgeweitet auf uns alle insoweit, dass jede und jeder kann etwas von Gott in sich aufnehmen kann, völlig egal, ob er oder sie Christ ist, Jude, Muslim, was auch immer. Dass jeder Mensch in der Lage ist, etwas von dem, das er als etwas Größeres als er selbst ist anerkennt, in sich heranreifen lassen und in Welt entlassen kann. Maria können wir dabei als Urmutter dessen verstehen, was sich ganz allein jeweils in uns abspielt - ohne Mitwirkung eines anderen: Sie hat ihr Ohr geöffnet, sie hat das Gehörte wahrgenommen. Und sie lässt es in sich bis zur Geburt des verheißenen Sohns heranwachsen und sich entwickeln. Glauben Sie, dass das möglich ist bei Ihnen - ob Sie an Gott glauben oder auch nicht? Meinen Sie, dass das nicht ein gutes und schönes Bild sein könnte für Veränderung und Erneuerung in Ihrem Leben - und für das, wofür Sie persönlich einstehen? Nämlich für das, wovon im Lobgesang des Magnificats gesungen wird: Hungrige mit Gütern zu füllen? Die Niedrigen erheben und dem Menschen - gemeint ist die „Menschheit", barmherzig aufzuhelfen?

Vielleicht würden das einige von Ihnen auch mit anderen Worten beschreiben. Aber dass jegliche Entscheidung dazu innerlich heranreifen muss, das mag dem ja sogar wörtlich nahe kommen, was dem einen oder andere in den vergangenen Tagen zwischen Weihnachten und Neujahr durch den Kopf gegangen ist. Da, wo man zur Ruhe kommt, und über das nachdenkt, was man in diesem Jahr denn so hervorbringen möchte an Neuem und Gutem. Wo die Ziele sind - und hoffentlich auch, worauf ich hoffen möchte gegen allen Widerspruch. Gerade in Bezug darauf ist es ein großes Lied der Hoffnung der Maria, dieses Magnificat, dieses „Meine Seele erhebt den Herrn." Es gehört zu den revolutionärsten Abschnitten der Bibel. Aus dem gesellschaftlichen Abseits rückt diese junge Frau, diese „Jungfrau" in den Mittelpunkt der Weltgeschichte. Als einfacher Mensch, der sich nach dem sehnt, was uns nicht fremd ist: angesehen zu werden, so, wie wir sind, mit unseren Licht-und Schattenseiten, mit unserem Geltungsbedürfnis wie auch unserer Verletzlichkeit. Dabei geht es Maria nicht, wie am Ende vieler politischer Revolutionen, um die bloße Vertauschung der Machtverhältnisse, so dass die, die vorher oben waren nun unten sind und die unten waren oben. In ihrem Lied hören wir vor allem, was sich in der Seele eines Menschen tut, der wider Erwarten Respekt oder sogar Ansehen erfährt. In ihrem Lied heißt es: Gott „hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen". Damit beginnt es in der Bibel zwischen Gott und den Menschen immer wieder. Das ist der Grundtenor, der sich von der ersten bis zur letzten Seite durchhält. Gott sieht und spricht die Menschen an, mit denen all die anderen fertig sind und die deshalb am Rande leben. Er gibt ihnen die Würde zurück, die andere ihnen absprechen. Gucken wir schon auf die ersten Seiten der Bibel: Ob es die in die Wüste verstoßene Magd Hagar mit ihrem unehelich gezeugten Kind ist oder ein kleines, unbedeutendes Volk in der Sklaverei wie die Israeliten - oder auch die alte Frau Hannah, die so lange kinderlos geblieben war und als Schwangere genau solch ein Lied wie die Maria anstimmt - immer wieder ruft Gott Menschen aus ihrer Namenlosigkeit und dem gesellschaftlichen Abseits heraus, um mit ihnen seine Geschichte mit den Menschen fortzusetzen und voranzubringen.

Genau diesen Gedanken nimmt wiederum der heutige Predigttext aus dem Kolosserbrief auf. Dass in jedem Menschen davon etwas leben und zur Welt kommen will. Ein Text von Paulus, einem Menschen, der ja auch wie die Jungfrau zum Kinde gekommen ist: vom Verfolger zum Verteidiger der christlichen Gemeinden. Zumindest weiß der Verfasser, was seine Aufgabe ist: nämlich das zu predigen, was sich in allen Menschen widerfinden kann: Christus in ihnen - so wie Christus in Maria herangereift ist. Gerade ihm, diesem schwächlichen, möglicherweise stotterndem, körperlich armseligen und auch sonst eher unscheinbar scheinenden Menschen, hat man das nicht auf den ersten Blick und beim ersten Hören abgenommen, sondern hat ihm sein Leben zur Hölle gemacht, jedenfalls zum Teil. Ihm ging es darum, Christus in uns, in jedem von uns zu predigen. Allen deutlich zu machen, diese welt- und lebenserhaltende Macht, die durch Maria geht - sie will auch durch uns - und letztlich durch jeden von uns: „Nun ist es offenbar seinen Heiligen, denen Gott kundtun wollte, was der herrliche Reichtum dieses Geheimnisses unter den Heiden ist, nämlich Christus in euch, die Hoffnung der Herrlichkeit. „Christus in euch" - so wie Jesus im Leib der Jungfrau Maria. Ja, wir haben gesungen davon in den letzten Tagen vom Kind in der Krippe, das sich unser Herz zur Krippe machen möchte oder ruhen möchte in unseres „Herzensschrein", in dem er sich machen möchte „ein rein sanft Bettelein"...

Der Text aus dem Kolosserbrief bleibt dabei sehr realistisch. Wem es um Gottes Licht in dieser Welt geht, der hat schon auch zu leiden. Das Dunkle will sich uns immer wieder aufdrängen. Wo wir etwas von diesem Licht Gottes wahrnehmen wollen, gehört auch dazu, das Leid wahrzunehmen, das wir in dieser Welt und eben auch in unserer Stadt, wahrnehmen. Gottes Herrlichkeit, die wir heute am Fest der Erscheinung Christi feiern, sie ist keine billige Lichtreklame, die alles in rosiges Licht taucht. Sie erscheint vielmehr auf dem Hintergrund einer Welt, die von Leid und Not geprägt ist. Das Evangelium von den Magiern aus dem Morgenland schildert uns diese Welt als eine Welt auch der politischen Intrigen und Ängste, als die Welt der Kindermorde und der bewussten Täuschung. Aber sie sagt auch: All diese Herodesse - sie finden damit keinen Weg zur Krippe. Ihr Mittel der Lüge auf allen Ebenen, politisch, gesellschaftlich und auch religiös, wird schlicht und ergreifend entlarvt. Ja, sie haben sich immer schon den Hofstaat zur Brust genommen, der versagt hat: Eben weil er diese seltsame Geburt Jesu nicht mitbekommen hat. Dass die klugen Bücher erst auf Nachfrage aufgeschlagen wurden - ohne sie wirklich verstehen zu können. Und auch heute, komisch: Auch da ist der Hofstaat schuld, er twittert komischerweise immer die Beleidigungen und Schrott-Tweets, man selbst hat damit nichts zu tun, wohin man auch immer guckt, nach Washington, Berlin oder Sachsen - Herodes wird uns immer wieder begegnen wie den Weisen im Morgenlande. Es ist an uns, wie wir ihm begegnen, ob wir die Konfrontation suchen oder auf einem anderen Wege in unser Land zurückkehren. Das mag von Fall zu Fall entschieden sein...
Ja, in der Tat: Die Herrlichkeit Christi verklärt nicht alles. Sie schafft bis heute keine heile Welt. Aber das verwundbare Kind im Stall von Bethlehem, das Kind ohnmächtiger und armer Eltern - hier ist der Ort, an dem Gottes Herrlichkeit sichtbar erscheint. Und so werden es auch unsere Schwächen, unsere Ohnmacht und unsere Wunden sein, in denen Gottes Herrlichkeit in diesem Jahr 2018 aufleuchten wird. Und sie scheint auch durch unsere mögliche Dünnhäutigkeit hindurch, so dass wir selbst durchlässig werden für das Licht. Durch die Geburt Christi im Stall von Bethlehem hat jeder von uns ein Gottesgesicht bekommen, in jeden ist Gottes Schönheit und Herrlichkeit aufgeleuchtet. Alle Menschen, ja die Menschheit selbst, versammelt sich an der Krippe.

Dafür stehen die Weisen, die Magier mit ihren drei Geschenken, für die seinerzeit drei bekannten Erdteile, für die ganze Welt. So werden mit diesem wichtigen Feiertag der christlichen Tradition nicht nur der biologistischen, sondern auch jeglicher nationalistischen Engführung unseres Denkens und Handelns Grenzen aufgezeigt. Die Weisen haben sich anrühren lassen, haben verstanden, welche Werte für unser Leben hier im Stall von Bethlehem das Licht der Welt erblickt haben. Sie haben verstanden, worin Gottes Liebe zur Menschheit Fleisch geworden ist: dass ihm nichts so heilig ist und bleibt wie die Liebe zum menschlichen Geschlecht. Daher dürfen wir nicht zu klein von uns denken. Zu Epiphanias wird alles auf den Kopf gestellt, der König der Welt wird zu einem Kind, vor dem sich alle Könige verneigen. Und das ist genauso wie im Loblied der Maria, dem Magnificat: Alles in unserer Welt - es kann sich umdrehen. Öffnt euch für die Herrlichkeit Gottes, entschlüsselt sie für andere, stärkt sie. So könnte das Lied der Maria weitergehen. Und vielleicht auch das der Weisen vom Morgenlande, sollten sie denn gesungen haben - gesagt haben sie davon in ihrer Heimat allemal. Und das mag auch für uns alle in unserer Stadt die gemeinsame Aufgabe sein, in all unserer Verschiedenheit und je von unserer Prägung her. Dass wir uns vom Lied der Maria, von ihr, der jungen Frau und Jungfrau, aufrufen zu lassen zu einer Widerstandsbewegung gegen die Hoffnungslosigkeit. Gegen Hass, Kälte und Menschenverachtung der Herodesse aller Zeiten und Länder, die die von diesem Kind als Erwachsenen gebotenen Werte nicht nur insgeheim töten wollen.

Ich wünsche uns allen für 2018, dass wir wach sein können, wo das zu passieren droht. Und dass wir selbstkritisch hingucken auch auf das, was bei uns im Argen liegt. Und dass wir auch, ja auch das, verantwortlich zu „unserem Schrott" stehen. Dass wir in den wesentlichen Fragen zueinander finden, dass es uns gelingen möge, miteinander im Gespräch zu bleiben und uns auch in manchem jungfräulich auf etwas einlassen können, das wir in uns bewegen und bis zur Geburt heranreifen lassen. In diesem Sinne mögen wir uns vielleicht mit einem von jeder biologistischen Verengung befreiten Verständnis von Jungfrauengeburt anfreunden und uns dazu vielleicht sogar neu und tiefe dazu bekennen.

Dazu helfe uns der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, er bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org