Predigt über Joh 6,47–51
- 30.03.2025 , 4. Sonntag der Passionszeit - Lätare
- Prof. Dr. Peter Zimmerling
Gnade sei mit euch…
Liebe Gemeinde!
1.
Immer wieder haben mir Menschen erzählt, dass sie zwar gerne glauben würden, es aber einfach nicht könnten. In ihrem Inneren befände sich eine Art Sperre, die sie daran hindere, sich für den Glauben an Gott zu öffnen. Manchmal habe ich erlebt, wie sich die Sperre gelöst hat. In Erinnerung geblieben ist mir ein jüngerer Mann, dessen Frau kurze Zeit vorher zum Glauben an Jesus Christus gekommen war. Nun ersehnte sie nichts mehr als dass der geliebte Ehemann auch zum Glauben fände. Der fühlte sich jedoch von der neu gewonnenen religiösen Inbrunst seiner Frau regelrecht unter Druck gesetzt. Wie er mir sagte, wollte er ja gerne glauben, konnte es aber einfach nicht. Im Gespräch empfahl ich ihm, sich selbst keinen solchen Druck zu machen und sich auch nicht von seiner Frau machen zu lassen. Der christliche Glauben gedeihe nur in einem Raum der Freiheit. Druck wirke darum eher kontraproduktiv. Ich hatte noch Gelegenheit, auch mit der Ehefrau zu sprechen und bat sie, ihren Mann frei zu geben und darauf zu vertrauen, dass der Geist Gottes ganz von selbst den Glauben in seinem Herzen zu seiner Zeit erwecken würde. Einige Wochen später erhielt ich vom Ehemann eine kurze Nachricht, dass er zum Glauben gefunden habe und glücklich sei – und seine Frau genauso!
2.
Die Rede Jesu, aus der der heutige Predigttext stammt, stellt eine eindringliche Einladung zum Glauben an ihn dar. Jesus hat die Predigt im galiläischen Kapernaum, seinem Wohnort am See Genezareth, gehalten. Er möchte seine Zuhörerinnen und Zuhörer davon überzeugen, dass er der von Gott dem Volk Israel gesandte Retter ist: „Ich, Jesus, bin leibhaftig der Messias!“ In seiner Predigt knüpft Jesus als frommer Jude an die Frühgeschichte Israels an. Er möchte damit plausibel machen, warum es richtig ist und sich lohnt, an ihn zu glauben. Jesus erinnert an in die Zeit, als Israel ein Volk wurde. Gott selbst hat Israels Vorfahren aus der Sklaverei in Ägypten befreit und es danach auf einen entbehrungsreichen Weg durch die Wüste geführt. Die Wüstenwanderung war kein Selbstzweck, sondern stellte den notwendigen Weg dar, an dessen Ziel und Ende der Einzug in das gelobte Land stand. Während der 40 Jahre Wanderung durch die Wüste hat Gott sein Volk mit Manna, mit Himmelsbrot, ernährt. Das Manna wurde jeden Abend vom Wind in das Lager der Israeliten geweht. Zusammen mit den Wachteln war die tägliche Portion genau ausreichend, um die Israeliten auf dem langen Weg durch die Wüste am Leben zu erhalten. Diese Gründungsgeschichte Israels kannte z. Zeit Jesu jedes Kind. Mindestens einmal im Jahr, bei der abendlichen Sederfeier am Beginn des Passafestes, wurde daran erinnert, indem alle Familienmitglieder beim Festessen bestimmte Symbolspeisen zu sich nahmen. Bemerkenswert ist, auf welche Weise Jesus in seiner Predigt an diese Gründungsgeschichte Israels erinnert. Er macht seine Hörerinnen und Hörer darauf aufmerksam, dass alle, die vom Himmelsbrot, dem Manna, gegessen haben, dennoch irgendwann gestorben sind. Das Manna war den Israeliten zwar vom Himmel, von Gott, geschickt worden, aber dennoch lediglich eine irdische Wegzehrung für einen irdischen Weg durch eine irdische Wüste.
3.
Und jetzt wird es spannend: Jesus bietet seinen Hörern zwar auch ein Brot an, das vom Himmel stammt. Aber er behauptet, dass sein Brot jedem, der es isst, ewiges Leben geben wird. Das Brot, das Jesus den Menschen anbietet, ist demnach unendlich wertvoller als das Manna, das die Israeliten während der Wanderung durch die Wüste aßen. Jeder und jede, die das Brot essen, das Jesus ihnen anbietet, erhält Anteil am Leben Gottes, das ewig ist.
Schon damals haben sich die Hörer gefragt, was für ein Brot diese Kraft besitzen könnte. Denn dass es ein ganz besonderes, unvergleichliches, Brot sein muss, geht aus der Wirkung hervor, die Jesus ihm zuschreibt.
Manche von Ihnen werden den Fantasie-Roman „Der Herr der Ringe“ von Tolkien gelesen haben oder auch seine eindrucksvolle Verfilmung kennen. Frodo und Sam, die beiden Titelhelden, die den Ring des Bösen durch das Land Mordor zum Feuerberg tragen, um ihn in dessen Feuersfluten zu werfen, damit das Böse endgültig aus der Welt verschwindet, müssen dazu einen Weg durch das Land des Bösen gehen, der übermenschliche Kräfte erfordert. Auf diesem Weg droht ihnen immer wieder die äußere und die innere Kraft auszugehen. Allerdings haben sie beim Besuch der Elbenkönigin Galadriel ein besonderes Brot geschenkt bekommen. In diesem zwar etwas langweilig schmeckenden Lembas-Brot steckt eine große Lebenskraft. Es hilft ihnen, den Weg durch das Land des Bösen zu gehen. Die besondere Kraft des Brotes hat darin seinen Grund, dass es aus dem Land der Elben stammt, die keine Bosheit und keine Krankheit und damit weder Vergänglichkeit noch Tod kennen.
4.
Jesus behauptet in seiner Predigt, ein entsprechendes Lebensbrot nicht nur zu kennen, sondern es selber zu sein: „Ich bin das Brot des Lebens.“ Als Christen wissen wir heute mehr als die damaligen Zuhörerinnen und Zuhörer und verstehen besser, was Jesus mit diesem ersten der sieben Ich-bin-Worte sagen will. Jesus spricht hier von seinem eigenen Fleisch, das er bis zum heutigen Tag in jedem Abendmahl allen Christen reicht. Im ersten Kapitel des Johannesevangeliums heißt es: „Das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns.“ Der Sohn Gottes, der vor aller Zeit in einer Gemeinschaft vollkommener Liebe mit seinem himmlischen Vater lebte, kam auf die Erde, nahm Fleisch und Blut an, um die Menschheit von Sünde, Tod und Teufel zu erlösen.
Der Blick in die heutige Völkerwelt lässt – wie ich finde – unmittelbar, ohne weitere Erklärung, verstehen, warum die Menschheit so dringend von Sünde, Tod und Teufel erlöst werden muss. Es könnte höchstens sein, dass angesichts von 80 Jahren Frieden, Wiederaufbau und Wirtschaftswunder nach dem Zweiten Weltkrieg und noch einmal nach der Wiedervereinigung unser westeuropäischer Blick getrübt ist und das abgrundtief Böse in der Welt einfach nicht wahrhaben will – und wir unsere rosaroten Wunschvorstellungen mit der Realität verwechseln. Menschen aus anderen Weltgegenden verstehen dagegen unmittelbar, nämlich aus eigenem Erleben heraus, warum Menschen und sogar ganze Nationen Erlösung brauchen.
Auf jeden Fall: Jesus bietet uns sein Fleisch, d. h. die Versöhnung mit Gott, mit unseren Mitmenschen, mit unserer Mitwelt und mit uns selbst an, die er durch sein Leiden und Sterben am Kreuz von Golgatha geschaffen hat. Die orthodoxe Kirche hat Recht, wenn sie das Abendmahl als Heilmittel der Unsterblichkeit bezeichnet. Es ist ein pharmakon athanasia, eine Arznei der Unsterblichkeit,. Wenn wir im Gottesdienst das Abendmahl miteinander feiern, dann ist das weit mehr als ein Gemeinschaftsmahl zwischen Menschen – das auch. Es ist aber auch weit mehr als eine Wegzehrung für unseren Alltag – das auch. Es ist vor allem anderen zunächst das Brot des ewigen Lebens. Indem wir es essen, erfahren wir die Gemeinschaft mit dem menschgewordenen Jesus Christus, aber vor allem auch mit dem auferstandenen Sohn Gottes. Das Abendmahl lässt uns schmecken und sehen, dass wir Anteil haben am ewigen Leben.
5.
Allerdings tun sich heute viele Zeitgenossen – auch viele Christen – mit dem Glauben an die Auferstehung. Der Glaube an ein ewiges Leben nach dem Tod ist vielleicht der unglaublichste Teil der christlichen Botschaft. Um heutigen Menschen eine Brücke zur christlichen Auferstehungshoffnung zu bauen, muss zunächst eine Reihe von Missverständnissen aus dem Weg geräumt werden. Viele Zeitgenossen meinen, dass das ewige Leben nach dem Tod einfach eine Fortsetzung des irdischen Lebens in alle Ewigkeit darstellt. Eine solche Aussicht weisen sie weit von sich und sind überzeugt: Ein Leben mit Krankheiten, Schmerzen, Beschwerlichkeiten, die gewöhnlich im Alter zunehmen, ist genug! Das ewige Leben, zu dem Jesus seine Zuhörerinnen und Zuhörer einlädt, ist jedoch ein verwandeltes Leben, nicht einfach die ewige Fortsetzung unseres bisherigen Lebens. Unsere Schmerzen werden endgültig geheilt sein. Alle Sehnsucht wird gestillt werden. Auch die unerfüllt gebliebenen Träume unseres Lebens werden sich erfüllen, Ebenso wird die Entfremdung von uns selbst überwunden sein. Wir werden endgültig im Frieden mit uns selbst leben.
Vor allem von Seiten des Marxismus ist dem Christentum vorgeworfen worden, dass der Glaube an ein ewiges Leben Menschen vertröste. Anstatt sie zu ermutigen, mit aller Kraft für eine grundlegende Verbesserung der gesellschaftlichen Strukturen einzutreten, sei Religion Opium des Volkes, so der bekannte Vorwurf von Karl Marx. Es hat solche Tendenzen im Christentum tatsächlich gegeben. Mindestens genauso gilt aber auch das Umgekehrte: Es war und ist gerade die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod, die vielen Christen die Kraft gab, sich für eine grundlegende Verbesserung der gesellschaftlichen Lebensbedingungen einzusetzen. Denken Sie nur an Johann Hinrich Wichern, den wichtigsten Initiator der Diakonie im 19. Jh. Nur wer das Ziel kennt, kann den Weg gehen und bekommt den langen Atem auch angesichts von Widerständen durchzuhalten.
Ein weiteres Missverständnis besteht darin, dass es bei der christlichen Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod nur um das persönliche Seelenheil ginge. Beim ewigen Leben geht es aber nicht nur um das eigene Leben. Es geht um einen neuen Himmel und eine neue Erde. D. h. die Lebensbedingungen nach dem Tod werden sich vollkommen verändern. Die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod schließt die Aussicht auf die Überwindung aller Ungerechtigkeiten ein. Das ewige Leben meint eben keine bloße Fortsetzung, sondern Verwandlung des Gegebenen! Anders ist ein glückliches und katastrophenfreies ewiges Leben gar nicht vorstellbar. Das ewige Leben bedeutet allerdings auch keinen totalen Bruch mit dem Leben in dieser Welt. Die Erde mitsamt der Menschheit landen nicht einfach im Mülleimer der Geschichte! Im letzten Buch der Bibel, der Offenbarung des Johannes, wird verheißen, dass die Völker ihre Schätze, ihre Herrlichkeit und ihre Ehre, in die neue Welt Gottes einbringen werden (Offb 21,24). Die Kulturgüter der Menschheit, gehen also nicht verloren! Alles Gute, was Menschen jemals gedacht und geschaffen haben, wird im Himmel zu bestaunen sein. Wie schön, dass auch die Musik Johann Sebastian Bachs dazu gehört!
6.
Jesus lädt uns im heutigen Predigttext ein – genauso wie seine Zuhörerinnen und Zuhörer damals –, an ihn zu glauben und dadurch Anteil an seinem göttlichen Leben zu erhalten. Es ist ein ewig junges Leben! Im seinem Zentrum steht die Gemeinschaft mit dem dreieinigen Gott, die Anteilhabe am ewigen Leben Gottes. Der bekannte dänische Philosoph Sören Kierkegaard, ein überzeugter Christ, ließ auf seinen Grabstein schreiben: „Noch eine kurze Zeit, dann ist‘s gewonnen, dann ist der ganze Streit in nichts zerronnen. Dann werd ich laben mich an Lebensbächen und ewig, ewiglich mit Jesus sprechen!“ Als Philosoph war für ihn das Schönste an der ewigen Gemeinschaft mit Gott, ein immerwährendes Gespräch mit Jesus Christus führen zu können.
Als Theologiestudent war ich mit einer schon älteren Frau befreundet. Sie war so etwas wie eine geistliche Mutter für mich. In ihren letzten Lebensjahren erblindete sie mehr und mehr. In dieser Zeit wurde ihr Lieblingswort: „Deine Augen werden den König sehen in seiner Schönheit“ (33,17), das sie auch für die Begräbnisansprache bestimmte. Das Wort stammt aus dem Propheten Jesaja. Wenn sie es sprach, fing ihr Gesicht an zu strahlen. Ich hatte den Eindruck, dass es die Freude war, die sie im Blick auf das ewige Leben bei Gott empfand.
Vielleicht sollten auch wir selbst einmal darüber nachdenken, was für uns das Schönste an der ewigen Gemeinschaft mit Jesus Christus ist, worauf wir uns freuen – und uns einen entsprechenden Spruch für den eigenen Grabstein aussuchen.
Amen
Und der Friede Gottes…
Tagesgebet
Dreieiniger Gott,
Du bist der Halt unseres Lebens in Angst,
Du bist uns Zuversicht in Zweifel.
Du bist uns nahe in Traurigkeit.
Stecke uns an mit deiner Freude,
die uns begegnet in Jesus Christus, unserem Herrn und Bruder.
Ihm sei Ehre alle Zeit und in Ewigkeit.