Predigt über Joh 20 in Verbindung mit BWV 67

  • 07.04.2024 , 1. Sonntag nach Ostern - Quasimodogeniti
  • Pfarrer Martin Hundertmark

Predigt über Joh 20 in Verbindung mit BWV 67 "Halt im Gedächtnis Jesus Christ", St. Thomas zu Leipzig, 07. April 2024

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,

mit österlicher Freude begrüßt uns auch die Natur an diesem Wochenende. Überall zeigt der belebende Frühling sein Kraftvolles Streben nach neuem Leben. Die Natur sagt dem Sterben adé. Wärmende Sonnenstrahlen tun auch dem Gemüt gut. Es geht weiter. Neues Leben, neuer Lebensmut sind zum Greifen nahe.
Vor einer Woche feierten wir die Auferstehung Jesu Christi als großen Sieg des Lebens über den Tod. Und auch wenn dieses Ereignis eher ein Herzensereignis ist, als denn ein
Verstandesereignis. Es kennt der Glaube des Heilands Sieg, wie uns die Tenorstimme in der ersten Arie der Kantate "Halt im Gedächtnis Jesu Christ" eben gesungen hat.
Ist also alles in Ordnung nach österlichem Festmahl, ein paar entspannten Ferientagen, wohlklingender Musik und im besten Falle einem erhebenden religiös-emotionalen Gefühl
in einem der Ostergottesdienste?
Im weiteren Verlauf erdet uns die Tenorarie.

Denn es geht weiter.
"Doch fühlt mein Herze Streit und Krieg".
Der Ostersieg hat mächtige Gegner. Sie befinden sich im selben Herzen. Dort widerstreiten die Gefühle. Augen und Ohren tun ihr Übriges.

Sie signalisieren uns, dass nichts
in Ordnung ist. Krieg in der Ukraine. Terror in Israel, Angriffe auf unschuldige Menschen wo man hinschaut, Unglücke, Katastrophen.

Das zarte, aufknospende Glaubenspflänzchen
droht im Alltagsgrau zu verkümmern. Glaube braucht Nahrung. Genährt werden will er durch zeichenhafte Bestätigung.
Damit sind wir bei unserem Namenspatron Thomas angekommen. Gerne wird er als ungläubiger Thomas bezeichnet. Damit tun wir ihm Unrecht. Denn der so genannte ungläubige
Thomas ist in Wahrheit ein gläubiger Thomas. Seine Vorstellung im Johannesevangelium ist gewissermaßen Glaubensprogramm. Thomas, genannt Dydimos - Zwilling.
Jetzt könnte man daraus die biologische Ableitung lesen oder aber wir verbinden den Namen des Thomas mit dem, was unseren Glauben ausmacht. Der Zwillingsbruder des Glaubens
ist der Zweifel. An ihm wächst unser Glauben, wenn letzterer die Oberhand behält. Und genau das möchte Thomas. Er sehnt sich danach, dass sein Glaube die Oberhand behält,
aber alle Realität spricht dagegen. Sie nährt den Zweifel. Deshalb der große Wunsch nach einem greifbaren Zeichen auf dem eigenen Glaubensweg.

Was war geschehen, liebe Gemeinde?
Die Flucht vom Karfreitagskreuz führte direkt ins Versteck. Zu groß ist die Angst vor eigenem Bekenntnis zu diesem so schändlich gekreuzigten Messias, den alle nur noch
zu verspotten wussten. Und zu verwirrend sind die Gerüchte von seiner Auferstehung. Fest verschlossen sind die Türen. Möge bitte niemand stören.

Im dunklen Raum, abgeschottet
von all dem, was nur weitere Verunsicherung bringt, kann getrauert werden und sich auch in der Gruppe Gleichgesinnter Leidensgenossen bemitleidet werden.
Ach, wie schön war´s früher als noch alles in Ordnung war. Erinnert ihr euch noch an die Zeit der Gemeinschaft mit den so wunderbaren Erlebnissen?
Wir haben das Beisammensein genossen.

Mit ihm war alles anders und mit ihm war alles gut.
Wo die zurückgewandten Erinnerungen so starke Kraft haben, gibt es kaum ein Durchdringen.

Es braucht eine andere Macht, um hier durchzulüften und wieder Zugang zu schaffen.
Deshalb, liebe Gemeinde, tritt Jesus mitten unter seine Jüngerschar. Mit österlicher Kraft findet er Zugang durch die verschlossene Tür zum Herzen. Dort will er Veränderung
bewirken. Und die erste solche Veränderung ist, dass im Herzen seiner Jüngerinnen und Jünger etwas Neues einzieht - Friede.
Mit eindringlicher Basstimme wird uns dieser Friedensgruß in der Bass-Arie gesungen. Es ist nicht das kraftvolle Donnerwort. Sondern es ist der sanfte Gruß mit kraftvollem
Inhalt. Friede sei mit Euch!
Salem aleikum, Shalom. Diesen Gruß kennen die drei abrahamitischen Religionen. Eigentlich ist er fest eingewurzelt in das Gedächtnis von Judentum, Christentum und Islam.
Nur leben tun wir den Friedensgruß nicht. Vielmehr wird er ersetzt durch Hass und Gewalt gegen unsere Geschwister im Glauben an den einen Gott, der sich doch so unterschiedlich uns Menschen zeigen kann.
Im heutigen Evangelium vom gläubigen Thomas zeigt er sich als Auferstandener. Christus begründet die nachösterliche Jüngergemeinschaft neu, indem er sie durch den Friedensgruß stärkt und neu aneinander weist.
Friede sei mit Euch. Damit sprengt Jesus die verschlossenen Herzenstüren und lässt das Osterlicht in der Dunkelkammer scheinen.
Friede sei mit Euch - heißt gleichzeitig auch - meine verkündete Liebe Gottes ist stärker als der Tod es je sein kein.
"Doch fühlt mein Herze Streit und Krieg"
Im Hin und Her der Gefühle will Jesus beruhigen und ermutigen.
Es gelingt ihm auch. Denn als der fehlende Thomas nach dem Erlebten fragt, können seine Glaubensbrüder wahrhaftig bezeugen, was sie erfahren haben.
Aber, liebe Gemeinde, ihrem Zeugnis fehlt noch die letzte Kraft.
Der Zwillingsbruder des glaubenden Thomas, seine inneren Zweifel, brauchen die stärkenden Wegworte für seinen Weg, um im zweifelbehafteten Alltag zurechtzukommen.
Auch Thomas gilt der Friedensgruß. Jesus meckert nicht mit demjenigen, dem die Zweifel im Moment obenauf liegen.
-der um sich greifende Tod, gerade den Liebsten oder die Liebste entrissen
-die hereinbrechende Nachricht von schlimmer Krankheit
-eine zerrissene Beziehung
-zerplatzte Lebensträume oder eine gekreuzigte Hoffnung.
Wir könnten hier heute Morgen dutzende Seiten im Buch der zweifelbegründeten Lebens- und Glaubensumstände füllen, würden wir unsere Erfahrungen miteinander teilen.
Thomas ist überall und wir sind eher Thomas als denn einer der anderen Jünger.

 

Friede sei mit euch

Wenn nun Jesus mit dem Friedenswort es schafft, die ummauerte Tür zu Herz und Seele zu durchdringen, dann müsste das eigentlich Folgen haben.
Jesu zugesprochene Verheißung will durchs Leben tragen angesichts der dem Leben widerstreitenden Kräfte.
Wir brauchen diese Verheißung stets aufs Neue, um selbst stark zu bleiben im Kampf gegen Todesstrukturen.
Dort wo sich Mitmenschen gegen das Leben und seinen Wert infrage stellen, ist der heilsame Friedensgruß vonnöten. Friede sei mit Dir heißt ja auch, ich nehme Dich als
meine Gegenüber zuallererst als Menschen war und unterstelle Dir nicht sofort böse Absichten. Vielmehr wünsche ich Dir Frieden, so wie ich ihn selbst durch Christus erfahren habe.
Jesus als großer Menschenkenner weiß ganz genau, wo die Probleme liegen.

Sie liegen im mangelnden Frieden.
Einerseits machen wir uns unser Leben oftmals selbst unnötig schwer. Grausam kämpfen wir gegen uns selbst, erhöhen die Ansprüche an uns, sehen immer noch einen Fehler,
obwohl es doch gut ist. Das nährt den Unfrieden und ist etwas völlig anderes als ein gesundes Maß Ehrgeiz gegen träge Bequemlichkeit.
Ich meine, jene Stimmen in uns, die verhindern wollen, dass wir uns über Dinge so richtig freuen und diese Freude auch teilen in den möglichsten und unmöglichsten Momenten, wie bei der Jüngerschar Jesu.
Andererseits neiden wir unseren Mitmenschen jene Freude, die wir uns oftmals selbst nicht gönnen wollen. Wir machen den Anderen schlecht, suchen nicht das Beste, sondern kritisieren in einem Anflug von Hybris alles. Wir sehen nicht das Gute, sondern die Fehler und ziehen daraus fatale Schlüsse.
So entsteht der im Herzen tief verwurzelte Unfriede.
Dem begegnet Jesus mit seinem sanften Gruß "Friede sei mit Euch"!
Wo Friede im Herzen einkehren kann, wird Zusammenleben eher gelingen können.
Daran erinnert uns Jesus Christus.

 

O Herr, hilf und lass gelingen

Was machen wir nun, wenn es nicht gelingen will, liebe Gemeinde?
Wenn wir schmerzlich die andere Seite wahrnehmen, dass trotz aller Friedensmühen, Leid entsteht?
Wenn wir sehenden Auges in den Unfrieden hineinschlittern, obwohl wir es besser wissen und es auch besser machen könnten?
Wenn wir schlicht an unserem Unvermögen zu scheitern drohen?

Gottes Zusagen an uns haben durch Christus eine tiefgehende Qualität bekommen. Weil Gott in Christus uns ganz nahe gekommen ist, dürfen wir ihn ansprechen
und zu ihm flehen. Der Psalmbeter des 118. Psalms hat es vorgemacht "O Herr, hilf und lass gelingen" ruft er flehend angesichts übergroßer Aufgaben bei kleinem eigenen Vermögen. Jesus Christus ist zum Adressaten unserer Bitten geworden. Das sollten wir nicht verwechseln mit dem Adressaten unserer Wünsche.
In Not und Bedrängnis, in Angst und Zweifel sind unsere Worte und Gedanken bei ihm gut aufgehoben. Göttlicher Beistand ist somit nicht eine zu belächelnde Attitüde, sondern
die Folge eines von Ostern gestärkten Glaubens.
Jesus Christus ist unser Friedefürst, dessen Regieren und dessen Fürsorge ausreichen, um leben zu können - hier im Alltag und darüber hinaus in seinem Reich der ewigen Gemeinschaft mit ihm.

Und Thomas?

Er legt uns den Finger in die Wunde und steht uns dadurch zur Seite mit seinen Zweifeln.
Dass er und wir an ihnen nicht zerbrechen müssen, dafür gibt Jesus Christus auch ihm die Zusage seines Beistandes und gewährt ihm die Glaubensbedingung.
Jesus lässt sich berühren, damit wir lernen, ohne Zeichen zu vertrauen und führt uns dadurch in die Realität.
Dabei spricht Jesus den Jünger direkt an. Somit steht Thomas auch für alle sehnsuchtsvoll wartenden Menschen, die auf der Suche sind, dass Gott sie anspricht.

Und der Friede Gottes, welcher größer ist als unser Verstehen, bewahre eure Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.