Predigt über Johannes 18,28ff

  • 06.04.2025 , 5. Sonntag der Passionszeit - Judika
  • Superintendent Sebastian Feydt

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Gnade mit euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus.

Liebe Gemeinde! 
Es war unmittelbar nach der Friedlichen Revolution. Noch absolut begeistert von dem, was uns Studierenden der Theologie da in Leipzig widerfahren war, hatten wir den Landesbischof in die Theologische Fakultät eingeladen, um mit ihm zu diskutieren. 
Vor allem darüber, was aus lutherischer Sicht angemessen sei, wenn es politische Veränderungen anstehen. 
War die Kirche ehrlich und mutig gewesen?

Ich erinnere nicht mehr alle Einzelheiten, aber eine Bemerkung von Bischof Hempel hat mich seitdem nicht mehr losgelassen. Er gab uns den Rat: 
„Achten Sie auf ihrem Bild vom Menschen. Prüfen Sie es an biblischen Aussagen, insbesondere an den Passionstexten.“ 

Damals war ich fast ein wenig empört über diesen Hinweis. Er schien mir so gar nicht in die Zeit zu passen. Der Freiheitswille von so vielen Menschen, ihre strikte friedliche Absicht, aber auch das unerschrockene Sehnen nach Wahrhaftigkeit und Gerechtigkeit hatten doch so viel verändert. 
Hier vor Ort, im Land und weltweit.

„Achten Sie auf Ihr Bild vom Menschen! Prüfen Sie es auch an den biblischen Zeugnissen.“ hallt der Rat des Bischofs nach. 
Wie denken wir heute, 35 Jahre später über den Menschen? Wie denke ich persönlich über Menschen? 


Das ist ja eine Frage, die uns umtreibt.  
Und nicht nur, wenn ich merke, wie sehr ich selbst im Leben von der Entscheidung und vom Verhalten anderer Menschen abhängig werde, wie zum Beispiel nach Wahlen. 
Auch angesichts der gegenwärtigen Weltlage. Es sind ja nicht Verhältnisse, sondern immer Menschen, die dazu beitragen, dass die Welt gegenwärtig wie ver-rückt erscheint.

Wir erleben tagtäglich, wozu Menschen fähig und in der Lage und vor allem willens sind. Vor kurzem noch Unvorstellbares ist heute Realität. 
Wir denken mir angesichts dieser veränderten Situation über Menschen: neu, ablehnend?
Wie sehen wir den Menschen? 
Trauen wir Unseresgleichen? 
Und wenn ja, was trauen wir Menschen zu? Alles, wozu ich auch bereit und fähig bin, positiv weniger negativ? 
Auch das ist eine wichtige Überlegung:  
Was bestimmt mein Bild von Menschen? 
Ist das mein Blick in die Geschichte, mein historisches Erkennen? 
Gehe ich von mir selbst aus oder von dem, was andere tun? 
Der Bischof hatte geraten: Prüfen Sie Ihr Menschenbild an biblischen Texten!

Keine andere Passage aus der Passionsgeschichte Jesu liegt dafür so offen auf der Hand, wie die Begegnung zwischen dem Machtmenschen Pilatus und Jesus von Nazareth, wie sie das Joh-Ev berichtet. 
Da nach religiösem Gesetz kein Todesurteil verhängt werden kann, soll es der Vertreter der römischen Besatzungsmacht richten und Recht sprechen. 
Viele, wenn wir uns kennen diesen Wortwechsel zwischen Pilatus und Jesus.
Ich lese einige Passagen daraus.
Da ging Pilatus und rief Jesus und sprach zu ihm: Bist du der Juden König? 
Jesus antwortete: Sagst du das von dir aus, oder haben dir’s andere über mich gesagt? 
Pilatus antwortete: Bin ich ein Jude? 
Dein Volk und die Hohenpriester haben dich mir überantwortet. Was hast du getan? 
Jesus antwortete: Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Wäre mein Reich von dieser Welt, meine Diener würden darum kämpfen, dass ich den Juden nicht überantwortet würde; aber nun ist mein Reich nicht von hier. 

Da sprach Pilatus zu ihm: So bist du dennoch ein König? Jesus antwortete: Du sagst es: 
Ich bin ein König. Ich bin dazu geboren und in die Welt gekommen, dass ich die Wahrheit bezeuge. Wer aus der Wahrheit ist, der hört meine Stimme. 
Spricht Pilatus zu ihm: Was ist Wahrheit? (…)

Und Pilatus ging wieder hinaus und sprach zu ihnen: Seht, ich führe ihn heraus zu euch, damit ihr erkennt, dass ich keine Schuld an ihm finde. Da kam Jesus heraus und trug die Dornenkrone und das Purpurgewand. 
Und Pilatus spricht zu ihnen: 
Sehet, welch ein Mensch! 

Seht, welch ein Mensch! 
Liebe Gemeinde, haben wir hier unser Bild vom Menschen?! In dem leidenden, weil  gefolterten, geschlagenen, zum Sterben preisgegeben, zum Tod verurteilten Menschen, verkörpert in Jesus von Nazareth auf dem Weg zum Kreuz. Ist das unser Bild von Menschen? 

Oder haben wir ein Bild vom Menschen angesichts der Massen auf der Strasse, die gar nicht wissen, ob sie Hosianna oder Kreuzige ihn schreien sollen? 
Auch so ist der Mensch, ja! 
Hin und hergerissen zwischen dem Ruf nach dem Recht, einem Recht, das das Böse, vor allem das Böse im Menschen verurteilen und verhindern vermag. 
Judika – schaffe mir Recht! 
Schaffe mir Recht, du Staat!
Schaffe mir Recht, Du Gerichtshof. 
Oder doch: Schaffe mir Recht, Gott! 
Judika – tönt es nicht nur an diesem Sonntag...

Vertrauen wir darauf, glauben wir, dass das Recht von der Rechtsprechung Gottes eingehegt oder begleitet wird zum Schutz des Lebens? 
Glaube ich das als Mensch, gehe ich davon aus, dann hat es Auswirkungen für meine Sicht auf den Menschen. Konkret: 
Dann ist eine Strafe wie die Todesstrafe undenkbar, weil jeder Mensch ein Abbild Gottes ist, jeder Mensch, sein Leben von Gott empfängt und dieses gottgegebene Leben nicht aus menschlicher Entscheidung heraus beendet werden kann. 

Dann gibt es kein willkürliches Verurteilen von Menschen, schon gar nicht von schuldig gewordenen Menschen. 
Dann sind nicht Rache und Strafe und Ablehnung mein, sondern wenn überhaupt Gottes Sache.  

Die Wahrheit, die Jesus durch sein Leben bezeugt, ist eigentlich ganz einfach: 
Unschuldige verurteilt man nicht. 
Man lässt sie auch nicht hinrichten. Hungernden gibt man zu essen. 
Man lässt Menschen nicht auf dem Meer ertrinken. Man schreit auch nicht: Lasst sie absaufen. 
Schutzbefohlene missbraucht man nicht. 
Man überfällt, mordet, verschleppt und vergewaltigt nicht! 
Man bombardiert keine Zivilbevölkerung. 

Eigentlich einfach!
Tatsache ist: Der Mensch tut es. 
Wir erfahren es, wir leiden daran, weil wir im Menschen angelegt sehen, dass wir das einander antun. Seht, welch ein Mensch!

Prüfen wir unser Bild von Menschen! 
Und prüfen wir uns selbst. 
Wer bin ich in dieser ver-rückten Welt? 
Was für ein Mensch bin ich, was für ein Mensch möchte ich sein?
Ich bin ja mehr als meine Eltern in mir angelegt haben. Ich bin auch mehr als mein soziales Umfeld mich prägt.
Ich bin mehr als ich verdiene und habe und aus mir mache. 
Ich bin mehr als die Rolle, die ich für andere spiele. Ich bin mehr, als ich erscheine. 
Ich bin mehr, als ich vermag. 
Viele von uns können sagen: Ich bin ein Mensch, der getauft ist, trage Gott in mir. 
Jakob, Hermine und Emil seit heute auch. 

Liebe Gemeinde, 
ist das etwas, dass unser Mensch sein bestimmt und prägt, dass wir getauft sind? 

Aber ja, wir haben es eben gehört und gesehen und dadurch auch erfahren: 
durch die Taufe habe ich Anteil an Jesus Christus. An diesem einen Menschen, in dem Gott Mensch geworden ist. 
Nicht nur wie er, sind wir getauft, mit der Macht der Zerstörung und dem Tod konfrontiert, nicht nur, wie er untergetaucht, sondern wie Jesus Christus neu ins Leben geführt, gerettet, aufgetaucht, auferstanden.


Wenn wir der Taufe im sonntäglichen Gottesdienst so Raum geben, dann ja auch, weil sie uns alle darin vergewissert, dass wir in uns etwas von diesen Menschen Jesus Christus in uns tragen. 
Behalten wir das nicht für uns, sondern lassen wir es zum Tragen kommen, dem alltäglichen Leben dienen. Geben wir es zu erkennen, wenn andere auf mich schauen und danach fragen, wer ich bin, wer wir sind, wofür wir stehen. 

Dass ich getauft bin, dass Gott mir durch Jesus Christus gleichsam unter die Haut geht, hat Einfluss darauf, wie andere mich beurteilen und bewerten. Es ist nicht egal, was ich sage, wie ich denke, welche Haltung ich habe. 

Es ist von Bedeutung, wenn andere – Mitschüler, Kollegen, Gemeindeglieder, Freunde wahrnehmen, dass ich das Evangelium von Jesus nicht nur anhöre, sondern versuche zu leben. 

Dass ich getauft bin, lässt mich auch anders mit mir selbst umgehen. 
Wie ich mich selbst bewerte und sehe als Mensch. Kann ich annehmen, dass ich als Mensch, so wie ich bin, Gott recht bin.

Vermag ich mit meinen Fehlern trotzdem bestehen, weil ich Gottes Vergebung annehme.

Finde ich die Kraft, Schweres im Leben auszuhalten, nicht davon auszugehen, dass es immer aufwärts geht und leicht ist, sondern Herausforderungen und Krisen zum Leben dazu gehören. 
„Ihr Christen müsstet doch Vorbild sein in der Bewältigung von Schwerem. Ihr habt doch etwas an die Hand bekommen, dass hilft.“ 

Ja, haben wir – auch mit der Taufe.
Und wenn es nicht reicht, dann falten wir die Hände und sprechen, wie im Psalm. 
Oder singen, wie der Chor:  
Was betrübst du dich meine Seele 
und bist so unruhig in mir? 
Harre auf Gott, 
denn ich werde ihm noch danken, 
dass er meines Angesichts Hilfe
und mein Gott ist.  Amen.