Predigt über Jeremias 14,1ff.

  • 19.01.2020 , 2. Sonntag nach Epiphanias
  • Pfarrer Martin Hundertmark

Liebe Gemeinde,

 die Erde brennt. Menschen und Tiere fliehen vor einer übergroßen Flammenmacht. Gestern in Kalifornien, heute Australien und Brasilien.

Für ein paar Sekunden lassen uns die Bilder aufschrecken und dann werden sie weggeklickt bzw. folgt die nächste Nachricht. Auch wenn ihre Präsenz häufiger wird, bleibt die Ignoranz für die Vorboten einer Klimaapokalypse groß.

Sie werden schlicht nicht ernst genommen. Warum auch? Weit weg scheint das Geschehen zu sein. Hier hustet keiner wegen des Qualms der verheerenden Buschbrände. Mensch und Tier wird bei uns auch nicht die Luft knapp ob der vernichteten Regenwälder in Brasilien. Noch nicht. Genau das ist ja das Fatale, liebe Gemeinde. Wir spüren die Katastrophe erst, wenn es zu spät ist. Und weil vorrausschauendes Handeln einhergeht mit einem großen Maß an Unbequemlichkeit, wird es hinausgeschoben, verlacht oder durch zu viele Kompromisse zur Karikatur, wie beispielsweise der CO2 Preis.

Die Erde brennt. Menschen und Tiere sehen keinen Ausweg.

Wir hören 2600 Jahre zurück. Im Jeremiabuch, Kapitel 14 heißt es:

 1 Dies ist das Wort, das der HERR zu Jeremia sagte über die große Dürre: 3 Die Großen schicken ihre Diener nach Wasser; aber wenn sie zum Brunnen kommen, finden sie kein Wasser und bringen ihre Gefäße leer zurück. Sie sind traurig und betrübt und verhüllen ihre Häupter. 4 Die Erde ist rissig, weil es nicht regnet auf das Land. Darum sind die Ackerleute traurig und verhüllen ihre Häupter. 5 Selbst die Hirschkühe, die auf dem Felde werfen, verlassen die Jungen, weil kein Gras wächst. 6 Die Wildesel stehen auf den kahlen Höhen und schnappen nach Luft wie die Schakale; ihre Augen erlöschen, weil nichts Grünes wächst. 7 Ach, HERR, wenn unsre Sünden uns verklagen, so hilf doch um deines Namens willen! Denn unser Ungehorsam ist groß, womit wir wider dich gesündigt haben.

8 Du bist der Trost Israels und sein Nothelfer. Warum stellst du dich, als wärst du ein Fremdling im Lande und ein Wanderer, der nur über Nacht bleibt? 9 Warum bist du wie einer, der verzagt ist, und wie ein Held, der nicht helfen kann?

Du bist ja doch unter uns, HERR, und wir heißen nach deinem Namen; verlass uns nicht!

 

Die große Dürre als Metapher für den Zustand einer nicht mehr intakten Beziehung zwischen Menschen und Gott klingt gegenwärtig auch ganz anders in unseren Ohren. Erschreckend anders, weil vieles von dem, was Jeremia beschreibt, an den, im wahrsten Sinne des Wortes, Brennpunkten unserer Erde plötzlich bittere Realität ist. Echte Dürre und lebensbedrohlicher Wassermangel vernichten Existenzen.

Vergeblich kommen die Diener bei Jeremia mit leeren Wasserkrügen zurück, vergeblich versuchen die Bauern aus dem Acker etwas Essbares hervorzubringen. Und mit der Beschreibung der Hirschkuh, die ganz entgegen des Mutterinstinktes ihr eigenes Junges im Stich lässt, um eventuell selber zu überleben, ist an Dramatik kaum zu überbieten. Wo der sonst so robuste Wildesel verendet, da ist es höchste Not.

Wer jetzt als Hörer oder Leser noch nicht begriffen hat, dass es sich um eine sehr ernste Botschaft handelt, dem wird nicht zu helfen sein.

 

Mag der Jeremiatext angesichts globaler Naturkatastrophen eine besondere realistische Relevanz haben, möchte ich doch jetzt den Blick auf die Metapher lenken.

Jeremia lässt Gott klagen. Er klagt über die Untreue seiner Menschenkinder. Sie haben den geschlossenen Bund verlassen und suchen nun nach Erklärungen und Ausflüchten. Dabei wird die Schuld von sich gewiesen und das macht die ganze Sache so problematisch. Wo wir Menschen nicht zu unserer Schuld stehen, wird uns der Weg zu Gottes Gnade versperrt bleiben.

Bei Jeremia sind es die falschen Propheten. Sie haben das Volk verführt und wer verführt wird, macht es sich schnell einfach, die Schuld dafür dem Verführer und nicht sich selbst zu geben.

„Wir konnten ja nicht anders….“

Dass eigenes Tun Konsequenzen hat, mit denen wir leben und manchmal auch überleben müssen, macht uns der heutige Predigttext sehr deutlich. Er ruft uns in die Verantwortung.

Angesichts einer brennenden Erde stellt sie sich dar als Verantwortung für die Schöpfung.

Geschenkt und anvertraut ist uns die Erde mit ihren Ressourcen. Wenn wir sie nun gnadenlos ausbeuten, ohne Rücksicht Gegenwärtiges oder zukünftige Generationen, brauchen wir uns über Verwerfungen nicht zu wundern.

Der Punkt, an dem es keine Rückkehr gibt, rückt näher und in manchen Gebieten ist er schon erreicht.

Nun Gott alles in die Schuhe zu schieben, ihn als Retter anzurufen und dann fröhlich weiterzumachen wie bisher – dagegen setzt Jeremia die heutigen Predigtworte.

Gewiss ermutigt uns Gott, zu ihm zu beten und ihn zu bitten – auch um Vergebung. Nur, wenn dieses Beten und Bitten keine Konsequenzen hat, wird es hol und sinnlos.

Gerne sehen wir Gott als Rettungsanker, der immer verfügbar ist, so dass ich fröhlich drauflosleben kann in schamloser Verantwortungslosigkeit. So nicht! Sagt Jeremia.

Auch in der Beziehung zu Gott, gibt es einen Punkt ohne Wiederkehr, wenn eigene Schuld und eigenes Tun permanent verharmlost werden.

 Der verborgene Gott

 

Gott bleibt unverfügbar und wer ihn sich gefügig machen will, der wird scheitern. Zu unseren menschlichen Glaubenserfahrungen gehört auch diese, dass Gebete nicht erhört werden, dass Gott nicht einfach repariert, was wir zerstört haben, dass Gott kein Automat ist, der nach unserem Belieben und Tun funktioniert.

Die Verlockungen sind groß, sich theologische Gebäude zu errichten oder Frömmigkeitshäuser zu bauen, die Gott genau dort immer und immer verfügbar verorten.

Gott haben zu wollen, ist aber der sicherste Weg ihn zu verlieren. Denn er lässt sich nicht von uns vereinnahmen, von keiner Theologie, von keinem Ritual und auch von keiner bestimmten Frömmigkeit.

 

Gnade ist keine Ramschware

 

Dietrich Bonhoeffer, einer der großen Theologen des 20. Jahrhunderts, setzt sich in seinem Buch „Nachfolge“ mit der Frage nach der Gnade Gottes auseinander. Sie wird für ihn dann zur billigen Ramschware, wenn sie immer verfügbar ist. Bonhoeffer spricht von „billiger Gnade“, wo sie belanglos wird, weil sich nichts ändert.

Billige Gnade heißt Gnade als Schleuderware…, heißt Gnade als Lehre, als Prinzip, als System, …, heißt Rechtfertigung der Sünde und nicht des Sünders. Weil Gnade doch alles allein tut, darum kann alles beim alten bleiben.“

 Übertragen wir Bonhoeffers Gedanken auf unseren heutigen Predigttext, so müssten wir analog von billigen Gottesbildern sprechen. Sie sind deshalb billig, weil sie Gott nur einseitig darstellen, zum Beispiel als Gott der Liebe.

Ja, liebe Gemeinde, das ist ein schönes Gottesbild und gerne will ich davon predigen, von Gottes Liebe, die alles umfängt, die uns rettet, birgt und schützt, die treu ist trotz und wegen unserer Untreue zu ihm.

Nur, was passiert, wenn solche Gottesbilder in der Realität geerdet werden, weil das eigene Kind stirbt, weil sich wie aus heiterem Himmel der Partner ohne Vorwarnung trennt, weil die medizinische Prognose zum unausweichlichen Todesurteil wird?

Dann zerbrechen sie – die billigen Gottesbilder. Denn in ihnen ist ein abwesender und verborgener Gott nicht vorgesehen.

Jeremia bietet uns mit den heutigen Predigttextversen teure Gottesbilder an. Sie sind anstrengend und weit anspruchsvoller als die billigen. Aber sie zerbrechen auch nicht sofort an realistischen Lebenserfahrungen, weil ihnen das Leid nicht fremd ist und die Klage und der Schmerz und auch die Einsamkeit nicht.

Sie geben uns die Kraft, trotz allem an Gott festzuhalten.

 Ausblick?

 Der ist heute düster, liebe Gemeinde. Zumindest dann, wenn ich den Predigttext bis zum Ende ernst nehmen will. Das fröhliche Weinfest zu Kana ist keine Alternative, die den verborgenen Gott in Weinseligkeit wegspült. Hier der klagende Prophet, dort der Freude schenkende Christus?

Solche Gegenüberstellung wird beidem nicht gerecht und schon gar nicht den alttestamentlichen Texten.

Mit Jeremia darf Gott erneut gesucht werden.

Ob er sich finden lässt, wird sich zeigen müssen.

Angesichts der von Menschen gemachten Katastrophen, angesichts unseres verantwortungslosen Handels in Bezug zur Schöpfung, ist der einfache Zugang zu dem Gott, der alles repariert, versperrt. Es braucht die ehrliche Veränderung und den Willen, auch wirklich etwas zu tun – ohne unsere schnell herbeizitierten Ausflüchte „ich bin doch nur ein kleines Licht und kann nicht die Welt ändern“.

Doch, wir können. Wir können anfangen, es ernst zu meinen. Dafür möge jeder und jede etwas finden. In der vergangenen Woche habe ich versucht, plastefrei Lebensmittel einzukaufen – und bin kläglich an meiner eigenen Bequemlichkeit gescheitert. Jetzt zu Gott zu rufen „Hilf mir, richte du es doch bitte, weil ich es nicht vermochte“, wäre genau das Verhalten, was in Jeremia kritisiert wird, weil es in die Irre führt und mich komplett aus der Verantwortung nimmt. Nicht Gott ist schuld an meinem Scheitern, sondern einzig ich allein. Sich das vor Augen zu führen, ist schmerzlich, aber notwendig. Notwendig sind dann auch die daraus folgenden, richtigen Konsequenzen.

Jetzt nicht aufzugeben, sondern es Woche für Woche weiter zu versuchen – wäre eine solche Konsequenz und zugleich eine erste Spur zur ernst gemeinten Veränderung.

Dafür brauche ich einen Gott, der mich nicht in Ruhe lässt und dadurch rettet.

Amen.

 

Und der Friede Gottes, welcher größer ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

 

Pfarrer Martin Hundertmark

St. Thomas zu Leipzig

hundertmark@thomaskirche.org