Predigt über Jeremia 20, 7–11 im Abendgottesdienst
- 23.03.2025 , 3. Sonntag der Passionszeit - Okuli
- Dr. Annette Weidhas
»Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen!«
Nimmt die Geschichte Fahrt auf, wird es ungemütlich. Denn, es scheiden sich die Geister. Heilspropheten stehen gegen Unheilspropheten. Manche glauben den einen, manche den anderen. Keiner kann beweisen, dass die Zukunft bringen wird, was er voraussagt.
Nach Einschätzung des Bundesrechnungshofs könnte unsere Regierung mit der Abschaffung der Schuldenbremse bis 2035 neue Kredite von bis zu einer Billion Euro aufnehmen – zusätzlich zu der schon bestehenden Verschuldung des Bundes in Höhe von 1,7 Billionen Euro. Die einen sagen nun, das ist gut und wird der Wirtschaft helfen. Die anderen sagen, das ist schlecht, weil ein großer Teil des Geldes versickern und nötige strukturelle Anpassungen verhindern wird. Der Rest ist unentschieden und wartet besser ab, als sich falsch festzulegen. Egal worum es geht: Niemand weiß, wie es wirklich kommen wird.
Aber es gibt immer Menschen, die für ihre – noch ungesicherte – Überzeugung eintreten, selbst wenn sie dadurch in Gefahr geraten, Nachteile oder Spott erdulden müssen. Doch auch das sagt erst einmal nichts darüber aus, ob sie Recht behalten werden. Geschichte ist unvorhersehbar. Die Älteren von uns haben das 1989 erlebt. Sollen wir uns also doch besser heraushalten? Nein! Es ist richtig, für die eigene Überzeugung einzutreten. Allerdings sollten wir das auch unseren Gegnern zur Ehre anrechnen. Es gilt hier Luthers Wort: »Man lasse die Geister aufeinanderplatzen. Die Faust aber haltet still!«
Auch zu Zeiten des Propheten Jeremia platzten die Geister aufeinander. Jeremia wirkte vermutlich von 627 bis 585 vor Christus im Königreich Juda. Die Blütezeit des Neuassyrischen Reiches ging gerade ihrem Ende entgegen, hatte aber die israelitischen Stämme in ihrem Glauben an den einen Gott verunsichert. Heidnische Kulte bis hin zu Menschenopfer-Riten waren eingedrungen. König Hiskia ging dagegen mit einer Glaubensreform an, die jedoch sein Sohn zum guten Teil wieder rückgängig machte. Das ging Jeremia schwer gegen den Strich. Das war nicht im Sinne Gottes. In Juda jedoch wollten viele das nicht wahrhaben. Sie freuten sich über den Fall der Assyrer und hofften auf eine Heilszeit. Nicht jedoch Jeremia. Er sah neues Ungemach voraus – jetzt durch die Babylonier. So kam es, dass Heilspropheten gegen Unheilspropheten standen. Jeremia gehörte zu den Letzteren – und nahm damit eine denkbar unglückliche Position ein. Er stand gegen Priesterschaft und König, wurde bestraft und bedroht und musste sich verstecken.
Das ist der Hintergrund unseres Predigttextes, in dem Jeremia Gott sein Leid klagt. Ich lese Jeremia 20,7–11a(b), Textgrundlage ist die BasisBibel:
7 Herr, du hast mich überredet und ich habe mich überreden lassen.
Du bist für mich zu stark geworden und hast gewonnen.
So bin ich jeden Tag zum Gespött geworden und alle lachen mich aus.
8 Immer, wenn ich reden will, schreie ich es heraus.
»Gewalt und Zerstörung!« muss ich rufen.
Das Wort des Herrn ist mir eine Last geworden.
Den ganzen Tag bringt es mir nur Hohn und Spott.
9 Ich fasste für mich den Entschluss: Ich denke einfach nicht mehr an ihn.
Nie wieder werde ich in seinem Namen reden.
Doch da brannte es in meinem Herzen wie Feuer, eingeschlossen in meinem Inneren.
Ich versuchte es auszuhalten, schaffte es aber nicht.
10 Ich hörte das ganze üble Gerede: »Er verbreitet um sich herum nur Schrecken!
Zeigt ihn an!« – »Ja, lasst ihn uns anzeigen!«
Selbst alle, die mir nahestehen, warten nur, dass ich stürze:
»Vielleicht schaffen wir es, ihn vorzuführen.
Dann können wir ihn packen und uns rächen.«
11a Doch der Herr ist bei mir.
Er beschützt mich wie ein starker Held.
Deshalb werden meine Verfolger zu Fall kommen und keinen Erfolg haben.
Der Herr segne an uns sein Wort.
Liebe Predigthörer, hier endet der laut Perikopenordnung festgelegte Predigttext. Das ist sinnvoll, denn der zweite Teil des letzten Verses wirft für christliche Verkündigung ein Problem auf. Jeremia fügt hinzu:
11b) Sie werden sich schämen, weil es ihnen nicht gelingt.
Für immer wird ihre Schande unvergessen sein.
Sie merken: Jeremia ist nicht nur sauer, er ist richtig böse. Zuerst auf Gott: weil der ihm diesen eigentlich unmöglichen Auftrag erteilt hat. »Nie wieder« will er »in seinem Namen reden«. Doch das kann er nicht. Sein Herz steht dagegen, es brennt wie Feuer, sein Gewissen schmerzt. Also richtet er seinen Zorn gegen diejenigen, die nicht auf Ihn hören wollen, obwohl er doch nur Gottes Auftrag erfüllt. Gegen sie steht er nun – aber nicht allein, sondern mit Gottes Hilfe. Dessen ist er sich am Ende gewiss. Zornig jedoch bleibt er und kann sich gewisser Rachegelüste nicht enthalten: »Für immer wird ihre Schande unvergessen sein.«
Schön ist diese Reaktion des Jeremia nicht. Aber Hand auf´s Herz: Wer von uns hätte in vergleichbarer Situation diesen Wunsch nicht? Ihn zu haben ist menschlich, ihn zu bekämpfen ist christlich. Jeremia lebte ein halbes Jahrtausend vor Christus und dessen Gebot der Feindesliebe. Wir leben 2000 Jahre später. Leichter ist es seitdem nicht geworden, berechtigten Zorn einzuhegen. Aber wir haben ein Korrektiv: Jesus von Nazareth, der uns zum Christus, zum Heiland, geworden ist. Damit freilich lesen wir Jeremia leicht gegen den Strich, was auch die offizielle Perikopenordnung tut, indem sie Vers 11b weglässt. Allerdings verstärkt das die Frage: Was an diesem sehr alten Text spricht uns direkt an – abgesehen davon, dass wir Menschen als Menschen immer noch dieselben sind?
Da ist eines, das sich geradezu aufdrängt: Niemand kann den Untiefen der Geschichte entkommen. Egal ob er an Gott glaubt oder nicht. Auch Christen können nicht generell unpolitisch sein, wir sind ja Teil der Welt und Bürger unserer Gesellschaft. Jeremias Prophetie hat deutlich ein politisches Moment. Auf heute bezogen könnten wir fragen: Ist Russland unser Babylon? Ich weiß es nicht, ich fühle keinen prophetischen Auftrag. Ich möchte aber dringend für Vorsicht plädieren, nicht jedoch für Angstmache. Gibt es etwas dazwischen? Meiner Ansicht nach schon.
Wir werden leider zu neuer Aufrüstung gezwungen sein, um die Imperatoren dieser Welt abzuschrecken. Aber realpolitisch wird unsere Regierung, welche auch immer, im Gespräch mit ihnen bleiben müssen. Für Christen ist dabei allerdings entscheidend, Politik und Glauben nicht in eins zu setzen. Es steht die Frage im Raum: Lassen wir uns von Opportunitäten verführen oder nicht? Relativieren wir unseren Glauben und dienen rechten oder linken Götzen? Jeremia jedenfalls zielt auf das Wort Gottes und einen nicht durch falsche Anpassung an die Welt verstellten Glauben. Darum predigt er Unheil.
In diese Fußstapfen möchte ich nicht treten. Das wäre nicht nur üble Anmaßung, sondern würde auch unserer Situation nicht gerecht. Allerdings: Mit Jeremias Gegnern, den Heilspropheten, möchte ich mich schon gar nicht einlassen. Denn auch wir haben derzeit Probleme, die nicht einfach mit Heilsversprechen zugedeckt werden dürfen. Natürlich hoffen wir immer, sogar über den Tod hinaus. Das jedoch verhindert oft genug Leidenstäler nicht. Täte es das, müssten wir nicht mehr hoffen, könnten es aber auch nicht mehr.
Liebe Predigthörer, Sie merken, ich möchte die Auslegung unseres Jeremia-Textes nicht bis zur Entscheidung zwischen Heil und Unheil treiben. Bin ich also ein lauer Mensch, der sich nicht festlegen will? Vielleicht. Vor allem aber ein Mensch, der nicht weiß, was kommen wird und sich ausgeliefert fühlt. Ausgeliefert fühlte sich erst einmal auch Jeremia. Ausgeliefertsein gehört zu unserem In-der-Welt-Sein.
Das jedoch ist nicht Gottes Schuld. Gott hat uns freigegeben, damit wir glauben, hoffen und lieben. Dazu gehört, mit Jeremia und überhaupt ganz im alttestamentlichen Sinn Gott nicht als harmlosen Kindergartengott zu verstehen. Dass Gott uns freigegeben hat und uns dennoch zum Kampf um den rechten Geist herausfordert, ist eine Zumutung. Diese Zumutung aber hat Gott im Leiden und Sterben Jesu mit uns geteilt. Darum: Glauben wir, so hoffen und lieben wir, gleich, was die Zeiten uns zumuten. Rettung wird kommen. Manchmal allerdings nicht sofort.
Möglicherweise deprimiert Sie der letzte Satz. Das sei ferne. Wie wir vor der Predigt mit Luther gesungen haben, wehrt Gott dem falschen Schein und all´ denen, die meinen, »Recht und Macht allein« zu haben. Mit dieser Gewissheit im Rücken sollten wir dem Meinungsstreit nicht ausweichen, dabei aber Freundlichkeit und Respekt dem Anderen entgegenbringen. Denn wir müssen ernst nehmen: Das Ergebnis des Streits bleibt in Gottes Hand. Das nennen wir christlichen Realismus. Christus spricht: »In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.« Christlicher Realismus verleugnet die Angst nicht, weiß aber um ihre Überwindung.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus!