Predigt über Jakobus 5,13-16

  • 07.10.2018 , 19. Sonntag nach Trinitatis
  • Pfarrerin Taddiken

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Leidet jemand unter euch, der bete; ist jemand guten Mutes, der singe Psalmen. 14 Ist jemand unter euch krank, der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde, dass sie über ihm beten und ihn salben mit Öl in dem Namen des Herrn. 15 Und das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen, und der Herr wird ihn aufrichten; und wenn er Sünden getan hat, wird ihm vergeben werden. 16 Bekennt also einander eure Sünden und betet füreinander, dass ihr gesund werdet. Des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist.

Liebe Gemeinde,

Was überwiegt bei Ihnen, wenn Sie diese Worte hören? Zustimmung? Dass Sie sagen: Ja, ich kenne das, das Gebet der anderen hat mich wieder auf die Füße gestellt. Oder ist es eher Abwehr – klingt Ihnen das zu sehr nach „Gesundbeten“? Haben Sie es bitter erleben müssen, dass Ihr Gebet ihnen nichts geholfen hat? Oder haben Sie eher erst mal gemischte Gefühle, es ist was Wahres dran – aber irgendwie ist mir das so zu dolle bzw. zu simpel mit dem Gebet, wenn es mal so wäre… Nun, vielleicht mag gerade Letzteres an dem liegen, was ein Teilnehmer unseres Bibelkreises als Leimruten bezeichnet hat, die in diesem Text ausliegen. Leimruten, an denen man kleben bleiben kann. Ich würde sagen, es sind drei:

Die erste ist: Wenn jemandem das Gebet nicht hilft, war es vielleicht nicht ernstlich genug. Der Beter hat versagt, war zu schwach, so wie die Jünger Jesu mal ein epileptisches Kind heilen wollten und es nicht konnten und Jesus sie rüffelt, weil sie nicht mal einen Glauben in Größe eines Senfkorns hätten. Sprich: Dass es an unserer mangelnden Leistungsfähigkeit in Sachen Heilen und Gesundmachen und letztlich an Glaubensstärke selbst scheitere. Martin Luther mochte das am Jakobusbrief nicht, für ihn war das aus diesem Grund eine „stroherne Epistel“, der es doch auf Leistung und Werke ankomme. Und in der Tat lädt das Wörtchen „wenn“ alle Verantwortung für das Gelingen bei uns ab: Des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist.

Die zweite Leimrute ist der direkte Zusammenhang zwischen Sünde und Krankheit. Irgendwas muss ja gewesen sein, dass jemand krank geworden ist. Ja, wir wissen heute, dass unbearbeitete Konflikte und Uneingestandenes sich in Krankheiten auswirken können. Aber wir konstruieren auch gern Zusammenhänge wo es keine gibt. Versuchen, unsere Rat-und Hilflosigkeit damit einzugrenzen, dass wir die Leerstellen  unseres Verstands damit zukleistern. Die gefundenen Erklärungen halten wir dann für so wahr, dass wir nicht davon zurückschrecken, sie anderen vorzuhalten – bisweilen sogar mit der Absicht, sie damit zu trösten.

Die dritte Leimrute wäre, das Leid vorschnell zu spiritualisieren. Also, dass es hier  eigentlich nur um die Frage geht, wie man innerlich mit einer bestimmten Krankheit fertig werden kann. Sprich: Dass es hier nicht um „Gesundwerden“ gehe, sondern um „Heilwerden“. Ich gebe zu: Zu dieser Leimrute drängt es mich. Aber das wird der Leiblichkeit der Darlegung nicht gerecht, hier wird Öl verwendet als Heilmittel. Und es geht hoch aktiv zu: Leute kommen, werden geholt und das hier benutzte griechische Wort für „aufrichten“ meint nicht nur eine innere Stärkung, sondern durchaus ein Aufrichten im Sinne von gesund werden. Es ist schon ein Aufruf, sich solidarisch mit denen zu fühlen, die sich in der Tiefe ihres Herzens danach sehnen, nicht nur klar zu kommen, sondern wieder gesund zu werden.

Vielleicht gehen wir noch mal ein Stück weg vom Text bevor wir an einer Stelle gleich kleben bleiben. Gucken noch mal von oben drauf auf den Zusammenhang. Ich denke, dass es ganz wichtig ist zu sehen: Die Angesprochen sind keine für sich vereinzelten Menschen. Wir haben es hier nicht mit Ratgeberliteratur zu tun nach dem Motto: Für jeden anwendbar mit Erfolgsgarantie - sonst Geld zurück. Hier sind Menschen angesprochen, die ihre Gemeinschaft dezidiert als eine geistliche verstehen. Alles was hier geschieht, geschieht im Bewusstsein  miteinander so verbunden sein, dass sich alles immer auch auf den anderen bzw. das Ganze auswirkt. Hier gibt es offenbar eine Aufgabenteilung, je nachdem, wo sich jemand gerade befindet in seiner Lebensgeschichte. Was auffällt ist, ist der Auftakt, der die ganze Stimmung und Richtung bestimmt. Aber das bleibt beim ersten Hören und Eindruck eben gerade nicht unbedingt kleben. Man überliest es eher schnell: „Ist jemand guten Mutes, der singe Psalmen“. In der Bibel wird immer wieder gesagt, man müsse "guten" Mut haben, nicht einfach nur Mut. „Sei guten Mutes,“, wird dem blinden Bettler gesagt, „stehe auf: Er ruft dich!“ „Seid guten Mutes! Ich habe die Welt überwunden!“, sagt Jesus als er sich von seinen Jüngern verabschiedet. „Guten Mutes“ zu sein, es bedeutet etwas anderes, als sich etwas zu trauen oder sich mit der Absicht zu überwinden, ein bestimmtes Ziel zu erreichen. „Guter Mut“ meint vielmehr eine Lebenshaltung. Er ist immer anwesend, niemals zeitlich begrenzt oder zielgerichtet, sondern, nennen wir ihn mal  „Ur-Mut“ - er ist einem Menschen anzumerken und tut den Mitmenschen seines Trägers gut. Leute „guten Mutes“ werden hier gebraucht. Auch wir brauchen sie dringend, die das ausstrahlen. Wir brauchen sie in der Kirche, wir brauchen sie in Politik und Gesellschaft. Wenn sie fehlen, dann belastet das nicht nur die Atmosphäre, sondern es ist sehr viel schwerer, Energie und Kraft dafür aufzubringen, wie man sich demgegenüber positioniert, was nicht nur einzelne Menschen sondern alle krank machen kann. Wo das Zusammenleben vergiftet wird und ein Füreinander eintreten, gerade auch für die Schwachen und Benachteiligten, nicht mehr gepflegt wird, im Gegenteil. Liebe Menschen guten Mutes, zeigt euch! Kommt heraus, übernehmt Verantwortung, singt für uns! Traut Eurem guten Mut etwas zu, bestimmt das Klima, überlasst es nicht den Verbitterten, den Gekränkten und Resignierten. Auch ihnen steht vielmehr bei.

Von diesem guten Mut soll getragen sein, was im Text dann folgt: Das Gebet für die Kranken. Allein schon, dass Leute kommen, trägt etwas aus. „Älteste“, also Leute mit Erfahrung in Sachen „gutem Mut“. Viele Kranke klagen ja darüber dass sie sich allein gelassen fühlen. Am Anfang ist die Anteilnahme groß, Menschen bieten ihre Hilfe an. Doch dann wird es weniger mit den Besuchen, sie bleiben manchmal ganz aus. Für den, der aufgrund seiner Einschränkungen am öffentlichen Leben gar nicht mehr teilnehmen kann, ist das eine bittere Erfahrung, wenngleich auch allen klar ist: manche potentiellen Helfer fühlen sich so hilf- und sprachlos und überhaupt nicht kompetent, mit einem anderen zu beten. Man weiß nicht, was man sagen soll. Aber manchmal reicht es schlicht, auf das Verlegenheitsraunen zu verzichten. Als wir in unserem Bibelkreis diesen Predigttext besprochen haben, haben gleich einige von ihren Erfahrungen mit diesen hilflosen Helfern berichtet, die an der ersten Leimrute kleben geblieben waren. Wo sie belehrt wurden, für ihr behindertes Kind ja vielleicht nicht genug gebetet zu haben. Oder von zweifelhaften Ansichten über Gottes Willen bzw. dem Gefasel von schicksalhafter Vorherbestimmung belästigt wurden. Es spricht für die Größe der Geplagten, dass sie selbst darin noch den guten Willen ihrer Mitmenschen erkennen konnten. Eher aufrichtend und heilend haben die gewirkt, die es geschafft haben, ihre vielleicht bis auf Blumen oder Grußkarten leeren Hände vorzuzeigen und zu sagen: Wir vergessen Euch nicht, ihr seid in unseren Gedanken und Gebeten. Genau das aber sollen und dürfen wir einfordern nach dem Jakobusbrief, wir, die man großenteils ja dazu erzogen hat, alles allein und selbständig zu schaffen: dass man die Ältesten bzw. die, die guten Mutes sind, auch ruft. Dass man nicht von ihnen erwartet, dass sie alle Bedürfnisse erspüren müssten. Die Mitverantwortung der Kranken ist gefragt, sofern und so lange sie noch möglich ist. Zur Bekämpfung einer Krankheit gehört es auch, dass man die Kranken weiter – und das sage ich mal jetzt so, auch wenn es unpersönlich klingt - Subjekt sein lässt und nicht vom Leiden schon überwundene Objekte, die nur noch Gegenstand unseres Kümmerns sind. Sie sind und bleiben Glieder der Gemeinschaft, die hier als Ganze angesprochen ist.

Und so werden auch in die gegenseitige Fürbitte ausdrücklich alle einbezogen: Betet füreinander, dass ihr gesund werdet. Das gegenseitige Sündenbekenntnis schließt dabei jeden geistlichen Hochmut aus. Gerade an dieser Stelle ist bei Jakobus nichts strohern oder kann unter den Verdacht der Werkgerechtigkeit gestellt werden: Es ist ganz klar Gott, der handelt. Es ist Gott, der aufrichtet. Es ist nicht unsere Klugheit, unser Können, unser Vermögen. Niemand von uns hat die Deutungshoheit darüber, warum der eine krank wird und der andere nicht. Niemand von uns weiß am besten Bescheid, jegliche Form von Überheblichkeit ist gerade hier fehl am Platz. Der Grad, auf dem man dabei geht, ist so schmal, dass man jederzeit zu beiden Seiten abstürzen kann: in den Schlund der Resignation oder in die überhöhte Vollmundigkeit zu großer Glaubenssicherheit. Das einzige, was wir vielleicht  in die Waagschale werfen können ist unser „guter Mut“ – der die Bitte voraussetzt, im Gebet anhalten zu können und standhaft zu bleiben. Das gilt, denke ich, gerade für die Bereiche, wo wir denken: Was soll denn da Beten – da ist doch ganz konkrete Unterstützung nötig wie im Moment in den vom Tsunami und anderen Katastrophen betroffenen Gebiete von Indonesien. Da geht es um Unterkunft, Verpflegung und Hilfe zum Neuanfang – schlicht und ergreifend um finanzielle Unterstützung. Ja, richtig. Aber andererseits ist es immer wieder so, dass die betroffenen Menschen selbst immer wieder dazu auffordern: Betet für uns. Betet für uns, damit das Grauen um uns her uns nicht ganz verschlingt. Betet für uns, dass wir die Kraft finden, weiterzumachen. Betet für uns, weil das, was geschehen ist, so umfassend und zerstörerisch ist, dass es eigentlich keine Hilfe geben kann.

In der Tat: Wir wissen es ja nicht, ob es nicht gerade unser Gebet ist, das einen Menschen zurückruft von dem letzten Schritt in das endgültige Dunkel. Wir wissen nicht, ob es nicht unser Gebet ist, das einem Menschen die Kraft gibt, wieder aufzustehen und neu anzufangen. Wir wissen nicht, ob es nicht unser Gebet ist, das einem anderen Menschen einen Engel schickt, der tröstet, stärkt und aufrichtet, so wie Martin Luther es formuliert hat: „Beten heißt, einem anderen einen Engel zu schicken.“ Ja, das Gebet vermag viel. Es macht womöglich nicht gesund, es kann aber heilen. Es kann den Leidenden ins Gleichgewicht bringen und die, die sich um ihn kümmern. Und das ist die Voraussetzung sowohl dafür, gesund zu werden, wenn es denn möglich ist, als auch heil, was in dem Fall tatsächlich heißt: aufrecht und im Wissen, auch von der Gemeinschaft der Betenden getragen und begleitet zu werden, die Situation annehmen zu können .

Wo dieses Verständnis von Gemeinde wie im Jakobusbrief als Gemeinschaft von Menschen verstanden wird, die geistlich miteinander verbunden ist, mag das eher möglich sein. Denn geistliche Gemeinschaft überwindet die Grenzen von Sympathien und Meinungen. Das einzige, was zählt, ist sich angesprochen zu fühlen als im Namen Jesu beauftragt, für den anderen zu bitten, völlig egal, ob ich ihn mag oder sympathisch finde. Und dass mir die Kraft geschenkt sei, die Leimruten der einfachen Antworten zu umgehen, die zu geistlicher Überhebung führen. Und darum bitten, guten Mutes bleiben zu können und davon vielleicht etwas abzustrahlen.  Was kann mir dabei helfen – in meinem persönlichen Gebet? Für mich ist im Laufe der letzten Jahren ein Gebet immer wichtiger geworden. Es ist schon älter. Aber es ist eins, das mich immer wieder „guten Mutes“ sein lässt. Es ist das Gebet des französischen Mathematikers und Philosophen Blaise Pascal. In seinen Pensees, den Gedanken über die Religion, hat er es Mitte des 17. Jahrhunderts niedergeschrieben. Und ich möchte damit schließen:

„Vater im Himmel, ich bitte weder um Gesundheit noch um Krankheit, weder um Leben noch um Tod, sondern darum, dass du über meine Gesundheit und meine Krankheit, über mein Leben und meinen Tod verfügst zu deiner Ehre und zu meinem Heil. Du allein weißt, was mir dienlich ist. Du allein bist der Herr, tue, was du willst. Gib mir oder nimm mir, aber mache meinen Willen dem deinen gleich. Amen.“

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org