Predigt über Hebräer 13,12-14

  • 29.03.2020 , 5. Sonntag der Passionszeit - Judika
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Liebe Gemeinde,

nichts, gar nichts planen können außer vielleicht die nächsten paar Stunden – wir lernen das gerade alle. Manche schwerer, manche leichter. Hier in Leipzig scheint es mir so zu sein: Alles wartet auf den 20. April. Bis dahin gilt auf jeden Fall: Nur zwei Personen in der Öffentlichkeit zusammen. Restaurants zu, Läden auch. Einkaufen geht. Und dann? Wir werden sehen.

Verrückt ist ja auch, dass sich ständig alles selbst überholt: Was vor zwei Wochen noch ging, war nach ein paar Tagen dann schon leichtsinnig: Und jetzt würden wie es schon für unverantwortlich halten, etwa mit 200 Leuten eine Veranstaltung durchzuführen. Ging vor kurzem. Ist jetzt undenkbar. Aber nicht nur das ist der Punkt: dass das alles so rast. Auch anderes lässt einen ja nicht zur Ruhe kommen. Was mich zunehmend beschleicht: Wir haben uns da vielleicht was vorgemacht? Oder machen es noch? Haben wir uns schon zu lange eingeredet, dass ja vor allem die Älteren jetzt gefährdet sind – oder die Kranken? Aber wenn wir sie sehen: die Bilder aus den Krankenhäusern in Italien oder Spanien -  dann ist klar: Auch Jüngere kriegen richtig was ab. Und auch sie sterben durchaus. Nichts ist sicher. Und keiner ist sicher.

Ja, wir haben Mühe, da noch mitzukommen. Das Tempo, in dem sich alles entwickelt. Und das alles, wo äußerlich alles stillsteht. Klar, das macht unruhig, darin muss man sich erst mal zurechtfinden. Aber das hat auch eine andere Seite. Ich nehme jedenfalls auch Aufbruchsstimmung wahr. Wir wagen Neues. Auch das, was wir schon länger vor uns hergeschoben haben. Das hätte mir mal vor 1-2 Jahren sagen sollen: Du stehst jetzt hier und hältst Online-Gottesdienste. Es bewegt sich was bei allem äußeren Stillstand. Es gibt auch eine produktive Unruhe!

So wie in unserem heutigen Predigttext aus dem Hebräerbrief: Beweg Dich – höre ich da. Gehe nach vor und um Himmels Willen – denke nach vorn. Das ist die Richtung, in die Christen unterwegs sind. Wie Jesus selbst! In Hebräer 13 lesen wir:

Jesus hat, damit er das Volk heilige durch sein eigenes Blut, gelitten draußen vor dem Tor. So lasst uns nun zu ihm hinausgehen vor das Lager und seien Schmach tragen. Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.

Das sind Worte aus dem ersten Jahrhundert. Da war man natürlich auch schon auf der Suche. Hat sich gefragt: Was wird kommen? Und genau wie heute hat man nach Wegen gesucht: Wie wollen wir leben? Wie können wir leben miteinander? Wir können uns doch nicht nur treiben lassen, also wo wollen wir denn eigentlich hin? Und da wird hier etwas ganz Klares gesagt: Ihr könnt nicht immer in Eurer sicheren Stadt bleiben. Es wird nicht alles so bleiben in Eurem Leben wie es ist. Das ist eine Illusion. Geht, geht los, sucht das Zukünftige, findet es heraus, sucht, was Leben heißt und bedeutet. Und lebt es.

Hier wird auch gesagt, wo wir dabei hingehen sollen: Hinaus vor das Tor. Soweit kommt man noch mit. Aber dann: Geht dort hin, wo man Jesus kreuzigt. Tragt seine Schmach. Alte Worte. Aber wir verstehen schon noch, worum es geht. Der Sündenbock – er wurde einst vor die Stadt getrieben. Beladen mit der Schuld einer ganzen Gesellschaft. Raus aus der Stadt, in die Wüste hat man ihn geschickt. Nicht nur sprichwörtlich. Ja, und Verbrecher oder die, die man dafür hielt, wurden auch hier bei uns außerhalb der Stadt am Galgen gehenkt – oder erschossen. Und Jesus – auch er wurde draußen gekreuzigt, vor den Toren Jerusalems.

Wo sind diese Ort heute? Orte voller Schmach und Blut? Sie sind in diesen Krankenhäusern von Bergamo oder Madrid. Sie sind aber auch dort, wo Menschen jetzt in Kälte und Not ausharren wie auf Lesbos und anderen Orten. Hinter geschlossenen Grenzen, durch die niemand mehr kommt. Weil wir mit uns selbst beschäftigt sind und uns noch mehr abgrenzen als vorher schon und noch mehr und noch mehr. So ist es in Europa im Moment. Grenzen zu. Wer geht noch vor das Tor, vor das eigene Lager? Obwohl wir doch losgehen müssten, gemeinsam aufbrechen. Gedanklich zumindest. Um unsere gemeinsame Situation auch gemeinsam zu bewältigen. Hier den Stillstand zu riskieren – wie fahrlässig. Der Weg führt nach dem Hebräerbrief immer hinaus aus dem Cocon der eigenen Betroffenheit. „So lasst uns nun zu ihm hinausgehen vor das Lager und seine Schmach tragen.“

Natürlich: Wir können jetzt nicht alle an diese Stätten gehen. Vielleicht können wir noch dem Nachbarn helfen. Immerhin. So richtig hinausgehen vor das Tor, vor das Lager – das geht  nicht im Moment. Darum: Kommen Sie doch noch ein bisschen weiter hinein in die Thomaskirche. Und schauen sich unser spätgotisches Kruzifix an, das an der Chorwand der Vierung hängt. Ein sogenannter „Echthaar-Christus“ aus dem 16. Jahrhundert. Die Konfirmanden gruselt‘s meistens. Was - echt? Ja. Deutlicher geht es nicht, es so zu zeigen wie hier: Dieser Christus ist mit Haut und Haar wie wir. Wo wir leiden, leidet er mit uns. Das haben die Menschen damals ins Bild gesetzt. Schaut auf ihn, er trägt Euer Leid. Er ist da, zu greifen mit Haut und Haar. Und so, wie er an Eurer Seite bleibt, bleibt ihr an der Seite derer, die leiden. Geht hin zu ihnen. Steht ihnen bei. Nehmt ihnen etwas ab. Tragt etwas für sie. Und tragt so mit Christus mit.

Ja, es ist Bewegung in den Worten des Hebräerbriefs. Dass wir uns nicht verkriechen, dass wir auch in unserem verordneten Stillstand in Bewegung bleiben. Emotional, praktisch und mit Freude an der Suche nach dem, was sein wird. Und gehen wir davon aus: All das, was wir jetzt erleben, wird uns am Ende stärker machen. Uns persönlich und vielleicht auch unsere ganze Gesellschaft draußen vor dem Tor. „Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Pfarrerin Britta Taddiken
taddiken@thomaskirche.org