Predigt über Gen 22,1-14  

  • 17.03.2024 , 5. Sonntag der Passionszeit - Judika
  • Superintendent Sebastian Feydt

Predigt Judika 17.03.2024 Gen 22,1-14                                

Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen. In der Stille bitten wir Gott um seinen Segen für sein Wort….

Liebe Gemeinde! „Um Gottes Willen!" Haben Sie auch so empfunden, als uns diese alte archaische Geschichte mit hinauf auf den Berg zur Opferung eines Kindes nehmen wollte?

Selbst, wenn man weiß, wie es am Ende ausgeht: Es ist für unser Empfindung heute nicht auszuhalten, was da geschehen soll. Der Vorwurf des religiösen Fanatismus steht sicher auch heute hier im Raum.

Vielleicht halten Sie es aber auch mit Immanuel Kant, der schon vor mehr als zweihundert Jahren vehement die Meinung vertreten hat, Abraham hätte niemals der von ihm gehörten Stimme Gottes folgen dürfen.

Denn es ist – so Kant – nicht erwiesen, dass es die Gottes Stimme ist. Das Einzige, dass ihm hätte klar sein müssen ist, dass er niemals seinen Sohn – und überhaupt einen anderen Menschen – tötend opfern darf.                         

Mit den Worten der Aufklärung kurz gesagt: Selbst denken, sich seines Verstandes und damit seiner moralischen und ethischen Wertmaßstäbe bedienen und niemand Anderem Autorität über mein eigenes Denken einräumen, wenn es um das menschliche Leben – noch dazu um das Leben des erstgeborenen eigenen Kindes - geht.  

Liebe Gemeinde, steht nicht aber gerade Abraham mit allem, was er erst hört und schweigend aufnimmt, was er sagt und dann tut, anders tut, gerade ein hervorragendes Beispiel, gleichsam ein Vorbild für dieses eigenbestimmte, lebenserhaltende Verhalten inmitten eines Dilemmas?

Zieht uns diese Geschichte von Abraham und Isaak nicht mit hinein in das menschliche Ringen, heraus zu finden, was ich – um des einen Gottes Willen – tun soll?

Diese unerträgliche Spannung kennen wir bis heute.

Es gibt diese Momente im Leben, in denen mir etwas abverlangt wird, das mich bis an die Grenze des Erträglichen bringt. Oder sogar darüber hinaus.

Angehende Eltern, die am Beginn der Schwangerschaft erfahren, dass ihr Kind von Geburt an mit schwersten Einschränkungen zur Welt kommen wird. Was ist, um Gottes Willen, angezeigt zu tun?

Was ist richtig zu tun, wenn unsere alt gewordenen Nächsten, Eltern, Großeltern, schwer krank sind, leiden und dennoch nicht sterben können?

Was leitet uns: der Gehorsam gegenüber Gottes Gebot - oder ist ein anderer ethischer Kompass?

Liebe Gemeinde! Was Abraham widerfahren ist, ist keine weit hergeholte alte Geschichte. Diese Geschichte schreibt das Leben.  

So extrem es uns heute erscheinen mag, was da erzählt wird: das wunderbare Geschenk im Leben, ein Kind, zu opfern, und sei es für Gott – noch vor 2-3 Generationen war es auch für unsere Vorfahren nicht anstößig, dass Familien ihre Söhne in die Armee gaben und damit rechneten, dass sie dem Krieg zum Opfer fielen.

Was das Leben eines Kindes, was das Leben eines Menschen wert ist, was es mir Wert ist dafür zu geben – diese Haltung wandelt sich. Langsam.

So, wie sich auch die Annäherung an diese markante biblische Geschichte von der Bindung Isaaks immer wieder neu gelesen, durchdacht und interpretiert werden muss.

An dieser Stelle ist es hilfreich, etwas tiefer einzusteigen und darauf zu achten, was da erzählt wird, wie unerwartet weit Abraham wirklich gegangen ist, und was Abraham selbst sagt.

Ausgelöst wird alles durch Gott.  Gott prüft Abraham. - Aber schon das ist ein Wissensvorsprung, den nur hat, wer die Geschichte hört. Abraham selbst hat ihn nicht. Für ihn bleibt die ausweglose Situation. Das Dilemma. Nicht zu wissen, wie ich mich verhalten soll. Ein unlösbarer Widerspruch.

Aber Abraham selbst sagt zu alledem erst einmal nichts. Er bestätigt nur, dass er Gottes Wort vernommen hat. Hier bin ich, sagt er.

Und dann scheint es so, als tue er, wie Gott ihm geheißen hat. So wird es erzählt.

Aber vielleicht war Ihnen vorhin beim Hören der Geschichte schon aufgefallen:                       

Als Abraham dann selbst zu seinen Knechten spricht, stimmen seine Worte nicht mit dem überein, was zuvor erzählt wird.

Die Geschichte vermittelt den Eindruck, Abraham ist mit dem Sohn auf dem Weg, ihn zu opfern. Seinen Knechten sagt er aber: Bleibt hier. Wenn wir dort auf dem Berg angebetet haben, wollen wir wieder zu Euch zurückkommen.

Man kann das für eine Täuschung, vielleicht eine Notlüge halten. Wir könnten aber auch aus diesen Worten heraus hören, dass das die tiefste Herzensüberzeugung des Abraham ist; dass er nicht anders hoffen kann, als dass es so kommt.

Als sein Sohn Isaak fragt, wo das Schaf ist, für das ein Opfer vorbereit wird, antwortet Abraham:

Mein Sohn, Gott wird sich ersehen ein Schaf zum Brandopfer.

Wiederholt spricht aus den Worten des Abraham der Mensch, der Vater, der um das Leben seines Kindes ringt. Der die Hoffnung nicht aufgegeben hat, dass die ihm auferlegte extreme Spannung, herauszufinden, wie es für ihn in seinem Vertrauen in Gott gut weiter geht, nicht zum Tod, sondern zum Leben führt.

Abraham glaubt, dass er mit dem Sohn zu den Seinen zurück kehren wird, weil es in seiner Vorstellung gar nicht anders sein kann, weil es Gott so sieht. Abraham hofft, dass die Familie bestehen bleibt, dass das Leben weitergeht.

 

Auch sein Leben. Denn der Sohn ist seine Lebensversicherung.

Abraham ist kein Fanatiker, kein Hartliner, der blindlings Gott Gehorsam schenkt. Ganz und gar nicht.

Abraham ringt um sein Kind. Er ringt um das Leben. Mit jedem Wort, das er sagt, wird das deutlich.                                                             

Und gleichzeitig ringt Abraham mit sich und mit Gott um den Glauben, sein Vertrauen in diesen Gott. Das ist uns allen nicht fremd: In extremen Situationen im Leben danach zu fragen, was sie mit Gott zu tun haben, ob sich mir Gottes Wille gerade jetzt offenbart.

Was will Gott? Mich prüfen? Das, was mir lieb ist, mir nehmen?

 

Oder will Gott mir mitten im Leben, mitten in den schier ausweglos erscheinenden Momenten des Lebens, wenn es um alles geht, aufzeigen, wie ich – um Gottes Willen – leben kann.

Und nicht nur ich, sondern mit mir diejenigen, die mir Gott an die Seite gestellt hat. Geht es in unserer biblischen Geschichte nicht auch um das Leben der kommenden Generation??

Liebe Gemeinde, für mich ist diese biblische Geschichte nicht die Geschichte der Opferung Isaaks, wie sie so oft genannt wird. Streichen wir diese Überschrift, wo immer sie noch vorkommt.

Isaak ist nicht geopfert, Isaak ist im Leben gehalten worden. Isaak ist ins Leben gerettet. Und Abraham mit ihm! Das ist die Botschaft dieser Geschichte:

Das Leben kann uns noch so schwerwiegende Versuchungen und Prüfungen auferlegen, wir können uns in noch so schier unlösbaren Dilemmata wiederfinden und händeringend danach suchen, wie wir uns richtig verhalten:  es ist und bleibt der Wille Gottes, dass wir unsere Hand nicht um Gottes Willen an das Leben anlegen, sondern das Leben bewahren, dass wir Menschen nichts antun, ihr Leben niemals opfern, sondern es schützen, es aufrichten und bewahren.

Wichtig wahrzunehmen ist: Die entscheidenden, die erlösenden, die Leben rettenden Worte hört Abraham nicht von Gott direkt. Sie dringen durch Boten an sein Ohr.

Gott begegnet uns in seinen Boten: Engel. Auch Menschen können wie Engel für mich, für uns alle sein.

 

So greift Gott in unser Leben ein. So orientiert Gott. Mit Engelszungen, mit Engelsworten, die menschliche Worte sind.

Mitunter in extremen Lebenssituationen. Wo es kaum auszuhalten ist, was geschieht. Wo wir um den richtigen Umgang mit dem Leben ringen, dort ringt Gott mit uns und ringt uns dieses Bekenntnis zum Leben ab.              

Eine das Leben bejahende und schützende, eine mitmenschliche Lebenshaltung – sie will errungen sein. Mitunter schmerzhaft. Manchmal durch schwere Prüfungen.

In Situationen, in denen man meinen könnte, Gottes Wille wäre wirklich alles andere als klar. Durch Zweifel und Anfechtungen hindurch.

 

 

Am Ende bin ich mir dann sicher:                     Gott widerspricht sich nicht.                                Gott erhält das Leben.

Verlassen wir uns auf das Grundvertrauen ins Leben und geben wir das uns mögliche dazu.

Omri Boehm – israelisch-deutscher Philosoph Preisträger des Leipziger Literaturpreises für Europäische Verständigung. Der Titel seines Buches lautet: Radikaler Universalismus jenseits von Identität.  

Intensive Auseinandersetzung mit der biblischen Geschichte.

Amen.