Predigt über Epheser 3,14-21

  • 02.06.2019 , 6. Sonntag nach Ostern – Exaudi
  • Pfarrerin Taddiken

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,

Manche meinen ja: Heute ist der traurigste Sonntag im Kirchenjahr. Jesus ist weg seit Himmelfahrt –  und der Heilige Geist noch nicht da. Und die Gemeinde: Ist auch nicht da. Langes Wochenende. Aber: Sie sind da! Familie Thomas mit Maximilian. Sie, die vielen Gäste heute, der Motettenkreis aus Iserlohn – und natürlich auch „unsere Gemeinde“. Natürlich, es ist überhaupt gar kein trauriger Sonntag! Es ist sogar einer, der eher eine einmalige Gelegenheit im Kirchenjahr anbietet. Nämlich: dass wir uns genau diese Spannung anschauen zwischen „nicht mehr“ und „noch nicht“. Was da entsteht, wenn man etwas abschließen muss und noch nicht richtig weiß, was kommt. Wie es weitergeht. Hat wohl jeder schon irgendwie erlebt. Und wie da so beides in uns ist: wir sind zuversichtlich und gespannt, voller Freude auf Neues, aber eben auch irgendwie noch zögerlich, etwas unsicher, haben auch so unsere Befürchtungen. Aus dieser Spannung erwächst eine Sehnsucht und eine Empfindlichkeit: Gehört zu werden, gesehen zu werden: Exaudi. Erhöre mich, Gott, wenn ich rufe – so heißt dieser Sonntag.

Unser Predigttext aus dem Epheserbrief beschreibt, was da gehört und gesehen werden will. Was in uns da Kraft braucht und was gestärkt werden muss. Das erkennt der, der diesen Brief schreibt, ganz gut. Vielleicht ist es irgendjemand aus dem Umfeld von Paulus, das ist aber unerheblich. Jemand, der sich ganz gut auskennt in den Gottesdiensten der frühen Kirche, weil er einen damals bekannten Hymnus aufnimmt und neu schreibt. Ihm liegt in diesem ganzen Brief daran, seine Gemeinde zu stärken. Dass sie klarkommt mit ihrer Verschiedenheit als Juden und Heiden. Er fordert sie auf,  aufeinander zu hören, einander verstehen zu wollen. Kurzum: Alles zu tun, wenn man glaubwürdig sein wollte als Leib Christi. Das geht nicht als zerstrittener Haufen, wo alle nur auf das Ihre gucken. Sondern das geht nur als Gemeinschaft, die Streit und Auseinandersetzung aushält auf einer gemeinsamen Basis. Wo klar ist: Es gibt etwas unter all dem, was uns zusammenhält. Und das muss klar sein. Und weil es das gibt, ist all das möglich: Streit, Auseinandersetzung um die Sache. Was rede ich lange, hören wir den Text:

Ich beuge meine Knie vor dem Vater, 15 von dem jedes Geschlecht im Himmel und auf Erden seinen Namen hat, 16 dass er euch Kraft gebe nach dem Reichtum seiner Herrlichkeit, gestärkt zu werden durch seinen Geist an dem inwendigen Menschen, 17 dass Christus durch den Glauben in euren Herzen wohne. Und ihr seid in der Liebe eingewurzelt und gegründet, 18 damit ihr mit allen Heiligen begreifen könnt, welches die Breite und die Länge und die Höhe und die Tiefe ist,19 auch die Liebe Christi erkennen könnt, die alle Erkenntnis übertrifft, damit ihr erfüllt werdet, bis ihr die ganze Fülle Gottes erlangt habt. 20 Dem aber, der überschwänglich tun kann über alles hinaus, was wir bitten oder verstehen, nach der Kraft, die in uns wirkt, 21 dem sei Ehre in der Gemeinde und in Christus Jesus durch alle Geschlechter von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.

Wie gesagt: Der diesen Brief schreibt, weiß was not tut, was seine Adressaten brauchen: gestärkt zu werden durch Gottes Geist an dem inwendigen Menschen. Wie kann man das übersetzen? Vielleicht so, dass Gott an uns arbeitet. An unserer  inneren Reife, an unserem festen Stand und Halt. Das brauchen wir tatsächlich und eigentlich immer. Nicht zuletzt die Wahlen in Europa und was wir nicht nur auf der politischen Bühne erleben, macht erschreckend deutlich: In wie vielen Leuten steckt die pure Lust an Destruktivem! An Trotz, an Protest, der kein Ziel hat. An infantilen Wünschen, alles ist Mist und alles muss anders werden. Jetzt erst recht - wie in Österreich noch immer viele die Straches und Co. wollen und anderswo auch genau die, die der Schriftsteller Daniel Kehlmann so treffend beschrieben hat im letzten SPIEGEL-Interview: Die, deren „dummdreiste Vulgarität Ämter herabwürdigt, die man ihnen nie hätte anvertrauen dürfen.“ Große Freude, jeglichen Anstand zu zerlegen. Die Lust, ganz bewusst mit dem Feuer zu spielen, von dem man weiß: Wenn das brennt, hält das niemand mehr auf. Für mich war es jetzt am Himmelfahrtstag nichts Besonderes, angetrunkenen jungen Männern zu begegnen. Aber wie viele mit T-Shirts und Mützen unterwegs waren mit  unverholen rassistischen Sprüchen und in der Neonazi-Szene gängigen Symbolen, das fand ich ziemlich verstörend. Zumal das mit mangelnder Intelligenz ja nicht zu erklären ist. Dass man nicht wüsste, was man da tut. Das wissen die genau. Ich denke, das Problem liegt tiefer und es ist viel schwieriger. Wer solch ein selbst – und gemeinschaftszerstörerisches Verhalten an den Tag legt, dem fehlt es an innerem Halt. Oder besser anders herum: Wo nichts da ist bzw. wo mir nicht bewusst ist, was hält mich, was trägt mich: Da kann es mit mir durchgehen. Ich spreche da bewusst von mir, denn mit Fingerzeigen kommen wir da nicht weiter. Eher mit der Erkenntnis: Wir sind – wo das so ist -  als Menschen prinzipiell alle fähig zu Dingen, die uns hinterher leidtun. So wir denn noch Anstand haben und so viel Verstand, uns selbst zu reflektieren. Und das gehört zu den Fähigkeiten des inwendigen Menschen. Zugespitzt: Zu dem, was uns Menschen als Ebenbild Gottes auszeichnet und letztlich vom Tier unterscheidet.

Dieser inwendige Mensch – er braucht aber gerade festen Halt. Er braucht Orientierung, er muss sich verwurzeln können. Daran erinnert der Briefschreiber die Epheser. Manchmal ist es einfach schlicht und ergreifend dran, sich zu erinnern, sich zu besinnen, wovon man lebt und das gut. Prof. Horst Dreier,  namhafter Rechtsphilosoph und Staatsrechtler hat beim Paulinerforum in der neuen Universitätskirche in der letzten Woche einen hervorragenden Vortrag gehalten. Am Ende hat er aber irritierend-süffisant bemerkt, er hätte den Eindruck, man müsse neuerdings das Grundgesetz anbeten. Müsse vor ihm niederfallen und es religiös verehren – diesen Eindruck hätte er jedenfalls nach den Gedenkveranstaltungen des 23. Mai. Na, du bist ja im Stoff, habe ich gedacht. Aber wer ist es denn, wer weiß denn drum, was uns da u.a. seit 70 Jahren in Europa hilft, Frieden zu halten und was für ein vorausblickender Wurf den Vätern und immerhin vier Müttern des Grundgesetzes da gelungen ist. Es ist schon wichtig, an so einem Tag mal dazu aufzurufen: Lest es doch mal wenigstens, bevor ihr darüber nachdenkt, herabzuwürdigen, was Euch schützt.

Nun, diese Erinnerung an  „ihr Grundgesetz“ war bei den Ephesern offenbar auch schon nötig. Der Mensch vergisst schnell, setzt vieles viel zu schnell als selbstverständlich voraus. So ticken wir damals wie heute. Hier ist es aber noch mehr Grundsätzliches als Grundgesetzliches: Ihr seid in der Liebe eingewurzelt und gegründet, damit ihr begreifen könnt, welches die Breite und die Länge und die Höhe und die Tiefe ist…so heißt es hier. Und damit wird das Bild vom inwendigen Menschen ins Äußere erweitert. Wer festen Stand hat, wer eingewurzelt ist in der Liebe, kann nach dem Briefschreiber begreifen, was jetzt dran ist. Es ist wie bei Jesus: Gott lieben und den Nächsten wie sich selbst, das ist das ganze Gesetz und die Propheten. Das hat Jesus oft den Leuten gesagt, die ihn gefragt haben: Wie kann ich denn selig werden? Gott lieben, den Nächsten, dich selbst. Das reicht. Wenn du das tust, wirst du wirst wissen, was du tun sollst. Der Kirchenvater Augustinus hat es dann später noch erweitert zu dem schönen Satz: „Liebe und dann tu, was du willst.“ Wenn er das tut, ist der Mensch ein echtes starkes Gegenüber – und das schon mitten in seiner Zerrissenheit, in seinen Schwächen usw. Er ist dann gestärkt, zu begreifen, wie Gott Breite, Länge, Höhe, Tiefe, alle Dimensionen unseres Lebens erfüllt, wie er sie ausfüllt, umhüllt. Umfassend. Es gibt keinen Ort in dieser Welt, an dem Gott nicht mehr ist bzw. Jesus Christus mit seiner Gegenwart. Das ist die Essenz von Christi Himmelfahrt: Er musste sich trennen aus seiner irdischen Präsenz, um überall sein zu können. Der Himmel ist überall. Das ist ein erster Schritt um zu begreifen, auch ich bin ein Teil davon. Dieser Geist erfüllt auch mich, erfüllt uns miteinander, was wir dann nächste Woche feiern. Dazu hat Jesus die ganze Breite, Länge, Höhe, Tiefe unseres menschlichen Lebens durchschritten. Dafür hat er Menschen geheilt an Leib und Seele, hat Gemeinschaft unter ihnen gestiftet, hat aufgedeckt, was an zerstörerischen Kräften unter uns unterwegs ist. Und hat uns aufmerksam für das gemacht, wo das Reich Gottes schon mitten uns ist, hat unseren inwendigen Menschen dafür aufmerksam gemacht, sensibel – und unsere Sehnsucht geweckt, dass wir danach trachten mögen. Die Sehnsucht auch nach der Dimension der Tiefe – sie zu erkennen und zu begreifen, das geht nur mit Gottes Hilfe.

Und nicht zuletzt kann man das vielleicht durchaus auch als Anspielung auf das Kreuz verstehen. Auf das Kreuz Jesu, dessen Balken sich in alle vier Richtungen strecken, in Breite, Länge, Höhe und Tiefe. Jesu Liebe scheut das Leiden nicht, sondern nimmt es auf sich und entzieht auf diese Weise den Kräften des Hasses und der Gewalt den Boden. In dieser Liebe sind wir eingewurzelt, sagt der Verfasser des Epheserbriefes. Und weil wir das sind, sind wir befähigt und beauftragt, den Kräften des Hasses und Gewalt den Boden entziehen. Leichter gesagt als getan.  Es gibt keine Patentrezepte dafür. Außer dranzubleiben, immer wieder. Sich erinnern zu lassen an diesen Grund, auf dem wir stehen und von dem unser inwendiger Mensch seinen Halt bezieht. Und: darum zu bitten. Und andere zu bitten, dass sie für uns darum bitten. Das ist der ja Rahmen unseres Texts. Es ist eine Fürbitte. Der da spricht, beugt seine Knie vor dem Vater. Vor dem Vater – also vor keiner anderen Macht. Vor dem, von dem jeder auf Erden seinen Namen hat. Jeder. Davon leben wir: dass Gott unser Leben geschaffen hat, dass er es erhält, erneuert, stärkt. Mich stärkt, dass ich weiß: Es gibt Leute, die jeden Tag Fürbitte halten in unserer Gemeinde, für alle, die hier Dienst tun. Für Haupt-und Ehrenamtliche. Dass sie Kraft bekommen für ihren Dienst, für das, was sie tun. Das ginge gar nicht anders, ich jedenfalls könnte nichts tun ohne das zu wissen. Und dass es diejenigen gibt, die jeden Sonntag hier das Glaubensbekenntnis sprechen. Und es mitbeten für die, die Probleme damit haben oder überhaupt mit ihrem Glauben. Und für alle, die warum auch immer in der Krise sind. Das ist das Wunderbare an Gemeinde: Einer oder eine betet immer für mich mit, wenn mein inwendiger Mensch gerade geschwächt ist. Manche sagen: Christ kann ich auch für mich alleine sein oder ich gehe zum Beten in den Wald. Ich denke, das mag eine Weile gehen. Aber da bin ich nicht direkt in Berührung mit denen, die mich auf diese Weise stützen. Ich begegne ihnen dort nicht. Nein, ich kann nicht alles aus mir selbst heraus. Nicht mal das Beten. Und ich habe schon so manches Mal erfahren, was passiert, wenn ich mich einlasse auf unsere bunte vielfältige Gemeinschaft hier. Das übertrifft schlicht manches, was ich zu denken wage. Auch dann, wenn ich niemanden kenne von denen, die da neben mir sitzen. Natürlich: Das ist anders geworden als in Ephesus und zumindest hier ist es anders. Aber es ist in der ganzen Welt möglich, Gemeinde Jesu Christi spielt sich nie mehr nur an einem Ort ab, „Gemeindeglieder first“ mit Platzreservierungen für überfüllte Weihnachtgottesdienste, wie manche fordern - das ist keine Option mehr seit Himmelfahrt und dann seit Pfingsten schon gar nicht mehr, jedenfalls ist es keine theologische Option. Diese kritische Bemerkung sei mir erlaubt: Christliche Gemeinde ist kein Club, kein Verein, sondern Gemeinde der Heiligen. Von Gott in Liebe Eingewurzelte. Und darin fähig, zu erkennen, zu entscheiden, zu begreifen was Not tut. Gott, gib uns Kraft dazu, dass wir es auch tun: Exaudi!

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org