Predigt über Apostelgeschichte 8,26-40

  • 08.07.2018 , 6. Sonntag nach Trinitatis
  • Pfarrerin Taddiken

Predigt über Apg 8,26-40, 8. Juli 2018, 6. Sonntag nach Trinitatis

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,
am Ostersonntag wurde im 6-Uhr-Gottesdienst ein ungefähr 10jähriger Junge getauft. Vorher hat er der Gemeinde erzählt, was ihn zu dieser Entscheidung bewegt hat: „In der Schule erhielt ich statt Ethik versehentlich Religionsunterricht. Aber meine Eltern haben nichts dagegen unternommen." Und so führte in sein Weg in die Kinderkirche. Und seine Mutter ist diesen Weg mitgegangen. Sie hatte sich erinnert: All die Fragen, die mein Sohn da so mit nach Hause bringt - damit habe ich mich doch auch schon mal auseinandergesetzt. Was hindert's, dass ich es jetzt wieder tue? Und so ließ auch sie sich taufen - zusammen mit ihrem Sohn!

Tja, da fragt man sich doch: Kann das alles Zufall sein? Oder hat Gott da nicht direkt seine Hand im Spiel? Nun: Wer kann es wissen - und wer kann es bestreiten? Wir haben eine wunderbare Geschichte heute Morgen für unsere Predigt. Da ist es auch so, dass man denkt: Na, so viele Zufälle? Hören wir die Geschichte der Taufe des ersten Afrikaners nach der Apostelgeschichte:

Aber der Engel des Herrn redete zu Philippus und sprach: Steh auf und geh nach Süden auf die Straße, die von Jerusalem nach Gaza hinabführt und öde ist. 27 Und er stand auf und ging hin. Und siehe, ein Mann aus Äthiopien, ein Kämmerer und Mächtiger am Hof der Kandake, der Königin von Äthiopien, ihr Schatzmeister, war nach Jerusalem gekommen, um anzubeten. 28 Nun zog er wieder heim und saß auf seinem Wagen und las den Propheten Jesaja. 29 Der Geist aber sprach zu Philippus: Geh hin und halte dich zu diesem Wagen! 30 Da lief Philippus hin und hörte, dass er den Propheten Jesaja las, und fragte: Verstehst du auch, was du liest? 31 Er aber sprach: Wie kann ich, wenn mich nicht jemand anleitet? Und er bat Philippus, aufzusteigen und sich zu ihm zu setzen. 32 Die Stelle aber der Schrift, die er las, war diese (Jesaja 53,7-8): »Wie ein Schaf, das zur Schlachtung geführt wird, und wie ein Lamm, das vor seinem Scherer verstummt, so tut er seinen Mund nicht auf. 33 In seiner Erniedrigung wurde sein Urteil aufgehoben. Wer kann seine Nachkommen aufzählen? Denn sein Leben wird von der Erde weggenommen.« 34 Da antwortete der Kämmerer dem Philippus und sprach: Ich bitte dich, von wem redet der Prophet das, von sich selber oder von jemand anderem? 35 Philippus aber tat seinen Mund auf und fing mit diesem Schriftwort an und predigte ihm das Evangelium von Jesus. 36-37 Und als sie auf der Straße dahinfuhren, kamen sie an ein Wasser. Da sprach der Kämmerer: Siehe, da ist Wasser; was hindert's, dass ich mich taufen lasse? 38 Und er ließ den Wagen halten und beide stiegen in das Wasser hinab, Philippus und der Kämmerer, und er taufte ihn. 39 Als sie aber aus dem Wasser heraufstiegen, entrückte der Geist des Herrn den Philippus und der Kämmerer sah ihn nicht mehr; er zog aber seine Straße fröhlich. 40 Philippus aber fand sich in Aschdod wieder und zog umher und predigte in allen Städten das Evangelium, bis er nach Cäsarea kam.

Was für eine strahlende Geschichte! Schon ein erster Blick zeigt: Sie ist von dem Jubel erfüllt, dass die von Haus aus so Fernen einander nahegekommen sind. Der Evangelist Lukas als Verfasser lässt dabei eine Lücke für uns, Gott am Werk zu sehen. Philippus, einer der Griechen aus der Jerusalemer Urgemeinde und ein „Kämmerer", also der Finanzminister der Königin von Äthiopien am oberen Nil, treffen zusammen. Einer, den Gott schickt und einer, der Gott sucht. Der Engel des Herrn (nicht irgendein Engelwesen) gibt Philippus den Auftrag, lässt ihn zur rechten Zeit auf einer Wüstenstraße erscheinen. Und Philippus lässt sich darauf ein, obwohl die Koordinaten wenig einladend sind: Diese berüchtigte Straße nach Gaza lässt Hitze und Überfälle erwarten. Es ist öde, wer da lang musste, war ausgeliefert. Gottes Geist weist Philippus zum Wagen des offensichtlich wiss-und glaubensbegierigen Menschen, der weder Kosten noch Mühen scheut, seinerseits die ebenfalls nicht ungefährliche Reise nach Jerusalem zu wagen. Aber er lässt Philippus erst mal hören. Er lässt ihn zu-hören - und genau in dem Moment beim Wagen sein, wo der Kämmerer die Stelle liest, die Anlass gibt ins Gespräch einzutreten. Auch ist wie auf Befehl Wasser zur rechten Zeit da, mitten in der Wüste. Schließlich wird Philippus nach der Taufe entrückt, so als ob er den Kämmerer unnötig an sich binden würde, wo es doch genug ist, dass er an die Taufe gebunden ist, an den Namen Jesu. Das schafft ihm die Freiheit, seiner Straße fröhlich zu ziehen.

Was nun geschieht zwischen den beiden? Gucken wir diese Geschichte eine Ebene tiefer an: Es hat genau seine Zeit, dass die beiden so verschiedenen Menschen Schulter an Schulter auf dem Wagen sitzen, über die Schriftrolle gebeugt. Es hat seine Zeit, wie sie Seite an Seite an der Taufstelle ins Wasser steigen. Und sie hat ihre Zeit, diese Frage: „Verstehst Du auch, was du liest?" Ja, wie wichtig ist es von Zeit zu Zeit, dass uns jemand erinnert: Es gibt noch etwas zu lernen in deinem Leben. Dass jemand so kompetent wie liebevoll unsere Schutzmauer durchbricht, hinter der wir so oft das, was wir verstanden zu haben glauben, absolut setzen wollen: „Ich verstehe es für mich so und deshalb ist es so und punkt". In dieser Begegnung aber kommt es zu einer Lücke, die einen Durchgang zum anderen und zu einem selbst schafft. Da kriegt jemand die Chance, herauszukommen aus seinem frommen oder unfrommen Autismus - oder auch aus seiner Denk-Blase, wie wir heute sagen würden. Und mehr als um intellektuelles Verstehen geht es wohl um Erkennen, vielleicht auch um wiedererkennen. Was erkennst Du wieder von dem, was Du da liest? Jemand hat diese Stelle so übersetzt „Erkennst Du auch, was du da wiedererkennst?" Geht es Dir ins Herz? Trifft es auf etwas, was dort vielleicht schon lange ruht - so wie sich die Mutter des Täuflings sich erinnert fühlte durch das, was ihr Sohn da nach Hause brachte an Fragen?

Die Antwort des Kämmerers zeugt von der Weisheit, die derjenige besitzt, der sein Unvermögen zugeben kann: „Wie kann ich, wenn mich nicht jemand anleitet". Und alles, aber auch alles, was dann kommt, beruht auf einer Bitte: Er bittet Philippus, auf den Wagen aufzusteigen, hineinzukommen in sein Leben, in seine Welt. Spätestens hier ist nicht mehr genau zu erkennen, wer ist Gebender und wer Nehmender in dieser Geschichte. Die göttliche Regie, so wie Lukas sie beschreibt - sie gängelt nicht, sie lässt entstehen und ermöglicht. Hier wird ein Mensch gefunden und indem er gefunden wird, findet er. Menschen sind dazu unerlässlich. Offene Türen, offene Herzen, offene Wege - so geht Mission bis heute. Über authentische Beziehungen und über das Zeugnis des Glaubens und dass sich einer dessen nicht schämt. Und jede Zeile in dieser Geschichte zeigt offene Schritte, offene Herzen, offene Wege.

Gehen wir noch auf eine weitere Ebene. Dass Philippus offen ist für das, was Gott wirken kann ist allein schon besonders. Diese Geschichte ereignet sich nicht im luftleeren geschichtslosen Raum. Geschichten vom Glauben tun das nie. Philippus hätte noch mehr Gründe gehabt, die öde Straße nach Gaza nicht zu betreten. Gerade hatte er erlebt, dass einer der Gewährsmänner Jesu, der Apostel Jakobus, hingerichtet worden war. Auch Petrus und Johannes waren mehrmals verhaftet und misshandelt worden. Und einer ihrer begabtesten und geistvollsten Prediger Stephanus war gesteinigt worden. Saulus, später Paulus, war noch auf Christenjagd. Alles sprach dafür, sich zurückzuziehen ins Private. Wir kennen sie auch, diese Versuchung, wenn man so richtig müde ist und es satt hat. Aber: Wenn Philippus nicht losgegangen wäre, wäre es wohl das Ende des Christentums gewesen. Aber er tut es. Er muss dabei auch seine Ängste überwinden, aber er entscheidet sich für den Weg, der ins Weite führt. Auf Enge und Abschottung zu setzen scheint nicht der Weg zu sein für das junge Christentum.

Das wird noch durch eine andere kleine Feinheit deutlich. „Kämmerer", dieser Titel des Afrikaners kann auch anders übersetzt werden, nämlich in seiner ursprünglichen Bedeutung als „Eunuch": Also als Kastrat. Als solcher konnte er deshalb als Gottesfürchtiger nie dem Judentum beitreten, konnte kein Proselyt werden, wörtlich also „einer, der hinzukommen darf". Also ist er einer, der eigentlich für immer draußen zu bleiben hat. Der damalige Streit der noch jungen Kirche, ob man erst Jude werden muss um Christ zu werden oder gleich als Heide dazukommen kann, bewegt uns heute nicht mehr. Heute geht es los bei der Frage: Taufen wir Kinder von ungetauften Eltern? Was wäre an Voraussetzungen sinnvoll oder nicht, wie regeln wir das? Schon da gibt es sehr verschiedene Antworten in den verschiedenen Gemeinden. Und erst recht ist Bewegung in der Debatte drin, seit Menschen aus dem Iran, dem Irak, aus Syrien oder anderen vorwiegend muslimisch geprägten Ländern in Deutschland vielleicht zum ersten Mal in eine Kirche finden und die gleiche Frage stellen wie der äthiopische Kämmerer: „Was hindert's dass ich mich taufen lasse?" Nun ist es gar nicht so selten, dass viele muslimisch geprägte Menschen keinen wirklichen Bezug zu ihrer Religion haben. Da gibt es nach meiner Erfahrung aus vielen Gesprächen genau so viel Indifferenz oder gar Ablehnung gegenüber der eigenen religiösen Prägung wie in den christlich geprägten Kulturkreisen. Und zugleich gibt es auch viel Sehnsucht nach Heimat im religiösen Bereich. Es scheint so zu sein, dass diese Fragen mit aufwachen bei der Suche nach dem, was neu Heimat werden kann. Nicht selten empfinden Menschen es als großes Geschenk, was es ja auch ist, dass sie zum ersten Mal in dieser Frage frei entscheiden können. Andererseits kann ich nicht bestreiten, dass ich mir die Frage auch stelle: Ob die mit der Taufe nicht bloß einen Fuß in die Tür kriegen wollen, sicher hier bleiben zu können? Wie ernst ist denn das jetzt gemeint? Natürlich: Es ist schon geboten, da auch vorsichtig zu sein und genau hinzugucken. Vor allem bei denen, denen alles nicht schnell genug gehen kann. Aber wer will und kann das eigentlich beurteilen? Ehrlich gesagt: Ich weiß auch nicht genau, wozu ich bereit wäre, wenn das der sicherer Weg wäre, am Leben zu bleiben. Ich bin mir gegenüber da eher skeptisch...

Vielleicht geht es auch deshalb erst einmal nur darum, das zu tun, was Philippus tut: Eine Weile am Wagen eines Fremden entlang zu gehen und erst einmal zu hören. Genau zu hören. Und dafür muss man auch mal aufhören, zu reden oder laut zu denken. Vielleicht muss man mal manchmal auch erst einmal ein Stück nebeneinander herlaufen bevor man sich Schulter an Schulter auf den gleichen Wagen setzen kann. Ob dann Wasser kommt, wird man sehen. Dafür ist niemand mehr verantwortlich in dieser Geschichte außer Gott selbst. Das sind wir als Christenmenschen nach dieser Geschichte auch nur so lange, wie das Gespräch auf der Fahrt andauert. Interessanterweise schildert Lukas überhaupt nicht, was Philippus dem Äthiopier alles so erzählt hat. Aber er überlässt nichts dem Zufall, auch hier nicht. Und so ist diese Stelle beim Propheten Jesaja offenbar wichtig. Von dem, der seinen Mund nicht auftat vor dem Scherer. So wie Jesus, der vor Pilatus geschwiegen hat. Vielleicht hat der Kämmerer gemerkt: Es gibt ein Schweigen, das mehr sagt als alle Worte. Schweigen muss nicht ein Zeichen von Feigheit sein und Reden nicht ein Zeichen von Stärke. Und vielleicht hat Philippus den Kämmerer ins Nachdenken darüber gebracht, dass man gerade für diejenigen, die nichts mehr sagen können, seine Stimme erheben sollte. Dass also auch Philippus nicht anders kann als seinen Mund zu gebrauchen für den Gekreuzigten den mundtot-Gemachten, dass er ihn loben und verkündigen muss als den, dem Gott Recht gegeben hat, indem er ihn in ein neues Leben auferweckt und gerufen hat. Dass er ihn zum Weg gemacht hat für die, die sich nicht mehr zurecht finden, zur Wahrheit für die, die keinen Sinn mehr in ihrem angestrengten Leben finden und zum Leben für alle, die sich vom Tode verstört sehen. Vielleicht ist gerade ihm, dem königlichen Beamten, aufgegangen, dass das Königtum dieses Menschen in der Niedrigkeit liegt, die nichts mehr für sich will. Dass dieser Mensch nicht für sich gelebt hat, wie es viele tun und sich bis zur letzten Konsequenz hingegeben hat aus Liebe bis in den Tod.

Und da können wir dann auch noch eine letzte Ebene betrachten, die einem diese Geschichte anbieten mag. Dass wir uns wie Philippus aufmerksam machen lassen auf die Straße nach Gaza - dorthin, wo es öde und leer ist. Auf die Straße, auf der wir uns mit dem Wagen bzw. dem Gefährt unseres Lebens bewegen. Diesen Wagen hält Jesus auf bzw. geht neben ihm her, auf dass auch wir ihn hinaufbitten, um verstehen zu lernen, um zu erkennen. Schaffen wir es zu sagen: Wie können wir, wenn uns nicht jemand anleitet? Haben wir die Weisheit eines äthiopischen Kämmerers und bitten ihn hinauf auf den Wagen unserer eigenen Durchsetzung, um den her es wüst und leer und öde ist? Dass wir diesen Wagen anhalten und etwas lernen von der Niedrigkeit, die nicht das Eigene sucht und manches abwerfen können von dem, was uns daran hindert, fröhlich unserer Straße zu ziehen? Und andere auf dieser Straße ziehen zu lassen? Die Kinder, die wir zur Taufe bringen, wenn sie groß werden. Oder unsere Verstorbenen, die wir in Frieden fahren lassen können, weil sie auf seinen Namen getauft worden sind. Nein, wir müssen uns um den Kämmerer keine Sorgen machen. Wer auch immer er ist und welchen Namen er trägt heute hier unter uns. Mit Gottes Hilfe zieht er seiner Straße fröhlich.

Denn der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, bewahrt unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche