Predigt über Apostelgeschichte 17,22-28a
- 11.05.2025 , 3. Sonntag nach Ostern – Jubilate
- Pfarrer i.R. Christian Wolff
22 Paulus aber stand mitten auf dem Areopag und sprach: Ihr Männer von Athen, ich sehe, dass ihr die Götter in allen Stücken sehr verehrt. 23 Denn ich bin umhergegangen und habe eure Heiligtümer angesehen und fand einen Altar, auf dem stand geschrieben: Dem unbekannten Gott. Nun verkündige ich euch, was ihr unwissend verehrt. 24 Gott, der die Welt gemacht hat und alles, was darin ist, er, der Herr des Himmels und der Erde, wohnt nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind. 25 Auch lässt er sich nicht von Menschenhänden dienen wie einer, der etwas nötig hätte, da er doch selber jedermann Leben und Odem und alles gibt. 26 Und er hat aus einem Menschen das ganze Menschengeschlecht gemacht, damit sie auf dem ganzen Erdboden wohnen, und er hat festgesetzt, wie lange sie bestehen und in welchen Grenzen sie wohnen sollen, 27 damit sie Gott suchen sollen, ob sie ihn wohl fühlen und finden könnten; und fürwahr, er ist nicht ferne von einem jeden unter uns. 28 Denn in ihm leben, weben und sind wir.
Apostelgeschichte 17,22-28a
Gnade sei mit euch und Frieden von Gott, unserm Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen.
Ein Witz soll am Anfang der Predigt stehen:
George W. Bush junior, Barak Obama und Donald Trump treten nach ihrem Ableben vor den Stuhl Gottes. Gottvater fragt zuerst George Bush: Sag, woran glaubst du? Bush antwortet: Ich glaube an die Nation, die Familie und an das Kapital. Gottvater ist zufrieden und bietet Bush einen Platz rechts neben ihm an. Und woran glaubst du?, fragt Gott Obama. Obama antwortet: Ich glaube an die Demokratie, die Menschenrechte und die Freiheit. Sehr gut, sagt Gott, du darfst Dich an meine linke Seite setzen. Nun wendet sich Gottvater Donald Trump zu: Woran glaubst du? Trump antwortet ohne jedes Zögern: Ich glaube, dass du auf meinem Platz sitzt.
Mit diesem Witz sind wir mitten im Predigttext. Wir haben ihn als Epistellesung gehört. Der Apostel Paulus ist auf dem Areopag, eine Art Marktplatz, von unterschiedlichen Gottheiten umgeben. Doch dann entdeckt Paulus einen Altar ohne jede figürliche Darstellung einer Gottheit. Wäre Paulus ein Trump, hätte er wahrscheinlich die Chance ergriffen und wäre auf den Altar gesprungen – womöglich als KI-generierter Papst. Stattdessen lässt sich Paulus durch die Inschrift auf dem Altar “Dem unbekannten Gott” zu einer Predigt herausfordern. In dieser spürt er der Frage nach, wer denn dieser unbekannte Gott ist.
Aber wie ist Paulus überhaupt nach Athen gekommen? Die Apostelgeschichte gewährt uns einen Einblick in die Zeit, da sich Christ:innen im heutigen Nahen Osten zu ersten Gemeinden zusammengeschlossen hatten – und zwar in Gesellschaften erstaunlicher religiöser und weltanschaulicher Vielfalt. Sehr eindrucksvoll wird berichtet, wie der erste Theologe des entstehenden Christentums, der Apostel Paulus, Mitte des 1. Jahrhunderts den europäischen Kontinent betritt. Auf die Bitte
Komm herüber nach Mazedonien und hilf uns
Apostelgeschichte 16,9
bricht Paulus von Kleinasien, der heutigen Türkei, auf und erreicht in Mazedonien das europäische Festland. In Griechenland begegnet er dann einem Gemisch von unterschiedlichen religiösen, philosophischen Strömungen. In Athen, im Zentrum des antiken Lebens, geht Paulus auf den schon erwähnten Areopag. Dort, wo die unterschiedlichen Weltanschauungen unvermittelt aufeinandertreffen, verkündigt er
das Evangelium von Jesus und von der Auferstehung.
Apostelgeschichte 17,18
Damit erregte Paulus enormes Aufsehen. Denn seine Botschaft passte so gar nicht zum damaligen Mainstream. Interessant ist aber, dass Paulus sich nicht wie so mancher selbst ernannter Missionar in hiesigen Fußgängerzonen hinstellt, die Leute als der Sünde verfallen anklagt und beschimpft und ruft: “Jesus rettet!”. Paulus nimmt die religiösen Überzeugungen, denen er auf dem Areopag begegnet, ernst:
Ihr Männer von Athen, ich sehe, dass ihr die Götter in allen Stücken sehr verehrt.
Da ist kein spöttischer Unterton zu hören. Paulus erhebt auch keinen religiösen Absolutheitsanspruch: Nur mein Glaube ist richtig. Er bestimmt seinen Glauben nicht dadurch, dass er andere religiöse Orientierungen abwertet. Nein, Paulus respektiert die diverse religiöse Ausrichtung der Menschen. Doch dann entdeckt er den leeren Altar mit der Inschrift:
Dem unbekannten Gott.
Im Angesicht dieses Altars, im Angesicht eines offensichtlichen religiösen Vakuums, überlegt sich Paulus: Wofür könnte dieser Altar stehen? Und er füllt die Leere des Altars mit den Inhalten, die er aus seiner Glaubensüberzeugung, und das ist der durch Jesu Botschaft erneuerte jüdische Glaube, heraus für wesentlich, für unerlässlich hält. Dabei formuliert er vier Grundaussagen:
- Gott ist der Schöpfer alles Lebens.
- Gott wohnt nicht in Tempeln, er ist kein Gegenstand.
- Gott fordert keine Opfer.
- Gott ist allen Menschen nahe.
1. Gott ist der Schöpfer alles Lebens
Gott, der die Welt gemacht hat und alles, was darin ist, er, der Herr des Himmels und der Erde
– so beginnt Paulus den Gott zu erklären, der den meisten Menschen unbekannt ist. Er greift als jüdischer Gelehrter auf die Überzeugungen zurück, die wir dem hebräischen Teil unserer Bibel verdanken: Gott ist der, der alles Leben geschaffen hat. Das Universum ist kein Zufallsprodukt. In ihm wirkt Gott. Nur: Dieser Gott ist für uns nicht fassbar, auch nicht darstellbar, nicht einmal benennbar. Dieser Gott kann nicht in eine Statue gegossen und auf einen Altar gestellt werden. Diesen Gott können wir nur aufspüren in dem, was ist – ohne behaupten zu können: hier ist Gott, oder da ist Gott. Darum sollten wir immer äußerst zurückhaltend sein, in geschichtlichen Ereignissen oder Vorgängen in der Natur, in politischen Entwicklungen oder persönlichen Schicksalsschlägen, in Naturkatastrophen oder Kriegen Gott am Werk zu sehen, darin seinen Willen erkennen zu können. Zu oft sind das bloße, Interesse geleitete Projektionen, um unser Tun und Lassen zu beschönigen oder zu rechtfertigen.
Viel wichtiger sind drei Dinge:
- dass wir in all dem, was uns widerfährt, versuchen, Gottes Botschaften an uns zu entdecken;
- dass wir all dem, was uns die Schöpfung, das Leben bietet, mit Ehrfurcht gegenübertreten;
- dass wir die Schöpfung, das Leben, auch das eigene Leben als eine Gabe Gottes dankbar annehmen und mit dieser verantwortlich umgehen.
Diese Dankbarkeit soll zum entscheidenden Impulsgeber für unser Leben werden – ein Leben, dessen Sinn ich mir nicht selbst schaffen muss. Dieser ist mir, ist uns mit der Geburt gegeben. Ich kann mich verstehen als ein Mensch, der von Gott ins Leben gerufen wurde und der sein Leben vor Gott und den Menschen verantworten kann.
Wer sich so zu Gott als dem Schöpfer alles Lebens und als den Herrn des Himmels und der Erde bekennt, für den ist das unstrittig, was derzeit von vielen Möchtegerngöttern á la Putin und Trump radikal infrage gestellt wird: die Würde und das Lebensrecht eines jeden Menschen zu achten. Denken wir daran: Für uns Christen ist die Menschenwürde nicht deswegen unantastbar, weil es Gott sei Dank so in Artikel 1 des Grundgesetzes festgehalten ist; vielmehr entspricht sie unseren Glaubensgrundlagen, der Botschaft vom unbekannten Gott. Die am vergangenen Freitag verstorbene Holocaust Überlebende Margot Friedländer prägte dazu den überzeugenden Gedanken: „Ihr seid Menschen. Wir sind alle gleich. Es gibt kein christliches, kein muslimisches, kein jüdisches Blut.“
2. Gott wohnt nicht in Tempeln
Wenn wir Gott als den Schöpfer alles Seins bekennen, dann können wir ihn nicht in irgendeinen Tempel verbannen wie eine wertvolle Kristallvase in einer Vitrine. Gott
wohnt nicht in Tempeln, die mit Händen gemacht sind
sagt Paulus. Gott ist überall gegenwärtig. Ja: Tempel, Kirchen sind – wenn überhaupt – nur unzulängliche Zeichen für die Größe Gottes. Doch mit jedem Kirchbau stehen wir auch in der Gefahr, Gott zu verengen, ihn uns gefügig zu machen, ihn unseren Vorstellungen anzupassen. In diesem Sinn sollten Kirchgebäude dazu beitragen, dass wir uns in ihnen der unendlichen Größe Gottes, auch seiner Fremdheit, und gleichzeitig unserer Aufgabe und Verantwortung bewusst werden.
Das versuchen wir an Karfreitag zu verdeutlichen: Da werden in den Kirchen die Altäre leergeräumt. Dadurch soll signalisiert werden: Gott ist nicht hier. Er ist bei den Leidenden in der Welt. Nach dem absoluten Höhepunkt menschlicher Niedertracht, dem Kreuzestod Jesu, müssen wir uns neu auf die Suche nach dem Gott begeben, den wir durch den Tod Jesu loswerden wollten. Diese Suche nach den Leidenden ist die Hauptaufgabe eines Christenmenschen.
3. Gott fordert keine Opfer
Auch die dritte Grundaussage leitet der Apostel Paulus von der ersten ab:
Gott lässt ... sich nicht von Menschenhänden dienen wie einer, der etwas nötig hätte, da er doch selber jedermann Leben und Odem und alles gibt.
Paulus deutet hier den Bedeutungswandel an, dem der Altar seit Jesu Tod und Auferstehung unterworfen ist. Die Altäre in unseren Kirchen sind nicht mehr Opferstätte, an die wir Menschen das uns Wichtigste, Wertvollste bringen, um Gott günstig zu stimmen. Das alles hat Gott nicht nötig. Darum legen wir die Kollekte auch nicht auf dem Altar ab. Denn der Altar ist zum Tisch geworden, an dem wir Gaben empfangen – und zwar die, die Gott uns Menschen geschenkt hat: das Brot und der Wein, der Leib, das Blut, das Leben Jesu Christi.
Dieser Bedeutungswandel hat auch enorme gesellschaftliche Auswirkungen. Denn wir können uns ja fragen, für welche Gottheiten und an welchen Altären wir heute Opfergaben bringen: in Konsumtempeln, im Straßenverkehr, in Kriegen. Da spüren wir, wie explosiv, aber auch befreiend das ist, was Paulus predigt. Nicht wir Menschen müssen Gott dienen, sondern Gott dient uns – und das ist ja die eigentliche Bedeutung des Wortes, das uns heute zusammenführt: Gottesdienst - nicht Dienst an Gott, sondern Gottes Dienst an uns, Gottes Dienst an jedermann und jederfrau.
4. Gott ist allen Menschen nahe
Mit seiner vierten Grundaussage antwortet Paulus auf die Frage, die sofort aufbricht, wenn Gott für uns zu einer abstrakten, unbekannten Größe wird, wir ihn nicht vergegenständlichen, nicht in den Kategorien von Raum und Zeit fassen können: Wo ist er? Wie kann ich ihn mit meinen Sinnen wahrnehmen, sehen, schmecken, fühlen? Paulus predigt den Athenern:
Gott ist nicht ferne von einem jeden unter uns.
Er begründet die Gottesnähe mit dem Schöpfungsgedanken in dreifacher Weise:
- Unser ganzes Leben, Himmel und Erde, sind sein Werk. Das gilt für alle Menschen und alle Nationen.
- Nichts ist, was nicht von Gott kommt. Dieses Grundvertrauen soll die Menschen, die Völker, die Religionen über alle Grenzen hinweg verbinden.
- Wir Menschen sind ein Stück von Gott, aber Gott ist nicht ein Stück von uns.
Darum sagt Paulus
Denn in ihm leben, weben und sind wir.
Diese Aussage hat eine universale, interreligiöse Gültigkeit. Sie setzt nicht voraus, dass ich Jude oder Christ bin. Gott wirkt in allem Lebendigen, in jedem Menschen – unabhängig von seiner religiösen Ausrichtung. In der Nähe Gottes finden wir eine Begründung dafür, wie nahe die unterschiedlichen Glaubensweisen von uns Menschen beieinander liegen können. Deswegen ist der Glaube eines anderen Menschen für mich zuallererst eine Anfrage, auch eine kritische Hinterfragung meiner eigenen Glaubensüberzeugung. Ich muss zumindest einkalkulieren: Gott kann mir auch in einer anderen Religion oder Glaubensweise nahekommen. Nur wenn ich in dieser Weite Gott denke, werde ich seine Nähe erfahren und seine Größe erfassen. Beides führt in das Vertrauen, dass Gott mich in meiner Verlorenheit, in meiner Traurigkeit, in meinem Versagen aufsucht und aufrichtet, mich nicht allein, mich nicht verrecken lässt.
Paulus legt in seiner Predigt Zeugnis ab von dem Gott, der uns Menschen gleichermaßen nah und fern, vertraut und unbekannt ist.
- Nah, weil unser ganzes Leben, Himmel und Erde, sein Werk sind.
- Vertraut, weil wir ihn in Jesu Barmherzigkeit und liebender Gerechtigkeit wiedererkennen.
- Fern, weil Gott uns Menschen nicht verfügbar ist.
Ob wir Kirchen bauen oder nicht, ob wir Opfer bringen oder nicht, ob wir fromm sind oder nicht, ob wir Christen sind oder nicht – Gott ist völlig unabhängig von uns. Aber wir sind nicht unabhängig von ihm. Ehe wir nach ihm fragen, fragt Gott nach uns. Ehe wir ihn suchen, sucht er uns. Ehe wir ihn finden, hat er uns schon gefunden. Darum kann Paulus sagen: Keinem Menschen ist Gott fern. Das aber konnten die Griechen von ihren Göttern nicht sagen. Und das können wir auch von unseren modernen Gottheiten nicht behaupten. Denn sie sind zumeist Abziehbilder unserer Ideen, Vorstellungen und Gedanken, eben Projektionen – und manchmal auch groteske Selbsterhebungen. Ihnen geht es nicht um Menschennähe, sondern um Herrschaft aus der Ferne. Ihnen geht es auch nicht um verantwortliches Leben, sondern ums Obenbleiben und nach unten drücken. Doch Paulus verkündet im Angesicht des leeren Altars den Gott, der seine Nähe zu uns Menschen in Jesus Christus gefunden hat und uns durch ihn in seine Nähe ruft.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Christian Wolff, Pfarrer i.R.