Predigt über 5. Buch Mose 31,7-13, Mose 34,1-12

  • 26.01.2020 , 3. Sonntag nach Epiphanias
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Predigt zum Beginn der Ökumenischen Bibelwoche 2020

 7 Und Mose rief Josua und sprach zu ihm vor den Augen von ganz Israel: Sei getrost und unverzagt; denn du wirst mit diesem Volk in das Land gehen, das der HERR ihren Vätern geschworen hat, ihnen zu

geben, und du wirst es unter sie austeilen. 8 Der HERR aber, der selber vor euch hergeht, der wird mit dir sein und wird die Hand nicht abtun und dich nicht verlassen. Fürchte dich nicht und erschrick nicht!

9 Und Mose schrieb dies Gesetz und gab's den Priestern, den Söhnen Levi, die die Lade des Bundes des HERRN trugen, und allen Ältesten Israels 10 und gebot ihnen und sprach: Jeweils nach sieben Jahren, zur Zeit des Erlassjahrs, am Laubhüttenfest, 11 wenn ganz Israel kommt, zu erscheinen vor dem Angesicht des HERRN, deines Gottes, an der Stätte, die er erwählen wird, sollst du dies Gesetz vor ganz Israel

ausrufen lassen vor ihren Ohren. 12 Versammle das Volk, die Männer, Frauen und Kinder und den Fremdling, der in deinen Städten lebt, damit sie es hören und lernen und den HERRN, euren Gott, fürchten und

alle Worte dieses Gesetzes halten und tun 13 und dass ihre Kinder, die es nicht kennen, es auch hören und lernen, den HERRN, euren Gott, zu fürchten alle Tage, die ihr in dem Lande lebt, in das ihr zieht über

den Jordan, um es einzunehmen.

 1 Und Mose stieg aus den Steppen Moabs auf den Berg Nebo, den Gipfel des Gebirges Pisga, gegenüber Jericho. Und der HERR zeigte ihm das ganze Land: Gilead bis nach Dan 2 und das ganze Naftali und das Land Ephraim und Manasse und das ganze Land Juda bis an das Meer im Westen 3 und das Südland und die Gegend am Jordan, die Ebene von Jericho, der Palmenstadt, bis nach Zoar. 4 Und der HERR sprach zu ihm: Dies ist das Land, von dem ich Abraham, Isaak und Jakob geschworen habe: Ich will es deinen Nachkommen geben. – Du hast es mit deinen Augen gesehen, aber du sollst nicht hinübergehen. 5 So starb Mose, der Knecht des HERRN, daselbst im Lande Moab nach dem Wort des HERRN. 6 Und er begrub ihn im Tal, im Lande Moab gegenüber Bet-Peor. Und niemand hat sein Grab erfahren bis auf den

heutigen Tag. 7 Und Mose war hundertzwanzig Jahre alt, als er starb. Seine Augen waren nicht schwach geworden, und seine Kraft war nicht verfallen. 8 Und die Israeliten beweinten Mose in den Steppen

Moabs dreißig Tage, bis die Zeit des Weinens und Klagens über Mose vollendet war. 9 Josua aber, der Sohn Nuns, wurde erfüllt mit dem Geist der Weisheit; denn Mose hatte seine Hände auf ihn gelegt. Und

die Israeliten gehorchten ihm und taten, wie der HERR es Mose geboten hatte. 10 Und es stand hinfort kein Prophet in Israel auf wie Mose, den der HERR erkannt hätte von Angesicht zu Angesicht, 11 mit all

den Zeichen und Wundern, mit denen der HERR ihn gesandt hatte, dass er sie täte in Ägyptenland am Pharao und an allen seinen Großen und an seinem ganzen Lande, 12 und mit all der mächtigen Kraft und den großen Schreckenstaten, die Mose vollbrachte vor den Augen von ganz Israel.

 Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

 Liebe Gemeinde, für mich ist das eine der schönsten und anrührendsten Stellen der ganzen Bibel. Das, was wir eben in der Lesung gehört haben: „Und Gott begrub Mose im Tal, im Land Moab gegenüber Bet-Peor.“ Gott selbst tut an Mose diesen Liebesdienst. Niemandem gegenüber wird Gott wieder so nahe sein wie ein Freund. Nun, man kann sagen: Die beiden haben auch genug miteinander durchgemacht, weit über 40 Jahre Wüstenwanderung mit einem meckernden, murrenden, wehleidigen und doch liebenswerten Volk - das schweißt Gott und seinen Propheten zusammen. Das 5. Buch Mose, aus dem dieser Text stammt, ist Thema der diesjährigen Ökumenischen Bibelwoche. Mit dem Ende fangen wir dabei an, mit den letzten Worten des Mose an sein Volk. Und eben mit diesem Liebesdienst Gottes, der die Atmosphäre für alles andere bestimmt. Auch letztlich die schwierige und insbesondere für Mose anstrengende Beziehung zum Volk Israel. Noch ein letztes Mal macht er ihm Mut – und auch uns. Denn all das, worum es an dieser Stelle geht in diesem mehr als 2500 Jahre alten Text, bewegt auch uns nach wie vor. Dieser Text ist wie eine Reihe von Perlen, die sich zu betrachten lohnen. Schauen wir uns diese Kette einmal an. Am Jordan steht das Volk an einer Grenzsituation. Über den Fluss zu gehen und in dem neuen Land zu leben, es in Besitz zu nehmen, erfordert Mut. Hier wird sie sich erfüllen, die alte Verheißung an Abraham und an Mose, jetzt kommt der entscheidende Schritt, da darf man nicht zögern, darf die nassen Füße nicht scheuen, die man sich dabei vielleicht holt. Keine Zeit mehr für die aus der Angst geborenen Ausreden, die bisher diesen Schritt immer verzögert haben. Immer sprach etwas dagegen: Da waren Riesen in diesem Land. Die Leute sahen anders aus, sie lebten anders. Berichte von denen, die eine gute Zukunft in diesem fruchtbaren Land vorhergesagt hatten, wurden als Lügen verunglimpft, vernünftige Argumente konnten nichts ausrichten. Also lieber in der Wüste bleiben? Vielleicht liegt es nach der letzten Woche nahe, Parallelen zu ziehen zu einer Menschheit, die sich vor den Schritten scheut, die dem Klima und damit uns allen gut tun würden. Einfach zu viele Riesen da vor uns. Als wenn man die Wahl hätte an dieser Stelle, als ob man am Ufer des Jordans die Zelte aufstellen könnte und einfach da bleiben könnte – ja, sie sind uns schon nahe diese Israeliten…Auf jeden Fall aber ist es ein Bild für das, was sich in der Geschichte ja regelmäßig wiederholt hat: Als es so weit war, die Wüste zu verlassen, hat man mit verklärtem Blick auf die Vergangenheit zurückgeschaut. Manche wollten gar in die ägyptische Sklaverei zurück. Das Elend, das man hinter sich gelassen hatte, war plötzlich wieder attraktiv. Als wir am Dienstag im Bibelkreis über diesen Text gesprochen haben, meinten einige: Das ist wie bei diesen „Ostalgikern“. Das widert uns an. Und es ist gefährlich. Genauso wie der Versuch derer, mit der Angst vor der Zukunft zu punkten und Antworten aus einer noch davorliegenden Vergangenheit zu rühmen, die man zugleich glorifiziert und in ihrem katastrophalen Ausgang relativiert. Zum Vogelschiss zum Beispiel. Mose ist da klar: Lasst Euch nicht irre machen von all denen. In solchen Grenzsituationen gibt es keine einfachen Antworten. Auch nicht in denen, die nur euer persönliches Leben betreffen, Teile Eurer Vergangenheit, Teile Eurer Gegenwart, Inneres, Äußeres, Dinge jedenfalls, die nicht mit dürfen, die zurückbleiben müssen in der Wüste oder spätestens im Wasser des Jordans. Und ohne Mut und Gewissheit, dass das nasse Gefühl an den Füßen auch nachlassen wird, gibt es kein Leben nach vorn. Wer die Hand an den Pflug legt und blickt zurück, ist nicht geschickt für das Reich Gottes, so wird Jesus das später formulieren.

 

Nun: Mose bleibt nur die Rolle, Mut zuzusprechen. Er selbst wird dort nicht mehr hinkommen. Im 5. Mosebuch gibt es verschiedenste Begründungen dafür – vermutlich deshalb, weil wir immer alles erklärt haben möchten. Als göttliche Strafe, weil auch Mose nicht frei war von Widerspruchsgeist? Nun, hier ist nichts dergleichen erwähnt – außer eben dieser engen liebevollen Beziehung Gottes. Von daher scheint mir ein Punkt dabei zu sein: Das Alte darf nicht mit über den Jordan, es muss zurückbleiben, damit Neues werden und wachsen kann. Mose ist 120 Jahre alt, dreimal die symbolische Zahl 40. Wie dreimal durch die Wüste, er hat diese Jahre getragen, all die Unzufriedenheit,  die Besserwisserei… Hat ihn all das dreifach altern lassen? Hat er alles auf sich gezogen, all das Murren, die Ängste, die Abwehr und Abkehr von Gott, diese ständigen Diskussionen? Die müssten jetzt durch sein an diesem Punkt. Mose hat seine Aufgabe erfüllt. Er kann, er darf aufhören. Wann sind unsere Aufgaben beendet? Und wo sind die Neuen? Wir tun uns oft schwer damit, das zu erkennen. Letzte Woche sagte mir Christfried Brödel, der frühere Direktor der Hochschule für Kirchenmusik in Dresden und jetzige ehrenamtliche Vorsitzender der Neuen Bach Gesellschaft aus eigener Erfahrung heraus: Der genau richtige Moment aufzuhören ist, genau das anzukündigen und niemand widerspricht. Aber man muss auch ziemlich stark sein, um genau das aushalten zu können. Ich selbst traue mir da jedenfalls noch nicht so richtig über den Weg…

 Wie es Mose damit ging und wie er es gelernt haben mag, darauf möchte ich noch zu sprechen kommen. Jedenfalls – auch das eine wunderbare Perle auf dem Band dieses Textes - ermutigt er nun Josua, setzt auf eine gewachsene Beziehung, er segnet seinen Nachfolger. Übergibt ihm sein Vermächtnis, damit das, worauf es im Gegensatz zu einer bestimmten Person ankommt, weitergelebt wird, sich weiter entwickelt. Deshalb schreibt Mose das Gesetz auf, die Tora und übergibt sie den Priestern und den Ältesten mit der Maßgabe, dafür zu sorgen, dass es öffentlich und verlesen wird. Und zwar immer dann, wenn genau das sichtbar wird, was das Ziel der Tora ist: die Freiheit des Menschen von allen knechtenden Bindungen und allen selbstgeschaffenen Abhängigkeiten. Alle sieben Jahre werden die Sklaven frei, wird die Geschwisterlichkeit wiederhergestellt. Auch die Fremden werden einbezogen. Eine gemeinsame Lernkultur wird geschaffen. Auch das ist ja ein Thema, das uns bewegt, wie können die verschiedenen Menschen, die in einer Gesellschaft zusammenleben, befähigt werden, die Grundlagen ihres Zusammenlebens zu begreifen und mit Leben zu erfüllen. Und wie können sie lernen, mit dem Erbe der Erinnerung umzugehen? Es einzuordnen und daraus Schlüsse zu ziehen für ihr Handeln? Dass die Überlebenden von Ausschwitz weniger werden, macht es nicht leichter. Die, die davon erzählen können, was dort passiert ist. Wie es war – und wie es angefangen hat, dass Grenzen nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten überschritten wurden in den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts. Wo fängt das schon an, dass Menschen die Grundlagen des gemeinsamen Lebens verlassen und verachtet haben. Hier im 5. Buch Mose werden sie klar benannt: gemeinsam in der Gottesbeziehung zu wachsen. Mit all den Verschiedenen: Männern, Frauen, Kindern, Fremdlingen, allen dies zu tun: Gott, Jahwe, zu fürchten. Niemanden sonst. Und allem, was dessen Rolle beansprucht, allen Kräften, die ihren totalitären Anspruch mehr oder weniger offen kommunizieren, eine Absage zu erteilen und ihre Beweggründe offen zu legen. Bundespräsident Steinmeier hat das in seiner Rede in Jad Vashem zum 75jährigen Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz in beeindruckender Weise getan, wenn er sagt: „Die bösen Geister zeigen sich heute im neuen Gewand. Sie präsentieren ihr antisemitisches, ihr völkisches, ihr autoritäres Denken als Antwort für die Zukunft, als neue Lösung für die Probleme unserer Zeit.“ … „Unsere Zeit ist nicht dieselbe Zeit. Aber es ist dasselbe Böse.“ Und hinzufügen kann man da wohl noch alle möglichen konkret bestimmbaren –ismen über Antisemitismus und Nationalismus hinaus. All das ist mit der Tora nicht vereinbar und auch nicht mit der Lehre dessen, der gekommen ist, um genau diese Tora zu erfüllen: Jesus von Nazaret.

 

Moses Lebenskreis schließt sich an genau dieser Stelle. Es kommt darauf an, dass es weitergeht – und er selbst darf dem nicht im Wege stehen. Der Kreis muss sich jetzt schließen. So steigt er ein letztes Mal auf einen Berg und ist wie einst am Dornbusch mit Gott allein. Gott zeigt ihm das Land, in das er nicht kommen wird. In der talmudischen Überlieferung wird beschrieben, wie Mose Gott darüber in ein Streitgespräch verwickelt, er wäre gerne mitgegangen. So ringt das 5. Buch Mose auch mit dem Thema unerfüllter Lebenswünsche, mit der Spannung zwischen Erwartung und Erfüllung. Wir wünschen uns immer, dass unsere Lebenskonzepte aufgehen mögen. Und was für ein Schmerz kann das verursachen, wenn das nicht sein kann, jedenfalls in den Bereichen, die uns sehr sehr lieb und wert sind. Partner wollen alt werden miteinander. Wir wollen unsere Kinder aufwachsen sehen dürfen, welchen unendlichen Schmerz fühlen Menschen, die ihre Kinder verlieren wie bei solch einem Busunglück gerade in Eisenach. Verunglückt bei dem Versuch, die Gefahr doch gerade zu umgehen. Aber auch darin können wir umkommen, es ist traurig aber genauso ist es eben leider. So jemandem wie Mose, mag man denken, mag es leichter fallen, sich damit abzufinden. Aber auch sein Schmerz darüber wird an anderer Stelle beschrieben. Gott begegnet dem mit dem größten Zeichen seiner Liebe. Gott sieht Moses Schmerz. Mose stirbt „nach dem Wort des Herrn“. Das lässt sich auch übersetzen mit „auf dem Mund Gottes.“ Jüdische Gelehrte, die Rabbiner, hat das zu dem schönen Gedanken angeregt, Mose sei auf Gottes Kuss hin gestorben. Gott küsst Mose auf dem Sterbebett auf den Mund. Mose hat genug gesagt. Und die Rabbiner ergänzen: „Und Moses Seele findet Zuflucht im Atem Gottes, der sie emporträgt in die Ewigkeit“ (Elie Wiesel, Adam oder das Geheimnis des Anfangs, S. 201) Danach begräbt er ihn. Und niemand geht es etwas an, wo dieses Grab ist. Ein Mehr an persönlicher Beziehung geht nicht. Und ich sehe hier auch etwas, das für uns an dieser Stelle relevant ist, wieder eine Perle: Meine Beziehung zu Gott ist meine Beziehung zu Gott. Und Deine ist Deine. Hier kann sich niemand hineindrängen und dieser Beziehung darf sich niemand bemächtigen. Wir haben kein Recht, die Beziehung eines anderen zu Gott zu beurteilen. Was einem anderen heilig ist, darf ich nicht in den Schmutz ziehen oder lächerlich machen - wie unverständlich es auch immer für mich sein mag. Keine Gewalt, keine Attacken auf die menschliche Fähigkeit, zu vertrauen!  

 Es ist Gottes und Moses Sache. Daher weiß auch niemand, wo Moses Grab ist. Es kann hier oder dort sein, überall. Jeglicher Personenkult mit einer Grabstelle ist an dieser Stelle unangemessen. Nicht nur, weil Mose am Ende eben auch ein Mensch ist. Und es um das geht, was er Israel eigentlich wissen lassen wollte: Um Gottes Treue und sein Wort, das unser Leben Tag für Tag erneuert. Und eines Tages ganz, wenn wir dann in anderer Weise davor stehen, über den Jordan gehen zu müssen. Es scheint ein Teil von Gottes Art zu sein, dass er seine Verheißungen nicht ein für alle Mal erfüllt. Es gibt immer noch ein Mehr über die bereits erfahrene Erfüllung und Treue Gottes hinaus. Sie ist auch unsere Geschichte, diese Grenzgeschichte am Jordan. Dahinter geht es weiter für uns. Haben wir den Mut, dieses neue Land stets und stetig auch neu zu betreten und in Besitz zu nehmen.

 Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org