Predigt über 1. Tim 1, 12ff
- 07.07.2019 , 3. Sonntag nach Trinitatis
- Pfarrer Martin Hundertmark
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott, unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Jubelkonfirmanden,
Erinnerungen können gut tun, zeigen sie uns doch nach Jahren oder Jahrzehnten, was wir an Gutem und Schönen erlebt haben. Emotionen werden geweckt, Gerüche sind plötzlich ganz präsent und prächtig leuchten die Farben der Erinnerung. Heute erinnern sie sich an ihre Konfirmandenzeit mit der Konfirmation als Abschluss. Damals vor 50, 60 oder 70 Jahren ging meistens die Schulzeit mit der Konfirmation zu Ende. Und was für Silberne Konfirmanden Anfang der 90er Jahre kein Problem gewesen ist, sich frei und ohne Repressalien befürchten zu müssen, zu Gott zu bekennen, konnte zu Zeiten des Sozialismus durchaus auch Nachteile haben.
Konfirmation in der DDR war immer auch ein kleines Stück gelebter Widerstand gegen diesen Unrechtsstaat und ein kleines Stück persönlicher Freiheit. Oder sie war die selbstverständliche Fortführung einer Familien-Tradition, die man sich von niemanden nehmen lassen wollte.
Ihre heutige Freude über die Erinnerungen an ihre Konfirmation, über manches Wiedersehen und manches Erzählen wollen wir im festlichen Gottesdienst und hinterher beim Empfang miteinander teilen. Vielleicht sind ihre Erinnerungen auch hilfreich, um den später Geborenen einen neuen Blick auf Gewesenes zu ermöglichen.
Sie dürfen heute feiern, schauen zur Seite und sehen doch auch die Lücken, die gerissen sind, weil durch Tod und Krankheit Klassenkammeraden genommen wurden.
In Lob und Dank mischen sich dann Melancholie und mancher Schmerz.
Wir wollen heute mit Ihnen beides Aushalten – die fröhliche und die traurige Erinnerung in der Hoffnung, dass Lob und Dank wie bei dem Verfasser des 1. Timotheusbriefes am Ende überwiegen.
Vorhin hörten wir sein Zeugnis, welches uns als Predigttext für den heutigen 3. Sonntag nach Trinitatis dient.
Das, was heute zum Rauswurf aus Ämtern und Stellen führen würde, war damals zur Zeit der Abfassung jener Briefe völlig normal - im Namen eines anderen Verfassers zu schreiben.
Zu jeder Erinnerung eines Schülers zählt sicherlich im Laufe der Schulzeit auch die Erinnerung an, sagen wir mal, nicht ganz rechtmäßig zustande gekommene Noten. Und einhergehend mit dem Abschreiben vom Nachbarn gab es, je nach Tüchtigkeit und Glück dann auch entsprechende Strafen.
Anders bei Paulus. In seinem Namen durfte man getrost Briefe schreiben. Er genoss eine große Autorität bei den damaligen Gemeinden, die man sich für eigenen Gedanken zunutze machen konnte. „Seht her – mir ging es ähnlich wie Paulus. Auf ihn hört ihr doch auch und deshalb könnt ihr meinen Worten vertrauen.
Worum geht es hier eigentlich?
Ich denke um dreierlei.
Erstens geht es um Glaubwürdigkeit aufgrund der eigenen Lebensführung und Lebenserfahrung. Vielleicht haben sie, liebe Jubelkonfirmanden, im Unterricht damals etwas von Paulus gehört. Seine beeindruckende Lebensgeschichte ist in vielen Bildern festgehalten. Denn sie ist spannend. Vom Saulus zum Paulus ist wohl eine der tiefgreifenden Wandlungen, die ein Mensch durchleben kann.
Saulus war der eifrige Verfolger junger christlicher Gemeinden. Seine Begegnung mit Jesus Christus führte ihn zunächst in die offensichtliche Dunkelheit – Paulus war für drei Tage blind – um daraus zu erkennen: Christus ist das Licht der Welt und wer ihm nachfolgt, der wird eben nicht in der Finsternis wandeln, sondern sein Leben wird erhellt werden und er selbst wird in Christus das Licht des Lebens haben. Vorhin bei der Übergabe der Taufkerze hörten wir diesen Vers als große Verheißung über dem Leben eines jeden Täuflings.
Christus als Licht der Welt – das hilft, um in besonders schwerer Zeit zurechtzukommen.
Im Laufe des Lebens wächst diese Erfahrung zu einem wahren Glaubensschatz an, der geteilt werden muss.
So versucht es dann auch der Verf. des 1. Tim. Er hat wohl Ähnliches erlebt wie Paulus. Was das genau war, darüber wird man sich auch weiterhin in der Wissenschaft streiten dürfen und tut hier nicht entscheidend zur Sache.
Wichtig ist: Er hat einen Wandel durchlebt, der nicht von allen geteilt wird.
Ob es die Lebensführung war oder der Beruf?
Ob es Hohn und Spott gegenüber den Christen gewesen sind oder sogar Verfolgung?
Entscheidend für ihn sind das Eingreifen Gottes und seine eigene Reue über das Gewesene.
Der Briefschreiber hat erfahren, dass sein eigenes Leben zum Fest wird, weil trotz schwieriger und schmerzlicher Vergangenheit Christus mit ihm einen Neubeginn wagt. Dieser Neubeginn geschieht in einer bisher nicht gekannten Freiheit.
Und wie das so ist, liebe Gemeinde, wird solch ein Erleben nicht jedem schmecken. Denn unser Blick in die Vergangenheit holt eben nicht nur die schönen Erinnerungen hervor, sondern oft genug auch die schmerzlichen. Wo schmerzliche Erinnerungen wie dunkle Schatten auf der Gegenwart liegen, wird der Ruf nach Gerechtigkeit schnell sehr laut.
Wie kann ein Verfolger jetzt zum Verkündiger werden? Das geht doch nicht. Das ist ungerecht.
Wir brauchen uns keine Mühe zu geben, Gottes Handeln auch zu verstehen. Wo wir uns aber Mühe geben dürfen ist, seiner Gnade und Barmherzigkeit etwas mehr zuzutrauen als unserem Gerechtigkeitsempfinden.
Zweitens geht es darum, wer das Heft des Handelns in der Hand hält. Die klare Antwort des Briefschreibers lautet hier: Gott. Seine Wege sind wunderbar und er ruft Menschen in seinen Dienst und setzt sie ein.
Nicht das eigenen großartige Tun oder die moralische Größe macht Menschen zu Verkündigern des Evangeliums, sondern Gottes Berufung. Das sei all denen ins Gedächtnis geschrieben, die ihre moralische Vorstellung zu Gottes Gesetz erheben und danach handeln wollen.
Im Evangelium vom Verlorenen Sohn wird sehr schön deutlich, in welcher Beziehung Mensch und Gott zueinander stehen.
Ja, wir Menschen entfernen uns manchmal ganz weit von Gott und tun Dinge, die wir besser nicht tun sollten. Der wegwandernde Sohn verprasst das Vermögen mit den Huren und mit einer nicht enden wollenden Party ohne jegliche Verantwortung.
Ganz unten, im Schweinedreck sitzend, nimmt er sie dann wahr – die Verantwortung für sein Leben und reflektiert eigenes Tun.
Die Schlussfolgerung kann nur sein: Ich habe es nicht verdient, wieder aufgenommen zu werden, aber ich bin auch ein Mensch und darf leben.
Lebensrettend wird die Erinnerung an den Vater mit seinen Lebensmöglichkeiten. Die Tagelöhner dort bekommen genug zum leben als Gegenleistung für getane Arbeit.
Das wird der Ausweg des verlorenen Sohnes.
Und so tritt er voller Reue vor den Vater mit den Worten: Vater, ich habe gesündig vor Gott und vor Dir. Ich bin es nicht wert, dein Sohn genannt zu werden, aber mache mich zu einem deiner Tagelöhner“ und man möchte ergänzen: damit ich weiterleben kann.
Versöhnung ist keine Frage der Zeit, Versöhnung ist eine Frage der inneren Einstellung, liebe Gemeinde. Ohne aufrichtiges Bereuen wird es schwer, versöhnlich zu handeln.
Vielleicht sollten sich das alle diejenigen ins Gedächtnis rufen, die jetzt im Streit um die Einladung von Gregor Gysi zum 9. Oktober unreflektiert und allzu schnell für ihn Partei ergreifen.
Gysi ist nicht der verlorene Sohn, der bereut, sondern ein begnadeter Redner, der versucht, eigene Lebensgeschichte ins rechte Licht zu rücken.
Ganz anders
Zum Friedensgebet in einer thüringischen Kleinstadt im Herbst 1989 tritt plötzlich ein Mann aus der hinteren Reihe hervor. Bis unter das Dach ist die Kirche gefüllt. Er geht nach vorne an das Mikrofon und sagt sinngemäß:
Ich habe bei der Stasi gearbeitet. Ich habe Menschen verraten und denunziert. Ihr habt mir hier die Augen geöffnet. Es tut mir aufrichtig leid. Und ich möchte mich bei allen entschuldigen, denen ich Unrecht getan habe. Ich kann nur um Verzeihung bitten.
An jenem Abend flossen viele Tränen bei den mehr als tausend Besuchern des Friedensgebets. Es waren keine Tränen des Zorns, sondern der Rührung über das Licht, das im Leben dieses reuigen Sünders nun zu leuchten begann.
Verzeihen und Versöhnung wurden möglich.
Wie verworren auch die Lebenswege gewesen sein mögen, Gott ist und bleibt immer ein Ausweg für die im Herzen bereuende Menschenseele.
Und das, was wir Menschen nicht verzeihen können, wird in Gottes Barmherzigkeit eingehüllt sein. Im Mantel seiner Gnade können Wunden heilen, die hier auf Erden stets wieder aufbrachen, wenn man sie zu lange anschaute.
Der Schreiber des 1. Timotheusbriefes reklamiert für sich Gottes Gnade und Barmherzigkeit.
Er macht das aber nicht in fordernder Weise, sondern in erfahrener Weise – gewissermaßen durch seine Rückschau auf lebensverändernde Ereignisse in seinem Leben.
Am Ende geht es dann gar nicht anders, als dass das Lob und das der Dank das letzte Wort haben.
Amen.
Pfarrer Martin Hundertmark, hundertmark@thomaskirche.org