Predigt über 1. Petrus 1, 18-21

  • 04.03.2018 , 3. Sonntag der Passionszeit - Okuli
  • Pfarrer Hundertmark

Predigt über 1. Petrus 1, 18-21 am Sonntag Oculi, 04.3.2018, St. Thomas zu Leipzig um 09.30 Uhr

 

"Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten"

 

Liebe Gemeinde,

 

18 denn ihr wisst, dass ihr nicht mit vergänglichem Silber oder Gold erlöst seid von eurem nichtigen Wandel nach der Väter Weise, 19 sondern mit dem teuren Blut Christi als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes. 20 Er ist zwar zuvor ausersehen, ehe der Welt Grund gelegt wurde, aber offenbart am Ende der Zeiten um euretwillen 21 die ihr durch ihn glaubt an Gott, der ihn auferweckt hat von den Toten und ihm die Herrlichkeit gegeben, damit ihr Glauben und Hoffnung zu Gott habt.

 

Meine Augen sehen stets auf den Herrn – wenn das Ziel in weite Ferne rückt

 

Alltagsanfeidungen. So lässt wohl am Besten beschreiben, wie es der Generation Christen erging, die diese Zeilen lasen, geschrieben von einem unbekannten Verfasser. In ihrer kleinasiatischen Gemeinde versuchen sie, den Alltag zu bestehen. Familien sind zerrissen. Mit Nachbarn gibt es hin und wieder Streit, manchmal auch richtige Boshaftigkeiten. Da sind die bösen Blicke. Ständige Sticheleien am Arbeitsplatz lassen hin und wieder Zweifel aufkommen. Plötzlich merkt man, dass Steine auf dem Lebensweg liegen, die es vorher nicht gab. Die Auseinandersetzungen haben ihren Grund:

Der christliche Glaube wird zum Prüfstein für Freundschaften. Es gibt noch keine systematischen Verfolgungen, jedoch die Anfeindungen im Alltag tun weh und belasten das Zusammenleben. Familiäre und nachbarschaftliche Aggressionen können mehr wehtun, als verordnete staatliche Gewalt. Die Gemeinde, welche klein und eine Minderheit ist, hält zusammen – gegen alle Widerstände. Aber die Fragen tauchen auf. Wo bleibt das Ziel? Wovon soll sich die zu verkümmern drohende Hoffnung nähren?

Und die zentralste Frage ist zu jener Zeit nicht die Frage nach dem gnädigen Gott, sondern die Frage nach der Freiheit. Wie befreit mich Gott? Wie befreit der Tod Jesu mich von dem Bösen, dass Menschen mir antun? Zu diesen Fragen kommen die schmerzlichen Erfahrungen, dass es manchmal notwendig ist, gewohnte Bindungen aufzugeben, wenn ich meinen Weg mit Gott gehen will.

Der Verfasser unseres Briefes hat keine leichte Aufgabe vor sich. Um die Gemeinde nicht zu entmutigen knüpft er an Erinnerungen an, die halfen, den Weg durch die Anfechtungen zu gehen. Es sind Erinnerungen vieler Generationen gemeinsamen Unterwegsseins mit einem verheißungserfüllenden Gott. Er erinnert an die Wüstenwanderung. In Freiheit war das Ziel des gelobten Landes, das Ziel der guten Zukunft Gottes sehr weit weg. Durchhalteparolen halfen wenig. Was aber half war die Erkenntnis, dass Freiheit gleichsam zum bestimmenden Moment der Gottesbeziehung geworden ist. Freiheit bedeutet eben nicht, dass ich im Paradies wohne, sondern sie muss sich jeden Tag im Leben neu bewähren. Wenn der Lebensweg durch die Wüste geht, dann verblasst die Freiheit hin und wieder. Lasst euch nicht die Hoffnung aus dem Herzen und aus dem Verstand nehmen – schreibt der Verfasser des Petrusbriefes. Sie, diese Hoffnung hat ihren Grund in der liebevollen Zuwendung eures himmlischen Vaters.

 Meine Augen sehen stets auf den Herrn – wenn der himmlische Vater zum Kumpel wird

 Der liebende Gott – ein schönes Bild, ein zentrales Bild unseres christlichen Glaubens. Ich möchte dieses Bild auch gar nicht relativieren, um Gottes Willen. Hinweisen möchte ich aber schon gerne darauf, dass dieses Bild vom liebenden Vater, um Gottes Willen zu Ende gedacht wird in aller Konsequenz.  Gott ist in einer Doppelrolle. Als Vater und Richter spiegelt sich in ihr die Zusammengehörigkeit von Liebe und Gerechtigkeit. Wir neigen dazu, sie zugunsten der einen oder anderen Seite aufzulösen und verzerren damit Gottes Bild. Ein bloß und ausschließlich freundlich zugewandter Vater würde zum Kumpel verkommen, der, ob des drohenden Liebesverlustes, weder Mut noch Kraft für den Widerspruch hat. Ist dagegen Gottes Erbarmen hinter aller richterlichen Strenge verschwunden, wird Gott zum himmlischen Höllenhund, der Jagd macht auf unsere Verfehlungen und somit Angst und Schrecken verbreitet.

Gottesfurcht ist ein Fundament christlichen Lebens. Sie bedeutet mitnichten Angst vor dem Gericht, sondern Ehrfurcht und Respekt vor der Liebe des himmlischen Vaters.

 

Meine Augen sehen stets auf den Herrn – wenn das Lamm zum Symbol für Opfer und Täter wird

 

Geht man östlich des Colosseums in Rom den alten Pilgerweg in Richtung Laterankirche entlang, kommt man nach wenigen Minuten an einer kleinen Kirche vorbei, die eine bewegte Geschichte hat. Von außen sichtbar, aber eher unscheinbar, macht sie den Wanderer neugierig, ihr Inneres zu betreten. In der Apsis von St. Clemente wird der Betrachter von einem wunderschönen Mosaik angezogen. Im Zentrum dieses Kunstwerkes ist das Kreuz zu sehen. Jedoch ist das Kreuz verknüpft mit dem Lebensbaum. Ineinander verschlungen sind Sühnetod und Auferstehung. Miteinander verbunden können sie nicht getrennt voneinander betrachtet werden.

Gott heilt unser Leben eben nicht durch den Tod, sondern Gott heilt durch die Auferstehung. In ihrem Licht wird mein Leben in ein neues Licht gerückt. Von Gottes Angesicht kam uns die Rettung her (Jochen Klepper). Am unteren Rand des Mosaiks ist ein Fries zu sehen, welches Jesus als Lamm Gottes zeigt, direkt unter dem Lebensbaum-Kreuz. Ihm zur Seite gestellt sind die Jünger als Symbol für seine Gemeinde damals und heute.

Das Bild vom Lamm Gottes wird in der Nachfolge auf den Spuren Jesu Christi von Generation zu Generation weitergereicht bis auf den heutigen Tag. Damit sind wir mit eingebunden in die Gemeinschaft Gottes, leben von der Kraft des Paradiesbaumes einerseits und tragen Verantwortung für Gottes Gemeinde sowie die Kirche Jesu Christi andererseits. Die zwölf Lämmer stehen für solches Verantwortungsbewusstsein der Jüngerinnen und Jünger. Die Adressaten des 1. Petr. lebten als dritte Generation von Christinnen und Christen. Sie spürten ganz elementar, was es heißt, Lamm Gottes zu sein. Denn, um im Bild zu bleiben:

Sie lebten als Lämmer unter den Wölfen, riskierten ihr Leben für ihren Glauben.

 

Und heute?

Heute muss differenziert werden. Christen in Ländern wie beispielsweise Ägypten oder Syrien werden an die Erfahrungen aus unserem Predigttextumfeld schnell anknüpfen können. Wo eigenes Leben direkt in Gefahr ist, weil Glaube Hoffnung auf Gott hin zum direkten Zeugnis in einer feindlichen Umgebung werden, braucht es steter Vergewisserung. Zu wissen, andere Christen schließen das Leid ihrer verfolgten Brüder und Schwestern in die Fürbitte ein, kann zu solcher Vergewisserung werden.

Das Lamm Gottes ist ein Bild für die Opfer.

Nur sehen die Opfer in unserem Land anders aus, weil hier Religion frei ausgeübt und gelebt werden kann. Trotz mancher Anfeindungen und Versuche von verschiedenen Seiten an Arbeitsplätzen, in Parlamenten oder in anders geprägten Stadtvierteln, muss hier niemand um sein Leben fürchten, bekennt er sich zu Jesus Christus, so wie es unsere Täuflinge mit ihren Familien getan haben. Eure Taufe wird zum Lebensfest, ohne Angst vor lebensgefährlichen Konsequenzen, denn Demokratie und Freiheit erstrecken sich bis in den Bereich des Religiösen. Dafür kann nicht oft genug Dank gesagt werden. Es gibt sie trotzdem, die Opfer, für die das Lamm symbolisch steht.

Menschen, die um ihr Überleben kämpfen müssen, weil es nicht genug zu Essen und zu Trinken gibt, fühlen sich schwach, ohnmächtig, fühlen sich zur Schlachtbank bzw. zur Tafel geführt. Aus der Diskussion um die Essener Tafel tritt leider eins sehr deutlich zu Tage: Jeder meint urteilen zu müssen, ohne sich vorher die ganze Geschichte anzuschauen, geschweige denn vor Ort Gespräche zu führen.

Wer die hässlichen Seiten der Migration permanent ausblendet und sie nicht wahrhaben will, lebt leider in einer Traumwelt. Wer Hilfe am Nächsten, aus welchen Gründen auch immer, festgemachen will an Hautfarbe, Religion oder Nationalität, sollte über sein berufliches Leitbild als Hilfseinrichtung nachdenken.  

Menschen, die unter Unterdrückung leiden, deren tägliches Brot Willkür und Repressalien sind, wissen, wie es ist, wenn jegliche Unterstützung fehlt. Der Ausweg aus totmachenden Strukturen am Arbeitsplatz, in Beziehungen, in Schulen oder Verwaltungen, scheint dann vermauert zu sein.  

Jesus im Bild des Lammes, fühlt mit ihnen und diese Menschen fühlen mit Jesus. Sie verstehen vielleicht besser, was es bedeutet, so tief zu leiden. Der Sohn Gottes weiß, wie ihnen zumute ist. Am eigenen Leib hat er die Schmerzen erlebt und ist darum auch der beste Anwalt für die Opfer. Weil er über den Tod hinausführt, wird er ihnen Gerechtigkeit zukommen lassen.

„Du warst eingemauert
Du hast überdauert
Lager, Bann und Haft
Bist nicht totzukriegen;
Niemand kann besiegen
Deiner Liebe Kraft
Wer dich foltert und erschlägt
Hofft auf deinen Tod vergebens
Samenkorn des Lebens.“

(G. Schöne: Jesu, meine Freude)

Das ist ein heilsamer Hoffnungstropfen auf dem bitteren Weg des Leides.

 

Das Lamm Gottes ist auch ein Bild für die Täter – für Judas Ischariot, für Kinderschänder, skrupellose Diktatoren, gewissenlose Geschäftemacher, populistische Volksvertreter und ebenso für mich persönlich, wenn der Weg des geringsten Widerstandes aus Feigheit und Bequemlichkeit gewählt wird. Der Sohn Gottes wird den Tätern nicht ersparen ihre Taten und deren Folgen anzuerkennen. Er wird ihnen die kaputten Kindersoldatenseelen genauso zeigen, wie die verstrahlten Menschen, die sich auf Regierungserklärungen und Beteuerungen der Atomkonzerne verlassen haben. Er wird die Opfer politischen Zynismus den Verantwortlichen vor Augen führen. Auch zeigt er jene Verletzungen, die durch physischen und psychischen Terror entstanden sind. Und dort wo mein eigener Hedonismus, meine Egozentrik den Nächsten haben klein und unscheinbar werden lassen, wird die Verantwortung dafür auch schmerzlich sein. Alles Leid wird offenbart werden und die Täter werden sich dazu bekennen müssen.

So, liebe Gemeinde wird das Gericht Gottes aussehen als Konsequenz seiner Liebe, die vor dem eigenen Tod nicht zurückschreckte.

Am Ende des Gerichtes steht kein tödliches Urteil – auch für die Täter nicht. Denn das tödliche Urteil wurde durch Jesus Christus stellvertretend für jeden erlitten, ein für alle Mal. Es braucht keine Wiederholung, dieses Opfers. Aber das schmerzhafte Gericht wird bleiben, weil Gott die Abgründe des Bösen nicht ohne Gericht zurechtbiegen wird. Gottes Gnade wird in diesem Gericht unglaublich groß sein;

billig jedoch ist sie nicht.

Nur so ist Vergebung und vielleicht auch Versöhnung mit den Opfern möglich. Himmlische Tischgemeinschaft wird eine Gemeinschaft aus jener Versöhnung sein, die Opfern und Tätern gleichermaßen gerecht wird.

 

Meine Augen sehen stets auf den Herrn – wenn Angst der Freude weichen muss

 

In der vergangenen Woche besuchte ich eine hochbetagte Frau. Sie durfte ihren 95. Geburtstag feiern. Wir kennen uns seitdem ich in Leipzig bin. In den letzten drei Jahren gab es viel Auf und Ab. Die obligatorischen Fragen, wie es denn so geht mit 95 blieben nicht aus und waren gar nicht lästig, denn sie forderten zur Antwort, die ins Nachdenken führte.

„Wissen Sie“ (und ich wusste es genau, weil wir vor einigen Monaten darüber sprachen) „als ich sehr krank war, habe ich mit meinem Leben abgeschlossen und es in Gottes Hand gelegt. Damals sagte ich wenn Du, Gott, es willst, dann komme ich zurück nach der Operation und wenn nicht, darf ich auf ein wunderbares, reiches Leben zurück blicken und freue mich auf die ewige Gemeinschaft. Seitdem habe ich keine Angst mehr, weder vor dem Leben noch vor dem Tod.“

 

Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten

 

Natürlich, liebe Gemeinde, lesen wir diesen Briefbeginn des 1. Petrusbriefes von Ostern her, auch mitten in der Passionszeit. Wir können gar nicht anders. Mit der nachösterlichen Perspektive mitten im Leben bin ich auf dem Weg zu der Hoffnung, die mir ins Herz geschrieben ist.

Vor dem richterlichen Urteilsspruch brauche ich keine Angst zu haben, weil das Todesurteil am Kreuz zum Lebensurteil über mein Leben wurde. Kreuz und Lebensbaum sind in Christus verbunden. So sehr mir das eine Angst machen kann, so sehr macht mir das andere Freude.

Als kleines Lämmlein in seiner Gemeinde darf ich den Zuspruch Jesu immer wieder hören und ihn ernst nehmen: Komm her zu mir, wenn du mühselig und beladen bist, komm in meine Tischgemeinschaft, auch wenn der Weg dorthin mühevoll ist. Hier findest du Erholung. Denn mitten in deinem Leide bin ich, Jesus, deine Freude. Amen.

 

Martin Hundertmark, Pfarrer an St. Thomas zu Leipzig