Predigt über 1. Mose 1ff
- 08.05.2022 , 3. Sonntag nach Ostern – Jubilate
- Pfarrerin Britta Taddiken
Predigt über 1.Mose 1,1-4.26-28.31a und 1.Mose2,1-4a am 8. Mai 2022 (Jubilate)
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Gemeinde,
wir brauchen alle unsere Erfolge. Wo klar ist: Was ich einsetze an Kraft, lohnt sich. Und was ich mir überlegt habe, funktioniert. Und wo ich hartnäckig drangeblieben bin, das zahlt sich irgendwann aus. Das freut mich, das bestätigt mich. Das brauche ich. Vielleicht weniger von anderen. Aber vor mir selbst, dann geht es mir gut. Aber – und auch das kennen wahrscheinlich alle – wirklich weiter bringt einen das auf Dauer nicht. Wo ich bestätigt werde, spüre ich schnell den Drang: Mehr davon bitte! Und wenn das ausbleibt, kann mich das verunsichern. Etwas anderes bringt mich weiter als Mensch, der sich entwickeln kann, der weiterkommen, weitersehen und dann vielleicht auch noch weiterwachsen kann. Bisweilen über sich hinaus. Wir reifen eher an unseren Niederlagen. An und in unseren Krisen. Warum ist das so? Weil wir nachdenken müssen über das Wesentliche. Was ist mir wirklich wichtig? Und was sagt mir meine Erfahrung, hat mir beim letzten Mal geholfen, als ich tief traurig war, entmutigt, voller Selbstzweifel oder wo ich anderweitig aus der Bahn geraten bin? Wir sind dann dünnhäutiger, aber auch eben auch in einem guten Sinne empfindlicher. Und auch – auch das gehört heilsam dazu – selbstkritischer, wir gehen auch mit uns selbst ins Gericht. Es muss sich etwas klären für den Weg nach vorn. Unser heutiger Predigttext ist in solch einer Situation entstanden. Der große erste Schöpfungsbericht in der Bibel. Der will Menschen in einer solchen Situation erreichen, will sie seelisch und geistlich wieder neu auf die Beine stellen. Dass sie sich ihres Lebens und ihres Gottes wieder vergewissern können. Da waren die Israeliten im babylonischen Exil, die alles verloren hatten, ihre Heimat Jerusalem, ihren Tempel, ihre Häuser, Familien und die sich wiederfanden in einer fremden Kultur mit fremden Göttern. Waren diese Götter am Ende doch stärker? Was war ihr Gott für ein Gott, der doch einst das Volk aus Ägypten befreit hatte und nun offenbar tatenlos zusah, wie man in der neuen Gefangenschaft so nach und nach seine Identität als Volk Gottes aufgab und aufging in diesem seltsamen Vielgötterstaat? Man war verunsichert. Aber man musste auch neu nachdenken, sich auseinandersetzen mit all dem, womit man konfrontiert war und worauf es nicht mal so schnell eine Antwort gab. Und so galt es, diese Menschen aufzubauen, neu auszurichten und einige Gelehrte haben sich drangesetzt, das zusammenzufassen. Und das ist in diesem Schöpfungsbericht geschrieben. Bei dem geht es also gar nicht so sehr um die Frage: Wie ist die Welt entstanden. Eigentlich sogar nur nebenbei. Vielmehr geht es darum, zu beantworten, was die Welt jetzt trägt. Jeden Tag. Also: Es geht nicht um das, was einmal war, sondern um das, was jetzt ist und gilt– auch gegen den Augenschein. Hören wir einen Teil dieser Schöpfungserzählung unter diesem Vorzeichen:
Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. 2 Und die Erde war wüst und leer, und Finsternis lag auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte über dem Wasser. 3 Und Gott sprach: Es werde Licht! Und es ward Licht. 4 Und Gott sah, dass das Licht gut war. Da schied Gott das Licht von der Finsternis 5 und nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht.
Und Gott sprach: Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei, die da herrschen über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über die ganze Erde und über alles Gewürm, das auf Erden kriecht. 27 Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau. 28 Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht.
Und Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut. So wurden vollendet Himmel und Erde mit ihrem ganzen Heer. 2 Und so vollendete Gott am siebenten Tage seine Werke, die er machte, und ruhte am siebenten Tage von allen seinen Werken, die er gemacht hatte. 3 Und Gott segnete den siebenten Tag und heiligte ihn, weil er an ihm ruhte von allen seinen Werken, die Gott geschaffen und gemacht hatte. 4 Dies ist die Geschichte von Himmel und Erde, da sie geschaffen wurden.
Es liegt auf der Hand, was diejenigen wollen, die diese Worte niedergeschrieben haben als Geschichte gegen allen Selbstzweifel und gegen die Angst. Mindestens drei Punkte lassen sich da nennen:
- Euer Gott schläft nicht! Der, der Israel einst in die Freiheit geführt hat, er tut das weiterhin – ja vielmehr, er ist jedem von Euch so nah, er hat Euch sogar geschaffen. Das war ein ganz neuer Gedanke seinerzeit: Gott will Dich Menschen, er möchte, dass Du da bist, dass Du lebst. Ein Gott, der sich für die Menschen interessiert – hob sich ab von den launigen babylonischen Göttern. Von ihren mächtigen Gestirnsgöttern bleiben hier: Lichter, die Gott an das Firmament heftet. Große Lampen. Mehr nicht.
- Es war, es ist gut, es ist sehr gut. Immer wieder wird das hier gesagt. Es gibt keinen Sündenfall in dieser Geschichte, weil das hier nicht der Punkt war, darüber zu reflektieren, so wie wir es aus dem anderen, dem zweiten Schöpfungsbericht kennen. Es ist und bleibt so: Gott hat das Chaos des Anfangs, das sprichwörtliche Tohuwabohu, nicht nur geordnet, sondern verwandelt. Unser Leben hat eine Grundlage, da gibt es keinen Weg hinter zurück und wenn es noch so chaotisch zugeht unter uns Menschen, es ist bereits geregelt, es wird regiert. Das muss man manchmal festhalten für sich im Glauben, muss sich selbst zur Ordnung rufen, wo man sich nur noch hilflos vorzukommen droht und anfängt, sich selbst leid zu tun…
- Wir haben eine Aufgabe als Gottes Gegenüber. Als sein Ebenbild. Er setzt uns ein als seine Vertreterinnen und Vertreter auf Erden. Nicht den Papst, nicht den König, sondern den Menschen. Dich, mich, uns alle, Mächtige und Ohnmächtigen, Männer und Frauen, alle haben dieselbe unverlierbare Würde und Souveränität. Jeder, aber auch wirklich jeder ist ein Ebenbild Gottes und soll Gottes Glanz widerspiegeln aller Ratlosigkeit und Verzweiflung zum Trotz. Und diese Aufgabe bleibt, bei all dem, wo der Mensch versagt und wenn er sich diese Erde immer wieder in einer Form untertan macht, die sie zerstört und vernichtet. Umso wichtiger ist es doch, dass jeden Tag von neuem gilt: Heute hast Du, Mensch, wieder diese Aufgabe, sie fängt von Neuem an! Jeden Tag, jeden Morgen neu.
Und nichts, nichts qualifiziert den Menschen nach dieser Geschichte für diese Aufgabe außer dass Gott ihn dafür erwählt. Noch nicht einmal, dass er halbwegs vernünftig denken und reden kann. Er ist wie die Tiere dem sechsten Tag zugeordnet, er ist ein Teil der vergänglichen Schöpfung – und mitnichten ihre Krone. Aber dazu gleich noch. Es ist allein entscheidend, dass Gott den Menschen, uns in dieser Rolle sehen will und sie uns auch zutraut. Eine Vertreibung aus dem Paradies gibt es nicht in dieser Geschichte. Nein, vielmehr ist die Schöpfung von vornherein kein Paradies, sondern eine Welt, in der es Dunkelheit gibt, Seeungeheuer und Gewürm, sie kommen alle vor – und werden mit gesegnet. Gott hat sie mitgeordnet, so dass der Mensch in der Lage ist, ihnen ihre Grenzen aufzuzeigen und ihren Platz anzuweisen. Das meint „untertan machen“. Und das ist die Aufgabe immer und jeden Tag und wir erleben uns in unserem Ringen darum, wie wir den Ungeheuern unserer Zeit ihre Macht und ihren Schrecken nehmen können, denen, bei denen Menschenleben nichts zählt und die einen Gott nur als religiöse Staffage benutzen, weil sich das nach außen gut macht. Brauchen tun sie ihn nicht, denn sie sind ja selbst wie Gott und niemandem rechenschaftspflichtig.
All das ist also Aufgabe und Zuspruch. Immer. Jeden Tag findet von Neuem statt, was diese Geschichte auf sieben Tage verteilt, sieben, die Zahl der schöpferischen Vollkommenheit. Jeden Tag scheidet Gott zwischen Licht und Finsternis. Jeden Tag sind wir von Gott geliebt und gewürdigt als Geschöpfe, denen eine Spanne auf dieser Welt zugemessen ist. Und jeden Tag will er, dass wir frei sind. Und dass wir das genießen können, worüber ich am Anfang gesprochen habe: Dass ja doch vieles von dem, was wir zustande kriegen, sehr gut ist. Dass wir uns freuen können an unseren Gaben und Aufgaben. An unseren Erfolgen, so klein sie auch sein mögen und einfach an dem, was uns gelingt und was wir genießen dürfen ohne schlechtes Gewissen von Torte essen bis Serien gucken oder sonst etwas. Und das hat mit dem zu tun, was nach dieser Geschichte der Höhepunkt und die Krone der Schöpfung ist. Der Ruhetag. Es ist der Tag, an dem Gott ruht. Dreimal wird das betont!!! Und es ist der erste volle Tag, den der Mensch nach dieser Geschichte erlebt. Und anders als bei den vorhergehenden Tagen fehlt hier das „und es ward Abend und Morgen.“ Darin konkretisiert sich als allererstes, dass wir Gottes Ebenbilder sind: dass wir seine Ruhe übernehmen. Die Babylonier begingen an jedem siebten Tag eines Mondmonats den „Sabattu“, der ein Tag der Trauer und Selbstzüchtigung war. An diesem Tag ging man in der Regel auf Tauchstation um ja nicht heimgesucht zu werden von einem der launischen und bisweilen rachsüchtigen Götter. Hier ist vom krassen Gegenteil die Rede. Wir können, sollen dürfen auch faul in der Sonne liegen. Und da geht es um noch mehr als das Gute, das Schöne und den Erfolg: es geht darum, dass wir frei sind. Mit Gott und durch Gott höchstpersönlich. Dass das über allem steht, dass Glaube mit Entspannen beginnt. Und das vor allem stehen sollte, was wir jeden Tag so tun, veranstalten, sagen und reden. Und das ist heute am 8. Mai, dem Tag der Befreiung in der deutschen Geschichte, noch mal besonders zu betonen, wo dieser heute gewissermaßen mit dem religiösen Tag unserer Befreiung zusammenfällt. Dass wir ihn hoffentlich genutzt haben und es noch tun, darüber nachzudenken, was uns denn jetzt befreien kann, unsere Welt im Jahr 2022. Wie wir umgehen können mit den Zwängen, in die uns Gewalt und Krieg vor unserer Haustür verstricken. Dass wir unter dem Vorzeichen dieser Geschichte, dass Gott das Chaos dieser Welt verwandelt hat, versuchen in Gedanken und Sprache zu fassen und dranzubleiben, wo wir noch keine Idee davon haben, wie soll das eigentlich werden alles in der Ukraine und auch anderswo, wenn diese Kriege aufhören oder eben auch nicht oder sich ausweiten oder was, um Himmels willen.
Wir tun gut daran, uns von dieser alten Geschichte in all dem zurufen zu lassen: Es ist gut, sehr gut. In all unserer manchmal rastlosen Aktivität auch in dem, was wir versuchen, für die Menschen aus der Ukraine zu tun und für andere, ist das doch gerade für heute wichtig. Denn daran hängen unsere Kräfte und nach dieser Geschichte unsere Menschlichkeit: dass wir uns die Ruhe gönnen und all das, was nicht so wichtig zu sein scheint oder zumindest nachgeordnet im Angesicht von Chaos, Krieg und Not. Es ist das erste, was Gott dem Menschen gönnt als sein Ebenbild. Und wo wir uns selbst dieses Gute tun, können wir dann auch unsere Arbeit als seine Statthalterinnen und Statthalter angehen. Mit Freude. Jubilate!
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org