Predigt über 1. Korinther 2,12-16

  • 28.05.2023 , Pfingstsonntag
  • Pfarrerin Britta Taddiken

Predigt am Pfingstsonntag, 28. Mai 2023 über 1. Korinther 2,12-16

Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde,

„Pfingsten sind die Geschenke am geringsten“ – und das war’s dann auch schon, was ungefähr 90

Prozent der Deutschen mit Pfingsten verbinden. Warum tun wir uns so schwer damit, dieses Fest zu feiern? Ein Grund mag unsere Sprache sein: Wir müssen uns im Deutschen mit dem schwierigen Wort „Geist“ herumschlagen. Das, was mit dem Heiligen Geist zu tun hat, verbreitet den Eindruck, es sei „geistig“, abstrakt und theoretisch. Obwohl: „Wind“ oder „Wehen“ des Geistes sind ja durchaus sinnliche Erfahrungen. Wir haben es in der Pfingstgeschichte aus der Apostelgeschichte gehört, wie die Jünger darauf zunächst einmal reagieren: bestürzt – entsetzt –verwundert. Ein gewaltiger Sturm vom Himmel. Eine äußere Naturgewalt steht für eine innere, für eine geistliche Erfahrung. Es fährt hinein in diese verunsicherte Schar, die sich für andere unzugänglich in sich selbst verrammelt hat. Nunmehr treiben sie die Sache Jesu als Gemeinde in die Welt hinein. Und das sprengt die bisher bekannten Grenzen zwischen Volk, Sprache und Herkunft. All das wird zu Pfingsten zweitrangig. Menschen, die vom Geist ergriffen sind, verstehen, worauf es wirklich ankommt...

 

Ich denke schon, wer sich mit dieser Geschichte und ihrer Symbolik beschäftigt, kann durchaus verstehen, worum es Pfingsten geht. Wem sie zu affektvoll ist, kann sich auch anders nähern. Im Johannesevangelium findet Pfingsten weniger spektakulär statt. Als Jesus sich von seinen Jüngern verabschiedet, bläst er sie an und sagt: „Nehmt hin den heiligen Geist.“ Das erinnert an die Schöpfungsgeschichte, wo Gott dem Erdenkloß Adam seinen Atem einhaucht. Und was heißt das hier wie dort anderes als: Nehmt von meinem Innersten. Atmet ein, was mich leben lässt. Lebt davon. Lasst meinen Atem euch atmen – auf dass er Euch an all das erinnere, was ich getan habe: Menschen zu ermutigen, sie aufzurichten. Und zusammen zu schauen: Wo sind neue Perspektiven für uns? In welchem Geist wollen wir leben?

 

Nach dieser Geschichte ist der Heilige Geist der Geist Jesu. Bachs Kantate hat das eben wunderbar besungen, was wir auch im Evangelium schon gehört haben: Er zieht bei uns ein. Er ist da, wo ich bis ins Körperliche hinein spüren kann: Gott arbeitet offenbar an mir. Er arbeitet bzw. atmet dort, wo ich getröstet werde. Wo ich mich wieder aufrichten kann. Wo ich wieder Mut fasse. Wo ich wieder herauskrieche aus dem Loch, in das ich mich verzogen hatte. Pfingsten ist der Moment, wo ich mich wieder traue, herauszugehen aus mir selbst und mich zeige, wie ich bin. Nicht weil ich so großartig bin. Sondern weil mir einleuchtet: Durch Jesu Tod und Auferweckung kann mir keine Gewalt und Macht dieser Welt mehr etwas anhaben. Aus diesem Geist gilt es, mein Leben zu gestalten und alle Ängste, alle Widrigkeiten und Widersprüche in die zweite Reihe zu stellen bei allem, was ich denke, tue und glaube! Ich lebe mit ihnen, aber sie beherrschen mich nicht.

 

Aber: Das glauben zu können – wirklich glauben zu können in dem Sinne, dass ich all mein Vertrauen darauf setze – werde ich das je können? Herrje, so einfach ist das nicht, ich bleibe immer skeptisch und kritisch, ich zweifle doch immer wieder – und eigentlich will ich es auch, denn ohne Zweifel komme ich nicht voran – und zugleich merke ich, wie sehr ich mich danach sehne, dass in meinem Leben alles gut ist und ich zur Ruhe komme. Es gibt einen wunderbaren Text im 1. Korintherbrief des Apostels Paulus, der uns als Menschen genau in diesem Zwiespalt bis hin in unsere tiefste Zerrissenheit ernst nimmt – und der sowohl mit der Pfingstgeschichte zu tun hat als auch damit, dass Jesus seinen Geist bzw. Atem an seine Jünger weitergibt. Er ist heute unser Predigttext.

 

Wir aber haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott, dass wir wissen können, was uns von Gott geschenkt ist. Und davon reden wir auch nicht mit Worten, wie sie menschliche Weisheit lehren kann, sondern mit Worten, die der Geist lehrt, und deuten geistliche Dinge für geistliche Menschen. Der natürliche Mensch aber nimmt nicht an, was vom Geist Gottes ist; es ist ihm eine Torheit und er kann es nicht erkennen; denn es muss geistlich beurteilt werden. Der geistliche Mensch aber beurteilt alles und wird doch selber von niemandem beurteilt. Denn »wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer will ihn unterweisen«? Wir aber haben Christi Sinn.

 

Paulus findet die vielleicht nüchternste Beschreibung des Heiligen Geistes. Er definiert ihn von seiner Aufgabe her: Gott gibt uns Anteil an seinem Geist, damit wir es überhaupt blicken, was er uns schenkt. Wir bekommen den „Geist aus Gott, dass wir wissen können, was uns von Gott geschenkt ist.“  Der Heilige Geist hat schlicht die Aufgabe, uns das nahe zu bringen.  Allerdings: Auf den ersten Blick klingt dieser Text auch irgendwie arrogant und abgrenzend - diese Unterscheidung zwischen „natürlich“ und „geistlich“: Wir haben es, aber die andern haben’s nicht. Und was ist mit den Skeptikern – und mit all denen, die sich nichts sehnlicher wünschen als glauben zu können? Haben sie das Pech, zu den sog. „natürlichen Menschen“ zu gehören, weil sie einfach nicht erkennen können oder wollen, was die geistlichen selbstverständlich tun? Allerdings: Wenn man es genau anschaut: Hier geht es um einen Singular - um den geistlichen und um den natürlichen Menschen. Paulus spielt also nicht die Frommen gegen die Ungläubigen aus, sondern mich gegen mich. Die Grenze zwischen dem natürlichen und dem geistlichen Menschen verläuft mitten durch mich selbst hindurch. Als geistlicher Mensch erkenne ich, was Gott an mir tut, wie er mich durch seinen Geist beständig erneuert und erhält – und wie das auch für mein Umfeld gilt. Aber auf der anderen Seite erlebe ich mich auch als natürlichen Menschen und sehe, wie dürftig das ist, was ich glaube, was ich denke und was ich tue. Fühle mich wie ein wandelnder Widerspruch, nehme viele zu viel Chaos in mir wahr, will es verzweifelt besser machen und verstricke mich immer mehr darein. Es ist ein unbeschreiblicher Segen, wenn es mir dann einer wie Paulus ins Gedächtnis ruft: Ich bin nie nur das eine (vom Geist Gottes erfüllt und bewegt) oder das andere (nur auf mich und das Vorfindliche bezogen). Der natürliche und der geistliche Mensch – sie sind beide in mir nebeneinander und mal ist der eine, mal der andere aktiver.

 

Nehmen wir als Beispiel das Glaubensbekenntnis. Da hört es ja für viele auf, die Kirche eigentlich gar nicht so schlecht finden. Aber was für eine Zumutung sind diese alten Worte! Und erst recht das Nizänische Bekenntnis, das wir eben gesprochen haben. Auch da ist es so: Der natürliche Mensch in uns sieht darin einen Text mit einer veralteten Weltsicht, abständig, so was geht doch heute gar nicht mehr. Wenn ich das glauben soll – nein danke, dann lieber ohne mich! Man kann in diesen alten Worten aber auch ein Zeichen des Ringens der ersten Christenheit sehen, zusammen zu bleiben. Wo es darum geht, sich trotz aller Verschiedenheit zu einer gemeinsamen Glaubens- und Lebenshaltung zu bekennen. Dass man so weit wie möglich beieinanderbleibt und meidet, was am Ende in der Regel zu Blutvergießen führt: sich nicht mehr zu bemühen, die Welt mit den Augen des anderen zu sehen. So mag der geistliche Mensch in uns dieses alte Glaubensbekenntnis entdecken und begreifen: Ich kann mich davon tragen lassen, wenn wir es im Gottesdienst sprechen. Denn: Immer gibt es etwas, das ich als natürlicher Mensch nicht mitsprechen oder nachvollziehen kann. Aber andere können es und tun es. Und dass sie es für mich mittun, entlastet mich: Ich muss nicht alles können, ich muss nicht alles verstehen, ich muss nicht alles bekennen können und gehöre doch voll und ganz zur Gemeinschaft der Glaubenden. Wenn ich die Grenzen meiner Geschöpflichkeit geistlich erkenne – aber zugleich als mit Gottes Hilfe erweiterungsfähig – dann kann mich das sehr entlasten – und andere auch. Ich denke, wer ein gemeinsames Bekenntnis beten oder sich zumindest hineinfallen lassen kann, der ist eher vor dem gefeit, was immer wieder als Ungeist durch alle Welt geht: Der Geist der Abgrenzung. Ich finde, es ist eine der größten Aufgaben für uns Christenmenschen weltweit, dass wir mit diesem Pfund wuchern, dass wir in all unserer Verschiedenheit durch das gemeinsame Bekenntnis beieinanderbleiben können und uns auf dieser Basis gerade nicht immer nur liebhaben müssen, sondern uns kritisch auseinandersetzen. Vor lauter Angst, etwa die Gefühle von anderen zu verletzen, unterbleibt viel zu viel an nötiger Diskussion unter uns. Wie konnte es eigentlich dazu kommen, dass Leute immer wieder damit durchkommen, wenn sie sagen: Ich rede nicht mit Dir, denn Du benutzt die falsche Sprache. Was für ein antipfingstliches Armutszeugnis das uns geschenkte Mittel zur Verständigung derart zu verdrehen und wie weit verbreitet ist das! Ich wage mit Paulus und diesem Predigttext die These: Der natürliche Mensch ist befindlichkeitsgesteuert. Der geistliche nicht. Er „beurteilt alles“, heißt es hier. Heißt also als Dauerhausaufgabe für Christenmenschen: Wie kriege ich bei mir den geistlichen Menschen ans Ruder, der in mir selbst aufräumt und dort alles koordiniert? Warum haben wir solch Scheu, diesen „geistlichen Menschen“ öffentlich zu zeigen und über das zu reden, was wir glauben und was wir hoffen – wenigstens im geschützten Raum? Es spricht schon Bände, was ein Teilnehmer unseres Predigtkreises in der letzten Woche erzählt hat. Dass er als Vortragender in einer Evangelischen Akademie von deren Direktor angesprochen wurde: Sie waren der erste hier, der mal über seinen Glauben gesprochen hat… da weißt Du nicht, ob Du lachen oder weinen sollst…

 

Aber natürlich: Auch unser geistlicher Mensch kommt an seine Grenzen. Und Pfingsten findet statt, wo dieser geistliche Mensch von Gott ordentlich aufgefrischt wird. Wo er versteht, ich bin nicht für mich selbst da, mein Auftrag heißt, aus mir selbst hinauszugehen. Hin zu den Menschen, um Gemeinschaft und Verbindendes suchen – wirklich richtig suchen. Pfingsten ist das Ereignis, bei dem sich dieser Wandel in uns vollzieht: von dem einen - natürlichen – zu dem anderen – geistlichen - Teil in uns. Vom Menschen, der die Welt nur natürlich betrachtet zu einem Menschen, der sie auch geistlich zu deuten weiß. Der eine Sicht auf die Welt und die Menschen bekommt, die vom Geist Jesu geprägt ist, der sich als Atem in uns einnisten will. So haben wir es in der Kantate gehört, die aus dem Staunen darüber nicht hinauskommt, dass Jesus und der Vater in uns einziehen wollen. So heißt es im Sopran-Rezitativ: „O, was sind das vor Ehren, wozu uns Jesus setzt, der uns so würdig schätzt, dass er verheisst samt Vater und dem heilgen Geist in unseren Herzen einzukehren...“ Und der Bass ergänzt: „Dass er in unseren Herzen thronet, und wie in einem Himmel wohnet. Ach! Gott, wie selig sind wir doch!“ O ja, in der Tat. Von wegen gilt, was der Volksmund sagt: „Pfingsten sind die Geschenke am geringsten“. O nein. Am größten sind sie! Sagt es bitte weiter.

 

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche, taddiken@thomaskirche.org