Predigt über 1. Korinther 2,12-16
- 20.05.2018 , Pfingstsonntag
- Pfarrerin Taddiken
Predigt am Pfingstsonntag, 20. Mai 2018 über 1. Korinther 2,12-16
Gnade sei mit Euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Gemeinde,
ungefähr 90 Prozent der Deutschen wissen nicht, was wir an Pfingsten feiern. Ein Grund mag dabei unsere Sprache sein: Wir müssen uns im Deutschen mit dem schwierigen Wort „Geist" herumschlagen. Das, was mit dem Heiligen Geist zu tun hat, verbreitet den Eindruck, es sei „geistig", abstrakt und theoretisch. Es klingt nach Dingen, die sich in der dünnen Luft hoher Geistigkeit abspielen. Dabei: „Wind" oder „Wehen" des Geistes sind ja durchaus sinnliche Erfahrungen, wir haben es in der Pfingstgeschichte aus der Apostelgeschichte ja gehört, wie die Jünger darauf zunächst einmal reagieren: bestürzt - entsetzt -verwundert. Ein gewaltiger Sturm vom Himmel. Eine äußere Naturgewalt steht für eine innere geistliche Erfahrung. Es fährt in sie hinein in diese verunsicherte Schar, die sich für andere unzugänglich in sich selbst verrammelt hat. Sie bekommt Rückenwind, der Mief der Traurigkeit wird aus ihnen herausgelüftet. Nunmehr treiben sie die Sache Jesu als Gemeinde in die Welt hinein. Und das sprengt die bisher bekannten Grenzen zwischen Volk, Sprache und Herkunft, das alles wird zweitrangig.
Ich denke schon, wer sich mit dieser Geschichte und ihrer Symbolik beschäftigt, kann ohne weiteres verstehen, worum es Pfingsten geht. Wem sie zu affektvoll ist, kann es aber auch auf andere Weise nachvollziehen. Im Johannesevangelium wird Pfingsten etwas anders beschrieben, weniger spektakulär. Als Jesus sich von seinen Jüngern verabschiedet, bläst er sie an und sagt: „Nehmt hin den heiligen Geist." Das erinnert an die Schöpfungsgeschichte, wo Gott dem Erdenkloß Adam seinen Atem einhaucht. Und was heißt es hier wie dort anderes als: Nehmt von meinem Innersten, atmet ein, was mich leben lässt. Lebt davon. Und lasst meinen Atem euch atmen - auf dass er Euch an all das erinnere, was ich getan habe: Menschen zu ermutigen, sie aufzurichten und ihnen ihre geraubte Lebensperspektive zurückzugeben. Bleibt in meiner Liebe, sie wird Euch von Tag zu Tag erneuern.
Nach dieser Geschichte ist der Heilige Geist, der Geist Jesu, also da, wo ich bis ins Körperliche hinein spüren kann: Gott arbeitet offenbar an mir. Er arbeitet bzw. atmet dort, wo ich getröstet werde. Wo ich mich wieder aufrichten kann. Wo ich wieder Mut fasse. Wo ich wieder herauskrieche aus dem Loch, in das ich mich verzogen hatte. Pfingsten ist auch der Moment, wo ich mich wieder traue, herauszugehen auf die Straße und mich zeige, wie ich bin und wofür ich eintrete. Und zwar nicht deshalb, weil ich selbst aus mir heraus so großartig bin, sondern weil mir einleuchtet, dass mir durch Jesu Tod und Auferweckung keine Gewalt und Macht dieser Welt mehr etwas anhaben kann.
Aber: Das glauben zu können - wirklich glauben zu können in dem Sinne, dass ich all mein Vertrauen darauf setze - werde ich das je können? Herrje, so einfach ist das nicht, ich bleibe immer skeptisch und kritisch, ich zweifle doch immer wieder - und eigentlich will ich es auch, denn ohne Zweifel komme ich nicht voran - und zugleich merke ich, wie sehr ich mich danach sehne, dass in meinem Leben alles gut ist und ich zur Ruhe komme. Es gibt einen wunderbaren Text im 1. Korintherbrief des Apostels Paulus, der uns als Menschen genau in diesem Zwiespalt bis hin in unsere tiefste Zerrissenheit ernst nimmt - und der sowohl mit der Pfingstgeschichte zu tun hat als auch damit, dass Jesus seinen Geist bzw. Atem an seine Jünger weitergibt. Er ist heute unser Predigttext.
Wir aber haben nicht empfangen den Geist der Welt, sondern den Geist aus Gott, dass wir wissen können, was uns von Gott geschenkt ist. Und davon reden wir auch nicht mit Worten, wie sie menschliche Weisheit lehren kann, sondern mit Worten, die der Geist lehrt, und deuten geistliche Dinge für geistliche Menschen. Der natürliche Mensch aber nimmt nicht an, was vom Geist Gottes ist; es ist ihm eine Torheit und er kann es nicht erkennen; denn es muss geistlich beurteilt werden. Der geistliche Mensch aber beurteilt alles und wird doch selber von niemandem beurteilt. Denn »wer hat des Herrn Sinn erkannt, oder wer will ihn unterweisen«? Wir aber haben Christi Sinn.
Paulus findet die vielleicht nüchternste Beschreibung des Heiligen Geistes. Er definiert ihn von seiner Aufgabe her: Gott gibt uns Anteil an seinem Geist, damit wir überhaupt verstehen können, was er uns schenkt. Wir bekommen den „Geist aus Gott, dass wir wissen können, was uns von Gott geschenkt ist." Der Heilige Geist hat schlicht die erfreuliche Aufgabe, uns all das nahe zu bringen, womit Gott uns erfreut. Allerdings: Auf den ersten Blick klingt dieser Text auch irgendwie arrogant und abgrenzend, diese Unterscheidung zwischen natürlich und geistlich: Wir haben es, aber die andern haben's nicht. Und was ist mit den Skeptikern - und mit all denen, die sich nichts sehnlicher wünschen als glauben zu können? Haben sie das Pech, zu den sog. „natürlichen Menschen" zu gehören, weil sie einfach nicht erkennen können oder wollen, was die geistlichen selbstverständlich tun? Allerdings: Wenn man es genau anschaut: Hier geht es um einen Singular: um den geistlichen und um den natürlichen Menschen. Paulus spielt also nicht die Frommen gegen die Ungläubigen aus, sondern mich gegen mich. Die Grenze zwischen dem natürlichen und dem geistlichen Menschen verläuft mitten durch mich selbst hindurch. Als geistlicher Mensch erkenne ich, was Gott an mir tut, wie er mich durch seinen Geist solange ich lebe, beständig erneuert und erhält - und wie das auch für mein Umfeld gilt. Aber auf der anderen Seite erlebe ich mich auch als natürlichen Menschen und sehe nichts anderes und nicht mehr als die Dürftigkeit und Brüchigkeit meines Glaubens, meines Lebens. Sehe mein inneres und zuweilen auch äußeres Chaos. Ich bin nie nur das eine (vom Geist Gottes erfüllt und bewegt) oder das andere (nur auf mich und das Vorfindliche bezogen). Was Paulus hier mit dem natürlichen und dem geistlichen Menschen meint, geht mitten durch mich hindurch - und es beeinflusst immer auch mein Urteil über alles und auch über die anderen.
So ist es ja beispielsweise mit der Debatte, die wir gerade hatten. Wie deuten wir denn das Kreuz an der Wand einer öffentlichen staatlichen Einrichtung? Als Symbol unserer kulturellen Identität? So weit, aber auch so schlecht, wenn es in erster Linie dazu dient, anderen zu zeigen: So läuft das hier, das ist die Richtung! Und alles andere - im Zweifel auch Du mit Deinem anderen oder gar keinem Glauben - Du weichst ab und gehörst erst einmal nicht dazu. Damit wird das Kreuz zumindest auch zum Zeichen der Abgrenzung. Für mich ist das ein schwerwiegendes Missverständnis des natürlichen Menschen. Geistlich verstanden ist das Kreuz das Zeichen dafür, dass Jesus in seinem Sterben und Auferstehen all das überwunden hat, was ihn selbst ans Kreuz gebracht hat: Die Angst vor dem Verlust der Macht. Nationale Überheblichkeit. Unsere Lust daran, Sündenböcke zu finden für alles Mögliche. Das ewige „Wir gegen die". Das Kreuz steht dafür, dass Jesus das auf sich genommen hat um es zu überwinden. Für alle Menschen. Wer das ernst nimmt, kann nicht anders als auch die ernst zu nehmen und aus tiefstem Herzen zu respektieren, die eben anders glauben - oder gar nicht. Diese Zumutung ist im geistlichen Verständnis des Kreuzes inbegriffen.
Ein zweites Beispiel für natürlich und geistlich ist das alte Bekenntnis von Nicäa und Konstantinopel, das wir in seiner lateinischen Fassung in Bachs h-moll-Messe gehört und das wir dann auch noch einmal gemeinsam gesprochen haben. Es kommt einem vielleicht noch abständiger vor als das apostolische Glaubensbekenntnis, das wir sonst meistens sprechen. Auch da ist es so: Der natürliche Mensch (sprich: ein Teil in uns) sieht darin einen Text mit einer veralteten Weltsicht, den man dem modernem Menschen mit Verstand eigentlich nicht mehr zumuten kann. Oder wo man es dann erträgt, wenn die wunderbare Musik das alles etwas abfedert, man denke an das Bonmot von Altbundeskanzler Helmut Schmidt, der einmal meinte, die lateinisch gesungene Kirchenmusik sei ihm die liebste, denn sie würde ihn am wenigsten von seiner Andacht abhalten.
Man kann in diesen alten Worten aber auch ein Zeichen des Ringens der ersten Christenheit sehen, zusammen zu bleiben. Wo es darum geht, sich trotz aller Verschiedenheit zu einer gemeinsamen Glaubens-und Lebenshaltung zu bekennen. Dass man so weit wie möglich beieinander bleibt und das meidet, was am Ende in der Regel immer zu Blutvergießen führt: sich abzugrenzen, sich nicht mehr zu bemühen, den anderen in seinen Anliegen und Bedürfnissen zu sehen. So mag der geistliche Mensch in uns diese alte Glaubensbekenntnis verstehen und mag vielleicht außerdem entdecken: Ich kann mich davon tragen lassen, wenn wir ihn hier im Gottesdienst gemeinsam hören und sprechen. Denn: Immer gibt es etwas, das ich als natürlicher Mensch daran nicht mitsprechen oder nachvollziehen kann. Aber andere können und tun es. Und dass sie es für mich mit tun, kann mich sehr entlasten: Ich muss nicht alles können, ich muss nicht alles verstehen, ich muss noch nicht mal alles bekennen können und gehöre doch voll und ganz zur Gemeinschaft der Glaubenden. Wenn ich die Grenzen meiner Geschöpflichkeit geistlich erkenne - aber zugleich als mit Gottes Hilfe erweiterungsfähig - dann kann mich das sehr entlasten. Ich denke, wer ein gemeinsames Bekenntnis beten oder sich da zumindest hineingeben kann, der ist eher vor dem gefeit, was immer wieder als Ungeist durch alle Welt geht, was jedenfalls dem pfingstlichen Geist des Bemühens um Verständigung und der Suche nach gemeinsamer Sprache diametral entgegen steht: Der Geist der Abgrenzung. All das, was Paulus als fleischlich oder natürlich bezeichnet: Dass man nur bei sich bleiben will, dass man mehr Hoffnung auf die eigenen begrenzten Fähigkeiten setzt als auf die von Gott her möglichen Veränderungen in uns selbst, die sich dann eben auch auswirken. Dies aber ist nach biblischem Zeugnis die Voraussetzung dafür, das Pfingsten geschehen kann: Wo wir es auf dieser Basis wagen, aus uns selbst hinauszugehen. Hin zu den Menschen, um Gemeinschaft und Verbindendes suchen. Sprich: Selbst das zu tun, was sich nicht nur in den Pfingstgeschichten der Bibel wie unter einem Brennglas abbildet: Dass Gott selbst immer wieder neu aus sich herausgeht: als Schöpfer, als Erlöser, als Tröster. Dass er sich selbst verschenkt. Der natürliche Mensch in uns strebt in der Regel nach Sicherheit und danach, so viel wie möglich zu haben. Ihm erscheint das als Torheit, was Jesus z.B. dem reichen Jüngling auf seine Frage hin sagt, wie er selig werden könne: „Geh hin, verkaufe alles, was du hast und gib‘s den Armen und dann folge mir nach". Dem natürlichen Menschen erscheint das als Torheit. Der geistliche Teil in uns mag dagegen erkennen wohl eher: Alles, was man zu geben hat, macht einen nicht ärmer. Und alles, was Du festzuhalten versuchst, wirst Du am Ende verlieren. Jesus selbst hat das gelebt - und hat am Ende nichts festgehalten - auch nicht sein Leben. Er hat es gegeben, damit Neues werden konnte. Pfingsten ist das Ereignis, bei dem sich dieser Wandel in uns vollzieht: von dem einen - natürlichen - zu dem anderen - geistlichen - Teil in uns. Vom Menschen, der die Welt nur natürlich betrachtet zu einem Menschen, der sie auch geistlich zu deuten weiß. Der eine Sicht auf die Welt und die Menschen bekommt, die vom Geist Jesu geprägt ist, oder sich davon angeblasen weiß, wie es wie erwähnt, das Johannesevangelium beschreibt.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.
Britta Taddiken, Pfarrerin an der Thomaskirche